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KAPITEL 4 Die Herkunft der kirchlichen Sprache

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Wenn es um die Herkunft der kirchlichen Sprache geht, gräbt der österreichisch-schweizer Mittelalter-Historiker Valentin Groebner, der zugleich Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist, am tiefsten. Er sieht die heutige kirchliche Sprache in der Tradition der Bettelorden gegründet. Sie hätten ein wirkungsvolles gemeinschaftliches „Wir“ geschaffen, das die kirchliche Sprache noch heute präge: „Innerhalb der Geschichte der kirchlichen Rhetorik war beides immer sehr eng miteinander verkoppelt: Die Bettelorden predigten zu den Frauen und in der Volkssprache, sie waren demonstrativ besitzlos, und ihre Botschaft lautete: Ihr seid Arme, und wir sind Arme im Namen Christi – auch wenn wir diese riesigen Kirchen mit prächtigen Inneneinrichtungen haben.“

Aber in diesen Kirchen, so Groebner, seien immer alle willkommen gewesen. „Wir sind ein großes Wir. Die anderen – die Juden, die Muslime und die Sodomiter – gehören nicht dazu.“ Man habe dafür gesorgt, dass die anderen ausgegrenzt, im schlimmsten Fall verbrannt worden seien, weil man sich von ihnen bedroht gefühlt habe.

Und noch heute sieht Groebner ein ähnliches „Wir“ in der kirchlichen Sprache wirksam, nämlich in der „moralisierenden Wir-Müssen-Sprache“, zu der die Kirche neigt. Innerhalb dieses Systems ist es dennoch sehr schwer, auf die moralisierende, auf die sehr inklusive Erste Person Plural zu verzichten. Denn diese Sprache biete bis heute große Vorteile: „Die Kirchen wollen gleichzeitig die radikale Alternative und der Mainstream sein – und dafür ist diese Sprache toll.“

Wo liegen die Ursprünge der heutigen kirchlichen Sprache? Eine Quelle ist, wie im vorherigen Kapitel gesehen, die so genannte „Sprache Kanaans“, die vor allem im 19. Jahrhundert in besonders frommen Kreisen entstanden sein dürfte. Wichtiger aber sind heutzutage zwei andere Wurzeln der kirchlichen Sprache.

Dazu ist ein kleiner Ausflug in die Sprachtheorie und Soziologie nötig: In den Sechzigerjahren hat die kirchliche Sprache wie die gesellschaftliche Mainstream-Sprache vor allem durch die neueren Wissenschaften Impulse bekommen, etwa durch die Sprachphilosophen Austin und Searle. Sie haben in ihren Sprachtheorien festgestellt, dass Sprechen immer auch Handeln ist – eine Erkenntnis, die sich in unseren Tagen weitgehend durchgesetzt hat. Man verändert Dinge und Menschen durch Sprechen. Kommunikation ist nicht nur ein Übermitteln von Botschaften, sondern eine besondere Form der Interaktion, nämlich das Handeln mit Symbolen.

Dieses Denken hat mit einem größeren Einfluss der politischen Linken auf die deutsche Politik und Gesellschaft in den Sechzigerjahren zu tun. Die Linke hat in dieser Zeit immer betont, dass die unterschiedlichen Formen des Sprechens dabei helfen, gesellschaftliche Unterschiede zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Die Sprache wird als ein Unterdrückungsmechanismus gesehen, der entschärft (oder für eine bessere Sache eingesetzt) werden muss. Das bedeutete für eine linke Politik, dass sie danach strebte, über die Unterdrückungsmacht der Sprache aufzuklären. Das Ziel war, in gleicher Augenhöhe miteinander zu sprechen – und es ist kein Zufall, dass der Ausdruck „in Augenhöhe“ heute so populär ist.

