Читать книгу Kreuzfahrt kann sehr tödlich sein - Jan Gillsborg - Страница 12
8. Washington, D.C.
ОглавлениеDas Urgestein saß auf einer Bank am Ufer des Potomac und las in der “Washington Post“. Das Blatt hat schon so viele politische Skandals enthüllt, aber die jetzige Bedrohung würde alles übersteigen, dachte der Alte. Seufzend legte er die umfangreiche Zeitung zur Seite und starrte auf das satte Grün ringsum. Bride musste gleich kommen – Bride, der rasante Aufsteiger in Langley, inzwischen Deputy Director, der beim Treffen mit Rosseliani und Turner mit ihnen zusammen gesessen hatte. Er schaute auf die Rolex an seinem Handgelenk. Noch vier Minuten. Der andere würde pünktlich sein. Dessen war er sicher.
Tatsächlich tauchte Bride wie aus dem Nichts am Ende des Parkweges auf und näherte sich.
„Schönes Wetter heute“, sagte er, als er da war und sich neben dem silberhaarigen Alten niederließ. Die letzte Woche hatte es wie verrückt geregnet. In zwei Bundesstaaten hatten Tornados Häuser und Leute vom Erdboden gefegt. Jetzt schien sich die Wetterlage in den Staaten beruhigt zu haben.
„Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum“, forderte das Urgestein. „Gibt’s was Neues? Wie ist die Lage?“
„Die Russen scheinen Wind von der Sache bekommen zu haben“, sagte Bride und verzog sein markantes braungebranntes Gesicht.
„Gar nicht gut!“, sagte der Alte. „Wo war das Leck?“
„Es gab kein Leck“, widersprach der Jüngere. „Wilkins hat doppeltes Spiel getrieben. Er hat das Material sowohl uns als auch den Russen angeboten. Er wollte es dem Höchstbietenden verkaufen.“
„Und?“
„Die Russen haben nicht gekauft. Sie wollten nicht die Katze im Sack. Er hat ihnen nicht gesagt, worum es geht, sondern nur, dass es sich um die brisanteste Ware seit den Atomspionen handelt. Das war ihnen zu verwaschen.“
„Wissen wir das genau?“
„Unsere Quelle in Moskau hat es bestätigt.“
„Dann ist das gut so. Sie werden nicht herauskriegen, was es ist, solange die Sache unter uns beiden Waisenknaben bleibt.“
Bride schüttelte bedenklich den Kopf. „Die Russen sind nun aber munter geworden, weil Wilkins das Zeitliche gesegnet hat. Jetzt machen sie wahrscheinlich dasselbe wie wir – auf Wilkins Spuren reisen und die Augen offenhalten, ob es etwas zu entdecken gibt.“
„Und unsere Leute? Haben sie schon einen Ansatz?“ Fragend blickte der Alte seinen Gesprächspartner an.
„Wir haben uns gleich in der Kabine dieses Journalisten umgeschaut, als er beim Essen war. Hinein zu kommen war ein Kinderspiel. Zwei Hundert-Euro-Scheine und der Philippino vom Housekeeping hat seine Keycard ausgeliehen. Wir haben aber nichts gefunden. Und dann muss uns noch jemand in die Suppe gespuckt haben. Jemand anderes hat sich nach uns ebenfalls in der Kabine herumgetrieben und diesen Webb niedergeschlagen. Möglicherweise die Russen. Auf dem Schiff munkeln sie, ein Einbrecher sei über die Balkone eingedrungen.“
„Ach?“ Der Alte beugte sich vor. „Was ist denn schief gegangen?“
„Es war Murphys Gesetz! Der Journalist ist aus einem unerklärlichen Grund wieder in seine Kabine zurückgekommen, nachdem er schon unten auf dem Weg zum Ausgang vom Schiff gesehen worden war. In dieser Zeit hat das jemand ausgenutzt. Wir waren es jedenfalls nicht.“
„Diesem Webb ist doch hoffentlich nichts passiert? Wir brauchen ihn vielleicht noch.“
„Wahrscheinlich tut ihm der Kopf tüchtig weh. Der Eindringling hat ihm eins über die Birne gegeben.“
Das Urgestein zuckte zusammen. Er mochte so vulgäre Ausdrücke wie „Birne“ nicht. Bei allem Tod und Verderben, die er in seinem Leben über andere gebracht hatte, pflegte er lieber einen gewissen vornehmen Stil, so wie es ihm als Nachfahre der Gründerväter zukam.
