Читать книгу Kreuzfahrt kann sehr tödlich sein - Jan Gillsborg - Страница 6
2. Washington, D.C.
Оглавление„Sie sehen gut aus, Turner!“, sagte der sehr alte Mann mit dem faltigen Gesicht, den man beim Dienst „das Urgestein“ nannte. Er war schon seit Ewigkeiten pensioniert, aber man munkelte, dass er bei der CIA in Langley immer noch manchmal an den Strippen zog. Ihm zur Rechten saß ein kernig aussehender Jüngerer namens Bride mit kurz geschnittenem Haar, leicht gebräunt, mit einem kantigen Gesicht. Beide Männer trugen saloppe Kleidung, helle Sommerhosen und gut gebügelte Oberhemden. Sie blickten Turner an der anderen Seite des Tisches an. Daneben saß noch ein Mann, etwa Fünfzig, in dunklem Anzug, der förmlich aus allen Poren nach Geheimdienst roch.
„Danke!“, erwiderte Turner und sah sich um. „Hübsch haben Sie es hier!“
Der ironische Unterton war nicht zu überhören und er war angebracht, denn der Raum im Keller des vierstöckigen Bürogebäudes war ausgesprochen ungemütlich. Die dicken Wände hatte man ebenso wie die Decke und den Fußboden mit Metallgeflecht versehen, damit keine elektronischen Signale nach innen und auch nicht nach draußen dringen konnten. Um vertrauliche Dinge auszubrüten und zu besprechen, war dieses Zimmer absolut abhörsicher gestaltet worden. Es gab da noch ein paar Spielchen, mit denen der Raum abgesichert worden war, und hier waren schon eine ganze Reihe von Schweinereien ausgeheckt oder vertuscht worden, von denen die amerikanische Öffentlichkeit bis heute nie etwas erfahren hatte. Selbstredend mussten Handys und Laptops draußen im Vorraum abgegeben werden und jeder, der diesen Raum betrat, wurde zuvor noch einmal elektronisch durchgecheckt und durch einen Scanner getrieben. Diejenigen, die das Zimmer im Keller kannten, und das waren die wenigsten im Dienst, nannten es „der Sarg“, weil hier Geheimnisse besprochen wurden, die man besser mit ins Grab nahm.
„Danke, Roselliani, dass Sie Turner mitgebracht haben“, wandte sich jetzt Bride an den Mann im dunklen Anzug. „Haben Sie ein ausführliches Briefing gemacht und Turner ist über diese alte Geschichte ausreichend informiert?“
„Ja, Turner weiß jetzt soviel wie ich“, sagte der Angesprochene. „Nur wir drei wissen um diese erstaunliche Sache.“ Er zeigte auf den Kernigen. „Oder ist er auch über alles informiert?“
„Nur in groben Zügen“, sagte der Alte.
Das ist auf jeden Fall einer zuviel, dachte Turner. Damit ist Rosseliani ein Unsicherheitsfaktor geworden. Und ich auch! Turner grinste leicht.
Das Urgestein lehnte sich zurück, um die Lage zu schildern, in der sie sich befanden. „Wir haben also das Problem, dass George Wilkins, ein ehemaliger Agent unseres Dienstes, vor etwa vierzig Jahren heimlich die Anwerbung eines hochkarätigen „Maulwurfs“ auf Video mitgeschnitten hat, uns jetzt damit erpressen wollte, aber unglücklicherweise an einem Herzinfarkt gestorben ist, ehe wir uns dieser Sache richtig annehmen konnten. Das Video hat er irgendwo versteckt und wir wissen nicht wo. Er ist aus der Versenkung aufgetaucht, in der er sich jahrzehntelang verborgen hat, und hatte es uns jetzt angeboten.“ Er schnaufte vor Wut. „Er wollte sich deshalb bald wieder mit uns in Verbindung setzen. Nun ist er abgekratzt und wenn das Band oder die DVD von jemand zufällig gefunden wird, der einordnen kann, worum es geht, gibt es eine Katastrophe.“
„Der Skandal wäre nicht zu übertreffen“, warf Rosseliani ein. Bride warf ihm einen bösen Blick zu. Der Agent im dunklen Anzug war nur dazu da gewesen, Turner zu finden, zu briefen, damit klar war, wie brisant die Angelegenheit war, und Turner dann herzubringen. Auf seine Meinung konnten die übrigen Anwesenden gut und gern verzichten.
