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2Welche Wirkungen hat Krafttraining auf den Organismus?

Krafttraining hat zahlreiche positive Effekte für den Trainierenden, die weit über den eigentlichen Zweck von Kraftzuwachs und Muskelaufbau hinausgehen. In diesem Kapitel werfen wir einen Blick auf diejenigen Effekte, die langfristig durch ein regelmäßiges Krafttraining zu erreichen sind. Sie erstrecken sich auf den Bewegungsapparat, den Stoffwechsel, das Herz-Kreislaufsystem, das Hormonsystem sowie auf Wohlbefinden und äußere Erscheinung. Sie sind zudem zur Prävention, Heilung oder Linderung einiger Erkrankungen und gesundheitlicher Beeinträchtigungen geeignet.

2.1Die Wirkung auf die Muskulatur

Das Kernziel eines Krafttrainings ist in der Regel ein Kraftzuwachs der Muskulatur. Je nach Ausrichtung des Trainings erreicht man eine Steigerung der Maximalkraft, Kraftausdauer, Schnellkraft oder Reaktivkraft.

Die Steigerung der Maximalkraft befähigt dazu, schwere Lasten bewegen zu können, erhöht die Gelenkstabilität und bringt eine Verbesserung der Ergebnisse in vielen Wettkampfsportarten, da eine enge Beziehung zwischen Maximalkraft und Schnellkraft besteht. Die Maximalkraft lässt sich in den ersten Monaten eines Trainings durchschnittlich pro Trainingseinheit um ca. 0,5–2% steigern. Bei Untrainierten ist die Zuwachsrate gemeinhin etwas höher als bei Trainierten. So lag der Maximalkraftzuwachs in Studien zum Training der Beinmuskulatur bei untrainierten Testpersonen zwischen 0,39 und 0,64% pro Trainingseinheit, bei trainierten nur zwischen 0,16 und 0,33% [Werte errechnet aus Quelle 80, Tab. 13, S.114]. Für untrainierte Rückenpatienten berichtet Achim Denner von einer Zuwachsrate von 1–2% pro Trainingseinheit [47]. Erstaunliche Maximalkraftgewinne wurden bei gezieltem Krafttraining mit Senioren (über 60 Jahre) erhoben. Hier lagen die Zuwächse nach 6–12 Wochen Training z.T. bei über 50%. In einigen Studien konnte die Kraft mehr als verdoppelt werden [53, 66]. Die Zuwachsraten pro Trainingseinheit betrugen bei dynamischen Krafttests in dieser Altersgruppe zwischen 2 und 5% [53, 66, 210].

Neben dem Trainingszustand hängt der Kraftzuwachs auch von der Intensität des Trainings ab. So profitierten die Trainierenden bei einer Studie der Universität Bayreuth bei einem 8-wöchigen Training mit drei Einheiten pro Woche in Form eines durchschnittlich 14,2%igen Maximalkraftgewinns, wenn bis zur Muskelerschöpfung trainiert wurde. Wurde die Serie bei mittlerer Beanspruchung abgebrochen, lag der Gewinn im Mittel nur noch bei 8,7% [20].

Ein weiterer Einflussfaktor für Zuwachsraten in Krafttests liegt im koordinativen Anspruch der Testbewegung: je höher der koordinative Anspruch einer Testbewegung (und somit der mögliche koordinative Lerneffekt bei Ungeübten), desto größer fallen die Zugewinne an Kraft im Testergebnis aus. Bei hohen koordinativen Lerneffekten sind zum Teil Steigerungen von 3% oder mehr pro Trainingseinheit möglich.

Beeindruckende Maximalkraftleistungen sind im Kraft-Dreikampf oder auch im Gewichtheben zu finden, wo von Spitzenathleten eine Hantel von über 400 kg aus der Kniebeuge gehoben oder ein Gewicht von über 230 kg beidarmig über den Kopf gebracht wird.

Das Training der Kraftausdauer bewirkt eine erhöhte Widerstandsfähigkeit der Muskulatur gegen Ermüdung bei Alltagsbelastungen wie Treppensteigen, Bergwandern oder Lasten tragen sowie bei Sportarten mit Kraftausdaueranteilen, z.B. Kanufahren, Rudern, Crossläufe, Mountain-Biking, Alpinski oder Schwimmen. Die Zuwachsraten pro Trainingseinheit liegen beim Kraftausdauertraining etwas höher als beim Training der Maximalkraft. Gewinne zwischen 50 und 70% nach 24 Trainingseinheiten in 8 Wochen berichtet die bereits oben erwähnte Bayreuther Studie [20]. Das entspricht 1,7–2,2% Kraftausdauerzuwachs pro Trainingseinheit. Natürlich gilt dies nur, wenn Trainingsmethoden gewählt werden, die eine effektive Verbesserung der Kraftausdauer bewirken (Kap. 6.2).

Beeindruckende Kraftausdauerleistungen sind die Weltrekorde im Liegestütz oder auch im Klimmzug, wo in 5 Minuten 441 (Liegestütz) bzw. in 1 Minute 51 (Klimmzüge) korrekte Wiederholungen erreicht wurden.

Verbesserungen der Schnellkraft wirken sich im Alltag meist weniger bedeutend aus, im Sport hingegen umso mehr. Wer die höhere Schnellkraft besitzt, kann höher springen, weiter werfen und kommt beim Sprint schneller »aus den Startlöchern«. Somit sind die Kraftgewinne auf diesem Gebiet u.a. leistungsrelevant für Leichtathleten und viele Spielsportler (Fußball, Handball, Volleyball usw.).

Durch so genannte plyometrische Übungsformen (Kap. 6.3.2) konnte die vertikale Sprunghöhe als Maß für die Schnellkraftfähigkeit der unteren Extremität in verschiedenen Untersuchungen um durchschnittlich 4,7–8,7% gesteigert werden [145]. Nach 24 Trainingseinheiten in 8 Wochen erhoben Malisoux und Kollegen eine 13%ige Verbesserung der Sprunghöhe im Counter-Movement-Jump [141]. Bezüglich der Geschwindigkeit der Kraftentwicklung wurden Zuwächse in der Explosivkraft nach einem 4–6-wöchigen dynamischen Schnellkrafttraining von 44 bis 55% berichtet (194). Beeindruckende Schnellkraftleistungen sind z.B. die Sprungfähigkeiten moderner Spitzenathleten. Im Weitsprung springen die weltbesten Frauen über 7,00 m, die Männer über 8,30 m weit. Im Hochsprung liegen die Spitzenwerte bei über 2,05 m (Frauen) bzw. 2,40 m (Männer). Im Kugelstoßen imponieren Wurfleistungen von über 20 Metern bei Männern (7,257 kg) wie Frauen (4 kg).

