Читать книгу Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl - Jan Quenstedt - Страница 21
1.2.1.2 Inhalt
ОглавлениеFür die hier beabsichtigte Bestandsaufnahme ist zunächst die erste der drei Zugangsarten von Bedeutung: Der biblische Zugang zur „Diakonie“. Sechs verschiedene Beiträge gehören zu diesem Zugang und sollen kurz vorgestellt werden.
Unter dem Titel „Diakonie – biblisch-theologische Grundlagen und Orientierungen. Problemhorizonte“1 öffnet der Heidelberger Diakoniewissenschaftler Theodor Strohm das Problemfeld, auf dem sich diakonische Theoriebildung s. E. zu verorten hat. Er verweist in seinen Ausführungen exemplarisch auf einige konkrete Bibelstellen, die eine Relevanz für die DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft besäßen: Gal 3,23–5,1Gal 3,23–5,1; Mk 10,42f.Mk 10,42f.; 2Kor 5,19ff.2Kor 5,19ff.; Ex 20,2Ex 20,2; Lev 19,33f.Lev 19,33f.; Ps 82Ps 82,1ff.; Lk 10,25ff.Lk 10,25ff.; Mt 5–7Mt 5–7; Mt 25,31–46Mt 25,31–46; Mt 20Mt 20; Dtn 23,20ff.Dtn 23,20ff.; Dtn 15,1ff.Dtn 15,1ff.; Lev 25,8Lev 25,1ff.; Mk 2,1–12Mk 2,1–12; Röm 13,1–12Röm 13,1–122; Phil 1,1Phil 1,1; 1Tim 3,8.121Tim 3,8–13; Röm 16,1ff.Röm 16,1ff. Innerhalb dieser Aufzählung werden Mt 25Mt 25 und Lk 10,25Lk 10,25 im Kontext der Ausführungen zur „Magna Charta der Diakonie“3 zugehörig gezählt, obgleich Lk 10,25 keinen Beleg für ein Wort des διακον-Stammes bietet. Entsprechend dem Ansinnen, ein gesamtbiblisches Verständnis von „Diakonie“ zu gewinnen, werden auch alttestamentliche Texte von Strohm untersucht. Zugleich werden folgende neutestamentliche Stellen, die nicht das gesuchte Wortfeld verwenden, angesprochen:
Perikope | Kontext |
Gal 3,23–5,1Gal 3,23–5,1 | Richtungskriterium für diakonisches Handeln: „Berufung zur Freiheit und Mündigkeit durch Emanzipation vom heterogenen Umgang mit dem ‚GesetzGesetz‘ und den Zwängen der Umwelt.“4 |
2Kor 5,19ff.2Kor 5,19ff. | „Diakonie“ als Dienst der VersöhnungVersöhnung5 |
Lk 10,25ff.Lk 10,25ff. | Das Gleichnis vom barmherzigen SamaritanerSamaritaner als Beispiel, dass durch das NächstenliebegebotNächstenliebe Hilfebedürftige und Helfer eine Beziehungsebene teilen.6 |
Mt 5–7Mt 5–7 | BergpredigtBergpredigt als Aufruf zu GerechtigkeitGerechtigkeit und BarmherzigkeitBarmherzigkeit7 |
Mk 2,1–12Mk 2,1–12 | Begründung der Zielvorstellung von „Diakonie“: Das Leben von Gesunden und Kranken in versöhnter Gemeinschaft vor Gott – nicht aber Heilung.8 |
Tab. 8:
Neutestamentliche Perikopen (ohne Beleg des διακον-Stammes) zur Begründung von „Diakonie“ nach Strohm
Unter dem Titel: „Grundfragen der Diakonie in der Perspektive gesamtbiblischer Theologie“ bietet Klaus Müller einen Überblick über gängige hermeneutische Begründungsmodelle diakonischen Handelns.9 Ohne seine Beobachtungen im Detail darzustellen, sei festgehalten, dass s. E. die „Diakonie“ nur in gesamtbiblischer Perspektive, in der Zusammenschau von Altem und Neuem Testament, ihren Inhalt und ihre Begründung finden könne.10 „Gottes Sein in Mit-Leidenschaft – [ist] Grund und Maß aller biblisch orientierten Diakonie.“11