„Tja“, nickte Turner, „dann würde man überall auf der Welt die Geschichtsbücher umschreiben müssen. Vieles würde seinen Mythos verlieren.“
„Wilkins war damals derjenige von unseren Leuten in Europa, der dafür zuständig war, dass der Treff blitzsauber sein musste. Es sollte unter vier Augen ablaufen. Keine Mikrofone, keine Protokolle. Nicht die kleinste Notiz irgendwo. Wilkins sollte das kontrollieren, denn er war der beste Mann mit seinen Fähigkeiten dazu, versteckte Abhöreinrichtungen zu finden und zu entfernen. Stattdessen hat er alles selbst verwanzt und aufgezeichnet. Es ist ein Rätsel, wie er das bewerkstelligt hat. Möglicherweise hatte er einen Helfer.“
„Gab es denn damals schon Videorecorder?“, funkte wieder Rosseliani dazwischen. Alle verdrehten die Augen.
„Natürlich“, sagte Bride, „zwar groß und unhandlich, aber ihm ist es gelungen, das Gerät zu verstecken. Damals hat er mit VCR oder Betamax aufgenommen. Und es später wahrscheinlich mehrmals überspielt. Immer ins neueste System. Er sprach von einer DVD, die er hätte.“
„Da muss doch das Ganze etwas schlechter geworden sein“, bedachte Turner. „Durch die Überspielungen hat doch die Bildqualität gelitten.“
„Für einen riesigen weltweiten Skandal wird sie jedenfalls noch ausreichen“, murmelte das Urgestein.
Bride beugte sich vor, sah Turner an und sagte scharf: „Prüfen Sie nach, wo sich Wilkins in seinen letzten Tagen jeweils aufgehalten hat. Mit wem er Kontakt hatte. Wo er das Zeug versteckt haben könnte. Gehen Sie seinen Spuren nach.“
Der Alte ergänzte mit grimmigem Gesicht: „Das wird nicht leicht sein, denn zuletzt war er auf einem Kreuzfahrtschiff, ehe er für immer abgetreten ist. Er hat sich auf der „Bella Auranta“ unter dem Namen Rolf Beck eingecheckt, als Deutscher. Seine Sprachkenntnisse waren fabelhaft. Es gab nach seinem Tod dann Zweifel, ob er wirklich aus Leipzig stammte, und wir wurden auch angefragt, ob er eventuell Amerikaner sei. Wir haben ihn identifizieren können aufgrund der Fingerabdrücke.“
„Wir müssen dort anfangen, wo er zuletzt gewesen ist.“ Bride blickte Turner an. „Vielleicht hat er in seiner Kabine Hinweise versteckt, wo er bei seinen Landausflügen in den Häfen gewesen ist und was er dort gemacht hat. Wir müssen den roten Faden ganz von vorn aufspulen. Vielleicht hat er auch weitere Spuren in seiner Kabine hinterlassen. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Ich habe Ihnen eine Einzelkabine auf der „Bella Auranta“ buchen lassen. Sie fliegen übermorgen nach Hamburg.“
„Ob wir da noch etwas finden? Die Schiffskabinen werden doch nach jeder Reise sauber gemacht. Und das Ganze ist gute vier Wochen her.“
„Versuchen Sie’s!“ Bride nickte Turner zu. „Sie wissen, worum es geht. Da müssen wir jede Chance nutzen. Nach der Stecknadel im Heuhaufen suchen. Nach jedem Strohhalm greifen. Jedes Zweiglein umdrehen. Leider haben wir nicht die gleiche Kabine bekommen können. Wir haben es versucht. Aber sie war schon vergeben – ausgerechnet an einen Journalisten. Sehen Sie also zu, dass Sie sich schnellstens in ihr irgendwie umsehen können, wenn der jetzige Insasse in einem der Häfen an Land gegangen ist.“
„Hat der Pressefritze auch einen Namen?“
„Webb!“, sagte das Urgestein, „Thomas Webb!“
„Ach ja!“, fiel ihm dann noch ein. „Wir haben auf die Schnelle noch zwei Leute von der Agency an Bord einschleusen können, die sich auch um Wilkins Kontakte auf dem Schiff und in den Hafenstädten kümmern sollen. Wir spielen ihre Fotos und Decknamen auf Ihr Handy, damit Sie wissen, auf wen Sie notfalls zählen können“. Er lächelte. „Sie kennen sie dann schon – aber sie wissen noch nichts von Ihnen. Wir informieren sie aber noch. Sehen Sie zu, dass Sie miteinander zurechtkommen. Kommt euch aber nicht aus falschem Ehrgeiz in die Quere.“
„Was wissen die beiden?“, wollte Turner wissen.