Wenn aber Sprechen Handeln heißt, dann hat das Folgen. Man spricht dann nicht nur über die Wirklichkeit, sondern stellt sie sprechend her. Deshalb sollte man genau überlegen, was man sagt und mit welchen Folgen. „Besseres Sprechen soll ein befreiendes Sprechen sein, das nicht diskriminiert, sondern aufwertet“, erklärt der Kommunikationswissenschaftler Jo Reichertz, dessen Schwerpunkt unter anderem die Religionssoziologie ist. Das ist eine wissenschaftlich-ideologische Wurzel der öffentlichen und kirchlichen Sprache, wie wir sie heute kennen.

Geht man noch weiter in die Tiefe, dann ist die heute dominierende Sprache in der Öffentlichkeit und in der Kirche zudem geprägt von der Schule der Kommunikationswissenschaftler Gregory Bateson und Paul Watzlawick aus Palo Alto. Deren Theorie ist, dass besondere Formen des Kommunizierens krank machen können. Laut dieser Theorie gibt es in der öffentlichen Kommunikation ein unehrliches Sprechen mit doppeltem Boden (double bind). Von diesem ist auch die kirchliche Sprache geprägt.

In dieser Theorie – sowie in Marshall Rosenbergs Theorie der gewaltfreien Kommunikation – wird das Sprechen genutzt, um Beziehungen besser zu gestalten und Ziele friedlicher zu erreichen, denn Sprechen bedeutet ja, wie gesagt, immer auch Handeln. Wenn also verhindert werden soll, dass Sprechen Gewalt ausübt, muss man das Sprechen systematisch reflektieren und gezielt so umgestalten, dass es nicht mehr schaden kann. Die Folge für die öffentliche und kirchliche Sprache ist die Forderung, dass sie auch mit den Benachteiligten „auf Augenhöhe“ kommunizieren will – und die Ziele der Kirche sollen natürlich nur durch die Sprache und gewaltfrei erreicht werden.

In diesem Umfeld hat sich langsam die heutige kirchliche Sprache entwickelt. Denn den größten Teil dieser Theorie haben die Kirchen, bewusst oder unbewusst, übernommen und ihr Sprechen, also ihre interne und externe Kommunikation, geändert. Diese Kommunikationsmuster – vor allem auf protestantischer Seite zusätzlich geprägt durch Friedemann Schultz von Thuns „Unternehmenskommunikation“ – sind seit den Sechziger- bis zu den Achtzigerjahren in die kirchliche Sprache eingewandert und bestimmen in ihr zu weiten Teilen den Diskurs und das Sprechen.

So ist spätestens in den späten Siebziger-, frühen Achtzigerjahren vor diesem Hintergrund eine Sprache der Empathie im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Kirchensprache dominant geworden. Das ist deshalb recht erstaunlich, weil die Sprache der Achtundsechziger im Gegensatz dazu noch eine ganz andere war, zum Teil sehr hart, brutal und schroff – und man kann gerade für die kirchliche Sprache überlegen, ob sie nicht auch deshalb so weich und empathisch ist, um sich von dieser Schroffheit abzugrenzen.

Es gab übrigens auch Achtundsechziger in der Kirche, die hier den gleichen harten Umgangston pflegten, wie Petra Bahr erzählt: „Diese 68er sagen mir heute: Wir waren so brutal unbarmherzig.“ Bahr berichtet von einer Kollegin, die 1968 eine autonome Evangelische Studentinnengemeinde gegründet hat. „Die Vereinbarung unter den Frauen dieser Gruppe im Gespräch war: Bis eine heult, sagen wir uns die Wahrheit.“

Das aber war die Ausnahme. Prägender wurde in den folgenden Jahrzehnten für die kirchliche Sprache unter anderem die evangelische Theologin Dorothee Sölle (1929–2003), die bis heute Generationen von Theologinnen und Theologen fasziniert. Einfluss auf die kirchliche Sprache hatte lange Zeit auch Heinz Zahrnt (1915–2003). Er galt einer größeren Öffentlichkeit über viele Jahrzehnte als einer der einflussreichsten evangelischen Theologen und Publizisten.