Die Verbindung zwischen „Diakonie“ und Biblischer Theologie stellt Rudolf Weth her und verortet die diakoniewissenschaftliche Theoriebildung im Kanon wissenschaftlicher Theologie.12 Bereits der Titel gibt die Problemstellung vor: „Der eine Gott der Diakonie. Diakonik als Problem und Aufgabe Biblischer Theologie.“13 Weth arbeitet heraus, das es im Alten Testament Denkmodelle und Paradigmen gäbe, die unabdingbar für eine biblisch fundierte Begründung von „Diakonie“ seien.14 Somit sei „Diakonie“ „ein besonderer Anwendungsfall, ein spezifisches Problem- und Aufgabenfeld Biblischer Theologie, wenn denn wirklich Biblische Theologie nicht auf die exegetischen Disziplinen beschränkt werden darf.“15 Biblische Theologie werde so zum kritischen Korrektiv gegenüber einer einseitigen Orientierung und Fokussierung des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff, z.B. auf sozial-fürsorgliches HandelnHandeln, sozial-fürsorglich, im Anschluss an einige neutestamentliche Perikopen.16 Weth illustriert seine Aussagen anhand von drei Beispielen: Im Geist Johann Hinrich WichernsWichern, Johann Hinrich etabliert er den Gedanken der „Diakonie“ in der Offenbarungsgeschichte, der mit dem Begriff der „familia Dei“ Altes und Neues Testament in Bezug auf die „Diakonie“ miteinander zu verbinden weiß.17 Dem entspräche der im Anschluss an Ulrich Bach formulierte Gedanke des einen Gottes der „Diakonie“, der sich gegen einen Ditheismus wende, der Baal als Gott der Stärke und der Gesunden im Gegenüber zu Jahwe als Gott der Unsicherheit und der Marginalisierten zeichne. Demgegenüber handele es sich bei der „Diakonie“ – so Bach im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer – um den Dienst des leidenden Gottes.18 Deswegen sei die „Diakonie“ innerhalb der Gotteslehre zu verhandeln. Als letztes Beispiel für Biblische Theologie innerhalb der Diakonik verweist Weth anhand des Problemfeldes von Asyl und Fremdlingsschaft auf den alttestamentlichen Zusammenhang von „Diakonie“ und RechtRecht, der geeignet sei, „die heutige Diakonie, […] aus der Grauzone karitativer Beliebigkeit herauszuholen und in die solidargemeinschaftliche Verbindlichkeit eines diakonischen Rechts zu überführen.“19
Frank Crüsemann stellt im Anschluss an die vorangegangenen Ausführungen von Rudolf Weth dar, inwiefern „[d]as Alte Testament als Grundlage der Diakonie“20 gelten könne. Leitkategorie für die Suche nach dem Beitrag des Alten Testaments zur christlichen „Diakonie“ ist für Crüsemann die Frage, „wie menschliches Leid in seinen verschiedenen Ausprägungen und auf dem Hintergrund der jeweiligen gesellschaftlichen Situation gesehen, theologisch verstanden und wie in theologisch reflektierter Praxis damit umgegangen wird.“21 Exemplarisch bezieht er sich auf zwei Kategorien, die ihrem Sinn entsprechend zur „Diakonie“ gehören würden und deren Verdrängung s. E. zu Problemen führt, die durch eine Orientierung am neutestamentlichen Befund nicht gelöst werden könnten. Es handele sich dabei um die Kategorien der Klage und des Rechts.22 Darüber hinaus sei theologisch zu reflektieren, wie das Verhalten Gottes in Beziehung zum Verhalten des Menschen gegenüber Bedürftigen und Notleidenden zu setzen ist. Es stelle sich heraus, dass die Möglichkeit zur Klage und die Wende von der Klage zu Dank und Lob als ZuwendungZuwendung Gottes und insofern als „Diakonie“ zu verstehen seien.23 Damit werde die besonders in den Psalmen bezeugte Klage und Rettung zum Zeugnis für Gottes Handeln.24 In Bezug auf das RechtRecht stellt Crüsemann dar, dass auch soziale Wirtschaftsregeln ihren Platz innerhalb des alttestamentlichen Rechts hätten und sie ein Ausdruck des Willen Gottes seien. Auch die Versorgung von Bedürftigen sei auf die ZuwendungZuwendung Gottes, mithin auf seine „Diakonie“, zurückzuführen.25 In einem letzten Punkt stellt Crüsemann Überlegungen zum Verhältnis von Gottes Tat und menschlichem Handeln an, wobei festzuhalten sei, dass „Israel und Gott […] je für sich und in ihrer Beziehung durch den Exodus geprägt [sind].“26 Ermöglichungsgrund dieses Geschehens sei die LiebeLiebe Gottes (Dtn 24,17Dtn 24,17). Wenn Israel durch diese Tat Gottes geprägt sei, sei ihm materielle Hilfe für Flüchtlinge möglich und geboten, weil sie ihm selbst von Gott zuteil wurde.27 „Diakonie“ hätte ihren Grund folglich in der vorrangigen LiebeLiebe Gottes. Ferner seien Nächsten-Nächstenliebe und FremdenliebeFremdenliebe auch aus dem Heiligkeitsgesetz heraus zu begründen (vgl. Lev 22,31ff.Lev 22,31ff.; Lev 20,7f.Lev 20,7f.; Lev 24ff.Lev 24ff.).28
