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Rekrutenleid

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Ich war dreizehn oder vierzehn, als der Punkrock von meiner zarten Seele Besitz nahm.

Beim Durchpflügen des einzig akzeptablen Plattenladens, den meine Heimatstadt im Angebot hatte, war mir ein Sampler ins Netz gegangen, dessen Cover (eine Schwarzweiß-Zeichnung) aufrichtig verboten aussah: ein Trupp futuristisch anmutender Soldaten, absoluten Vernichtungswillen auf den Gesichtern, in einer brennenden Ruinenlandschaft. Darüber die einleuchtende Zeile »Soundtracks zum Untergang«.

Die auf der Rückseite der Plattenhülle aufgelisteten Bands hielten, was die Vorderseite versprach. Sie trugen so abenteuerlich klingende Namen wie Hass, Störtrupp oder Offensive Herbst 87 und hatten ebenso abenteuerlich klingende Stücke im Angebot: »Selbstmord« etwa oder »Hurra, ich bin genormt«. Als Krönung des Ganzen das Zitat einer gewissen Rosa (Eine Band? Ein Mädchen?): »Wir werden noch tanzen, wenn an euch schon keiner mehr denkt!«

Ohne zu wissen, was hier überhaupt für eine Musikrichtung präsentiert wurde, trug ich den Tonträger zur Kasse. Ich spürte mit aller Deutlichkeit, daß ich etwas Außergewöhnliches in den Händen hielt. Was auch immer auf dieser Scheibe gespeichert war, es würde ohne Zweifel geeignet sein, meine altersbedingte Abneigung gegen die üblichen Autoritätspersonen mit Munition zu versorgen.

Mein Gefühl sollte mich nicht im Stich lassen. Kaum daß ich das Vinyl meinem Plattenspieler überantwortet hatte, prügelte ein Sound auf mich ein, dessen Aggressivität mich schreckhaft den Lautstärkeregler zurückdrehen ließ. Die Texte taten ein Übriges; sie griffen alles an, was dem Land, in dem ich lebte, lieb und teuer war, und das in einer Sprache, die mir im Deutschunterricht unzweifelhaft ein Ungenügend eingetragen hätte.

Heiland, wenn dieses staatsfeindliche Produkt (das nur von der RAF oder der Stasi finanziert worden sein konnte – und war das, wenn ich meinem Großvater Glauben schenken durfte, nicht das gleiche?!), wenn dieses Werk des Bösen also meinen Eltern in die Hände fiel, würde das unweigerlich Strafmaßnahmen und/oder (was noch schlimmer war) klärende Gespräche nach sich ziehen. Für gewöhnlich liefen Trio oder Joachim Witt auf meiner Billig-Anlage.

Ich ließ die erste Seite durchlaufen, dann schob ich die Platte in ihre Hülle zurück. Mehr wäre gesundheitsschädigend gewesen. Die Erregung, die mich beim Hören ergriffen hatte, kam dem High eines Langstreckenläufers gleich. Gegen das eben Erlebte war die Berührung von Ilona Rennelbergs zarten Brüsten ein Scheißdreck gewesen.

Keine Frage, daß ich meinen Jahrhundertfund noch am selben Nachmittag zu Jörn Melzer trug. Wenn es jemanden in meiner Klasse gab, der diesen Sprengsatz zu würdigen wußte, dann war es mein Banknachbar.

»Und?« fragte ich, nachdem wir dem Krawall etwa eine Viertelstunde lang gelauscht hatten.

Jörn Melzer zog bedächtig an einer Camel Filter.

»Das ist Punk«, sagte er schließlich.

Punk also, davon hatte ich schon gehört. Im Stern hatten sie einen Bericht gebracht, der sich mit fortgesetzten Schlägereien zwischen größeren Gruppen verfeindeter Jugendlicher in Berlin beschäftigte. Die einen trugen gelbe Pullunder und Karottenhosen und wurden Popper genannt; die anderen, die sogenannten Punker, besaßen abenteuerliche Stachelfrisuren und bemalte, mit Nieten übersäte Lederjacken. Das also war die Musik, die diese verwegenen Gestalten dazu brachte, der herrschenden Mode ins Gesicht zu spucken. (An meiner Schule rannten die meisten in knielangen Hemden, Anzugwesten und geschlossenen Clogs herum.)

