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»Rigatoni mit Soße Ihrer Wahl« – oder: Wann und warum ich Trinkgeld gebe
ОглавлениеSiebzehn Uhr dreißig. Endlich Feierabend. Ich verlasse eilig das Büro. Der Arbeitstag war wie im Fluge vergangen und nun standen einige Einkäufe im Chemnitz-Center an, was man eigentlich Röhrsdorf-Center nennen müsste, denn es befindet sich vor den Toren der Stadt, die einer meiner Freunde einst als befestigten Campingplatz ohne Zentrum verspottet hatte.
Trotz »optimaler Rundreise« durch besagtes Einkaufszentrum wurde ich schnell pflastermüde und hungrig. Wahrscheinlich war ich bereits als hochgradig unterzuckert zu bezeichnen, als ich vorm »Nudelmacher« gegen ein Schild lief: »Rigatoni mit Soße Ihrer Wahl: 3,50 Euro!«, das klang nach Rettung und ich ging hinein.
Drinnen lehnte eine junge Frau lasziv hinter der Theke, die ob ihrer Erscheinung und ihres hübschen aber überaus gelangweilten Gesichtsausdruckes glatt als »Miss Servicewüste Sachsen« durchgegangen wäre. Sie hatte wunderschöne Locken – aber letztlich sind dies ja auch nur verkrüppelte Haare, die nicht gleichmäßig gewachsen sind. Ich dachte mir »Wer schön sein will, muss leiden!« und löste folgenden Bestellvorgang aus:
Ich: „Einmal »Rigatoni mit Soße Ihrer Wahl« bitte.“
Miss Servicewüste: „Große Portion?“
Ich: „Ja, wie im Angebot auf der Tafel, die dort steht … ähem liegt.“
Sie: „Welche Soße?“
Ich: „Ja, ähm, »Soße Ihrer Wahl« – siehe Tafel.“
Sie: „Aha.“
Ich: „Ja.“
Sie: „Äh – und welche denn?“
Ich: „Na wie im Angebot: »Mit Soße Ihrer Wahl«.“
Sie: „Nein…“
Ich: „Doch!“
Sie: „Nein, das steht doch dort nur so…“
Ich: „Wie? Sie haben gar keine?“
Sie: „… Soße IHRER Wahl!“
Ich: „Ja…, genau…“
Sie: „Und welche konkret?“
Ich: „Ja, ich verlasse mich da voll und ganz auf Sie.“
Sie: „Ich habe Rahm-Schinken-Soße, Tomatensoße, Käsesoße jeweils mit oder ohne Knoblauch und Pilzsoße.“
Ich: „Ja, das klingt gut!“
Sie: „Ich weiß nun aber immer noch nicht, was Sie genau haben wollen.“
Ich (lese vor): „Heute im Angebot! Tagesgericht – 3 Euro fünfzig – »Rigatoni mit Soße Ihrer Wahl«, das möchte ich bitte.“
Sie: „Aber welche Soße denn nun? – Ich tue sonst von allen was drauf!“
Ich: „Wie? Das wird hier also unter »Wahl« verstanden?“
Sie: „Also Sie treiben mich noch in den Wahnsinn! Welche Soße – also welche der Soßen, die ich eben aufgezählt hab’?“
Ich: „Ich möchte doch einfach nur bekommen, was bei Ihnen heute im Angebot ist. Woher soll ich denn wissen, was davon die »Soße I-h-r-e-r Wahl« ist.“
Sie: „Na, das will ich doch von Ihnen wissen!! Also es geht nicht um meine, sondern um I-H-R-E Wahl! Also sozusagen um … um … Deine Wahl. Ja?“
Ich: „Ähm, seit wann duzen wir uns?“
Sie: „Also bitte!“
Ich: „Gut…, geben Sie mir eine, die gut schmeckt.“
Sie: „Die schmecken alle gut, aber die Geschmäcker sind halt verschieden! Deshalb steht da ja auch »Soße I-h-r-e-r Wahl«!!“
Ich: „Ja, klar.“
Okay, der Hunger ist nun stärker als mein Spiel- beziehungsweise Demütigungstrieb und ich möchte die junge Frau nicht weiter in kritische Blutdruckbereiche hineintreiben. Und wer weiß, was sie mir jetzt für eine Pilzsoße kredenzen würde…
Abgebrüht wie ein Beutel Grüntee nach dem vierten Aufguss lächle ich Sie an. „Verstanden“, sage ich, „also ich nehme die Tomatensoße ohne Knoblauch und Sie… – selbstredend ernst!“ und würze das Ganze mit einem netten Lächeln und einem versöhnlichen Trinkgeld meiner Wahl. Denn ich weiß, Frauen sind extrem sensibel und werden in ihrer Feinfühligkeit letztlich wohl nur noch von uns Männern übertroffen.