Der konservative Publizist Jan Fleischhauer, lange Zeit Kolumnist bei Spiegel Online, jetzt beim Focus, macht das lebensgeschichtlich anschaulich. Er war einst stark engagiert in der evangelischen Kirche: „Es gab in den Siebzigern in linken bundesdeutschen Kreisen eine sehr harte Sprache – auch aus Bewunderung für die RAF: ‚Gefangene werden nicht gemacht. Ab heute wird zurückgeschossen‘ Das hatte Kraft. Ich habe das Zitat, ‚Ab heute werden wir Menschen sein – oder die Welt wird untergehen bei unserem Versuch, es zu werden.‘ nachts mit schwarzer Farbe an die Schultür gesprüht, voller Angst vor dem Hund des Hausmeisters.“ Zusammen mit Freunden habe er mit pochendem Herzen den Kampf in die Metropolen tragen wollen. Seine Freizeit habe er viel im kirchlichen Umfeld verbracht: „Jugendgottesdienst, Teestube (allein das Wort schon!), Brot für die Welt und Amnesty International.“ Da sei der protestantische Duktus schon da gewesen, aber: „Diese Sprache war viel weicher. So weich wie Taizé. Die Grenze zum Kitsch war fließend: Mit dem Herzen denken und mit dem Kopf fühlen, wie uns Konstantin Wecker zurief.“ Hinzu kam die damalige Stärke der linken politischen Ideen und ihrer Sprache. „In der kirchlichen Sprache spiegelt sich, was bestimmend ist für alle linken Bewegungen: die Untergangsangst, das Apokalyptische. Der Ausblick auf einen Jüngsten Tag, auf ein Weltende – damit kann ich als religiöser Mensch etwas anfangen.“

Kaum zu überschätzen für die kirchliche Sprache waren auch die „neuen sozialen Bewegungen“, die mit der Kirche – etwa bei der Friedens-, Umwelt- und „Dritte Welt“-Bewegung – eng verbunden waren. In den neuen sozialen Bewegungen wurde die empathische Sprache sehr gepflegt. Respekt wurde in dieser Zeit Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre im Umgang miteinander (wieder) ein hoher Wert. Die Sprache der Gesellschaft wurde anders. Und das hat auch die kirchliche Sprache geprägt: Die strenge, harte Sprache Luthers wurde zurückgenommen, angefangen vielleicht bei den neuen Kirchenliedern in den Sechziger- und Siebzigerjahren. „An ihnen sieht man, wie die Härte der lutherischen Choräle weichgespült wird. Das vermischt sich mit der Sprache des Kirchenalltags und des Kirchentags“, so Paul Nolte.

Es war kein Zufall, dass die Kirche etwa bei der Anti-Atomkraft-Bewegung so eine große Rolle gespielt hat. Pfarrerinnen und Pfarrer saßen oder standen da oft in der ersten Reihe. „Sie waren die Experten für das Endzeitliche“, meint Fleischhauer, der Kontinuitäten bis heute sieht: „Das erleben wir derzeit wieder: Apokalypse reloaded. Ein nicht unerheblicher Teil der Deutschen glaubt zurzeit wieder, dass wir einem Jüngsten Tag näher treten.“ Auf den Kirchentagen spiele das eine riesige Rolle, denn die seien ja auch so etwas wie „ein grüner Parteitag mit Anfassen“: „In der Jenseitserwartung finden Fridays for Future und Protestantismus zusammen.“ Mitte Oktober 2019 veröffentlichte der Nürnberger Pfarrer Thomas Zeitler auf der Homepage des evangelischen Monatsmagazins zeitzeichen einen Text, der erläutert, warum er die Bewegung „Extinction Rebellion“ unterstützt.