„Nur dass ein Typ namens Wilkins, der mal bei der „Firma“ war und dann abgetaucht ist, auf dem Schiff etwas versteckt haben könnte. Dass er unter dem Namen Rolf Beck an Bord war. Die Kabinennummer habe ich ihnen gemailt. Und ihr alle müsst versuchen herauszubekommen, welche Kontakte er in den angelaufenen Häfen geknüpft hat oder was er sonst noch dort angestellt hat.“
Nachdem das alles klar war, gab der Alte durch eine Kopfbewegung zu verstehen, Turner und Rosseliani könnten gehen. Der Agent im schwarzen Anzug war schon durch die Stahltür verschwunden, als Bride noch einmal Turner mit gekrümmtem Zeigefinger zu sich winkte. Er erhob sich und flüsterte seinem Gegenüber etwas leise ins Ohr. Turner verzog keine Miene, nickte und verschwand ebenfalls im Vorraum, wo Rosseliani sein Handy und seine Laptoptasche wieder an sich nahm.
„Man hat mir eben gesagt, es gibt noch eine kleine Aufgabe für uns“, sagte Turner. „Wir machen noch einen kurzen Ausflug nach Anacostia.“
„Ausgerechnet dahin?“ Der andere war nicht begeistert. Es war Abend, draußen musste es schon dunkel sein und dieses Washingtoner Viertel fünf U-Bahn-Stationen vom Weißen Haus entfernt hatte mit seinen etwa 150 Morden im Jahr keinen guten Ruf.
Aber Befehl ist Befehl. So stiegen beide, scheinbar nicht zusammengehörend, einzeln eine Stunde später aus der Metro aus, die einen Seitenarm des Potomac unterquert hatte. Sie liefen getrennt durch schlecht beleuchtete Straßen. Nachdem einige Reihenhäuser hinter ihnen lagen, gelangten sie zu einem Fabrikgelände, das von einer langen Mauer umgeben war. Nur eine einzige Straßenlaterne funzelte vor sich hin. Die Gegend war echt gruselig. Turner sah Rosseliani an, dass er sich hier in seiner Haut nicht wohl fühlte. Er kam näher heran, ganz dicht und fragte: „Was haben wir hier zu suchen?“
Turner antwortete nicht, sondern zog eine Pistole aus einem Schulterholster unter der Jacke. Rosselianis Augen weiteten sich. Im letzten Moment seines Lebens hatte er begriffen. Er war ein lästiger Mitwisser geworden und hatte seine Schuldigkeit getan.
„Nein!“, schrie er und noch etwas, aber das wurde von drei Schüssen übertönt.
Als er auf dem Boden lag, durchsuchte Turner seine Taschen. Brieftasche, Armbanduhr, Handy, Bargeld – alles verschwand in der Ledertasche, die Turner bei sich trug. Zwei Minuten später lag nur noch Rosseliani im trüben Licht neben der Mauer, während sich Schritte entfernten.
Man würde die Leiche finden – heute Abend noch oder in der Nacht oder morgen und die Polizei würde wieder einen Raubmord in diesem Viertel registrieren.
Wie hundertfünfzig Mal jedes Jahr.