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Einleitung

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„Was ist Diakonie?“

Interessierte Internetnutzerinnen und -nutzer1, die die voranstehende Frage in die Internetsuchmaschine Google eingeben, erhalten etwa 11.700 Suchergebnisse.2 Allein die schiere Größe der Zahl lässt den Schluss zu, dass „Diakonie“ ein weitgefächertes Phänomen darstellt, das offen ist für eine Vielzahl an Erklärungs- und Deutungsmöglichkeiten. Außerdem provoziert diese horrende Anzahl an Suchergebnissen aber auch die Frage, warum die vorliegende Studie noch einen weiteren Antwortversuch vorlegt, wenn doch schon alles gesagt zu sein scheint in Bezug auf das Verständnis von „Diakonie“.

Aus der Sicht eines diakoniewissenschaftlich interessierten Exegeten liegt die Notwendigkeit eines 11.701. Versuchs auf der Hand: Die exegetische Wissenschaft hat in den vergangenen Jahren aufgezeigt, dass ein lange gültiger Konsens in Bezug auf das Verständnis des neutestamentlichen Lexems διακονέω κτλ. keine Tragfähigkeit mehr besitzt, sondern eine Reformulierung des Verständnisses notwendig erscheint. Zugleich ist das, was die exegetische Wissenschaft unter dem Lexem versteht, nicht zwangsläufig das, was die Diakonie als Trägerin sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich praktisch umsetzt. Es besteht also eine Differenz zwischen dem neutestamentlichen Verständnis von „Diakonie“ und seiner praktischen Gestalt: Beides kann zweifellos von Zeit zu Zeit und an diversen Orten in eins fallen, aber ein Konvergenzautomatismus ist nicht gegeben. Diakonie ist also nicht gleich „Diakonie“. Das zeigt auch der Sprachgebrauch in dieser Studie: Steht der Begriff in Anführungszeichen, so bezeichnet er Motive, Verhaltensweisen und HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge, die mit dem Begriff verbunden werden. Ohne Anführungsstriche gebraucht, ist jeweils die namensgleiche Institution gemeint, die sich mit ihren Werken, Verbänden und Einrichtungen auf dem Markt der WohlfahrtspflegeWohlfahrt engagiert. Weiterhin bezieht sich das Attribut „diakonisch“, in dieser Studie ohne Anführungszeichen gebraucht, inhaltlich auf „Diakonie“ und die damit verbundenen Motive. Die vorliegende Studie sucht Verbindungen zwischen dieser „Diakonie“ und der Diakonie und damit zwischen exegetischer Wissenschaft und diakonischer Praxis vor dem Hintergrund der verbindenden Basis des Neuen Testaments. Dass mit dieser Suche die bereits angerissenen Differenzen zwischen Theorie und Praxis nicht grundlegend ausgeräumt werden können, legt sich aufgrund des begrenzten Umfangs der Untersuchung und der Exemplarizität ihrer Ausführungen nahe. Wie später noch ausgeführt werden wird, besteht der Mehrwert dieser Studie darüber hinaus aber in der Anregung eines Gesprächs zwischen den theologischen Disziplinen, in dem „Diakonie“ als ein Konzept verstanden werden sollte. Damit versuchen diese Ausführungen die exegetische Wissenschaft, die Diakonie und die DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft an einen Tisch zu bringen und eine Verbindung zwischen den einzelnen Disziplinen bzw. Institutionen herzustellen. Mit dieser angestrebten Verbindung wird ein Bogen geschlagen, der über diese Studie hinausweist, weil er darauf angelegt ist, an anderen Stellen aufgegriffen und vertieft zu werden.