Ein Kraftzuwachs bringt nicht nur im Leistungsalter Vorteile. Insbesondere im höheren Lebensalter bedeutet er längere Selbständigkeit, Unfallprophylaxe und einen Zugewinn an Lebensqualität. Im Kindes- und Jugendalter sind gezielte Kraftreize in unserer bewegungsarmen Gesellschaft heutzutage oft notwendig, um den Körper belastbar und stabil zu machen, da die natürlichen Kraftreize (Klettern, Ringen, Springen, Bauen und Graben) immer seltener abgefordert werden.

In der medizinischen Rehabilitation spielt der Rückgewinn einer optimalen Kraft nach Verletzungen, Operationen sowie bei chronischen Schmerzerkrankungen der Gelenke und Wirbelsäule eine wichtige Rolle, um erfolgreich in den Beruf zurückzukehren, Freizeit- und Haushaltsaktivitäten wieder aufzunehmen sowie negative Langzeitfolgen aufgrund von Kraftmangel und Schonverhalten zu verhindern.

Die erhöhte Kraftfähigkeit der Muskeln wird im Wesentlichen durch Anpassungen des Nervensystems, des Stoffwechsels und der Muskelstruktur erreicht. Das Nervensystem lernt, das Zusammenspiel der Skelettmuskeln zu optimieren und die Muskelfasern eines Muskels weitgehend vollständig, gleichzeitig und mit einer hohen Frequenz zu aktivieren. Diese Anpassungseffekte machen einen Großteil des Maximalkraftzuwachses von Trainingsanfängern aus. Durch eine vermehrte Einlagerung von Energieträgern und eine Umstrukturierung relevanter Zellbestandteile wird der Energiestoffwechsel an die krafttrainingsspezifischen Anforderungen angepasst: So kommt es zu einer vermehrten Einlagerung von energiereichen Substanzen (ATP, Kreatinphosphat, Glykogen) in der Muskulatur bei gleichzeitiger Abnahme des Myoglobingehalts und der Mitochondriendichte [97]. Dies fördert die (Kurzzeit-)Ausdauerfähigkeit unter hoher Belastung (Kraftausdauer, Maximalkraftausdauer). Der sichtbarste Anpassungseffekt an ein Krafttraining ist allerdings die Dickenzunahme der Muskulatur. Diese wird vor allem durch eine Verdickung der einzelnen Muskelfasern erreicht. Die schnell zuckenden weißen Muskelfasern hypertrophieren vor allem bei schnellkräftigen Bewegungen gegen hohe Lasten, die langsam zuckenden, roten Muskelfasern bei länger andauernden, mittelstarken Kontraktionen und bei statischem Krafttraining mit längeren Haltephasen.

Über das Wachstum der krafterzeugenden Proteinstrukturen hinaus, kommt es auch zu einer Verdickung des Muskels durch eine Vermehrung des so genannten Sarkoplasmas. Das Sarkoplasma ist eine eiweißhaltige Flüssigkeit zwischen den Muskelfibrillen innerhalb der einzelnen Muskelfaser. Hier befinden sich u.a. Enzyme und gespeicherte Energieträger (z.B. Glykogen). Je nach Trainingsmethode findet neben der Vermehrung der krafterzeugenden Muskelfibrillen (myofibrilläre Hypertrophie) auch eine mehr oder weniger ausgeprägte Sarkoplasmazunahme statt (sarkoplasmatische Hypertrophie). Letztere wird vor allem durch ein volumenorientiertes Krafttraining erzeugt, wie es z.B. im Bodybuilding betrieben wird. Daher ist ein dicker Muskel des Bodybuilders zwar stark, häufig aber nicht so stark wie der Muskel eines Gewichthebers von gleicher Dicke, da bei letzterem die Dichte der Myofibrillen, die die Kraft erzeugen, höher ist [97, 230].

Der Anteil der Muskulatur an der Gesamtkörpermasse liegt bei Frauen bei ca. 25–35%, bei Männern bei ca. 40–45% [97]. Damit ist die Muskulatur das größte Stoffwechselorgan des Körpers. Eine erhöhte Muskelmasse erhöht den Gesamtenergieverbrauch des Körpers, formt (in gewissen Grenzen) den Körper ästhetisch und ist letztendlich der wichtigste Weg zu einer langfristigen, deutlichen Kraftzunahme. Zudem hat eine hohe Muskelmasse Schutzfunktion bei Stürzen und anderen Unfällen sowie bei Krafteinwirkungen von außen auf den Körper (Schläge, Tritte, Gegenstände), da die Muskulatur nicht nur ein passives Polster darstellt, sondern ein aktives, das eine hohe Schutzspannung und Gelenksicherung erzeugen kann.

Durch ein 6-wöchiges Krafttraining ließ sich der Querschnitt der Muskelfasern in der trainierten (Bein-)Muskulatur um 15–28% steigern. Bei einem 20-wöchigen Training hypertrophierten die schnellzuckenden, weißen Fasern sogar um 57% [205]. Eine neuere Studie fand nach einem 8-wöchigen Krafttraining der Oberarmmuskulatur einen Muskelzuwachs von durchschnittlich 5,3% (Fortgeschrittene) bzw. 7,4% (Anfänger) bei drei Trainingseinheiten pro Woche [228]. Auch ein 8-wöchiges Sprungkrafttraining führte zu signifikanten Querschnittszuwächsen von durchschnittlich 15% in den Muskelfasern, allerdings vor allem in den schnellzuckenden Fasern. Die langsamen Fasertypen zeigten keine relevante Veränderung [222].