Natürlich durfte ich mir meine Unwissenheit nicht anmerken lassen.

»Das war mir schon klar, daß das Punk is’. Ich wollte wissen, wie du’s findest

»Groß«, sagte Jörn Melzer.

Und damit war eine zukunftweisende Entscheidung gefallen. Ohne daß wir es aussprechen mußten, stand fest: Auch wir würden Punker werden. Und das so schnell wie möglich!

In den nächsten Monaten verwandten wir viel Geld und Zeit darauf, uns mit weiteren Platten, vor allem aber mit Fachwissen einzudecken. Wir saugten alles ein, was uns Presse und Fernsehen zum Thema zu bieten hatten, und das war nicht wenig. Punk sorgte damals allerorten für Skandale.

Bald kannten wir die Namen zahlloser Bands und ihrer Mitglieder, wir hatten unzählige Songtexte im Kopf, und wir wußten, daß Punker eigentlich Punks hießen. Was das Theoretische betraf, waren wir also schnell auf der Höhe. Nur die Praxis, speziell unser Äußeres, ließ noch zu wünschen übrig. Ich ging diesen Mißstand an, indem ich mir ein T-Shirt von den Sex Pistols zulegte, in das ich mit der Nagelschere zahlreiche Löcher schnitt.

Als ich es am nächsten Morgen (nachdem ich es unter meinem Pullover aus dem Haus geschmuggelt hatte) in der Schule präsentierte, kam ich mir so bedrohlich vor wie ein Hell’s Angel mit entsicherter Pumpgun unterm Arm. Jörn Melzer zog nach, indem er seine Erziehungsberechtigten dazu überredete, ihm ein Paar Springerstiefel zu kaufen.

Einer Begegnung mit dem echten Leben stand also nichts mehr im Wege. Stellte sich nur die Frage, wo die örtlichen Punker, Entschuldigung, Punks, zu finden waren. Falls es welche gab …

Es war mein Banknachbar, der den Ruhm des Entdeckers in Anspruch nehmen sollte.

»Sie hängen am Lesepavillon rum«, raunte er mir während einer Biologiestunde zu.

»Wer?«

»Na, wer wohl … ?!«

»Wirklich?!« Ich fühlte eine Kompanie Endorphine durch meine Nervenbahnen reiten.

»Mindestens ein Dutzend. Es waren sogar Mädchen dabei.«

»Und jetzt?«

»Na, wir gehen natürlich hin.«

Ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich wollte. Aber Jörn Melzer war ein kompromißloser Patron. Er ließ keinen Widerspruch gelten. Gleich nach der Schule nahmen wir das Vorhaben in Angriff.

Als wir die vermüllte Grünanlage namens Schloßpark betraten, die den Lesepavillon (eine Zweigstelle der örtlichen Bücherei) umgab, sah ich sie schon von weitem. Vier Typen in der medial bekannten Kluft, zwei davon mit beeindruckenden, grell gefärbten Irokesenschnitten. Sie saßen auf der flachen Umrandung eines zwergwüchsigen Springbrunnens und tranken Bier. Also kein Dutzend und auch keine Mädchen dabei. Aber wen interessierte das?! Hier waren die Menschen, deren Leben wir nur allzu gern gegen unser eigenes eingetauscht hätten. Jesus, was hätte ich in diesem Moment dafür gegeben, zwei oder drei Jahre älter zu sein. Ich hätte mir umgehend eine neue Frisur und eine Lederjacke zugelegt. Wenigstens trug ich mein Sex Pistols-Shirt.

Melzer und ich schlenderten betont desinteressiert an der Gruppe vorbei und ließen uns keine zehn Meter entfernt auf einer Bank nieder.

Nachdem wir jeder zwei Pall Mall de Luxe auf Lunge geraucht hatten, erlahmte die Faszination ein wenig. Ja, um genau zu sein, wurde uns irgendwann langweilig.

»Vielleicht sollten wir rübergeh’n«, schlug Melzer vor.

»Wie? Einfach so?«

»Na ja, wir gehen hin und sagen denen, daß wir auch Punks sind.«

»Ich weiß nich’ …«, entgegnete ich. »Vielleicht wollen die lieber ihre Ruhe haben.«

»Ach was. Wir fragen sie einfach, ob sie uns ’n Bier abgeben.«

»Na, wenn du meinst.« Unsicher trabte ich meinem Gefährten hinterher, der dem Quartett mit einer Entschlossenheit entgegenstrebte, die an einen kaiserlichen Steuereintreiber gemahnte.

