Читать книгу Die Jagd nach der silbernen Feder - Jan Hanser - Страница 8
ОглавлениеDIE BEUTE
Winter beobachtete Jisahs Alleingang mit einem mulmigen Gefühl. Er presste sich dicht ans Schilf, um mit seinem massigen Körper nicht aufzufallen. Sein Nacken war angespannt, seine Augen folgten dem Wolfshund, der schon seit geraumer Zeit ums Lager schlich und Nachtwache zu halten schien.
Der Wolfshund hob seine Schnauze und sog die klare, kalte Nachtluft ein. Dann warf er einen Blick über den See, wandte sich um und machte sich auf den Weg zum Zelt, indem er über die Leiber der Hyänen stieg.
Jisah atmete lautlos und schmiegte seinen Körper an den sandigen Boden. Er war fast unsichtbar und nur noch eine Armlänge von der Zeltwand entfernt. Er streckte sich, zog die Beine nach und spürte den groben Stoff an seiner Wange. Vorsichtig hob er die Zeltwand eine Handbreit an und spähte durch die Öffnung.
Der Boden des Zeltes war mit einem dunkelroten, kunstvoll geknüpften Teppich ausgelegt. In der Ecke standen eine silberne Schale mit Wasser und silberne Kerzenleuchter, in denen weiße Kerzenstummel brannten. Jisah sah den haarigen Rücken der schlafenden Hyäne direkt vor sich.
Pepe und Wald räumten lautlos das Lager. Ihre wenigen Habseligkeiten waren schnell zusammengepackt. Pepe verstaute sein Wurfmesser in Walds Satteltasche und lehnte sich gegen den Fuß der Eiche. Wald legte sich neben ihn, blickte ihn an und fragte: „Wie sah sie aus, diese Hyäne?“
Pepe berichtete von den Erlebnissen: „Sie war umringt von Hunderten Hyänen. Nachdem wir durchs Schilf gekrochen waren, trat sie aus ihrem Zelt, reckte den Kopf und stieß ein gräuliches Lachen aus. Sie hat säbelartige Reißzähne und ist größer als jede andere Hyäne.“
Wald unterbrach Pepe: „Hat sie einen Begleiter?“
„Ja“, antwortete Pepe gehorsam. „Einen schwarzen Wolfshund.“
Walds Gesicht furchte sich so sorgenvoll, dass es fast Ähnlichkeit mit der Rinde der Eiche bekam. Dann flüsterte er: „Hundrrit.“
„Hundrrit?“, fragte Pepe
„So heißt er. Er ist der grausame König der Hyänen“, antwortete Wald.
Jisah lag immer noch regungslos neben dem Zeltleinen und starrte auf den Rücken der Hyäne. Auf einmal flackerten die Flammen der Kerzen. Jemand hatte die Zeltöffnung angehoben! Jisah verringerte den Spalt und strengte seine Augen mächtig an. Der Schädel des schwarzen Wolfshundes erschien in der Öffnung.
Der Wolfshund sah sich im Zelt um. In der Mitte des Zeltes verharrte sein Blick und er schien etwas genau zu betrachten, das Jisah nicht erkennen konnte, weil die Hyäne ihm mit ihrem Rücken die Sicht versperrte. Jetzt bewegte sie sich, hob ihren Kopf und nickte dem Wolfshund zu. Daraufhin zog dieser sich zurück. Jisah lauschte seinen Schritten.
Die Hyäne schien wieder zu schlafen. Jisah strengte seine Ohren an und versuchte, alle anderen Geräusche zu ignorieren. Da hörte er, wie eine Pfote nach der anderen sanft den Boden berührte und – jäh durchfuhr ihn ein Schrecken – näher kam.
Jisah dachte nicht nach. Er hob die Zeltplane, machte sich so dünn wie möglich und zwängte sich mit einem leise schabenden Geräusch in das Innere des Zeltes. Er hielt die Luft an. Mit seinem Gesicht berührte er fast den Körper der Hyäne.
Einige Haare kitzelten ihn an Stirn und Nase. Reglos blieb er liegen. Vorsichtig versuchte er zu atmen. Die Hyäne roch wie ein nasser Runk.
Jisah spürte, wie der Wolfshund an der Außenseite des Zeltes schnüffelte. Dann hörte er sein Knurren und eine harte Schnauze stieß ihn durch die Zeltwand hindurch in den Rücken. Jisah sprang auf und blieb wie erstarrt stehen, leicht gebeugt, weil das Zelt zu niedrig war, und mit eingezogenem Bauch, weil er weder der Zeltwand noch der Hyäne zu nahe kommen wollte. Da berührten seine Fußspitzen schon den Schwanz der Hyäne. Er hörte, wie der Wolfshund ums Zelt jagte. Sein Körper straffte sich und sein Blick fiel auf einen Gegenstand, der in der Mitte des Zeltes lag.
