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9. Harmlose Plaudereien

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Danielle Sedlacek kam pünktlich wie ein Maurer, wenn er Feierabend macht. Sie trug ein Kleid, das ihre Figur voll und ganz zur Geltung brachte. Es war dunkelblau, fast schwarz, und mit weißen Linien bedruckt, die sich wie Ornamente miteinander verschlangen. Unten hatte es zwei farbige Querstreifen, die meine Blicke hinab zogen zu ihren sehenswerten Beinen. Auch sie musterte mich schon von weitem. Ich glaube, ich sah ganz gut aus in meinem modischen blauen Blazer, hellblauen Hemd und dunklen Jeans.

„Warten Sie schon lange?“, fragte sie, als sie mich an einem kleinen Holzschrank mit aufgestellten Weinflaschen stehen sah, etwa fünf Meter vor dem Eingang zum Hauptrestaurant.

„Bin gerade erst gekommen“, untertrieb ich ein bisschen. Ich stand schon ungefähr zehn Minuten hier. „Na, dann wollen wir mal reingehen.“

Sie schritt auf roten Absatzschuhen neben mir her, während wir auf den Eingang des „Ambassador“ zugingen, der von einem älteren Mann in einer Art Uniform bewacht wurde.

„Zwei Personen?“, fragte er und winkte einem Kellner, der schon auf dieses Zeichen gewartet hatte. Das Hauptrestaurant unten im Heck des Schiffes wirkte elegant und ansprechend. An weiß gedeckten Tischen, an denen schon die ersten Gäste saßen, funkelten uns blitzblanke Weingläser und glänzende Bestecke entgegen. Der Fußboden, über den wir hinter dem Mitarbeiter schritten, war mit blauem, weiß gemustertem Teppich ausgelegt, und oben an der Decke glitzerten Glaskristalle an den hoch hängenden Leuchtern.

„Bitte sehr!“ Der Kellner zog an einem Zweiertisch für Danielle Sedlacek den bequem aussehenden Stuhl zurück, und ich wartete noch, bis sie Platz genommen hatte.

„Die Karte…“ Der Mann in der weißen Jacke überreichte jedem von uns die Speisekarte, ehe er fragte, ob wir Weiß- oder Rotwein trinken wollten.

„Rot“, sagte meine Begleiterin. Der Kellner betete eine Reihe von Weinsorten hinunter. Danielle Sedlacek entschied sich für einen trocknen Bordeaux – ich winkte ab und beließ es bei Mineralwasser.

„Darf ich auch ein Glas Sekt anbieten?“, fragte der Kellner. Ich nickte das für uns beide ab.

Wie gewohnt, sah Danielle Sedlacek wieder zauberhaft aus. Sehr diskret geschminkt, die dunklen Haare fielen in leichten Wellen auf ihre Schultern hinab und ihr Mund leuchtete mir rot entgegen. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen, sie anzuschauen. Ich glaube, sie merkte es, denn sie lächelte. Das gab mir Mut zu einem leichten Vorstoß und als der Sekt kam, stießen wir mit den Gläsern an.

„Wie gesagt – ich bin Tom!“, wagte ich mich vor. „Sie können mich ruhig so nennen.“

„Danielle“, erwiderte sie. „Aber das wissen Sie ja schon. Ja, sprechen wir uns mit den Vornamen an – das ist zwangloser.“ Vom „du“ sagte sie nichts und auch ich ließ es besser bleiben.

Wir studierten die Speisekarten und wählten aus, was wir essen wollten. Es gab ein Fünf-Gänge-Menü, bei dem man bei der Hauptspeise und dem Dessert zwischen zwei Angeboten wählen konnte. Wir bestellten, als der Kellner wiederkam, als Vorspeise Vitello tonnato, dann die Spargelcremesuppe, einen Eier-Auflauf à la portugaise als Zwischengericht, beide Heilbutt mit Zitronen-Orangen-Dressing als Hauptspeise und Gebackenes Dessert mit schwarzen Kirschen als Abschluss.

„Ich sehe schon, wir haben den gleichen Geschmack“, lächelte meine Begleiterin. Ich hoffte das ja auch, aber wusste nicht, ob es mit uns beiden etwas würde.

Das Restaurant füllte sich allmählich. Mit unserem Zweiertisch hatten wir großes Glück gehabt, denn die meisten Tische waren für vier, sechs, acht oder sogar zehn Gäste vorgesehen. Man weiß da nie, mit wem man zusammensitzt. Es kann gut gehen und man hat nette Tischnachbarn. Manchmal hat man aber auch die Brunnenpest mit am Tisch.