Eine Quelle der heutigen kirchlichen Sprache waren zudem die intellektuell geprägten evangelischen Pfarrhäuser und die sich spätestens in den Siebzigerjahren politisierenden Gremien der evangelischen Jugend. Denkbar auch, dass diese Sprache in manchen Milieus innerhalb der Kirche schon vorher aufgetreten ist, etwa bei Unterstützer-Gruppen des „Politischen Nachtgebets“, für die die schon genannte Theologin Dorothee Sölle exemplarisch steht. Anfang der Achtzigerjahre jedenfalls war die Zeit dann reif. Die Stimmung dieser Jahre fasst der damalige Song „Das weiche Wasser bricht den Stein“ gut zusammen. Es war zwar ursprünglich kein Kirchenlied, aber es wurde auf den Kirchentagen Anfang der Achtzigerjahre, die von der Auseinandersetzung um die NATO-Nachrüstung geprägt waren, rauf und runter gesungen.

Überhaupt hat die Kirchentagssprache stark auf die kirchliche Sprache gewirkt, einerseits durch Verlautbarungen, Protokolle und Kundgebungen, andererseits auch durch die ungezählten Texte, mit denen sich Initiativen auf dem „Markt der Möglichkeiten“ auf den Kirchentagen vorgestellt haben. Dazu ist ein knapper Ausflug in die Geschichte der Kirchentage, die in dieser Form weltweit einzigartig sind, nötig: Ausgangspunkt war die große Krise, die diese großen Protestanten-Treffen (bei Katholiken heißen sie Katholikentage) Anfang der Siebzigerjahre durchliefen, vor allem der Einbruch der Teilnehmerzahlen. Beim Düsseldorfer Kirchentag 1973 wurden gerade einmal 7.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezählt. Da kamen die Organisatoren des Kirchentags auf die Idee, alle die aufzubieten, die irgendetwas im Raum der Kirche tun, auch zivilgesellschaftlich Engagierte außerhalb der Kirche waren eingeladen, sich und ihr Engagement vorzustellen.

Nachdem schon Mitte der Siebzigerjahre der „Markt der Möglichkeiten“ eingeführt worden war, wurde das Innere der Kirche nach außen gekehrt – das innerkirchliche Leben und damit auch ihre Sprache wurden stärker in der Öffentlichkeit präsentiert. So wurde der Kirchentag zu einer Art Protestantismus-Messe – mit Ausstrahlung in Milieus, die vorher nicht sehr viel mit ihm zu tun hatten. So ist beispielsweise die taz – die tageszeitung seit Jahren auf den Kirchentagen mit einem Stand präsent und erfreut sich hoher Beliebtheit, nicht wenige neue taz-Abos werden dort auch abgeschlossen.

Gerade der Kirchentag in Nürnberg 1979 war das Musterbeispiel für diesen Wandel und ein Initialpunkt für viele Veränderungen, etwa beim geistlichen Liedgut, aber eben auch in der Selbstdarstellung des Protestantismus – bis in die Kapillargefäße der Mittelschicht hinein. Auf dem Nürnberger Kirchentag präsentierte sich der Protestantismus als plural untereinander, aber auch gegenüber der Gesellschaft.

Die neue Blüte des Kirchentags hatte Effekte aber nicht nur in die engen protestantisch-christlichen Milieus hinein, sondern auch darüber hinaus. Kirchentage wurden zum Mainstream. Der traditionelle Anspruch des Kirchentags, eine „Zeitansage“ zu geben, ist zurückgegangen, so Reiner Anselm, der seit Jahren führend an einer DFG-Forschergruppe zum Thema „Der Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland 1949–1989“ beteiligt ist. Dabei ist es wenig verwunderlich, dass es immer schwerer fällt, genaue politische Aussagen des Kirchentages zu erkennen – dafür wirkt er in viel mehr Schichten hinein, auch in die, die nicht oder kaum mehr christlich sind.