Um den avisierten Bogen nachvollziehen zu können, beschreitet diese Arbeit im Spannungsfeld von Neuem Testament und „Diakonie“ einen neuen Weg, indem sie das Gespräch mit den Zeugnissen antiker Vereinigungen sucht. Diese bieten sich aufgrund ihrer Strukturen, ihrer OrganisationsformOrganisationsform und ihres Gemeinschaftslebens zum Vergleich an, wie auch in den Kapiteln II.1.1, II.1.5 und II.1.6 deutlich herausgearbeitet werden wird. In dieser Perspektive eines phänomenologischen Vergleichs zwischen antiken Vereinigungen und frühen christlichen Gemeinden, der auf der Untersuchung von epigraphischen Zeugnissen und neutestamentlichen Schriften beruht und durch eine heuristische Bestimmung des Konzepts diakonischen Handelns geleitet wird, wird deutlich werden, was „Diakonie“ ist und sein kann und welche Relevanz ihr für die Gegenwart zukommt. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass sich im Begriff der „Diakonie“ die Dimension praktischer HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge mit der Dimension einer ihnen vorausgehenden Gesinnung und Lebensgewohnheit, d.h. eines EthosEthos, verbindet. Implizit wird also auch die Frage nach diesem Ethos und der daraus resultierenden GruppendynamikGruppendynamik von Vereinigungen und frühen christlichen Gemeinden mit bedacht werden.

Zur Begehung des skizzierten Weges gliedert sich die vorliegende Arbeit in vier Abschnitte als Wegmarken des Erkenntnisgewinns. Abschnitt I bietet Annäherungsversuche an den Begriff und das Phänomen der „Diakonie“. Der Struktur des Abschnitts liegt die didaktisch motivierte Überlegung zugrunde, drei verschiedene Zugänge zu bieten, die je nach Vorkenntnis und Interesse der Leserinnen und Leser einzeln oder in Gänze wahrgenommen werden können. Je nach Neigung kann hier eine Annäherung an die Thematik über eine Statistik biblischer Befunde sowie deren Kontexte (Kapitel I.1), empirische Wahrnehmungen (Kapitel I.2) oder exegetische Diskurse (Kapitel I.3) erfolgen. Alle drei Zugänge werden in Kapitel I.4 zusammengefasst und miteinander ins Gespräch gebracht. Allein für sich und ohne die weiteren Abschnitte betrachtet, bietet Abschnitt I aber auch die Möglichkeit, sich der Thematik ohne weitreichendes Vorwissen anzunähern und damit die Grundlagen für eigene Überlegungen zu schaffen. Darüber hinaus versteht sich Kapitel I.3 auch als eine forschungsgeschichtliche Skizze über die exegetische Auseinandersetzung mit dem Lexem διακονέω κτλ. Dass diese Studie neben diesem forschungsgeschichtlichen Überblick noch einen weiteren Überblick zur theologisch motivierten Forschung zu antiken Vereinigungen in Kapitel II.1.5.1 bietet, liegt in dem Umstand begründet, dass die Betrachtung der Thematik „Diakonie“ im Kontext antiker Vereinigungen bisher ein Desiderat darstellt und deswegen beide Forschungsbereiche gleichermaßen beachtet und dargestellt werden müssen.

Abschnitt II wendet sich der Untersuchung antiker Vereinigungen zu. Der Studie vorangestellt sind Hinweise zur Auswahl der epigraphischen Quellen sowie zum bereits genannten Konzept diakonischen Handelns (Kapitel II.1.3). Dieses Konzept bildet die Grundlage der Untersuchung der HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge antiker Vereinigungen und greift dabei auf die in Abschnitt I gewonnenen Erkenntnisse zurück. Da die vorliegende Untersuchung einen exemplarischen Ansatz verfolgt, sind zudem Vorbemerkungen erforderlich, die den historischen, sozialen und kulturellen Kontext erhellen, in dem die Vereinigungen ihren Ursprung haben (Kapitel II.1.4). Deren rechtliche und strukturelle Grundlagen werden anschließend in Kapitel II.1.5 dargestellt und mit einem Überblick über die Quellenlage und die Forschungsgeschichte zu antiken Vereinigungen verbunden. Obgleich diese Vorbemerkungen ein retardierendes Moment darstellen mögen, sind sie im Rahmen dieser Studie dennoch aus drei Gründen notwendig:

1 Um auf Grundlage der exemplarischen Auswahl an Inschriften zu tragfähigen Erkenntnissen zu gelangen, die sich im Kontext weiterer Forschung zu den Vereinigungen plausibilisieren lassen, ist die besprochene Auswahl zunächst in ihren zeitgeschichtlichen Horizont einzuzeichnen.

2 Zugleich entsprechen die Vorbemerkungen den bereits in Zusammenhang mit Abschnitt I erwähnten didaktischen Überlegungen, die eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema und den Ursprüngen des Konzepts diakonischen Handelns ermöglichen wollen, ohne dass weitere Literatur für eine erste Orientierung notwendig ist.

