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05. Das große Abenteuer des Wolf Heckenborg

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Für Wolf hatte das ganz große Abenteuer begonnen. Andere junge Leute machten Bergtouren, andere durchstreiften Urwälder oder erlebten Seeabenteuer auf Surfbrettern, aber Wolfs Abenteuer hatte mit einem heruntergekommenen Haus begonnen. Von früh bis spät war er dabei, sodass sich auch Johannes einmal beschwerte und meinte, Wolf habe sich geändert, und er würde ihn vernachlässigen. Er würde nicht mehr so oft kommen, er vermisse ihn. Wolf versprach Änderungen, aber das war gar nicht so einfach. Wolf ging ganz in das "Projekt Haus" auf Er war nicht nur immer da, wo die Arbeiten getan wurden, sondern er fasste auch mit an. Er prüfte die Rechnungen, verhandelte mit dem Bauunternehmen, mit Elektrikern und den Installateuren, und er verglich immer wieder den Fortschritt der Arbeiten mit den Plänen. Schlaf brauchte er nicht viel, und sehr oft träumte er von dem, was er tat. Er wachte dann auf, weil er plötzlich das Gefühl hatte, noch eine Rechnung zu überprüfen, oder das Treppenhaus anders zu gestalten oder dergleichen.

Tante Elisabeth wurde einfach von dem Elan des Jungen mitgerissen. Sie arbeitete mit Wolf, sie folgte seinen Ideen, sie besorgte sich Literatur und ließ sich von Fachleuten beraten. Es schien ihr gar nichts auszumachen, auch Nächte hindurch mit Wolf zu diskutieren, gemeinsam Rechnungen und Zahlen zu überprüfen. Auf seine Frage, ob ihr das nicht zu viel werde, hatte sie geantwortet:

"Nein, mein Junge. Ich habe das Gefühl, als würde ich zu einem neuen Leben erwachen."

Das Verhältnis zu Johannes hatte sich tatsächlich etwas geändert, was die Häufigkeit des Zusammenseins betraf - ansonsten aber nicht, das jedenfalls behauptete Wolf. Waren die beiden Männer zusammen, so tobten sie sich aus, wobei Wolf der sadistische und dominierende Partner war, Johannes eher der passive Partner. Es gab keine Tabus, und es gab auch keine Schmerzgrenze, aber es gab auch keine übertriebenen Zärtlichkeiten. Manchmal war noch ein dritter Mann dabei, den Johannes wegen seines sadistischen Ideenreichtums und der Fesselungen sehr schätzte. Er hieß Oskar und war mit seinen 37 Jahren der Älteste des Trios.

Gelegentlich gingen Johannes und Wolf auch in eine der einschlägigen Bars in St Georg, und sie machten Sex in der Gruppe. Monogam war keiner, weder Wolf noch Johannes, das wollten sie auch nicht sein. Allerdings achteten sie sehr auf "safer sex", denn keiner von ihnen wollte krank werden. Sosehr Wolf seinen Freund Johannes gern hatte, und sosehr ihn der Sex mit ihm befriedigte, so musste er sich eingestehen, dass sein Verhältnis zu ihm nicht das war, was andere Menschen mit der großen Liebe zu bezeichnen pflegten.

Was also hatte sich geändert? Noch vor einigen Monaten hatte Wolf Johannes nicht nur wegen Sex aufgesucht, sondern auch um seine Leere zu füllen. Er war herumgelaufen, ziellos, und dann war er mit Johannes zusammengekommen, und die Freunde hatten sich unterhalten - nicht über wichtige Dinge, aber es war nicht nur die körperliche Intimität gewesen. Jetzt fühlte Wolf keine Leere in sich.

Welche Eskapaden sich Wolf auch leistete, er war unermüdlich mit der Entwicklung des Hausprojektes, "unseres" Projektes, wie er zu seiner Tante sagte, befasst. Mit größter Aufmerksamkeit verfolgte er die handwerklichen und baulichen Arbeiten. Tante Elisabeth bezahlte das Abenteuer von ihrem Vermögen. Kredite sollten zunächst nicht aufgenommen werden, auch wenn sie erstaunlich billig zu haben waren. Das hatte sie von sich aus vorgeschlagen, und sie hatte gemeint, dass sein Abenteuer nun auch ihr Abenteuer sei. Er arbeitete mit seiner Tante Vorstellungen über eine Art Partnerschaft aus, denn ihr finanzieller Beitrag durfte nicht "unter den Tisch" fallen, wie er sich ausdrückte.

Tante Elisabeth hatte vorgeschlagen, ein Unternehmen zu gründen, sobald Wolf das 18. Lebensjahr erreicht haben würde, und bis dahin würde sie in beider Namen zeichnen. Für den Jungen war es, als würde sich eine neue Welt auftun. Was die steuerlichen und rechtlichen Probleme angehe, so müsse man sich allerdings Gedanken machen. Man werde einen Steuerberater hinzuziehen müssen, war Elisabeths Idee, und das tat sie denn auch. Für Wolf war das nicht genug. Elisabeth hatte im Hause, noch von ihrem Mann, ausreichende Literatur über das Sachenrecht im Allgemeinen und über Immobilien, die Wolf studierte.

*

Alle Arbeiten waren nach sieben intensiven Monaten für die drei ehemaligen, leerstehenden Wohnungen fertig, die jetzt als Studentenflats oder Apartments für Singles zur Verfügung standen. Im Hamburger Abendblatt wurde eine Anzeige aufgegeben, und innerhalb einer Woche zogen bereits neun Singles ein, zwei davon waren Studenten, die anderen waren junge Leute, die am Anfang ihrer Berufslaufbahn standen. Das hieß nicht, dass alle Arbeiten am Haus erledigt gewesen wären.