Gerd Theißen entfaltet in seinem Beitrag „Die Bibel diakonisch lesen: Die Legitimitätskrise des Helfens und der barmherzige SamariterSamaritaner“29 Begründungsmodelle für diakonisches Handeln anhand der Geschichte vom barmherzigen SamaritanerSamaritaner (Lk 10,25ff.Lk 10,25ff.). Dabei unternimmt er den Versuch, die Perikope innerhalb ihrer innerbiblischen Bezüge sowie ihrer literarhistorischen Kontexte zu verorten. Dafür setzt er die Aussagen und Implikationen der Perikope in Beziehung zu soziologischen und psychologischen Begründungsmodellen für das Hilfehandeln. Darüber hinaus bezeichnet Theißen das LösegeldlogionLösegeld in Mk 10,42–45Mk 10,42–45 als „diakonische Grundregel“30. Im Sinne von 1Joh 4,161Joh 4,16 könne die ZuwendungZuwendung zum Nächsten als „Ausdruck einer größeren LiebeLiebe erlebt werden.“31 Theißen zeigt in seinem Beitrag auch die Widersprüche und Probleme auf, die sich mit allen Hilfsabsichten verbinden lassen und die bei einer biblischen Begründung diakonischen Handelns nicht vernachlässigt werden dürften.32
Abgeschlossen werden die biblischen Zugänge zur „Diakonie“ durch Überlegungen von Hans-Jürgen Benedict33 zu John N. Collins, die sich kritisch mit dessen Monographie zum DiakoniebegriffDiakoniebegriff auseinandersetzen.34 Collins, so die Darstellung Benedicts, befasse sich intensiv mit der vorherrschenden Gleichsetzung von „diakonein“ mit „Dienst“ und der Deutung, „dass Dienen, das vor allem TischdienstTischdienst meint, im griechisch-hellenistischen Denken negativ gesehen wird, während durch das Dienen Jesu und seiner JüngerJünger dieses diakonein eine neue positive Bewertung erfahren habe.“35 Dem gegenüber warne Collins, so Benedict, vor einer voreiligen Parallelisierung „von LebenshingabeLebenshingabe Jesu mit der Bedeutung von diakonein als demütigem und hingebungsvollen Dienen.“36 TischdienstTischdienst, und damit eine niedrige Tätigkeit, sei ein möglicher Aspekt des BedeutungsspektrumsBedeutungsspektrum von diakonein, nicht aber der Einzige.37 Neben dem Kontext des Aufwartens trete der Begriff auch in dem der Überbrindung von Botschaften und dem der Übermittlungstätigkeit auf. „Die zugrundeliegende Bedeutung in allen drei Bereichen ist die des Dazwischengehens, der VermittlungVermittlung. Im Bereich der Botschaft meint das Nomen den VermittlerVermittler, Sprecher oder Kurier, im Bereich der Tätigkeit den Agenten und das Medium, im Bereich des Aufwartens den Diener und Aufwärter.“38 Dem Begriff komme, nach Collins in der Darstellung von Benedict, entsprechend ein weitaus größeres BedeutungsspektrumBedeutungsspektrum zu, als ihm die Fokussierung auf soziale Tätigkeiten erlaube.39 „Collins Untersuchung stellt die herrschende diakonische Selbstlegitimierung produktiv in Frage, hebt die Gleichsetzung von christlicher Existenz und demütigem bzw. helfendem Dienst auf und läßt uns neu danach fragen, was denn das Besondere der christlichen BeauftragungBeauftragung, Botschaft und VermittlungVermittlung (alles gleich diakonia) ist, wenn es nicht die CaritasCaritas bzw. die Diakonie als Hilfehandeln ist.“40