Extremes Muskelwachstum findet man vor allem bei Bodybuildern, die bei einem Körperfettanteil von 6–10% [212] häufig über 100 durchtrainierte Kilos auf die Waage bringen. Arnold Schwarzenegger wog in seiner aktiven Zeit bei 1,88 m Körpergröße 109 Kilogramm. Lee Haney, Star der 80er Jahre im Bodybuilding, brachte bei 1,80 m etwa 112 Kilogramm Wettkampfgewicht auf die Waage.

Gewichtheber haben ebenfalls einen sehr hohen Anteil an Muskelmasse, der durchaus im Bereich von 55% der Körpermasse liegen kann. Der Körperfettanteil liegt bei Gewichthebern der unteren Gewichtsklassen häufig unter 10%, in den höchsten Klassen, insbesondere im Superschwergewicht, z.T. deutlich höher. Dies ist der Hebeleistung allerdings nicht abträglich. Die höchsten absoluten Maximalkraftleistungen zeigen ohnehin normalerweise die endomesomorphen Konstitutionstypen, d.h. Sportler, die eine eher massive Gestalt mit einer Neigung zu einer großen Muskelmasse und gleichzeitig einem erhöhten Körperfettanteil aufweisen [215].

2.2Die Wirkung auf Knochen, Sehnen und Gelenke

Auch die Knochen, der Kapsel-Bandapparat der Gelenke, Knorpelstrukturen und die Sehnen, die die Verbindung zwischen Muskel und Knochen darstellen, zeigen Anpassungen an ein Krafttraining. Der Knochen erhöht, ausgelöst durch die Zug- und Druckspannungen, die bei einem Krafttraining über die Muskeln und die Schwerkraft auf ihn einwirken, seine Mineraldichte und seinen Durchmesser. Daraus resultiert eine erhöhte Knochenfestigkeit und -stabilität. Ferner organisiert sich die Knochenbinnenstruktur entsprechend der Richtung der auf sie einwirkenden Kräfte. Dieser Einfluss auf die Knochenstabilität macht Krafttraining zu einer geeigneten therapeutischen Maßnahme bei einem Knochenfestigkeitsverlust in Form einer Osteopenie oder Osteoporose (Kap. 9.5). In einer Vergleichsstudie von sieben Sportarten zeigten Gewichtheberinnen mit Squashspielerinnen die höchsten Knochendichtewerte. Die mechanischen Belastungsspitzen in diesen Sportarten bewirkten bei den Sportlerinnen eine erhöhte Knochenstabilität, während bei Ausdauersportarten (Radfahren, Aerobic, Skilanglauf) keine oder nur geringe Erhöhungen gefunden wurden [88]. Unter Umständen halten die positiven Effekte auf das Knochensystem noch viele Jahre nach Absetzen des Trainings an. Man fand bei ehemaligen Gewichthebern eine erhöhte Knochenmasse gegenüber einer Vergleichsgruppe bis ins siebte Lebensjahrzehnt hinein [108]. Messbare Anpassungen der Knochenstruktur an ein Krafttraining benötigen allerdings mehrere Monate [42].

Die erhöhte Festigkeit der Sehnen durch Training resultiert ebenfalls aus einer Zunahme ihrer Dicke und einer Verdichtung ihrer inneren Struktur. Die Vermehrung des für hohe Zugbelastungen ausgerichteten Kollagens, dem Hauptbaustoff der Sehnen, spielt hierbei die wesentliche Rolle [42]. Ferner führt die Beanspruchung der Sehne durch körperliche Aktivität zu einer massiven Steigerung der Durchblutung und des Sehnenstoffwechsels [117]. Bei Ultraschalluntersuchungen fand man im Schulterbereich bei Bodybuildern eine ausgeprägte Verdickung der Sehnen der sog. Rotatorenmanschette. Je öfter die Sportler den Schulterbereich pro Woche trainierten, desto deutlicher war die Dickenzunahme der Sehnen [105]. Auch für die Bänder und die Gelenkkapsel, die ebenfalls im Wesentlichen aus Kollagen aufgebaut sind, erhöht sich die Festigkeit durch ein Krafttraining. Diese erhöhte Stabilität des Sehnen- und Kapsel-Bandapparates schützt den Sportler vor Verletzungen.

Knorpelgewebe, das alle Gelenkflächen im Körper überzieht, durchläuft ebenfalls Anpassungen an die mechanische Belastung durch ein Krafttraining. Während eine Ruhigstellung von Gelenken (z.B. Gipsverband) aufgrund der speziellen Ernährung des Knorpels durch Wechseldruck zum Absterben von Knorpelzellen und somit zur Knorpelzerstörung führt, löst die Belastung durch Training eine Zunahme der Knorpelzellen an Zahl und Größe sowie eine Zunahme der Interzellularsubstanz aus. Diese Hypertrophie des Gelenkknorpels führt zu einer besseren Druckverteilung und zu einer erhöhten »Pufferfunktion« (Absorption von Energie) bei mechanischer Belastung [42]. Neben dem Gelenkknorpel, der auch als hyaliner Knorpel bezeichnet wird, gibt es Faserknorpelstrukturen, die einen hohen Gehalt an Kollagenfasern aufweisen und eher für Zugbelastungen ausgelegt sind. Dies sind z.B. die Menisken im Knie und der Knorpelring der Bandscheibe. Durch Belastung, z.B. Krafttraining, erhöhen auch die faserknorpeligen Strukturen ihre Festigkeit. Dadurch ist es erklärbar, dass Gewichtheber und Kraft-Dreikämpfer enorme Lasten heben können, ohne dass die Bandscheiben unter dieser extremen Belastung zerstört werden.


Abb. 6: Die knochenaufbauende Wirkung eines Krafttrainings kann in der Prävention und Therapie von Osteoporose genutzt werden.

Bei den Anpassungen der beschriebenen Gewebe an Krafttrainingsreize ist zu berücksichtigen, dass diese Gewebe unterschiedliche Stoffwechselgeschwindigkeiten und damit unterschiedliche Geschwindigkeiten der Anpassung an Belastungsreize zeigen. Die Muskulatur hat einen sehr hohen Stoffwechsel im Gegensatz zu Sehnen- oder Knorpelgewebe. Deshalb wächst die Muskelkraft wesentlich schneller als die Festigkeit der übrigen Bewegungsstrukturen. Die Sehne beispielsweise braucht etwa das Dreifache an Zeit für ihre Anpassung an Belastungsreize wie der Muskel [69]. Knorpelgewebe hat sogar einen noch langsameren Stoffwechsel als die Sehne. Daher darf sich die Planung der Trainingsbelastung nicht nur an der muskulären Leistungsfähigkeit orientieren, sondern muss auch die Regenerations- und Anpassungsfähigkeit der übrigen Bewegungsstrukturen berücksichtigen.

