Читать книгу Alltagsattraktionen - Jan Lipowski - Страница 8
Kino-Dialoge
ОглавлениеManchmal fahre ich gleich nach der Arbeit mit etwas Hunger und viel Vorfreude zur 19-Uhr-Vorstellung ins Clubkino. Hinter den vertraut knarrenden Clubsesselreihen des großen Saales befindet sich eine Bar, wo man Süßigkeiten, Knabberzeug, Bier, Weiß- und Rotwein aber auch Wiener Würstchen bekommt. Da Erwärmung und Toast ein Weilchen dauern, sucht man nach der Bestellung gewöhnlich seinen Platz auf, muss allerdings darauf gefasst sein, dass nach wenigen Minuten der Ruf: „Abendbrot is fertsch!“ oder „Das Wiener Würstchen bitte … zu mir!“ durch den Saal schallt und man selbst einen Moment im Rampenlicht steht.
Doch heute bin ich nicht hungrig, eher durstig. Vor mir steht eine Frau an der Kasse, vielleicht Anfang vierzig. Sie verlangt: „Einmal »Liebesleben« bitte.“ – „Ja, hamm‘se denn kein eigenes…?“ – „Waaas? Bitte?!“ – „Macht 4 Euro.“ – „Na, das nenn ich günstig dafür!“
Also ich finde dies auch in jeder Beziehung günstig und den Dialog amüsant. In der Schlange hinter mir stehen etliche Frauen (ohne Liebesleben?) und lächeln. Hoppla, ich stehe hier falsch. »Liebesleben« habe ich schon gesehen und möchte in den großen Saal, wo »Sie sind ein schöner Mann« auf dem Programm steht. Und ich müsste überhaupt nicht anstehen, denn »wer hängt, muss nicht zahlen« und da ich eine Fotoausstellung im Foyer des Kinos hängen habe, komme ich ja umsonst rein. So passiere ich lächelnd die Kasse und höre noch: „Sonst sieht man den monatelang nicht – und jetzt, wo er so rein kann, kommt der jeeede Woche!“
Ich gehe gleich zur Bar, bestelle ein Landbier und nicht wie traditionell »einen trockenen Dornfelder und ’ne Cola«, was den Barmann sichtlich verunsichert: „Was denn? Macht’s der Magen nicht mehr mit?“ – Also ich finde die Kombination überhaupt nicht schlimm, zuerst die Cola gegen Durst und Müdigkeit dann den Rotwein zum Genuss.
Ich sitze mit dem Bier entspannt an meinem Tisch, stöbere im Programmheft und bekomme unfreiwillig das hochinteressante Gespräch zweier Frauen vor mir mit: „Also wenn man sich auf die Waage stellt und bissel zurückbeugt, dann zeigt die 500 Gramm weniger an.“ – „Na, ich weeß ni.“ – „Doch, doch und hier, die Dingsda hat nach der Heirat ja och ganz schön zugelegt!“ – „Schwanger?“ – „Ach!“ – „Nu aber aus Liebe hat die ni geheiratet! Bestimmt … weil se keen annern kriegt.“ – „Nee, weil sie ihn keiner anderen gönnt!“ – „Oder weil sie ihm keene annere gönnt!“ – „Ha-ha-haha…“ – „Hi-hihi…“
Ich versuche mich vergeblich auf das Programmheft zu konzentrieren. „… nu globstes, Nasendrobben sollen nu och noch süchtsch machen.“ – „Was? Niemals!! Das müsst’sch wissen, die nehmsch nämlich täglich!“ – Ich kann mir das Lachen nicht mehr verkneifen und pruste los.
Die Damen drehen sich um, doch sie werden zum Glück abgelenkt, denn von der Bar tönt vernehmlich die Frage: „Ist eine Claudia Stäntzel im Saal!?“ Schlagartig verebbt das Murmeln. Mit einem Mal vollkommene Ruhe im großen Kinosaal, auch keinerlei Hintergrundgeräusche mehr, nicht einmal ein Sessel knarrt… – „Ja“, piepst zögernd eine dünne Stimme.
„Schön!“, dröhnt der Bass aus dem Hintergrund. Dann wieder Schweigen. Es folgt nichts, keine Erklärung, weder Kontext noch überhaupt irgendein Text. Weiterhin gespannte Stille. Jeder wartet darauf, dass der Dialog endlich weitergeht – und auf die Erklärung, warum es so schön ist, dass Claudia Stäntzel im Saal ist. Es knistert förmlich, doch weder Bonbonpapiere noch Chipstüten sind dafür verantwortlich. Hochspannung. Dann ertönt der Gong und verhallt. Das Licht wird gedimmt. Im Schutze der Dunkelheit beginnt jemand zu lachen und alle stimmen befreit ein. Die Spannung löst sich, das Lachen steigert sich. Was für eine Einstimmung auf den Film! Vergnügen, Heiterkeit sowie die ungelöste Frage bleiben für die nächsten 99 Minuten zu Gast im großen Saal des Clubkinos Siegmar.
Epilog
Kurz nach der sehenswerten und von feiner Melancholie durchwehten Komödie, es war noch dunkel, der Abspann lief, sah ich – mich halb umwendend – aus den Augenwinkeln und nur schemenhaft wie eine Frau, vermutlich jene Claudia Stäntzel, an der Theke … ein Portemonnaie entgegennimmt.