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NEUN

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Unerwartet sah Conny in zwei stechend smaragdgrüne Augen und zuckte zusammen. Ein Schwindelgefühl breitete sich in ihr aus, und ihre Beine drohten zu versagen. Prompt klammerte sie sich an dem Türgriff des Autos fest und ein halbwegs schiefes Lächeln erhellte ihr Gesicht.

„Das ist ja eine Überraschung. Danke fürs Anhalten“, brachte sie kaum hörbar über ihre Lippen.

„Hallo Conny. Es freut mich dich wiederzusehen“, erwiderte Lutz Tischer und schaute sie belustigt an.

Oh je. So hatte sie sich ihre erneute Begegnung mit ihm nicht vorgestellt. Hatte sie überhaupt eine Vorstellung davon? Jedenfalls bot sie nach der ganzen Aufregung und der Hetzerei auf keinen Fall einen erfreulichen Anblick. Bei der Erkenntnis entfernte sie sich blitzschnell aus seinem Blickwinkel. Lutz beugte sich daraufhin weiter vor, um sie besser zu sehen.

„Alles in Ordnung mit dir? Du schaust so blass aus. Kann ich dir in irgendwie helfen?“

Ob er wohl die Begabung hatte Gedanken zu lesen, ihr eigenes Erschrecken über sein plötzliches Auftauchen und ihre aufkommende Unsicherheit erkannte? Sie winkte ab, und versuchte die Geste möglichst locker aussehen zu lassen.

„Ja, nee alles bestens. Danke. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass ein Auto auf der Straße fährt, also vorbeikommt und anhält.“

Was redete sie nur für einen Blödsinn? Warum war es ihr nicht ein einziges Mal in seiner Nähe möglich, schlagfertiger zu sein? Durch die Aktion steckte er sie garantiert in die Schublade: minimalistischer IQ. Na herzlichen Glückwunsch! Ihr eigenes Auftreten regte sie gehörig auf. Wenn sie sich später an das heutige Treffen erinnerte, fielen ihr mit Sicherheit die grandiosesten Sprüche ein, die sie ihm entgegengebracht hätte. Aber nicht jetzt. In dem entscheidenden Moment überkamen sie absolute Wortfindungsstörungen. Das unvorhergesehene Wiedersehen mit ihm, hatte sie aus dem Konzept gebracht. Es war wie an jenem Abend im Jugendklub. Irgendetwas umgab diesen Mann, dass es ihr regelmäßig die Sprache verschlug. Noch war ihr etwas schummerig und sie klammerte sich weiterhin an dem Lada fest, wie wenn sie bei der unmittelbarsten Bewegung einen Abhang hinunter stürzen würde.

Voller Erwartung zog Lutz eine Augenbraue nach oben. Dabei umspielte ein verschmitztes Lächeln seine Mundwinkel.

„Aber du unternimmst doch nicht ohne Grund einen Spaziergang hier auf der Landstraße, sondern beabsichtigst mit Sicherheit in die Stadt zu gelangen. Hab ich recht? Und wenn das heute noch dein Wunsch ist, wäre es von Vorteil, du steigst jetzt ohne viel Aufriss zu machen ein.“

Es gab nichts mehr weiter zu sagen und auch nicht zu erwägen. Sie benötigte zwingend die Passfotos. Schließlich war sie nicht zum Vergnügen in dieser Einöde unterwegs und riskierte das Abenteuer per Autostopp zu fahren. Kaum hatte sich Conny auf den Beifahrersitz fallenlassen, legte Lutz den Gang ein und brauste los.

Genüsslich zündete er sich eine Zigarette an, nachdem er zuerst ihr eine angeboten hatte, welche sie dankend ablehnte. Eine Weile fuhren sie schweigend die Allee entlang. Zu hören war nur das gleichmäßige Surren der Räder auf Asphalt. Langsam fing Conny an, sich zu entspannen. Voller Neugier sah sie sich im Innenraum um. Ihr war bekannt, dass der Lada als der „Mercedes des Ostens“ galt, da er recht kostspielig war. Die Armaturen und ebenso die Sitzbezüge sahen nagelneu aus. Sie berührte fast ehrfürchtig den Kunstlederbezug mit der Hand, der sich angenehm kühl anfühlte. Vielleicht lag es auch an der frischen Brise, die durch den Spalt des geöffneten Fensters zu ihnen hinein wehte.

Beim Einsteigen war ihr sofort eine Box mit Musikkassetten aufgefallen. Also gab es ein eingebautes Radio oder ein Kassettengerät. Conny kuschelte sich zufrieden in den Sitz. Sie merkte, dass sie sich mit zunehmendem Kilometerstand behaglicher in dem Wagen und besonders wohl neben Lutz fühlte, der ziemlich gelassen hinterm Steuer saß. Er war ein sicherer Autofahrer, lenkte den Lada souverän über die Straßen. Die rechte Hand mit der Zigarette am Lenkrad und den linken Arm mit dem Ellenbogen an der Seitentür abgestützt. Ab und zu warf er ihr einen aufmerksamen Blick zu, bedrängte sie aber nicht mit Fragen. Jetzt lag es an Conny, endlich das Gespräch zu eröffnen.