»Hey!« tönte er bereits drei Meter entfernt. »Habt ihr ’n Bier für mich und meinen Kollegen hier?«

Vier erstaunte Augenpaare wandten sich in unsere Richtung.

»Wir sind auch Punks, wißt ihr.«

Das Erstaunen schlug in Heiterkeit um. Vier Münder verzogen sich zu einem satten Grinsen. Dann drang schallendes Gelächter an meine durchbluteten Ohren.

»Punks, was?!« brüllte einer, dessen hüpfender Kehlkopf einen eintätowierten Schmetterling animierte. »Scheiße Mann, ich dachte, ihr wärt Zivilbullen.«

»Ihr wollt Bier?!« keuchte sein Nachbar, einer der beiden Irokesenträger. »Habt ihr denn ’n bißchen Heroin dabei, damit wir tauschen können?«

Melzer wollte schon zu einer Erwiderung ansetzen, als ich ihn heftig am Ärmel zog.

»Na ja, nichts für ungut, Leute«, stammelte mein Banknachbar. »Aber wir müssen wieder.«

Dann machten wir uns mit kontrolliertem, aber schnellem Schritt davon.

»Punks, ich fass’ es nich’. Habt ihr das bekloppte Pistols-Shirt geseh’n?« hörte ich noch einen sagen.

Als wir außer Sichtweite waren, verringerten wir unser Tempo.

»Scheiße, das ist nach hinten losgegangen«, erlaubte ich mir zu bemerken.

»Quatsch. Das war absolut okay«, widersprach Melzer. »Immerhin haben sie mit uns geredet

Diesmal konnte er mich nicht überzeugen. Noch bevor ich mein Elternhaus erreicht hatte, hatte ich bereits beschlossen, daß dieses Punkding in keiner Weise meinem Wesen entsprach. Mein T-Shirt schmiß ich in die Mülltonne. Wenn diese Arschlöcher meinten, sie könnten ohne mich auskommen, dann bitte …

Aber natürlich gingen wir wieder hin. Um genau zu sein, dauerte es gerade mal zwei Tage, bis wir uns erneut am Lesepavillon herumdrückten.

Eine Unternehmung, die bald zum täglichen Ritual werden sollte. Denn irgendwie schafften wir es, irgendwie gelang es uns, Zutritt zu finden zu diesem erlesenen Kreis, der alles in allem aus vielleicht fünfundzwanzig Personen bestand. (Und ja, Melzer hatte recht gehabt, es waren tatsächlich Frauen dabei.) Ich meine, wir gehörten nicht wirklich dazu, aber wenigstens durften wir dabeisitzen. Wir durften Bier und Zigaretten ausgeben, und manchmal bekamen wir sogar selbst ein Bier spendiert.

Nach und nach erfuhren wir auch die Namen unserer neuen Helden. Namen, die es in sich hatten: Darmverschluß zum Beispiel, oder Krätze, oder Leberschaden … Eigentlich hieß hier niemand so, wie es in seinem Personalausweis vermerkt war, selbst die Mädchen nicht. Und so beschlossen auch wir, unsere alte Identität gegen eine neue zu tauschen.

»Ich glaub’, ich nenn’ mich Panzerabwehrkanone«, befand Melzer nach kurzem Überlegen.

»’n bißchen umständlich, oder?« wandte ich ein.

»Na und?! Dafür klingt es schön kriegerisch. Wie willst du denn heißen?«

»Tja.« Ich dachte nach. »Fleisch vielleicht.«

»Wie?«

»Na, einfach Fleisch.«

»Okay, Fleisch. Dann auf zum Pavillon.«

Natürlich schlug sich unser verändertes Freizeitverhalten auch in unserem häuslichen Alltag nieder. Die Kleiderordnung wurde bis zum Äußersten ausgereizt – ein Unterfangen, das regelrecht zum Wettbewerb ausartete. Auch ich besaß bald ein Paar Springerstiefel sowie eine Jeans mit Riß in der Kniegegend; Melzer konterte, indem er sich regelmäßig Zuckerwasser in die Haare schmierte. Die Anzahl sogenannter Badges an unseren Wildlederjacken stieg im Wochenrhythmus – nahezu synchron zum stetigen Verfall anerzogener Benimmregeln.