Es war eine kunstvoll gearbeitete Schatulle, etwa so groß wie das Buch, das du gerade in der Hand hältst. Ihr Körper wölbte sich an den Seiten wie ein dicker brauner Bauch nach außen. Unten hatte sie vier winzige runde Füße. Der Deckel war mit wunderschönen Schnitzereien verziert. Jisah meinte, drei Federn zu erkennen, deren Kiele sich kreuzten. Darüber war etwas in einer geschwungenen Schrift geschrieben, die Jisah nicht lesen konnte. Ein Schloss gab es nicht.
Ohne zu wissen, was er tat, sprang er über die Hyäne. Vor der Schatulle ging er in die Hocke. Die Hyäne bewegte ihre Schnauze und entblößte zwei ihrer Reißzähne. Hinter sich hörte er die Schritte des Wolfshundes. Rasch öffnete Jisah die Schatulle. Die Hyäne bewegte ihre Augenlider. Die Schatulle war mit rotem Samt ausgekleidet. In ihr lag eine unscheinbare graue Feder. Die Plane des Zelteinganges raschelte. Jisah schnappte sich die Feder, sprang über den massigen Leib der Hyäne und presste sich flach auf den Boden. In diesem Moment schlug das Leinen zur Seite und der schwarze Wolfshund brach durch den Eingang.
Von jetzt an ging alles so schnell, dass ich kaum mit dem Erzählen hinterherkomme. Es dauerte so lange wie der Moment, in dem du einmal zwinkerst. So muss es zumindest Jisah vorgekommen sein und mir wurde es auch so berichtet.
Der schwarze Wolfshund erblickte die offene und leere Schatulle. Er knurrte laut, fletschte seine Zähne und seine harten Augen schienen jeden Winkel des Zeltes gleichzeitig zu durchdringen. Im selben Moment, oder vielleicht auch schon kurz vorher, erwachte die Hyäne. Jisah rollte sich zur Seite und verschwand unter der Zeltwand. Er atmete stoßweise aus und presste die Luft aus seinen Lungen. Dann blickte er in den tiefschwarzen sternenbehangenen Himmel. Die Luft war klar und kalt.
Er fuhr auf. Jisah rannte und sprang, sprang und rannte. Sein Herzschlag erfüllte ihn von den Fußspitzen bis zum Hals. Sein Kopf prickelte, als lebte ein Ameisenvolk darin. (Und Winter würde sagen, wenn ihr ihn fragen würdet, dass da wirklich eines lebt!) Ein langer Schritt über eine der schlafenden Hyänen. Die nächste Hyäne übersprang er. Sie drehte sich im Moment seiner Landung. Er trat auf ihre Läufe und sie sprang jaulend auf. Hinter ihm, aus dem Zelt, klang ein tiefes, langsam ansteigendes Grollen, das sich zu einem wutentbrannten Gebrüll steigerte und dann plötzlich endete.
Jisah pumpte aus seinem Körper heraus, was er zu leisten im Stande war. Er konnte sich selbst nicht erinnern, ob er jemals so schnell gerannt war. Er schlug Haken, wich aus, stemmte ein Bein in den Boden, sprang ab, weiter, als er je glaubt hatte, springen zu können. Immer mehr Hyänen um ihn herum erwachten. Er sah eine riesige Masse vor sich, die wie in Zeitlupe in Bewegung geriet. Hinter sich vernahm er ein gleichmäßiges Schnaufen. Dann spürte er den heißen Atem in seinem Nacken.
Winter richtete sich ruckartig auf. Er stand dicht am Schilf und beobachtete scharf, wie Jisah über die Leiber der Hyänen sprang. Jede einzelne Hyäne schien er im selben Moment im Auge zu haben. Er sah, wie Jisah sprang, landete, weiterrannte. Dann hätte das Geschehen fast seine Wahrnehmung überrannt, so schnell passierte alles. Doch Welfen haben Augen wie Luchse.
Der schwarze Wolfshund jagte aus dem Zelt. Ihm folgte das schreckliche Grollen Hundrrits. Es schwoll an, wurde tiefer und rasselte, erhob sich zu einem wilden Getöse und blieb dann abrupt in der Luft stehen. Stille.