Dieser Wandel der Kirchentage – und später auch der Kirche – lief insgesamt recht gesittet ab. Aber manchmal vollzog sich der Transformationsprozess nicht ohne Verletzungen. Die Geschichte des früheren Verteidigungsministers Hans Apel (SPD) ist dafür ein deutliches Zeichen. Er wurde auf dem Hamburger Kirchentag 1981, als die Nachrüstungsdebatte dort heftig geführt wurde, auf einem Podium mit Tomaten beworfen, ein traumatisches Erlebnis für ihn. Apel (1932–2011) war ein frommer Christ, der auch mit der neuen kirchlichen Sprache haderte. Im Jahr 2003 veröffentlichte er das Buch „Volkskirche ohne Volk. Der Niedergang der Landeskirchen“, in dem er seiner Kirche vorwarf, dem modernen Zeitgeist zu sehr verfallen zu sein. Gerade für die älteren Protestanten – etwa Hans Apel – sei die ältere kirchliche Sprache lutherischer Prägung „eine Art von Beheimatung“ gewesen, erklärt Reiner Anselm, aber „irgendwann ließ sich die Mehrheit der evangelischen Christen so nicht mehr ansprechen“.

Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für das kirchliche Milieu und die kirchliche Sprache war in dieser Zeit auch eine bestimmte politische Partei, die gerade auf Kirchentagen nach und nach in den kirchlichen Mainstream integriert wurde: die Partei „Die Grünen“. Die ökologische Bewegung und mit ihr die Grünen wurden ab Ende der Siebzigerjahre sukzessive und am Ende ohne große Widerstände an das kirchliche Herz vor allem evangelischer Prägung gedrückt. Die Grünen beeinflussten die Kirche und die Kirche die Grünen – inhaltlich wie sprachlich.

Die Öko-Partei gewann ab Anfang der Achtzigerjahre gerade im protestantischen Milieu – und bis heute – immer mehr Einfluss sowohl an der Basis wie an der Spitze der Kirche. Und das ist auch logisch. Denn die Grünen hatten sich nicht selten aus dem kirchlichen Milieu ausgegründet. Anfangs gab es unter ihnen relativ viele Theologinnen und Theologen, eine mehr oder weniger christliche Sozialisation konnten viele Grüne aufweisen. Dabei waren die südwestdeutschen Grünen tendenziell eher wertkonservativ (und kirchennah), während die norddeutschen eher linke Traditionen hatten. Aber sie trafen sich in der Regel in ihrer Sensibilität für die Sprache. Prägend war da das sprachkompetente Bildungsbürgertum, aus dem bis heute viele Grüne kommen.

Auch die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung war stark christlich-protestantisch beeinflusst und zugleich eine Quelle der grünen Bewegung der ersten Stunde. „Dieser Gestus des ‚We shall overcome‘, des zivilen Ungehorsams und der Gewaltfreiheit (‚Wir halten die andere Wange hin und können nicht anders‘) – das sind ältere Wurzeln dieser christlichen Widerstandstradition“, erläutert der Historiker Paul Nolte. Vieles dieser tendenziell pazifistischen Sprache wurde, etwa durch Petra Kelly, aus den USA importiert. Es gibt auch eine sprachliche Traditionslinie der christlich geprägten Grünen von Petra Kelly über Christa Nickels und Antje Vollmer bis Katrin Göring-Eckardt, die als Fraktionsvorsitzende der Grünen noch heute eine führende Rolle in der Partei spielt.

Es ist schließlich sehr wahrscheinlich, dass neben den Kirchentagen auch das Neue Geistliche Lied (das berühmteste Beispiel ist: „Danke“), das vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren aufblüht, starken Einfluss auf die heutige kirchliche Sprache hatte. Die Münchener Theologin Katharina Herrmann hat eine Dissertation über das Neue Geistliche Lied – manchmal auch Sacropop genannt – geschrieben. Sie ist sich sicher, dass die Sprache des Neuen Geistlichen Liedes die kirchliche Sprache beeinflusst hat. „Denn die Texte der Lieder hatten und haben ja eine riesige Reichweite, etwa auf Kirchentagen, und das Neue Geistliche Lied war und ist ja ganz prägend für den Kirchentag.“