Die kam gerade in Begleitung unseres Kellners an den Nebentisch gestiefelt – es war der „Loser“. Er nickte uns zu und nahm am Vierertisch Platz. Kaum hatte er sich hingesetzt, brachte der Kellner auch noch zwei weitere Gäste zu ihm. Es waren Herr Nimmer und Frau Nimmer-Oede. Als sie den Hageren dasitzen sahen, verzogen sie ihre Gesichter, als hätten sie in etwas Saures gebissen. Aber sie rissen sich gleich wieder zusammen, warfen uns beiden ein freundliches „Guten Abend“ und dem „Loser“ einen resignierten Blick zu, ehe sie sich zu ihm setzten. Ich an ihrer Stelle hätte ja beim Kellner sofort protestiert, aber nicht jeder ist so schnell auf Krawall gebürstet wie ich.

„Was macht Ihr Kopf?“, wollte Danielle wissen.

„Er ist noch dran!“, sagte ich. Mehr nicht. Obwohl er noch schmerzte. Aber die Schürfwunden hatten sich geschlossen.

„Ist das Ihre erste Kreuzfahrt, Tom?“, fragte sie dann.

„Nein – die siebente oder achte schon. Ich war mit mehreren Anbietern schon unterwegs. Mit AIDA, Mein Schiff, Costa, Hapag Lloyd. Und jetzt eben mit Bella Cruises.“

„Und mit wem hat es Ihnen bisher am besten gefallen?“

„Das kann man so nicht sagen“, winkte ich ab. „Die einen haben ein besseres Unterhaltungsprogramm an Bord, andere punkten mit All-Inklusive, manche mit dem guten Essen, die einen machen Galaabende, da sollte man einen schwarzen Anzug und eine Krawatte im Koffer haben. Andere tun das nicht. Beim Aufenthalt auf großen Schiffen mit ein paar tausend Passagieren ist man schlechthin nur eine Kabinennummer, selbst bei bestem Service – auf einem kleinen Schiff mit etwa 600 Leuten an Bord wird man mit Namen angesprochen und hat einen tollen Service und Komfort, den es woanders nicht gibt.“

„Auf unserem Schiff sind Alt und Jung gut durchmischt“, stellte sie fest. „Ich dachte immer, Kreuzfahrten sind eher Sache von Senioren.“

„Das ist längst nicht mehr so“, sagte ich. „Ich hab’s mal ausnahmsweise auf einem kleineren Schiff erlebt – ja, das war wie im Altersheim. Und einige von den Älteren waren ziemlich schwierig. Jeder wollte den besten Platz im Bus, der Erste am Buffet und der Wichtigste an Bord sein. So was gibt es auch. Aber die meisten waren liebe Leute. Ungezogene Alte sind die Ausnahme. Umgekehrt kann es auch anstrengend für unsereins sein, wenn mehr als tausend Kinder und Jugendliche auf einem Schiff sind, wie in den letzten Schulferien bei einem großen Anbieter vorgekommen. Jedenfalls hat man mir erzählt, dass sich mancher Erwachsene gern wieder nach Hause gewünscht hätte.“

Sie lachte. Dann beugte sie sich neugierig vor. „Waren Sie schon einmal seekrank?“

„Nein!“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Obwohl ich mal auf einer Fähre Windstärke 10 miterlebt habe. Im Skagerrak. Da war vielleicht was los. Die meisten Leute setzten sich unten in der Schiffsmitte in die Gänge, weil es dort angeblich nicht so mächtig schaukelt. Ich habe immer gedacht, es sei eine Erfindung, dass Seekranke grünliche Gesichter haben. Aber es stimmt.“

„Und es hat Ihnen wirklich nichts ausgemacht?“

„Nein, ich hatte Glück – mir ging’s gut. Ich habe mich in die Kabine verzogen und mir „Mord mit Aussicht“ im Fernsehen angeguckt. Als wir an der dänischen Küste vorbeikamen, war der Spuk sowieso zu Ende.“

„Toll – Sie sind ja ein richtiger Seebär!“, Danielle blickte mich bewundernd an. Ich wuchs auf der Stelle innerlich auf doppelte Größe.

„Sie wollten mich nicht ins Restaurant lassen“, schallte es vom Nebentisch zu uns herüber. Wir sahen hin. Natürlich, der „Loser“, der ungefragt und laut erzählte.