Trotz der ersten Mietverträge hatte Wolf keine Zeit, sich hinzusetzen, um sich auszuruhen. Er hatte sich bereits ein zweites "Projekt", ein zweites Haus, angeschaut, und nur fünf Wochen später kauften er und Tante Elisabeth ein zweites Haus, das sie ebenfalls teilweise umbauten und sanierten. Nun war es an der Zeit, ein Unternehmen zu gründen, eine Buchhaltung aufzubauen und einen Steuerberater und einen Anwalt hinzuzuziehen. Das Unternehmen firmierte "Wolter & Partner GbR", das hatte Wolf so gewollt. Er wollte seinen Namen nicht als Firmennamen sehen, um Konflikte mit der "Medical Equipment and Supplies Heckenborg GmbH", das war das Unternehmen des Vater, zu vermeiden. Von vorneherein war Wolf trotz seines jugendlichen Alters der Geschäftsführer, darauf hatte Tante Elisabeth bestanden. Er war der Ansprechpartner für alle Unternehmer, Lieferanten, Mieter und andere. Für Wolf ging das große Abenteuer weiter mit einem dritten und dann mit einem vierten Haus.

Es war höchste Zeit, eine Sekretärin zu engagieren, die viele der verwaltungstechnischen Aufgaben übernehmen sollte. Gleichzeitig richteten Elisabeth und Wolf ein provisorisches Büro ein, denn die Sekretärin brauchte Räumlichkeiten zum Arbeiten, dazu Telefon und Internetanschluss, und schließlich sollten auch Büromaschinen und Geräte angeschafft werden. Über die Bank fanden sie Frau Inga Lengen, die eine Stelle als Verwaltungskraft suchte, was der Bank bekannt war. Beide, Wolf als auch Tante Elisabeth, mochten die Frau, die 46 Jahre alt war und über gute Berufserfahrung verfügte. Sie war sachlich, leicht distanziert und doch sehr nett. Sie kannte Hamburg sehr gut, und sie hatte als Bürokraft bei einer Versicherung gearbeitet. Sie hatte dort von sich aus gekündigt, als einer ihrer Chefs ihr Avancen gemacht hatte, die sie nicht gewollt hatte.

Frau Lengen war verheiratet und hatte eine erwachsene Tochter. Die Tochter war groß, und der Ehemann gehörte zu der selbständigen Sorte, die den Ehefrauen beruflich allen Freiraum zur Verfügung stellten, die sie brauchten. Es war eine gute Ehe, wie Vertraute von Frau Lengen wussten. Dank dieser Ehe war es ihr möglich, sich ganz den Aufgaben zu widmen, die man ihr anvertraute.

Das erste Jahr hatte viel Geld gekostet, aber es zeichnete sich bereits ab, dass die Einnahmen mehr und mehr an Bedeutung gewannen. In den folgenden Jahren wuchs das Unternehmen geradezu rasant. Mehr noch, nach nur fünf Jahren gab es drei Unternehmen. Die "Wolter & Partner GbR" verwaltete Wohnhäuser und zunehmend auch Geschäftshäuser. Die "Wolter GmbH" unternahm Gebäudesanierungen, und die zuletzt gegründete "E. Wolter Immo GmbH" war ein Immobilienmakler.

Nach sieben Jahren eines phantastischen Höhenfluges florierten die Geschäfte. Es war das Jahr 2006. Wolf war gerade 24 Jahre alt geworden. Er war mehrfacher Millionär, was ihm überhaupt nicht zu Kopf gestiegen war. Er fühlte sich nicht als Millionär. Er sah nach wie vor sehr kräftig aus, ohne dick zu sein, und er war nach wie vor sehr eigenwillig. Tante Elisabeth, Herbert und Johannes waren die einzigen Menschen, denen er vertraute, und die er auch liebte, soweit ihm das überhaupt möglich war. Er wohnte jetzt in einer kleinen Zweizimmerwohnung in einem sechsstöckigen Haus am Rande von St. Georg, das zur früheren "Wolter & Partner GbR", der jetzigen "Wolter & Partner GmbH" gehörte. Für die Wohnung zahlte er auch Miete. Das war auch die Wohnung, in der er in letzter Zeit mit Johannes zusammenkam. Das war für Wolf zeitlich besser, als zu Johannes zu fahren. Trotz seiner eigenen Wohnung war Wolf täglich bei Tante Elisabeth, und umgekehrt besuchte sie ihn auch nach Absprache, denn für sie machte der Besuch keinen Sinn, wenn er nicht da war, entweder im Büro oder "unterwegs", was immer das heißen mochte.

Seine Mietwohnung hatte Wolf auf Vorschlag und nach vorsichtigem Drängen von Tante Elisabeth genommen. Nein, sie wollte ihn nicht loswerden, wie sie nicht aufgehört hatte ihm zu versichern. Aber er sollte frei sein, hatte sie betont, und er sollte auch mal mit Freunden sein, mit Johannes oder mit anderen Freunden, ohne dass sie irgendwo in der Gegend sei und störe. Er hatte sich überzeugen lassen, und zögernd hatte er die kleine Wohnung bezogen.

Die Büros der drei Unternehmen waren jetzt in zwei Etagen eines Hauses in Rotherbaum untergebracht, in denen er fast täglich anzutreffen war, und in denen zuerst drei Angestellte, jetzt aber sieben Angestellte arbeiteten, für die er zwar der Chef war, der aber nicht wie ein Chef aussah. Ja, er hatte einen Dienstwagen, aber privat zog er immer noch die öffentlichen Verkehrsmittel vor, oder er ging zu Fuß. Rotherbaum war ja nicht aus der Welt, wie Wolf oft lachend sagte.

Wolf

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