2.3Die Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System

Während eines Krafttrainings steigt der Puls (= Herzschläge pro Minute) deutlich an, da der Organismus mehr Blut in die arbeitende Muskulatur befördern muss, denn Blut transportiert u.a. Sauerstoff und Energieträger, die von der Muskulatur für die Kontraktion benötigt werden. Die Blutpumpe des Körpers, der Herzmuskel, muss beim Training also mehr arbeiten als in Ruhe. Bei der Übungsdurchführung sind Pulsschläge im Bereich von 135 bis 170 nicht ungewöhnlich [61, 80, 138]. Diese Pulsfrequenzen entsprechen durchaus denen, die bei einem effektiven Herz-Kreislauf-Training, z.B. beim Jogging, erreicht werden mit dem entscheidenden Unterschied, dass beim Ausdauertraining der Puls ständig auf hohem Niveau bleibt, während er beim Krafttraining in den Pausen wieder deutlich abfällt. Häufig sinkt der Puls nach 30–60 Sekunden wieder auf sein Ausgangsniveau vor der Serie ab. Hohe Pulsfrequenzen werden vor allem bei Kraftübungen erreicht, die große Muskelgruppen beanspruchen (z.B. Beinpressen, Kniebeugen oder Kreuzheben), aber nur dann, wenn die Serie der Wiederholungen einen längeren Zeitraum beansprucht, wie beim Muskelaufbau- oder Kraftausdauertraining.

Weil der Puls beim Krafttraining nicht konstant auf höherem Niveau gehalten wird, sind die typischen Anpassungen, die das Herz-Kreislauf-System bei Ausdauersport (Jogging, Radfahren, Schwimmen) durchläuft, beim Kraftsportler nur sehr gering ausgeprägt.

Die Sauerstofftransportkapazität (bestimmt als maximale Sauerstoffaufnahme) steigt nach einem mehrwöchigen Krafttraining nur um wenige Prozent (3–4%) an. Beim Zirkelkrafttraining ist der Effekt aufgrund der höheren Belastungsdichte erwartungsgemäß etwas größer. In einer Studie von Gettmann und Mitarbeitern stieg die Herz-Kreislauf-Kapazität nach einem 12-wöchigen Zirkeltraining um 12% an [70]. Ansonsten wird bei einem Krafttraining nach dem Prinzip des Zirkeltrainings von Steigerungen der aeroben Kapazität von 5–8% ausgegangen [80]. Für höhere Effekte auf die maximale Sauerstoffaufnahme sollten die Pausenzeiten zwischen den Serien möglichst kurz (z.B. 10 sec.) gehalten und die Belastungsintervalle hochintensiv (große Muskelgruppen, hohe Intensität) gestaltet werden [211]. Eine solche globale Anstrengung des Gesamtkörpers behindert allerdings die lokale Leistungsoptimierung des Einzelmuskels in Hinblick auf die Steigerung von Muskelmasse und Kraftausdauer.

Als weiterer Anpassungseffekt an langfristiges Krafttraining sinkt der Ruhepuls als Zeichen einer ökonomischeren Herzarbeit geringfügig ab (ca. 10%). Das Herz verbraucht dadurch weniger Energie und Sauerstoff und wird durch eine verlängerte Erschlaffungsphase besser durchblutet [46]. Ausdauersport lässt den Ruhepuls allerdings wesentlich stärker absinken. Vergleicht man z.B. das Herzvolumen von 18 unterschiedlichen Sportarten, so schneiden Gewichtheber sehr schlecht ab und belegen mit leichtathletischen Werfern (Kugel, Diskus, Speer) und Sportschützen die letzten Plätze. Langstreckenläufer, Radrennfahrer, Skilangläufer oder auch Bundesligafußballer sind hingegen auf den obersten Rängen zu finden [136].

Der Blutdruck steigt während Kraftübungen deutlich an, da die Gefäße durch die Muskelkontraktion komprimiert werden. Hierbei ist entscheidend, wie groß die eingesetzte Muskelmasse, wie hoch die relative Ausbelastung des Trainierenden durch Last und Übungsdauer ist und ob eine Pressatmung (Valsalva-Manöver) stattfindet oder nicht. Bei hochintensivem, beidbeinigem Beinpressen mit Pressatmung wurden bei Bodybuildern Durchschnittswerte von 320/250 mm Hg gemessen. Beim einarmigen Bizepscurl lagen die Werte immerhin noch bei 255/190 mm Hg [138]. Zum Vergleich: Ein normaler Blutdruck in Ruhe beträgt durchschnittlich 120/80 mm Hg. Die höchsten Blutdruckanstiege finden sich in einem Intensitätsbereich, in dem Lasten von 70–95% der Maximalkraft über mehrere Wiederholungen bis zur Erschöpfung der Muskulatur bewegt werden [17].

Trotz der hohen Blutdruckwerte, die während eines Trainings auftreten können, führt Krafttraining langfristig zu einer Senkung des Blutdrucks. Dieser Effekt liegt normalerweise im Bereich von 3–4% [229]. Nach 4 Monaten intensivem und umfangreichem Krafttraining fanden Cauza und Mitarbeiter allerdings eine Blutdrucksenkung von 138 auf 119 mm/Hg (systolisch) bzw. 84 auf 76 mm/Hg (diastolisch), was einer 13,8%igen bzw. 9,5%igen Absenkung entspricht [38]. Das frühere Vorurteil, Krafttraining könnte zu Bluthochdruck führen, ist mittlerweile klar widerlegt [212]. Eine kräftige Muskulatur verringert zudem den Blutdruckanstieg (und somit die Herzbelastung) bei Alltagstätigkeiten mit Kraftbeanspruchung, wie z.B. Treppe steigen [17].

Ein weiterer positiver Effekt für das Gefäßsystem, der durch langfristiges Krafttraining nachweisbar ist, ist die günstige Beeinflussung des Cholesterinspiegels: Gesamtcholesterin und (das schädliche) LDL-Cholesterin sinken ab. Dies führt zu einer Verringerung des Risikos einer Arteriosklerose [38, 75, 80].