„Ich war pünktlich da, als hier geöffnet wurde“, er beugte sich zu den Nimmers hinüber. „Aber ich hatte kurze Hosen an. Das gehöre sich angeblich nicht beim Abendessen, und der Zerberus am Eingang hat mich zurück in die Kabine geschickt, damit ich mich umziehe.“

Danielle lachte unwillkürlich auf. Der hagere Kerl war wirklich echt schräg. Auch ich musste schmunzeln. Man legte beim Abendessen heutzutage längst viel Wert darauf, dass die Gäste einigermaßen ordentlich angezogen kommen. Ich hatte es einmal vor Jahren auf einem großen Schiff erlebt, wie sich ein Passagier im Buffetrestaurant bei mir beklagte. „Es ist meine erste Kreuzfahrt – ich habe „Das Traumschiff“ gesehen und am ersten Abend einen Anzug angezogen, mit allem Pipapo – Krawatte, schicke Schuhe. Meine Frau hatte ein kleines Schwarzes an. Aber dann waren dort die anderen Leute, ganz leger, viele im Schlabberlook. Einer steckte sogar in Bermudahosen, ein anderer kam barfuß hereingeschlurft zum Essen“, hatte er geschimpft.

Nun, auch bei diesem Kreuzfahrtanbieter hatte sich das inzwischen geändert. Barfuß oder in Badesachen ließ man niemand mehr zum Essen herein, da passte das Personal auf.

Die Vorspeise kam und dann die Suppe. „Köstlich, nicht wahr?“, sagte Danielle.

Mit der Hauptspeise dauerte es noch etwas länger. Ich nutzte die Zeit, um etwas loszuwerden.

„Wissen Sie, was mir vorhin passiert ist?“, erzählte ich, auch um mich ein bisschen wichtig zu machen. „Ich hatte in der Kabine die Schublade des Schreibtischs etwas zu weit herausgezogen. Sie klemmte und da habe ich darunter gegriffen, um sie ein bisschen hin und her zu rütteln. Ja, und dann habe ich das hier gefunden. Es war mit Tesa-Film an der Unterseite der Lade festgeklebt.“

Ich schob Danielle einen kleinen Zettel hinüber, auf dem etwas stand.

„Eine Telefonnummer?“, fragte sie halblaut. Sie starrte darauf und las sie dann laut vor.

„Eine englische Nummer“, sagte ich, „ellenlang durch die Vorwahl. 00441232 und so weiter. Also, London ist das nicht. Die haben 0044181 vorneweg.“

„Es ist nicht England, sondern Nordirland“, erscholl es vom Nachbartisch. Ich hatte offenbar viel zu laut geredet. Hendrik Nimmer hatte es gehört.

„Nordirland?“, echote ich.

„Genau genommen ist es Belfast. Ich war schon mal dort und kenne deshalb die Telefonvorwahl. 00441232. Wie war der Anschluss?“

Danielle las es laut vor.

„Festnetz!“, stellte Nimmer fest. „Ein bisschen seltsam, so was unter einer Schublade zu verstecken.“ Er lachte laut. „Die Nummer hinter der Vorwahl ist aber gut zu merken.“

Ich hatte das auch gleich bemerkt. Mit ihren wenigen Ziffern und zweimal der Drei und zweimal der Fünf war sie sehr einprägsam.

„Da steht auch der Name des Teilnehmers daneben“, warf ich ein. „Poix!“ Ich lachte. „So möchte ich nicht heißen. Das kann man ja kaum vernünftig aussprechen. Naja, vielleicht rufe ich diesen Herrn Poix mal an, wenn wir in Belfast anlegen und frage ihn, was das hier soll“, sagte ich.

„Vielleicht ist es eine hübsche Dame“, rief Silvana Nimmer-Oede vom Nachbartisch herüber. „Aber Sie sind ja bereits in besten Händen.“

Ich spürte, wie ich errötete. Aber Danielle hatte es überhört, denn sie starrte immer noch auf den Zettel. Ich streckte die Hand aus, um ihn mir wiedergeben zu lassen.

Aber ich erhielt ihn nicht gleich, denn da kam Blasius mit seiner Gattin angeschlurft. Beide hatten sich fein aufgebrezelt für den Abend im Hauptrestaurant. Keine Shirts mit fetzigen Sprüchen. Keine grellfarbige Kleidung. Sondern sie trug ein weißes, sehr dünnes Kleid, unter dem sich der Tanga-Slip der alten Dame abzeichnete, und er machte in einem modernen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd und gestreifter Krawatte eine gute Figur. An unserem Tisch legte er einen Stopp ein.

