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II

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Mein Verleger macht Druck, nervt mit wöchentlichen Anrufen und E-Mails, die ihrerseits mit abgehangenen Lügen von Ruhm und Reichtum nerven. Dreihundert Seiten, am besten bis vorgestern. Aber Schreiben ist ein Job für Lebensverweigerer, ist Weltflucht und Maulheldentum. Was ich brauche, ist Zerstreuung, ist die Verschwendung meiner selbst, also zigeunere ich nächtelang durch den öffentlichen Raum, schalte auf Autopilot, meist mit vernebeltem Bewusstsein. Zwischendurch hänge ich stundenlang vorm TV, bereite der Langeweile ein Festmahl, zelebriere die wiedergewonnene Entscheidungshoheit.

Wenn ich kein Mädchen kennenlerne, erscheinen mir die Streifzüge durch die immergleichen Clubs umsonst und sinnentleert. Und so bin ich auch um sechs Uhr morgens noch im Bereitschaftsdienst, darauf geeicht, mir aus den Restposten ein Schnäppchen herauszupicken. Wenn ich Kokain dabeihabe, schlüpfe ich bereitwillig in die Rolle des Spendieronkels. Die Beute ist entsprechend. Geschlechtsverkehr (so er denn überhaupt stattfindet) eher eine Frage des Anstands als der Lust. Krampf und Versagen, psychische Probleme, konsequentes Aneinandervorbeireden, wiedergekäute Lebensgeschichten, drogengesteuerte Hysterie. Nach dem Erwachen regelmäßig ein Grauschleier auf dem unappetitlichen Reiskorn namens Seele.

Ein paar Unentwegte suchen dennoch Kontakt, fordern ein Wiedersehen ein. Ich verweigere mich selten, nehme auch das mit, sammle die Briefe, die Mails und die Mixtapes wie der Star, der ich gern wäre. Mir zugedachte Fotos klebe ich, so sie halbwegs ansehnlich sind, an die Tapete, um zukünftigen Eroberungen von vornherein klarzumachen, dass Monogamie woanders zelebriert wird. Die, die wiederkommen, sind denn auch entsprechend abgebrüht, genauer: schon so durchgeknallt, dass sie die Außenwelt nur noch eingeschränkt zur Kenntnis nehmen. Unangefochtene Spitzenreiterin in dieser Liga ist eine Psychologiestudentin namens Nadine, die sich, bevor sie das Haus verlässt, regelmäßig mit Psyllos und Hartalk abfüllt.

Der Sex mit ihr war schon während unserer ersten Begegnung erbärmlich und ist mit zunehmender Häufigkeit nicht besser geworden. Zwar dauert es normalerweise keine fünf Minuten, bis sie ausgezogen auf meinem Bett liegt, dann aber sinkt ihre Bereitschaft sich zu bewegen schlagartig gegen Null. Leblos wie ein Molch, der in einen Kübel mit Eiswasser geworfen wurde, klebt sie auf den Laken und stiert verpeilt an die Zimmerdecke. Wenn ich sie ficke, deutet nichts darauf hin, dass sie daran auch nur einen Hauch von Freude empfindet, und es wundert mich jedes Mal, dass sie zwischendurch nicht einfach die Glotze anwirft oder anfängt, sich in aller Seelenruhe die Fingernägel abzukauen. Sie bleibt so stumm wie ein Mossad-Agent, der sich den Foltermethoden eines Anfängers gegenübersieht, und lässt noch nicht mal die Vorstufe eines Orgasmus erkennen, auch nicht, als ich sie irgendwann dazu überreden kann, es sich während einer unserer sinnentleerten Nummern mit den Fingern zu machen.

Im krassen Gegensatz zur Trostlosigkeit dieser Zusammenkünfte steht die Beharrlichkeit, mit der sie mich aufsucht. Zumeist trifft sie in den frühen Morgenstunden bei mir ein und klingelt so lange Sturm, bis ich den Türöffner betätige. Eine Zeit lang probiere ich es mit Ausflüchten, behaupte, ich sei am Arbeiten oder hätte schon geschlafen. Aber sie quengelt jedes Mal so lange und so lautstark im Treppenhaus herum (Komm. Nur fünf Minuten. Nur auf ’ne Kippe. Ich hab mir extra ’n Taxi genommen. Außerdem geht’s mir heute nicht gut. Ich hatte ganz komische Träume gestern Nacht …), bis ich sie entnervt hereinbitte. Aus einem widersinnigen Ehrgeiz heraus hänge ich mich beim anschließenden Sex richtig rein. Aber wenn ich ihr dann auf den kalten, abweisenden Kabeljau-Bauch gespritzt habe, ohne dass sie bis dahin auch nur eine Regung gezeigt hätte, ist der sportliche Antrieb wieder verflogen. Zum Glück schläft sie danach ziemlich schnell ein. Dafür braucht es nach dem Aufwachen wieder einiges an Energie, bis ich sie endlich aus der Wohnung bugsiert habe. Um diesen Vorgang zu beschleunigen, geschieht es nicht selten, dass ich das Haus unter irgendeinem Vorwand mit ihr gemeinsam verlasse, mich an der erstbesten Kreuzung wie ein Strauchdieb verabschiede und auf Umwegen in mein leeres Bett zurückschleiche.