Das Neue Geistliche Lied geht bis heute vielen Gläubigen auf den Geist, gerade weil es so eingängig ist, und das ist beabsichtigt. Denn die singenden Christinnen und Christen sollen das Lied ja möglichst schnell im Kopf haben und die Idee des Neuen Geistlichen Liedes weiter tragen. Ein Durchbruch für die Reichweite dieser neuen kirchlichen Sprache war die sukzessive Aufnahme der neuen Kirchensongs ins Evangelische Gesangbuch. Die Neuen Geistlichen Lieder wurden ein Medium, um eine neue kirchliche Sprache in die Breite zu tragen und sie zu festigen.

Hinzu kommt die Bedeutung einer neuen gottesdienstlichen Sprache, die sich mit dem Neuen Geistlichen Lied zeitgleich entwickelte. Viele der Liedermacher haben am Gottesdienst in Neuer Gestalt und der Lebendigen Liturgie, beispielsweise der Liturgischen Nacht, mit gearbeitet. Die Sprache, die sie in den Liedern verwendeten, sprachen sie auch in den Gottesdiensten. All dies, neue geistliche Lieder, neue Gottesdienstformen und eine neue kirchliche Sprache wurden und werden seit Jahrzehnten bei den Abschlussgottesdiensten der Kirchentage über das Fernsehen in die Welt hinausgetragen. Das Publikum ist immens, diese Formen gelten als modern, es ist eine neue Art, über seinen Glauben zu sprechen.

Und auch wenn uns Heutigen diese Sprache manchmal seltsam oder komisch vorkommt: Dieser neue Duktus konnte für die kirchliche Sprache nur deshalb so prägend werden, weil er eine Zeit lang für bestimmte Milieus im Sinne der Kirche durchaus erfolgreich war. Die neue kirchliche Sprache hat dazu beigetragen, eine junge Generation zu gewinnen. Viele junge Leute fanden sie faszinierend. Sie ließen sich davon anstecken oder, kirchlich gesprochen, berühren. Hinzu kommt ein generationeller Effekt, auf den der katholische Theologe Michael Seewald aus Münster aufmerksam macht: „Man wird die Sprache, die man gelernt hat, nicht los. Diejenigen, die heute in der Kirche Verantwortung tragen, also im besten bischöflichen Alter sind und dadurch auch die Sprache prägen, wurden in den Siebzigerjahren groß.“ Auch deshalb prägt die Sprache der Siebzigerjahre noch heute die Kirchen.

Bis hierhin war viel davon die Rede, wie die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Westdeutschland die kirchliche Sprache prägte – und umgekehrt. Gibt es da Unterschiede zur Entwicklung in der DDR und Ostdeutschland?

Ellen Ueberschär, geboren in Ost-Berlin, bejaht das, die Sprache und Ansprache in der DDR in christlichen Kreisen sei oft ganz anders gewesen: „Es gab bei vielen Protestanten in der DDR eine strenge kirchliche Sprache, fast preußisch, vor allem in den Kirchenleitungen.“ Außerdem: „Es gab ein existenzielles Empfinden für Christen in der DDR, es war ein Leben mit der kirchlichen Sprache und den Geschichten des Neuen Testaments, die ja geschrieben wurden genau für Leute, die wie die Christen in der DDR extrem unter Druck standen.“ Die alten Texte hätten für sie in der DDR eine Unmittelbarkeit gehabt. „Gerade die Sprache einer christozentrischen Theologie mit ihren Deutungen des Kreuzes und Leids sprachen mich unmittelbar an.“