„Danke noch mal fürs Anhalten und Mitnehmen. Ich hatte schon angenommen, die Straße sei gesperrt worden und es käme nie wieder ein Auto hier entlang. Du warst echt der einzige Autofahrer innerhalb von zwanzig Minuten. Hast mich erneut gerettet, wie neulich abends im Klub.“

Lutz lächelte vor sich hin, blieb aber stumm. Mit zusammengekniffenen Augen sah Conny ihn fragend von der Seite an. „Was treibt dich überhaupt hier in die Gegend?“

Er lachte. „Was ich hier treibe? Nichts Weltbewegendes. Ich komme mal eben von der Arbeit. War heute in Siggelkow.“

Conny stöhnte innerlich auf. Was für eine dämliche Frage. Gewiss hatte er ihr nicht aufgelauert, um sie abzufangen und zu entführen. Er kannte doch ihren Wohnort überhaupt nicht und hatte auch sonst keine Anhaltspunkte von ihr. Zu mehr wie dem Austausch ihrer Namen war es, in Anbetracht von Hannas Unterbrechung, an dem Abend im Jugendklub nicht gekommen. Mitunter sah sie wirklich Gespenster. Sie sollte es einfach nur genießen, dass sie Lutz durch diesen heutigen Zufall wieder getroffen hatte. Um ihre für ihn sicher, mehr wie merkwürdige Frage zu übergehen, redete sie rasch weiter.

„In Siggelkow ist doch so ein riesiger LPG Betrieb. Bist du in diesem beschäftigt? Den kenne ich vom Sehen. In der Gegend sind wir oft mit den Fahrrädern unterwegs. Also meine Freundin Hanna und ich. Die hast du ja bereits kennengelernt.“

Lutz nickte zustimmend. „Ich arbeite nicht direkt in Siggelkow, sondern in Parchim. Bei der LPG Pflanzenproduktion. Die dort einen Zweigbetrieb hat. Ich bin Meister und für die ganzen technischen Abläufe verantwortlich. Von Vorteil ist, dass ich nicht nur in einem Betrieb hocke, sondern eben auch in den anderen dazugehörigen Teilen nach dem Rechten schauen muss.“

Conny hörte ihm aufmerksam zu. Er sah nicht nur bombastisch aus, sondern hatte auch noch was im Kopf, sonst würde er kaum in dieser Position arbeiten. Sie war neugierig und brannte darauf mehr über ihn zu erfahren. Zu weiteren Fragen kam sie vorerst nicht, da Lutz ihr zuvorkam.

„Also, dass du gedenkst in die Stadt zu gelangen, damit lag ich anscheinend richtig. Aber warum fährst du nicht mit dem Bus? Ist das Fahren per Anhalter nicht eine Idee zu gefährlich?“

Conny sah ihn gefrustet an und nagte dabei an ihrer Unterlippe. Da sie nicht antwortete, fuhr er fort.

„Deinem Blick nach zu urteilen steckt noch was anderes dahinter. Ich bin zwar eher mit dem Auto unterwegs, aber kann es möglich sein, dass um diese Uhrzeit überhaupt kein Bus mehr fährt? Wenn dem so ist, frag ich mich natürlich, was so wichtig ist, dass es nicht bis morgen Zeit hat?“

Conny seufzte und ohne Hemmungen, erzählte sie ihm von ihrem obsessiven Studienwunsch, den permanenten Absagen und was ihr Beweggrund für den so späten Besuch in Parchim war. Lutz hörte aufmerksam zu und unterbrach sie nur hin und wieder, um genauer zu hinterfragen. Sie hatte den Eindruck, dass er nach Abschluss ihrer Ausführungen einen Ticken mehr das Gaspedal durchtrat. Wie wenn es ihm lebensnotwendig erschien, dass sie noch rechtzeitig bei dem Fotografen ankamen. Dank seiner Fahrkünste stoppten sie eine Viertelstunde vor Ladenschluss vor dem Geschäft. Da Conny keine Anstalten unternahm, das Auto zu verlassen, sprang er unvermittelt aus dem Wagen und eilte um diesen herum. Ganz alte Schule hielt er ihr die Tür auf und forderte sie auf auszusteigen. Sein Vorgehen entlockte ihr ein Kichern. Gleichzeitig fühlte sie sich geschmeichelt, dass er derart zuvorkommend zu ihr war.

Sie stieg aus und unvermittelt stand sie dicht gedrängt an Lutz, so dass sie knisternd die körperliche Nähe zwischen ihnen registrierte. Ein Kribbeln, was sich wie ein wimmelnder Ameisenhügel anfühlte, schlängelte sich bis in ihre Haarspitzen. Sie roch seinen männlichen Duft, der sie an würzige Waldluft erinnerte, und ihre Beine erlangten die Konsistenz von Zitterpudding. Lutz überragte sie um etliche Zentimeter und um ihn anzusehen, blieb ihr nichts weiter übrig wie ihren Kopf in den Nacken zu legen. Das verbesserte ihren Zustand auf keinen Fall, da er ihr dabei mit bohrendem Blick in die Augen schaute. Sie schluckte würgend, wie wenn ihr eine Riesenkartoffel im Hals steckte.

„Viel Erfolg Conny“, sagte er mit seiner sonoren Stimme. Sie nickte benommen und brachte nur ein dürftiges: „Danke“, hervor. Er hielt beharrlich die Tür des Wagens auf und zeigte keine Reaktion, um sie vorbei zu lassen. Da sie wie erstarrt da stand und beinahe wie ein Pflaster an ihm klebte, duckte sie sich flink und schlängelte sich unter seinem Arm hindurch. Beim Weglaufen hörte sie ihn noch rufen: „Ich warte hier am Wagen auf dich.“

Sie blieb kurz stehen, ohne sich umzuschauen, und atmete tief durch. Eine Welle des Glücks durchströmte sie und ließ das Adrenalin in ihrem Körper pfeilschnell ansteigen. Mit klopfendem Herzen und einem etwas debilen Lächeln im Gesicht betrat sie das Fotogeschäft.

Verräterische Zeiten

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