Abschließend kann man also sagen, dass Krafttraining keinesfalls schädlich für das Herz-Kreislauf-System ist, dass sogar einige gesundheitlich sehr positive Effekte durch langfristiges Training zu erreichen sind. Dennoch wirkt sich ein Ausdauertraining auf einige wichtige, gesundheitsrelevante Herz-Kreislauf-Funktionen stärker aus als Krafttraining, so dass es ergänzend betrieben werden sollte. Der ambitionierte Kraftsportler profitiert von einer guten, aeroben Grundlagenausdauer auch dadurch, dass er längere Trainingseinheiten besser durchsteht, sich schneller vom Training erholt und durch eine Verbesserung des Immunsystems seltener Trainingsausfälle aufgrund von Erkrankungen hinnehmen muss [222].

Somit empfiehlt sich aus gesundheitlicher wie aus leistungsphysiologischer Sicht ein ergänzendes Ausdauertraining für den Kraftsportler.

Krafttraining hat mittlerweile auch einen hohen Stellenwert in der Rehabilitation von Herzpatienten, was in Kap. 9.1 ausführlicher dargestellt wird.

2.4Die Wirkung auf das Gehirn

Sport und moderates Krafttraining wirken sich günstig auf die Gehirnleistungsfähigkeit aus [124]. Bei dynamischer Muskelaktivität steigt die Gehirndurchblutung deutlich an: bei einer Fahrradergometrie von 25 Watt um 20%, bei 100 Watt bereits um 30% [98]. Diese Wattleistungen werden auch beim normalen Fitnesskrafttraining von Männern und Frauen erreicht, wenn größere Muskelgruppen beim Beinpressen, Rudern oder Latissimusziehen im Einsatz sind, sofern die Lastintensitäten im mittleren Bereich angesiedelt sind. Bei isometrischer Belastung, also Muskelaktivität ohne Bewegung, fehlt allerdings eine gesteigerte Gehirndurchblutung [97]. Beim Bewegen extrem hoher Lasten mit Valsalva-Atemmanöver (Pressatmung) ist die Gehirndurchblutung sogar herabgesetzt.

Neben einer verbesserten Blutversorgung des Gehirns durch moderate Muskelaktivität spielen in der Beziehung zwischen Sport und Gehirnleistungsfähigkeit auch positive Effekte auf das Wachstum von Nervenzellen und deren Verschaltung untereinander eine Rolle [4, 29, 98]. Hierbei haben erhöhte koordinative Anforderungen offenbar eine stimulierende Wirkung. Durch Muskelaktivität und Bewegung wird auch der Nervenwachstumsfaktor BDNF ausgeschüttet, der den Aufbau neuer Nervenzellen im Gehirn fördert. Dies soll im Alter einer Demenz und einer Alzheimer-Erkrankung entgegenwirken [H 11].

Generell ist der positive Effekt von Training auf die Gehirnleistungsfähigkeit insbesondere im höheren Alter konkret nachweisbar [4, 40]. In einer Studie mit älteren Menschen stellte man fest, dass von verschiedenen Bewegungsaktivitäten die Kombination von Ausdauer- und Krafttraining die besten Ergebnisse auf die Verbesserung der Gehirnleistungen erzielte [40]. Die erhöhte Leistungsfähigkeit zeigt sich vor allem in so genannten »exekutiven Fähigkeiten«, d.h. beim Koordinieren und Planen von Handlungen, beim Multitasking und bei Gedächtnisleistungen [4, 29].

Für ein »Gehirntraining« durch kräftigende Übungen empfehlen sich insbesondere mittlere Intensitäten ohne Ausbelastung, z.B. ein Kraftausdauertraining im Sinne eines »sanften Krafttrainings« (Kap. 8.4.1), sowie das Einbeziehen mehrgelenkiger, koordinativ anspruchsvoller Kraftübungen, das regelmäßige Ändern von Trainingsplänen und das Erlernen neuer Übungen und Bewegungstechniken.

2.5Die Wirkung auf die Beweglichkeit

Dass Krafttraining unbeweglich mache, ist ein altes Vorurteil. Ein einseitiges, fehlerhaft durchgeführtes Krafttraining kann durchaus die Beweglichkeit herabsetzen. Ein starkes Muskelwachstum vermehrt die parallel geschalteten Titinfilamente und andere elastische Komponenten, die einer Muskeldehnung Widerstand entgegensetzen. Zudem begrenzt die so genannte Weichteilhemmung ab einem gewissen Grad der Muskeldicke bestimmte Gelenkbewegungen, z.B. die Bein- und Armbeugung oder den Griff zwischen die Schulterblätter. Wer nicht den vollen Bewegungsumfang einer Übung durchführt, sondern nur im angenäherten Winkelbereich trainiert (z.B. isometrisches Training, Endkontraktionen oder Spitzenkontraktionsprinzip) beeinflusst negativ die funktionelle und strukturelle Länge der Muskulatur, die sich an die Erfordernisse ihrer Hauptarbeitslänge anzupassen versucht [185]. Hingegen führt ein ausgewogenes Krafttraining über den vollen Bewegungsumfang eines Gelenks in keinem Fall zu einer alltagsrelevanten, physiologisch ungünstigen Unbeweglichkeit. Dies beweisen eindrucksvoll Leistungsturner, die trotz großer Muskelmasse eine imposante Beweglichkeit zeigen (und benötigen). Auch Gewichtheber müssen im Schultergürtel, Hüftgelenk, Lenden- und Brustwirbelbereich sowie im Sprunggelenk sehr beweglich sein, um die anspruchsvolle Bewegungstechnik ihres Sports bewältigen zu können. Bei unsportlichen Menschen führt ein Krafttraining sogar in der Regel zu einer Beweglichkeitssteigerung, da viele Übungen Gelenkwinkelstellungen erfordern, die im Alltag nicht (oder selten) vorkommen, was immer zu einem Beweglichkeitsgewinn führt. Zudem erleichtert eine kräftige Muskulatur die Überwindung elastischer Dehnungswiderstände der Gewebe, so dass eine größere Bewegungsamplitude erreicht wird. Ein Krafttraining kann also für jede Sportart, die nicht auf eine extreme Muskelmasse angewiesen ist, so durchgeführt werden, dass die Beweglichkeit nicht negativ beeinflusst wird.