Im Westen habe es dagegen auch eine sehr anspruchsgeladene Sprache gegeben, denn viele der kirchlichen Mitarbeiter hätten sich weniger als Christen gefühlt, denn als Arbeitnehmer, die ihre Rechte sprachlich durchsetzen wollten, meint Ellen Ueberschär. Sie erzählt, wie sie nach der Wiedervereinigung Anfang der Neunzigerjahre durch die Westberliner Gemeinden getingelt sei – und die Worte, die sie damals ihrer Erinnerung nach am wenigsten gehört habe, seien Gott und Christus gewesen. Dafür sei die Frage brennend gewesen, wie hoch man noch die Heizung stellen dürfe. Jan Fleischhauer glaubt, dass es noch heute eine Kirchensprache im ostdeutschen und eine im westdeutschen Duktus gibt. Die Sprache der Kirchenleute aus dem Osten sei oft immer noch anders: „Das finde ich angenehmer. Denn es ist auch meist besseres Deutsch. Man fragt sich bei vielen Kirchenleuten aus dem Westen: Wo lernen die so zu reden? Das klingt nach Otto – etwa diese rhetorischen Fragen.“ Den Duktus könne jeder auf der Stelle imitieren, das mache ihn so satirefähig.

Am Ende dieses Kapitels über die Herkunft der kirchlichen Sprache noch ein kleiner Exkurs: Hatte womöglich auch die NS-Sprache als Gegenentwurf Einfluss auf die neue kirchliche Sprache einer neuen Generation, etwa ab den Sechzigerjahren – dass man also in Kirchenkreisen bewusst anders sprach als die Nationalsozialisten, zu denen ja gerade die NS-treuen evangelischen „Deutschen Christen“ eine allzu große Nähe hatten? Das ist umstritten. Der Historiker Paul Nolte hält das für möglich: „Da ist viel NS-Kompensatorisches zu finden. In den sozialen Bewegungen der Siebzigerjahre und bei den Grünen ist sogar noch mehr als bei den Achtundsechzigern sehr viel Wiedergutmachung für den NS-Schaden. Das Weiche, Rücksichtsvolle und Empathische dieser Haltung spielt eine Rolle.“ In der Sprache spiegele sich das.

Andere halten dagegen. Valentin Groebner sieht weniger die Nationalsozialisten als vielmehr die Achtundsechziger oder Altachtundsechziger am Werk. Er argumentiert ein wenig boshaft: „Die Nazisprache war ab den Fünfziger Jahren gesellschaftlich unmöglich geworden.“ Diese „hart-gefühlige Sprache“, wie Groebner sie beschreibt, war bereits weitgehend verschwunden – und er verweist auf die schon genannte Prägung der neuen kirchlichen Sprache als eine Gegenreaktion auf den betont aggressiven marxistischen Jargon von Objektivität und Härte, wie er in den Siebzigerjahren von den K-Gruppen gepflegt wurde. Denn: „Beide Gruppen, Theologen wie Marxisten, kamen ja zum großen Teil von den selben Schulen, Jesuiten- und Stifts-Internaten.“ Groebner gibt ein Beispiel: „Die evangelische Pastorin Antje Vollmer war auch Mitglied einer K-Gruppe.“ Man habe in dieser Zeit problemlos mehreren dieser Gruppen angehören können, sowohl im marxistischen wie im kirchlichen Milieu. „Dabei war die Hackordnung der Kämpfe im Großraumbüro der Weltrevolution kein Spaß. Die super sanfte kirchliche Sprache war eher eine Reaktion darauf.“

So ist die weiche kirchliche Sprache wohl eher kein bewusster Gegenentwurf zu der harten NS-Sprache, eher eine Reaktion auf die schroffe Sprache der Achtundsechziger-Bewegung. Die neue kirchliche Sprache schwamm in der Flut der größeren Transformation der bundesrepublikanischen Gesellschaft, hin zum Antiautoritären, hin zu einer friedlicheren und emanzipatorischen Gesellschaft, in der das Bewusstsein wuchs, dass Sprache Gewalt auslösen kann. „Die Absetzung von den Nationalsozialisten ist eher Begründungsschmuck“, meint Reiner Anselm.

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