Da Nadine zwar mit Abstand die Nervigste, aber bei weitem nicht die Einzige ist, die mir zwischenzeitlich nachstellt, ergreift schon bald eine gesunde Paranoia von mir Besitz. Der Genuss an den eigenen vier Wänden hat gewaltig nachgelassen und so bin ich fortan noch häufiger auf Achse. (Wer hat schon Lust, nächtelang bei ausgeschaltetem Licht durch die eigene Buchte zu huschen?) Nadine entkomme ich dadurch allerdings nur phasenweise. Denn auch sie ist regelmäßig auf Tour, und es erfordert schon einiges an Wachsamkeit, ihr nicht über den Weg zu laufen. Hat sie mich irgendwo aufgespürt, lässt sie sich kaum noch vertreiben. Entweder drängt sie sich direkt in die Gespräche, die ich führe, indem sie sich unaufgefordert an mich presst, mir Nonsens ins Ohr flüstert und die Umstehenden dadurch irritiert, dass sie sich mit einem Kuli kryptische Zeichen auf die Unterarme malt. Oder sie bezieht irgendwo in der Nähe des Ausgangs Posten, um sich an meine Fersen zu heften, sobald es mich in den nächsten Laden oder sonst wohin treibt.

Als ich bei einer dieser Gelegenheiten versuche, mit einer anderen Frau an ihr vorbeizukommen, bricht der Irrsinn vollends aus ihr heraus.

»Was willst du mit dieser gottverdammten Fotze, du mieser Schwanzlutscher?!«, brüllt sie mich an, während sie beinahe zeitgleich meiner Begleiterin das rechte Knie in die Magengrube stößt.

Als die daraufhin stöhnend zusammenknickt, habe ich meine liebe Mühe, Nadine davon abzuhalten, ihrem wehrlosen Opfer nicht auch noch gegen den Schädel zu treten. Dabei kann ich es nicht verhindern, dass sie mir mehrmals die Fingernägel durchs Gesicht zieht. Aber nach einigen Wortwechseln und zwei schnellen Nasen Kokain auf dem Klo ist es dann tatsächlich wieder Nadine, die ich mit nach Hause nehme.

Ein gutes Leben sieht anders aus. Und in einigen wenigen Momenten dämmert mir das auch – nicht mehr lange, und ich fange selber an, mir kryptische Zeichen auf die Arme zu malen. Trotzdem komme ich nicht raus aus der selbstgebauten Tretmühle. Immerhin bin ich irgendwann so klug, meine Ausflüge in Amüsierbetriebe zu verlagern, die mit der Welt, in der ich mich normalerweise bewege, nur wenig zu tun haben. In einem dieser Etablissements, einem R’n’B-Schuppen mit nicht unbedingt avantgardistisch zu nennender Klientel, entdecke ich eine Schickse, die einen derart dümmlich-blasierten Gesichtsausdruck zur Schau stellt, dass ich gar nicht anders kann, als sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen. Zu meiner Überraschung ziert sie sich nicht eine Sekunde, kritzelt die verlangten Zahlen anstandslos auf einen Bierdeckel.

Noch während ich die leicht durchnässte Pappe mit einem Lächeln in der Hosentasche verschwinden lasse, weiß ich bereits, wie ich sie ins Bett bekommen kann. Ich werde sie ins Spielcasino mitnehmen, sie dort einen Teil meiner Kohle verzocken lassen und danach eine dieser albernen mexikanischen Cocktailbars ansteuern, die die Oberfläche der City mittlerweile beherrschen wie eine ausgewachsene Schuppenflechte. Den anschließenden Sex sehe ich ebenfalls vor mir: langweilig und borniert wie der Grill-Nachmittag eines anthroposophischen Lehrer-Kollegiums.

Keine fünf Minuten später werde ich ausnahmsweise selbst mal angequatscht, und zwar von einer Frau in meinem Alter (maximal zwei oder drei Jahre jünger), deren legere Klamotten darauf hindeuten, dass sie hier ebenfalls eher selten verkehrt. Sie trägt einen unvorteilhaften Kurzhaarschnitt und albert im Kreis zweier Freundinnen überdreht mit einer Kamera herum.

Ob sie ein Foto von mir machen könne, möchte sie wissen, während ich – eingekeilt von anderen Wartenden – neben ihr an der Theke stehe und vergeblich versuche, einen Drink zu bestellen.

»Klar. Immer gerne«, gebe ich zur Antwort und setze eine Miene auf, die mich möglichst abweisend erscheinen lassen soll.

Sie drückt auf den Auslöser und lacht.

»Lächeln gehört wohl nicht zu deinem Repertoire.«

»Lächeln ist für Sieger«, entgegne ich, und empfinde richtiggehend Genuss an der Peinlichkeit dieser aufgesetzten Aussage.