Zudem sind Sportler, die eine hohe Beweglichkeit benötigen und Nichtsportler, die anlagebedingt eine übermäßige Beweglichkeit (Hypermobilität) besitzen, auf eine kräftige Muskulatur angewiesen, die endgradige Bewegungen stabil führen und sichern kann, wodurch Überlastungen (Mikrotraumata) an passiven Bewegungsstrukturen vermieden werden. Unter dem Aspekt der Beweglichkeit und der Bewegungssicherung sollte ein Krafttraining immer über den vollen Gelenkwinkel ausgeführt werden.

Führt ein Krafttraining langfristig zu eher positiven Effekten hinsichtlich der Beweglichkeit, so ist direkt nach einer intensiven Kraftbelastung die Muskulatur in der Regel weniger dehnfähig. Die energetische Erschöpfung, eine Tonuserhöhung sowie Mikrorisse im Sinne eines Muskelkaters setzen die Beweglichkeit vorübergehend herab [222].

2.6Die Wirkung auf Koordination und Körperbeherrschung

Koordination meint »das geordnete Zusammenwirken von Zentralnervensystem und Skelettmuskulatur bei der Ausführung von Bewegungen« [157, S.264].

Koordination und Körperbeherrschung nehmen durch ein Krafttraining zu, da die Koordination im Wesentlichen von einem gezielten und optimal abgestimmten Anspannen der Muskulatur abhängt. Krafttraining fördert sowohl die intermuskuläre Koordination, d.h. das fein abgestimmte Zusammenspiel der Muskeln untereinander, als auch die intramuskuläre Koordination, d.h. das Ausmaß der Aktivierung der Muskelfasern innerhalb eines Muskels, was die Voraussetzung für dessen maximale Kraftentwicklung ist. Die Wahrnehmung für Muskelanspannung und -entspannung verbessert sich durch Training und der Sportler lernt, einzelne Muskeln bzw. Muskelgruppen bewusst und isoliert anzuspannen. Eindrucksvoll lässt sich die isolierte Muskelbeherrschung bei einem gekonnten Posing im Bodybuilding nachvollziehen. Eine hohe koordinative Kunst im Zusammenspiel von inter- und intramuskulärer Koordination ist z.B. das Olympische Gewichtheben, das ein jahrelanges intensives Techniktraining erfordert, bevor die erstaunlichen Gewichte sicher zur Hochstrecke gebracht werden können.


Abb. 7: Compound-Moves sind Kombinationen von zwei oder mehr Einzelübungen, die erhöhte koordinative Anforderungen an den Trainierenden stellen. Hier werden Ausfallschrittkniebeuge und Schulterdrücken kombiniert.

Natürlich werden Körperbeherrschung und Koordination vor allem durch technisch anspruchsvolle Übungen entwickelt. Diesbezüglich ist das Training an Krafttrainingsmaschinen weniger vorteilhaft. Komplexe Freihantelübungen, turnerische Kraftübungen und sensomotorisches Krafttraining (Kap. 6.4.1) verbessern die koordinativen Grundfähigkeiten besonders wirkungsvoll. Kraftübungen mit hohem koordinativen Anspruch sind z.B. einarmiges Reißen, beidarmiges Reißen und Stoßen, einarmige Liegestütz, Überkopfübungen im Stand, explosives Umsetzen der Langhantel oder Kniebeugen auf instabilen Unterlagen. Auch sog. Compound-Moves, also zusammengesetzte Bewegungen, die mehrere Einzelübungen verbinden, erweitern das koordinative Potenzial des Trainierenden. Koordination ist im Leistungssport allerdings nie Selbstzweck, sondern zielt auf eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit durch die sportartspezifische Koordination ab.

2.7Krafttraining und äußere Erscheinung

Krafttraining bewirkt ein Dickenwachstum der Muskulatur, eine Reduzierung des Körperfettanteils und erhöht den Energieverbrauch des Körpers. Dadurch hat Krafttraining einen direkten Einfluss auf die Körperform und die Körperzusammensetzung, d.h. auf den Anteil von Fett zu fettfreier Körpermasse. Von den formgebenden Strukturen des Körpers sind vor allem Fettgewebe und Muskulatur die beeinflussbaren Größen. Durch Krafttraining kann Körperfett reduziert und Muskelmasse aufgebaut werden. Diese Effekte machen auch einen gewichtigen Teil der Motivation vieler Fitness-Trainierender aus, während die Männer überwiegend Muskelaufbau anstreben, die Frauen eher eine Gewichtsreduktion [22]. Der Körperformungsaspekt rangiert hinter dem Wunsch nach »allgemeiner Fitness« in Umfragen häufig auf dem zweiten Platz der Gründe für ein Fitness-Training [11, 22].

Die Schwerpunktsetzung hinsichtlich der trainierten Körperpartien ist bei Männern und Frauen ebenfalls unterschiedlich: Während Männer eher den Oberkörper trainieren, liegt der Schwerpunkt bei den Frauen häufig auf dem Training der unteren Extremität [22]. Die verbreitete »Angst« vieler trainierender Frauen, zuviel Muskeln aufzubauen ist in der Regel unbegründet, da Frauen aufgrund der hormonellen Situation nicht in dem Maße Muskelmasse aufbauen wie Männer und durch die Wahl der Trainingsmethodik das Ausmaß des Massezuwachses kontrolliert werden kann. Ein 8-wöchiges Krafttraining führte in einer Studie bei den Frauen eher zu einer Verschlankung der Umfänge von Oberarmen und Oberschenkeln, während die Männer in diesen Bereichen deutliche Zuwächse verzeichneten. Der Körperfettanteil sank bei beiden Geschlechtern [20].

Natürlich spielt neben dem Training die Ernährung eine tragende Rolle bezüglich Fettabbau, Muskelaufbau und der Regulierung des Wassergehalts des Körpers. So kann z.B. das ungeliebte Fettpolster am Bauch nicht durch Bauchmuskelübungen abgebaut werden, da der Körper sein Speicherfett nicht am Ort des muskulären Energieverbrauchs verstoffwechselt. Vielmehr sollte die Fettschicht, die über den Muskeln unter der Haut liegt, durch einen hohen Energieverbrauch, am besten in Verbindung mit einer langfristigen Umstellung der Ernährung, abgebaut werden. Bauchmuskelübungen sorgen dann dafür, dass sich das unter dem Fett zum Vorschein kommende Muskelgewebe in »guter Form präsentiert«.