„Was haben Sie denn da Schönes?“, krähte er, beugte sich vor und glotzte auf den Zettel, der vor Danielle lag. „Eine Telefonnummer? Die ist aber sehr einprägsam.“

Meine Begleiterin legte eine Hand auf das Stück Papier.

„Oh, Entschuldigung!“, sagte Blasius, „ich wollte nicht neugierig sein.“ Er verbeugte sich vor uns mit einer altmodischen Geste der Höflichkeit, griff nach der Hand seiner Frau und zog mit ihr weiter in den Speisesaal hinein.

Danielle schüttelte den Kopf. „Ein seltsamer Typ. Irgendwie erinnert er mich an jemand aus irgendeinem Film. Aber ich weiß nicht, an wen.“

Als die Hauptspeise serviert wurde, hatte ich das kleine Blatt Papier wieder in meiner Jackentasche und fast schon vergessen. Es geht nichts über ein gutes Essen. Außer ein Orgasmus vielleicht. Aber essen ist besser. Es dauert länger. Man hat mehr davon.

Nach der Hauptmahlzeit hatte ich die Flasche Mineralwasser auf dem Tisch fast allein ausgetrunken. Das machte sich bemerkbar. Es war mir peinlich vor Danielle, aber ich musste mal wohin.

„Wenn Sie mich kurz entschuldigen…“, ich erhob mich. Ihr Lächeln besagte alles. Sie wusste, was los war.

Verlegen machte ich mich durch den Saal zum Ausgang auf. Die Toilette für kleine Jungs befand sich im Gang gleich links. Sie war leer – kein Wunder, die Leute saßen beim Abendessen und hatten mehr Benehmen als ich.

Ich ging nicht an eines der Pissoire, sondern betrat eine der Kabinen. Schloss mich ein und ließ mich auf der Klobrille nieder. Ich bin fanatischer Sitzpinkler. Es spritzt nichts daneben. Wer Männertoiletten mit ihren Pfützen vor den Pissoiren kennt, weiß, warum ich das sage. Er ist meist kürzer, als die Leute denken.

Die Toilettentür klappte hörbar auf. Zwei Personen kamen herein. Offenbar wollten sie gar kein kleines Geschäft verrichten, sondern nur ein paar Worte miteinander wechseln, denn sie blieben direkt vor meiner Kabine stehen.

„Er ist also auch auf dem Schiff!“, sagte jemand laut.

Ich erstarrte auf meinem Sitzplatz. Das war Pauls Stimme. Ich hätte sie unter tausend anderen Stimmen erkannt. Ich weiß nicht, weshalb. Er hatte schon an der Uni so eine typische Art zu sprechen.

„Aber allein“, sagte der andere. Wer das sein mochte, blieb mir ein Rätsel.

„Ich bezahle Sie gut“, fuhr Paul fort. „Behalten Sie ihn im Auge und berichten Sie mir, wenn er etwas anstellt. Ich halte es nicht für einen Zufall, dass er hier ist, wo auch ich bin.“

„Denken Sie, er hat etwas vor? Ich meine, was Sie betrifft? Ich bin der Meinung, auf dem Schiff sind Sie sicher. Wenn er was von Ihnen will, dann höchstens bei einem der Landgänge. Und da werde ich in Ihrer Nähe sein.“

„Ich werde das Gefühl nicht los, ich hätte ihr nichts von dem Geld erzählen sollen!“

„Machen Sie sich keinen Kopf“, sagte der andere. „Ich bin doch da.“

Ich räusperte mich laut. Drückte den Spülknopf. Es rauschte mächtig.

„Da ist jemand“, zischte Paul. Eilige Schritte ertönten, die Tür draußen klappte auf und zu, und dann war ich wieder allein mit mir.

Als ich das „Ambassador“ wieder betrat, schaute ich mich genauer im Saal um. Irgendwo konnte Paul sitzen. Doch ich sah ihn nicht. War er einfach nur im Schiff umher spaziert, um sich in dieser abgelegenen Toilette mit jemand zu treffen? Jedenfalls kam mir das Gespräch, das ich belauscht hatte, ziemlich spanisch vor. Hatte Paul Angst vor jemandem? Wer mochte dieser Typ sein, der – wie der andere Mann gesagt hatte – auch mit an Bord war? Oder hatte er mich gemeint? Und was war das für Geld, von dem Paul gesprochen hatte?

„Sie sehen ja so nachdenklich aus“, begrüßte mich Danielle bei meiner Rückkehr an den Tisch. „Das Dessert ist schon da. Einfach köstlich. Vor allem die Kirschen.“

„Es ist nichts“, wiegelte ich ab.

Aber da war was!

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