3 Letztlich dienen die Vorbemerkungen auch der Schaffung eines vergleichbaren Verstehenshorizonts zwischen dem Verfasser und den Leserinnen und Lesern dieser Studie, der das Nachvollziehen der Untersuchung und ihrer Ergebnisse erleichtert.

Kapitel II.2 bietet die Besprechung der VereinigungsinschriftenVereinigungsinschrift und befragt sie hinsichtlich des Konzepts diakonischen Handelns, wie es in Kapitel II.1.3 formuliert wurde. Der Ertrag dieses Abschnitts wird in Kapitel II.2.12 gebündelt. Dieser Ertrag stellt vonseiten der Inschriften die Grundlage für die komparative Betrachtung mit den neutestamentlichen Schriften in Abschnitt III dar. Die griechischen Inschriften werden jeweils mit einer deutschen Arbeitsübersetzung des Verfassers versehen. Für die untersuchte lateinische Inschrift wird eine fremde Übersetzung dargeboten, die von der Übersetzerin an der Originalinschrift überprüft wurde und sich deswegen besonders für die Weiterarbeit auszeichnet. Da für einige Inschriften bisher keine deutschen Übersetzungen vorliegen, schließt diese Studie auch eine Lücke in diesem Bereich.

Wie die Überlegungen zur Quellenlage in Kapitel II.1.5.5 zeigen werden, ist für eine Auseinandersetzung mit den Inschriften eine exemplarische Auswahl zu treffen. Obgleich eine Exemplarizität immer mit der Gefahr verbunden ist, singuläre Phänomene zu allgemeingültigen Merkmalen zu erheben, ist diese Beschränkung im vorliegenden Rahmen aufgrund der Fülle des Materials zwangsläufig notwendig. Gegen die Gefahr der Verallgemeinerung singulärer Phänomene wird einerseits auf die bereits aufgezeigte Bedeutung der Vorbetrachtungen verwiesen. Andererseits ist vorwegzunehmen, dass alle in dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse zunächst allein im Licht der angegebenen und besprochenen Inschriften Plausibilität besitzen und dementsprechend eine Applikation der Ergebnisse auf weitere Vereinigungen sowie die Zuordnung weiterer Inschriften jeweils einer kritischen Überprüfung bedürfen. In dieser Hinsicht wird deutlich, dass der Ertrag von Abschnitt III erst vor dem Hintergrund von Kapitel II.2 plausibel wird und beide Kapitel bzw. Abschnitte gemeinsam wahrzunehmen sind.