Zu dem Aspekt der Körperformung tritt im äußeren Erscheinungsbild eines Krafttrainierenden häufig auch eine veränderte Körperhaltung. Eine schlaffe Körperhaltung lässt den Bauch stärker hervortreten, die Brust verschwinden und den Nackenbereich in eine »Geierhals-Stellung« fallen. Eine aufrechte Haltung fördert hingegen eine Annäherung an heutzutage vielfach als »attraktiv« eingeschätzte Körperproportionen. Eine aufrechte Haltung ist allerdings nur möglich, wenn die Rückenmuskeln kräftig ausgebildet sind. Da der Schwerpunkt des Oberkörpers vor der Wirbelsäule liegt, müssen sich die Rückenmuskeln ständig anspannen, um ein nach vorn Kippen des Oberkörpers, also eine Rundrückenhaltung zu verhindern. Die Aufrichtung der Brustwirbelsäule stellt in der Regel auch die Halswirbelsäule physiologisch ein, so dass dadurch die bei Haltungsschwächen typische »Geierhals-Stellung« mit gebeugter unterer und überstreckter oberer Halswirbelsäule verhindert wird. Die Stellung des Beckens als »Basis der Wirbelsäule«, ist ebenfalls für die Wirbelsäulenhaltung von entscheidender Bedeutung. Schwache Gesäß- und Bauchmuskeln oder muskuläre Verkürzungen der Oberschenkelmuskulatur verhindern eine günstige Einstellung der Beckenposition in verschiedenen Haltungssituationen. Die Beckenstellung ist wiederum abhängig von »stabilen« Verhältnissen vom Fuß aufwärts über das Knie und die Hüftgelenke. Haltungstraining fängt also beim Fuß an und hört erst beim Kopf auf. Die Folge von Fehlhaltungen, Muskelschwächen und muskulären Verkürzungen am Becken oder in der Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule sind häufig schmerzhafte Rücken- und Nackenverspannungen. Diesen kann man durch Krafttraining entgegenwirken.


Abb. 8: Der körperformende Effekt von Krafttraining wird von Frauen häufig für die untere Extremität, von Männern eher für den Oberkörper genutzt.

Neben den Aspekten von Gesundheit und körperlicher Attraktivität kann eine aufrechte Körperhaltung in der Außenwirkung auch Selbstbewusstsein, Gesundheit und positive Lebensenergie vermitteln.

Natürlich ist die Ausgewogenheit des Krafttrainings eine entscheidende Voraussetzung für eine günstige Wirkung auf die Körperhaltung. Es gibt Kraftsportler, die fast nur beim Bankdrücken (Brustmuskeltraining) zu sehen sind. Ein solches einseitiges Training fördert die Entstehung muskulärer Ungleichgewichte und kann Fehlhaltungen begünstigen.

2.8Krafttraining und Psyche

Sport und Bewegung, und somit auch Krafttraining, haben Einfluss auf das psychische Befinden des Menschen. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen z.B., dass Sport, Ausdauertraining und Krafttraining (letztere besonders in der Kombination) wirksam in der Therapie depressiver Erkrankungen sind [6; H 13]. Auch Angststörungen sind durch Krafttraining (und Ausdauertraining) positiv beeinflussbar. Allerdings scheint diesbezüglich vor allem ein moderates Krafttraining ohne Ausbelastung effektiv zu sein [124]. Doch auch beim Gesunden gelten Sport und Training als ein wichtiger Einflussfaktor für Wohlbefinden und eine positive Stimmung [97]. Es werden verschiedene Ursachen für den Zusammenhang von Sport und Psyche diskutiert: Die vermehrte Ausschüttung von Botenstoffen wie Serotonin, Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin könnte durch deren Wirkung im Gehirn die Psyche günstig beeinflussen [98], ebenso vom Körper produzierte Endorphine und Cannabinoide, die neben einer Schmerzhemmung die Stimmung heben sollen und die bei intensiver Belastung ebenfalls ansteigen [H 2]. Die Thermoregulationshypothese besagt, dass die Durchblutungs- und Stoffwechselsteigerung in Verbindung mit einem Anstieg der Körpertemperatur das Wohlbefinden erhöht [H 7]. Dies kennt der Kraftsportler in Form des angenehmen Gefühls »aufgepumpt« zu sein. Die Hypofrontalitätstheorie erklärt das gesteigerte Wohlgefühl hingegen über eine Veränderung der Hirnaktivität. Stress und Sorgen werden durch die gesteigerte Aktivität motorischer Hirnareale verdrängt [H 7]. Andere Ursachen könnten eine Steigerung des Selbstwertgefühls und Stärkung des Selbstkonzepts sein [124; H 7], die auf sportlichen Erfolgserlebnissen, einem gestiegenen Körpergefühl, einer verbesserten Haltung sowie einer erhöhten Körperkraft und Attraktivität basieren [75]. Andererseits können sportliche Misserfolge und sportinduzierter Stress (z.B. hoher Leistungsdruck) auch negative psychische Effekte haben. Häufig zeigen sich auch Essstörungen (z.B. Magersucht) bei exzessiver Sportausübung (H 7).