„Was haben wir über Webb in unseren Akten?“, fragte er.
„Ich habe alle Dateien in den Computern gecheckt“, sagte Bride. „Er ist gutes Mittelalter, trotzdem ledig, hat zwei Ehen versemmelt und war mal Mitglied in der kommunistischen SED.“
„Letzteres besagt nichts“, meinte das Urgestein. „Die SED in Ostdeutschland hatte etwa zwei Millionen Mitglieder. Wenn er nicht gerade ein scharfer Hund war, ist er politisch uninteressant.“
„Reisejournalist, recht erfolgreich – tja, und jetzt kommt das Interessante. Vor ein paar Jahren ist er einem Dienst unseres Landes in die Quere gekommen. Nicht im Bösen. Sondern er hat mit unseren Jungs einen alten Fall aus der DDR-Vorwendezeit geknackt, in den auch die Sowjets verwickelt waren.“
„War er kooperativ?“
„Er hat sich eher wie ein unschuldiges Kind angestellt“; grinste der Jüngere. „Aber irgendwie hat er schon investigative Fähigkeiten. Das sollte uns zu denken geben. Man darf ihn nicht unterschätzen. Der Mann hat einen guten Riecher.“
„Dann könnte er durch einen dummen Zufall etwas finden, was Wilkins doch wider Erwarten in seiner Kabine versteckt hat. Irgendeinen Hinweis. Etwas, was uns auf die Spur der „Ware“ bringt, die dieser Lump uns und den Russen angeboten hat. In der Matratze versteckt. In einer Ritze des Schranks. Hinter dem Fernseher.“ Er seufzte. „Da muss noch mal einer von uns rein. Irgendwo muss eine Spur zu finden sein.“
„Wir bleiben am Ball. Adler, Barclay und Turner haben ersten Sichtkontakt mit Webb aufgenommen, vereinfacht gesagt. Sie behalten ihn im Auge und werden jeden seiner Schritte beobachten.“
„Schalten Sie die lokalen Teams ein“, befahl der Alte. „Das Schiff legt in Dublin, Belfast, Greenock, Harwich und auch in Rotterdam an, wo Wilkins letztlich das Zeitliche gesegnet hat. Unsere Jungs sollen Adler und Barclay unter die Arme greifen, wo sie nur können.“
„Und Turner?“ Bride blickte ihn an.
„Turner kommt allein zurecht. Nur wenn alle Stränge reißen, geben wir da Schützenhilfe.“
„Es ist erstaunlich, dass so tief verbuddelte Dinge unvermittelt wieder ans Tageslicht kommen“, sinnierte Bride.
Der alte Mann blickte versonnen vor sich hin. „Wir waren damals nur fünf hochrangige Geheimdienstler, die davon wussten. Alle haben ihr Wissen gehütet wie ihr eigenes Augenlicht. Nicht mal der Präsident hat etwas geahnt. Oder der CIA-Direktor. Nur wir und der „Maulwurf“ selbst wussten Bescheid. Alle anderen Mitwisser haben wir eliminieren lassen. Nur Wilkins haben wir leider nicht erwischt. Jetzt sind die anderen vier Strippenzieher längst gestorben und ich bin übriggeblieben. Und der „Maulwurf“ selbstredend, der lebt auch noch. Deshalb habe ich die Stafette an Sie weitergegeben.“
„Sie ist in guten Händen, General“, sagte Bride. „Wenn alles vorbei ist – was machen wir dann mit Turner?“
„Weiß auch viel, aber ist verschwiegen und brauchbar“, die Stimme des Alten klang beiläufig. Und damit war alles klar. Turner würde überleben.
„Ich hoffe, die Reisedokumente der Drei sind perfekt“, dachte der pensionierte General laut nach. Der Alte klang etwas besorgt, denn alles hatte so schnell gehen müssen. Die ehemaligen Agenten reaktivieren. Noch Plätze auf dem Kreuzfahrtschiff bekommen. Die Leute unauffällig in Webbs Nähe positionieren.
„Keine Sorge – die Papiere sind alle echt. Niemand wird über sie stolpern.“
„Dann können wir nur hoffen!“ Er sah nicht ganz so optimistisch aus wie Bride.
„Mit Gottes Segen wird alles gut ausgehen“, versicherte der Jüngere optimistisch.
„Naja!“, sagte der Alte. „Aber vergessen Sie nicht – der Teufel schläft nie!“