Der Wolfshund nahm die Verfolgung auf. Aus Winters Blickwinkel war er mindestens doppelt so schnell wie Jisah und die Hyänen machten ihm Platz. Der Wolfshund spannte seine Muskeln an, seine Hinterläufe stießen in den sandigen Boden, sein drahtiger Körper straffte sich und schnellte durch die Luft.
Da erwachten auch endlich Winters Beine. Er startete durch und flog, beinahe aus dem Stand, über die Leiber der Hyänen.
Eine keuchend knurrende Hyäne entblößte ihr Gebiss und hielt Jisahs Lauf auf. Jisah stockte, stolperte und fiel über seine eigenen Füße. Seine Hände fassten in Sand und Fell, er rutsche mit dem Gesicht über den Boden. Dann sah er einen schwarzen Schatten über sich. Weiße Zähne blitzten auf. Jisah drehte sich auf den Bauch und rollte sich zur Seite. Der Wolfshund landete neben ihm, drehte sekundenschnell seinen Kopf. Seine Augen waren zorngerötet, seine Reißzähne entblößt. Seine Schnauze bebte und sein Kopf bewegte sich ruckartig.
Winters Vorderpfoten kamen mit Wucht neben Jisahs Kopf auf dem sandigen Boden auf. Sein Hinterleib rutschte erst seitlich weg, aber das mittlere Paar seiner Läufe beschleunigte schon wieder, während Jisah sich verzweifelt an das Fell des Welfen klammerte, sich auf seinen Rücken schwang und ihm die Arme um den Hals schlang. Seine Beine zitterten. Winter tat das, wofür er geschaffen wurde. Er rannte.
Jisahs Herz raste immer noch zum Zerspringen. Der Atem des Welfen pendelte sich langsam ein. Die Bäume und Sträucher flogen so schnell an Jisah vorbei, dass er sie nur als huschende Schatten wahrnahm. Hatte ich bereits erwähnt, dass Welfen die schnellsten Tiere in diesem Teil der Erde sind? Nun, wie auch immer. Nur, falls ihr mir vorhin nicht geglaubt habt. Hier ist der Beweis.
Als sie die Meute hinter sich gelassen hatten, griff Jisah unter sein Hemd.
Die Feder war da.
Winter verlangsamte sein Tempo und blieb unter den ausladenden Ästen einer Tanne stehen. Weit vor ihnen lag das hügelige Vorland, an dessen Ende sich das Siebengebirge dunkelblau vom Himmel abhob. Ein frischer Nachtwind zerzauste ihre Haare und ließ Jisah frösteln. Der kernige Geruch frischgetrockneten Heus durchzog, zart wie seidene Fäden, die Luft.
„Warum bleibst du stehen?“ Jisah keuchte die Frage in Winters Ohr.
„Was hast du getan, Junge?“ Unsanft stieß Winter die Worte durch seine Reißzähne. Er drehte seinen Kopf nach hinten und blickte Jisah an. „Hast du den Verstand verloren?“
Hinter sich glaubte Jisah den rasselnden Atem der Hyänen zu hören. Doch was er wirklich hörte, war das Geräusch von Hunderten von Pfoten, die auf dem Boden aufschlugen und einen Rhythmus erzeugten, der dem Hufgetrappel von Wildpferden sehr ähnlich war.
„Jetzt lauf schon!“, japste Jisah.
„Was hast du getan, Jisah?“
Jisah blickte hektisch nach hinten. „Ich war in dem Zelt. Da lag nur eine Feder rum. Nichts Besonderes. Hab sie eingesteckt.“ Jisah zuckte mit den Schultern.
Ein Grollen durchlief Winter. „Ich sollte dich ihnen zum Fraß vorwerfen, Junge! Eine Feder, sagst du?“
„Ja, sie war in einer komischen braunen Schatulle.“
Ein paar Sekunden lang war Winter wie erstarrt. „Wir müssen sicher sein, dass sie unserer Spur folgen“, antwortete er hektisch. „Sie dürfen nicht Wald und Pepe folgen. Die beiden haben – so wie du dummer Junge – keine Ahnung, in welcher Gefahr sie schweben. Wald wird der Bracht folgen. Das ist der einfachste Weg zum Siebengebirge. Darum reisen wir in einem Bogen zuerst nach Osten und schlagen uns bis nach Ferris durch, wo wir …“
Winter konnte den Satz nicht zu Ende sprechen. Wildes Kriegsgeheul verriet ihnen, dass die Meute ihre Spur entdeckt hatte. Sie jagte jetzt in wildem Durcheinander geradewegs auf die Tanne zu.