2.9Krafttraining in der Therapie körperlicher Erkrankungen

Krafttraining wird in einigen Fachbereichen der modernen Medizin als ein therapeutisches Mittel eingesetzt, um Schmerzen, Funktionseinschränkungen und andere negative Krankheitsfolgen zu lindern oder zu beseitigen. Im Falle von Bewegungsmangelerkrankungen, wie Diabetes Typ II, Adipositas (Fettleibigkeit), Herz- und Gefäßerkrankungen, Osteoporose, Rückenschmerzen und Muskel- und Gelenkbeschwerden kann Krafttraining an den wesentlichen Ursachen der Entstehung ansetzen und dadurch den Gesundungsprozess maßgeblich beeinflussen und sogar eine präventive Funktion erfüllen. Eine besonders hohe Bedeutung in der Linderung der Krankheitsfolgen und Beeinflussung der Symptome kommt dem Krafttraining im orthopädisch-traumatologischen Bereich zu, da die hier auftretenden Erkrankungen, meist direkt mit einer (zumindest zeitweiligen) Einschränkung von Bewegung und Belastung einhergehen und damit zu einem Funktionsverlust der Muskulatur führen. Krafttraining ist daher mittlerweile ein fester Bestandteil in der Therapie chronischer Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen sowie im Aufbautraining nach Verletzungen und Operationen. Dies gilt für jedes Alter und nahezu jeden Körperstatus. Der enorme Kraftverlust, der nach akuten Verletzungen oder Operationen durch die notwendige Ruhigstellung von Gelenken eintritt (z.T. über 50% nach 4 Wochen vollständiger Schonung), sollte durch ein gezieltes Krafttraining möglichst bald behoben werden, da hierdurch ein schnellerer Wiedereinstieg ins Alltagsleben inklusive beruflicher Tätigkeit ermöglicht und Folgeproblemen am Bewegungsapparat vorgebeugt wird.

Chronische Wirbelsäulenleiden können durch ein gezieltes Krafttraining bereits nach 8–12 Wochen bzw. 12–24 Trainingseinheiten deutlich gelindert bzw. bis zur Schmerzfreiheit therapiert werden [47, 114, 165]. Die Optimierung der Muskelfunktion (Koordination und Kraft) sowie die gezielte Stoffwechselsteigerung im Beschwerdebereich, die durch ein Krafttraining bewirkt werden, sind therapeutisch relevante, physiologische Komponenten einer erfolgreichen Therapie. Daneben stärkt ein Krafttraining auch das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, was das Krankheitserleben von Patienten mit chronischen Schmerzen positiv beeinflusst, Bewegungsängste abbaut und dadurch mehr Lebensqualität und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Bei einer Arthrose, d.h. einem Knorpelverschleiß, der insbesondere an Hüft- und Kniegelenken im fortgeschrittenen Lebensalter auftritt und häufig mit erheblichen Schmerzen und Funktionseinschränkungen einhergeht, kann Krafttraining durch eine gezielte Anregung des Gelenk- und Knorpelstoffwechsels und durch den Aufbau einer leistungsfähigen Muskulatur die Schmerzsymptome und Funktionseinschränkungen vermindern [57]. Eine leistungsstarke Muskulatur kann eine günstigere Verteilung von Beanspruchungen im Gelenk herstellen und Belastungsspitzen reduzieren. Sie wirkt in zahlreichen Bewegungssituationen des Alltags als »Stoßdämpfer«. Wie bei anderen chronisch-degenerativen Erkrankungen am Bewegungsapparat kann Krafttraining eine Arthrose nicht heilen, aber die negativen Folgen für den Patienten deutlich lindern.

Neben dem orthopädischen Bereich hat sich Krafttraining mittlerweile auch in anderen Fachbereichen der Medizin etabliert: Seine die Blutgefäße trainierende Wirkung wird neben dem Kraft- und Leistungsaufbau im Training mit Herzpatienten (kardiologische Rehabilitation) genutzt (Kap. 9.1). In der Diabetes-Therapie erhöht Krafttraining die Sensivität der Muskelzelle für Insulin und hilft Folgeerkrankungen präventiv entgegenzuwirken (Kap. 9.4). Jüngst hat auch die Krebstherapie das Krafttraining entdeckt. Studien mit Brustkrebspatientinnen zeigen, dass sich Krafttraining positiv auf die körperliche Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität auswirkt [51]. Aber auch bei der Behandlung anderer Krebsarten sind bewegungstherapeutische Maßnahmen und Muskeltraining auf dem Vormarsch [9, H 3, H 16].

So verbreitet Krafttraining als Therapieform oder Therapieergänzung mittlerweile auch ist – es gehört immer in die Hände medizinisch geschulter Trainer, damit die gewünschten Effekte erzielt und schädigende Einflüsse vermieden werden können. Medizinisches Krafttraining wird üblicherweise in Rehabilitationseinrichtungen, Arzt- und Physiotherapiepraxen und von speziell anerkannten Trainingsinstituten durchgeführt.

2.10Myokine

Ein noch relativ junges Forschungsfeld zur gesundheitlichen Wirkung von Bewegung, Sport und Krafttraining ist das so genannte Myokin-Konzept, das vor allem durch Publikationen der dänischen Professorin Bente Pedersen und ihres Teams bekannt geworden ist.

Myokine sind hormonähnliche Botenstoffe, die bei körperlicher Aktivität vom (trainierenden) Muskel produziert werden und die zahlreiche Stoffwechselvorgänge im Organismus beeinflussen. Es sind erst wenige dieser Myokine in ihrer Wirkung und Wechselwirkung erforscht worden, aber sie sollen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes-Typ II, Darm- und Brustkrebs sowie vor chronischen Entzündungen schützen und den Energie- und Baustoffwechsel des Körpers positiv beeinflussen.

Einige Beispiele: Interleukin-6 fördert die Fettverbrennung und reguliert den Zuckerstoffwechsel. Interleukin-15 soll speziell den Abbau von Bauchfett fördern, Muskelaufbau stimulieren und das Immunsystem stärken. Interleukin-8 fördert die Gefäßneubildung und wirkt einer Arteriosklerose entgegen [H 11]. Irisin steigert den Energieverbrauch, verbessert die Glukosetoleranz und soll inaktives Fett in aktives umwandeln [H 5]. Das Myokin SPARC soll vor Darmkrebs schützen [H 1].

Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung sind die Blutspiegel der Myokine nur während (und kurz nach) der körperlichen Aktivität erhöht, nicht langfristig, so dass längere Belastungszeiten und häufige, möglichst tägliche Bewegungseinheiten eine besonders hohe Myokinversorgung garantieren. Es ist bislang nicht bekannt, ob eine dauerhafte, hochdosierte Myokinausschüttung eventuell auch negative Auswirkungen haben könnte. Jedoch scheint das Myokin-Konzept geeignet, für einige positive Sportwirkungen, die zwar bekannt sind, jedoch bislang nicht wissenschaftlich erklärt werden konnten, die fehlenden Antworten zu liefern.

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