»Na, vielleicht kann dir ja das Foto ein Schmunzeln entlocken. Wenn du ’nen Abzug haben möchtest, geb ich dir meine Nummer.«

Da mir in diesem Moment endlich die Aufmerksamkeit der Bedienung zuteilwird, verlange ich einen Kugelschreiber zum Campari, hole den Bierdeckel hervor und reiche beides an die Fotografin weiter.

Ich weiß, dass ich sie nicht anrufen werde. Aber warum unhöflich sein …

Am übernächsten Abend ist der Zeitpunkt gekommen, sich mit der Dümmlich-Blasierten in Verbindung zu setzen. Zu langes Warten bringt nichts ein, höchstens unerfreuliche Gedächtnisverluste der Gegenseite. Ich mache es mir auf dem Bett gemütlich, öffne eine Dose Wolters und studiere den Bierfilz: zwei Nummern, eine ohne, eine mit Namen – Vera. Hieß sie so? Ich versuche mich zu erinnern, bin mir irgendwann immerhin sicher, dass ich die entsprechende Frage gestellt und auch eine Antwort erhalten habe, aber damit endet die Bild- und Tonspur bereits; die üblichen Aufzeichnungslücken einer durchsoffenen Nacht.

Nach kurzem Überlegen entscheide ich mich für die Nummer ohne Zusatz. So selbstgefällig, wie sie auf mich gewirkt hat, ist die Braut wahrscheinlich davon ausgegangen, dass ich mir ihren Namen bis ans Ende aller Tage merken würde.

Vier Sekunden später weiß ich, dass ich mir meine wohlfeilen Überlegungen hätte sparen können. Ich habe die Stimme der Fotografin im Ohr. Das freundliche Ja, hallo? klingt dermaßen munter und aufgekratzt, dass gar kein Zweifel möglich ist. Ich will schon auflegen, einfach so tun, als hätte ich mich verwählt (und letztendlich habe ich das ja auch), aber dann gewinnen Neugier und Spieltrieb die Oberhand. Die Frage, inwieweit es möglich ist, dieser nahezu unbekannten Frau einen Happen Innenleben, also ein paar Auskünfte in Richtung gefühlsecht zu entlocken, übt mit einem Mal einen unwiderstehlichen Reiz aus. Ein Versuch sollte drin sein. Aus der Affäre ziehen kann ich mich immer noch.

»Ich habe darüber nachgedacht, was ich für dieses Foto verlangen soll«, beginne ich.

»Welches Foto?« Sie sagt das zögerlich, lässt eine Spur Nervosität erkennen. Offenkundig besitzt sie nicht den Hauch einer Ahnung, wer ich bin.

»Das, das du von mir im Velvet gemacht hast.«

»Ach, du bist das.« Die Erleichterung ist ihr deutlich anzumerken. »Ich dachte schon, ich hätte irgend’nen Freak in der Leitung.«

»Ist es fertig?«

»Was?«

»Das Bild.«

»Nein, noch nicht.«

»Umso besser.«

»Hey, das meinst du nicht ernst, dass du was dafür haben willst, oder?! Normalerweise werde ich für meine Fotos bezahlt.«

»Nein, war nur Spaß. Um ehrlich zu sein, ist mir das Foto scheißegal.«

»Oh.« Sie klingt amüsiert. »Und warum rufst du dann an?«

»Ich habe die Nummer verwechselt.«

»Ach, nee.« Das Spöttische in ihrer Stimme hat zugenommen. Wahrscheinlich hält sie meinen letzten Satz für eine Lüge, einen albernen Vorwand, um die vermeintliche Gier zu verschleiern, mit der ich schon seit zwei Tagen darauf brenne, sie wiederzusehen.

Zeit, ihr ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

»Ich habe an dem Abend noch ’n anderes Mädchen kennengelernt.«

»Und die wolltest du eigentlich anrufen, oder was?!« Treffer. Sie ist dabei, wütend zu werden.

»Genau.«

»Dann mach das doch.«

»Keine Lust mehr.«

Kurzes Schweigen, dann ist sie wieder da; ein bisschen versöhnlicher jetzt: »Versteh ich nicht.«

»Ich auch nicht. Aber ich weiß, dass ich jetzt mit dir reden möchte.«

»Und worüber?«

»Über dich.«

»Aha … Dann fang mal an.«

»Bist du allein? In deiner Wohnung, mein ich.«

»Ja.«

»Hast du was zu trinken im Haus?«

Sie lacht: »Ja. Ich hab mir grad ’ne Flasche Wein aufgemacht.«

»Roten oder Weißen?«

»Roten.«

»Trinkst du lieber für dich oder in Gesellschaft?«

»Okay, hör auf.« Sie lacht wieder. »Du kannst vorbeikommen, wenn du Lust hast.«

Ich lasse mir ihre Adresse geben, trinke mein Bier aus und mache mich auf den Weg. Zwischendurch steuere ich einen Kiosk an und nehme zwei Flaschen Rotwein mit. Sicher ist sicher.

Unzucht

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