Wirklich zufrieden waren wir dennoch nicht. Unser großes Ziel lag noch immer in weiter Ferne. Sicher, wir wurden geduldet. Aber das genügte nicht. Wir wollten echte Aufnahme finden, wir wollten richtig dazugehören. Fleisch und Panzerabwehrkanone verlangte es nach nichts weniger, als die selbstgewählten Namen endlich auch aus dem Mund ihrer Idole zu vernehmen. Wichser, Arschloch oder Kleiner, das war auf Dauer einfach nicht befriedigend.

Eine gute Gelegenheit, die eigene Reputation zu mehren, ergab sich an einem lauen Sommerabend.

Ich war ausnahmsweise ohne Melzer in den Park gekommen, um mit einem Tonträger anzugeben, den ich keine zehn Minuten zuvor in Ritas Recordstore erworben hatte. Er war von den Einstürzenden Neubauten und – wie ich in den vergangenen Wochen mitbekommen hatte – in meinem neuen Umfeld schwer angesagt.

Nachdem ich die Platte dezent aus der Plastiktüte gezogen hatte, um mit Kennermiene das Backcover zu studieren, ließ das fällige Kompliment nicht lange auf sich warten.

»Geile Scheibe. Für ’n Zehner kauf’ ich sie dir ab«, sagte Milzbrand, der neben mir auf dem Brunnenrand saß und an einer Dose Karlsquell nuckelte.

Ich wollte sein Angebot gerade annehmen – was waren schon neun Mark achtzig Verlust gegen einen deutlichen Prestigegewinn?! –, als die Dinge eine Wendung nahmen, die weit größeres Ansehen versprach. Unruh, ein muskelbepackter Typ mit Sicherheitsnadel in der Wange, hatte das Verkaufsgespräch mit angehört und bekundete nun ebenfalls Interesse.

»Hey, wenn du die Platte mir verkaufst, geb’ ich dir ’n hübsches Piece.«

Ein Piece, soviel wußte ich bereits, das war ein kleiner Klumpen Haschisch. Und Hasch, das bedeutete nicht nur Rausch und Rebellion, sondern auch ganz eindeutig gesetzwidriges Tun. Ich kannte mich da aus, hatte bei der letzten Schulfete mindestens dreimal an einer Pfeife gezogen, die irgendwer aus der Elften im Rauchereck herumgereicht hatte.

Ohne zu zögern gab ich Unruh mein Einverständnis.

»Mach’s nich’, der bescheißt«, flüsterte mir Milzbrand noch ins Ohr.

Aber ich schlug diese Warnung in die Zuschauerränge. Hier konnte ich endlich meine Mannhaftigkeit unter Beweis stellen. Denn Hasch, so dachte ich damals, war ganz sicher etwas für harte Burschen. Zusätzlich beflügelte mich die Vorstellung, wie Melzers Gesichtszüge ob dieser Aktion aus den Fugen geraten würden. Keine Frage, daß ich nach Abschluß des Handels sofort zu ihm nach Hause fahren mußte.

Ich verzog mich mit meinem Geschäftspartner in den Schatten eines Holundergebüschs, übergab ihm die LP und bekam dafür im Gegenzug einen ungefähr daumennagelgroßen, in Alupapier verpackten Würfel in die Hand gedrückt. Ohne ihn länger zu betrachten, schob ich ihn in die Vordertasche meiner schwarzen Mustang und machte mich davon.

In der Straßenbahn hielt es mich kaum auf dem Sitz. Furcht und Euphorie schwappten in meinem Schädel herum. Jesus, ich hatte Rauschgift gekauft, und jetzt trug ich es bei mir – mindestens ein ganzes Gramm! Mann, ich war ein gottverdammter kleiner Cracknigger. Wenn das meine Eltern gewußt hätten …

Als ich die Stufen zu Melzers Heimstatt hinauftrabte, war mein Gefühlshaushalt vollends in Aufruhr. Sicher, die Gefahr, von der Polizei geschnappt zu werden, war nun mehr oder weniger gebannt. Aber da war noch etwas anderes. Was, wenn die Droge wirkte? Was würde dann mit uns passieren? Nach dieser Pfeife auf dem Schulhof hatte ich rein gar nichts gespürt. Aber das war beim ersten Mal normal, so hatte ich jedenfalls gehört. Was würde heute sein? Und wieviel brauchte man überhaupt für einen Joint? Ich konnte nur hoffen, daß Melzer Genaueres wußte.