Der Zusammenhang von Abschnitt III und Kapitel II.2 wird noch einmal deutlicher, wenn wahrgenommen wird, dass besagter Abschnitt den in Kapitel II.2.12 gebündelten Ertrag in Beziehung zu frühen christlichen Gemeinden und den ihnen zugehörigen neutestamentlichen Schriften setzt. Die Struktur von Abschnitt III und die Auswahl der jeweiligen neutestamentlichen Perikopen ergeben sich dementsprechend aus der in Kapitel II.2 durchgeführten Besprechung der Inschriften. Weil die darin getroffene Auswahl der Inschriften einen exemplarischen Charakter besitzt, sind auch die darauf aufbauenden Ausführungen zum Neuen Testament als exemplarisch zu kennzeichnen. Auf den damit korrelierenden Gedanken der Plausibilität der Ergebnisse wurde bereits hingewiesen. Die Exemplarizität der Ausführungen geht einher mit dem Ansinnen eines phänomenologischen Vergleichs, bei dem es nicht darum gehen kann, unreflektiert HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge früher christlicher Gemeinden additiv nebeneinander zu stellen, um so dem Gedanken einer eventuellen Überbietung der Vereinigungen durch frühe christliche Gemeinden Vorschub zu leisten. Stattdessen kann ein Vergleich von frühen christlichen Gemeinden und nichtchristlichen Vereinigungen nur gelingen und anschlussfähig für das Gespräch zwischen den (theologischen) Disziplinen sein, wenn die Untersuchung geleitet wird von einem Kriterienkatalog, der für beide Corpora verbindlich ist. Appliziert auf diese Studie bedeutet diese Voraussetzung, dass nur die Motive Betrachtung finden können, die sich sowohl bei den Vereinigungen als auch bei den frühen christlichen Gemeinden im Licht des Konzepts diakonischen Handelns (vgl. Kapitel II.1.3) beobachten lassen. Das vorgestellte Konzept sorgt somit für eine Vergleichbarkeit von Vereinigungen und frühen christlichen Gemeinden. Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich aus der Untersuchung der Vereinigungen Fragen nach der GruppendynamikGruppendynamik (Kapitel III.2), nach dem Umgang mit GabenGaben, GüternGüter und MahlzeitenMahlzeiten (Kapitel III.3) und nach dem Umgang mit BestattungenBestattung (Kapitel III.4) sowie Fragen nach der Bedeutung von PhilanthropiePhilanthropie (Kapitel III.5) und PhilotimiaPhilotimia (Kapitel III.6) im Rahmen der frühen christlichen Gemeinden. Dass die hinter diesen Motiven stehenden Handlungsvollzüge in beiden Gruppen eine differierende Gestalt besitzen können, bleibt unbenommen. Aber es besteht die Möglichkeit, dass die Darstellung praktischer Handlungsvollzüge in Abschnitt III über den in Kapitel II.2.12 gezeichneten Ertrag hinausgeht, solange sie auf das Konzept diakonischen Handelns bezogen und mit den anhand der Inschriften herausgearbeiteten Motiven in einem inneren Zusammenhang stehen. Dass unter dieser Voraussetzung kein komplettes Bild der Handlungsvollzüge der frühen christlichen Gemeinden gezeichnet werden kann, versteht sich von selbst. Aber dasjenige Bild, das im Rahmen dieser Studie vor dem Hintergrund ausgewählter antiker Vereinigungen skizziert wird, besitzt für das Konzept diakonischen Handelns eine historische Kontextplausibilität, die es ermöglicht, den in Abschnitt IV formulierten Ertrag dieser Studie innerhalb anderer Kontexte zu vertiefen und in die praktisch-theologische bzw. diakonische und diakoniewissenschaftliche Theoriebildung (Abschnitt V) einfließen zu lassen, sofern die Voraussetzungen und Entscheidungen im Blick behalten werden, welche den Ertrag dieser Studie bedingen.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Struktur der folgenden Studie besitzt der 11.701. Antwortversuch auf die Frage „Was ist Diakonie?“ ein innovatives Potenzial, weil er seine Ausführungen nicht aus der Tradition der „Diakonie“ ableitet, sondern fernerhin danach fragt, wie es im Rahmen früher christlicher Gemeinden zur Herausbildung von HandlungsvollzügenHandlungsvollzüge kam, die einem Konzept diakonischen Handelns zugeordnet werden können. Dabei beansprucht der Antwortversuch nicht, HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge, die traditionellerweise mit „Diakonie“ verbunden werden, unter Rückgriff auf die neutestamentlichen Schriften ex eventu zu begründen. Stattdessen stellt er vor dem Hintergrund des historischen Entstehungskontexts der neutestamentlichen Schriften Handlungsvollzüge dar, die zeitgenössischen Konzepten diakonischen Handelns zugeordnet werden können. Die vorliegende Studie besitzt damit auch eine kritische Dimension, die mit der gegenwärtigen Gestalt von „Diakonie“ und Diakonie ins Gespräch zu bringen ist. Insbesondere in Bezug auf die zugehörigen Handlungsvollzüge und in Bezug auf die MotivationMotivation von „Diakonie“ setzt die vorliegende Studie neue Akzente, indem sie, methodisch begründet und durch die Lektüre der Inschriften motiviert, in ihrer Darstellung über diejenigen Themen und Zusammenhänge hinausgeht, die gemeinhin mit „Diakonie“ verbunden werden. Diese Perspektive wird in den Abschnitten IV und V thematisiert, die die gewonnenen Erkenntnisse zur Weiterarbeit bündeln sowie auf deren Grundlage einen Ausblick und Aufgaben formulieren. In dieser Perspektive wird der in Abschnitt IV formulierte Ertrag vielleicht nicht die Vorarbeiten für einen 11.702. Antwortversuch leisten. Jedoch kann er eine weitergehende Auseinandersetzung anregen, die das diakonische Handeln als eine bleibende Herausforderung theologischer und kirchlicher Praxis versteht.

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl

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