Zum Glück war er zu Hause. Seine Mutter geleitete mich in sein Zimmer.

»Alter, rat mal, was ich habe?« stieß ich hervor, kaum daß sich die Tür hinter mir geschlossen hatte.

»Keine Ahnung.« Er sah gelangweilt aus einem Comic auf. »’n neues Pistols-Shirt?«

»Sehr witzig, Arschloch! Ich hab’ Hasch. Richtiges Hasch. Ich hab’ bei Unruh ’n Piece gekauft.«

»Is’ nich’ wahr!«

»Doch.« Ich fummelte das Piece aus meiner Hosentasche und warf es meinem Banknachbarn aufs Bett.

Er wog es prüfend in der Hand.

»Einwandfrei.«

Ich kam nicht umhin, mir ein breites Grinsen zu gönnen. Dann brach meine Furcht wieder durch.

»Und jetzt?« Ich ließ mich ihm gegenüber auf den Boden fallen.

»Na, wir brauchen Tabak und Blättchen. Aber erst mal müssen wir’s aufbröseln.« Melzer griff unters Bett und zog ein Paket Samson Halfzware hervor.

»Wieviel denn?«

»Keine Ahnung … alles?« Er schob mir ein Feuerzeug zu.

»Hast du eigentlich schon mal …?«

»Na ja …«

»Hast du?«

»Nich’ wirklich.«

»Ich auch nich’ …« Ich spielte nervös mit dem Würfel herum.

»Komm, egal. Mach’s auf. Wird uns schon nicht den Verstand kosten«, beruhigte er mich und hatte schon damit begonnen, Zigarettenpapier aus der Packung zu ziehen.

Also ermannte auch ich mich und begann vorsichtig die Alufolie abzupellen. Doch was war das?! Kaum hatte ich die erste Schicht entfernt, kam weiteres Leichtmetall zum Vorschein. Und unter der zweiten Schicht lag eine dritte. Unversehens war der Brocken auf die halbe Größe geschrumpft, und immer noch war nichts von der geheimnisvollen Materie zu sehen, die er enthalten sollte. Ich beschleunigte mein Tun, riß jetzt größere Stücke ab, aber ich ahnte schon, was kommen würde. Und auch Jörn Melzer, der mich gespannt beobachtete, bekam ein Gespür für das, was hier passierte.

»Der Wichser hat dich gelinkt!« rief er aus.

Ich wußte, daß er recht hatte. Aber was sollte ich tun?! Ich mußte mein Werk zu Ende bringen. Und so zerpflückte ich weiter Schicht um Schicht, bis ich schließlich zum Innersten des Würfels vorgedrungen war; in meinen Händen nichts weiter als unzählige silberne Krümel.

Melzer warf mir einen Blick zu.

»Arschlecken, Mann.«

»Tja.« Ich griff mir den Tabak und begann mir eine Zigarette zu drehen.

Die Idee, uns beim Verkäufer des Aluminiums zu beschweren, wurde umgehend verworfen. Eine solche Blöße hätten wir uns einfach nicht geben können, ganz abgesehen von den schweren Verletzungen, die ein derartiges Gebaren nach sich ziehen konnte. Statt dessen verzehrten wir eine Tüte Erdnußflips, die Melzer aus der Küche organisierte, während ich mich mit dem Gedanken tröstete, der Rauschgiftabhängigkeit noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein. Fürs erste zumindest.

Nachtrag: Wie ich später erfuhr, sollte auch Unruh nicht viel Freude an dem faulen Handel haben. Noch am selben Abend legte sich der betrügerische Dealer, zweifellos durch die gelungene List beflügelt, einen kolossalen Vollrausch zu, in dessen Folge er sich für einen kurzen Heilschlaf auf dem Rasen ausstrecken mußte. Hierbei wurde ihm, von wem auch immer, sein neben ihm liegendes Fahrrad entwendet. Und auf dem Gepäckträger dieses Fahrrads befand sich – na was wohl? Genau! Meine ehemalige Neubauten-Scheibe …

*Daß sich das nach der Wiedervereinigung so drastisch verändert hat, will mir im Nachhinein beinahe wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung erscheinen.

Vorkriegsjugend

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