Читать книгу Geister sind unser Geschäft - Jana Scherer - Страница 3
ОглавлениеKapitel 1 In dem ich dem Hilferuf einer Dame in Not folge, einen neuen Fall wittere und vergesse, den Müll mit rauszunehmen.
Es war ein Tag wie Aalsuppe: feucht, trüb und voller unangenehmer Überraschungen. Seit Tagen hatte es nicht aufgehört zu regnen. Ich saß in meiner langweiligen Detektei, lauschte dem langweiligen Prasseln der Tropfen und tippte gelangweilt auf meiner Schreibmaschine. Dabei behielt ich die Uhr im Blick. Meine Kollegin Trix Dobbsen hatte sich mit dem 15-Uhr-Zug aus Humbug angekündigt, um mit mir und unserer Partnerin Wiebke Jansen meinen heutigen Geburtstag zu feiern. Ich freute mich schon darauf, bei Kuchen und Kakao in den Erinnerungen an unseren letzten Fall zu schwelgen. Das verstieß zwar gegen meine Detektiv-Regel Nummer 21: Ein Detektiv kümmert sich nicht um die Vergangenheit, sondern schaut stets nach vorn, aber zurzeit war leider kein neuer Fall in Sicht, egal, wie scharf ich auch nach vorne schaute. Am Haken an der Wand hingen mein Hut und mein Mantel und schienen genauso sehnsüchtig auf einen Einsatz zu warten wie ich.
Ein energisches Klopfen setzte meinen Überlegungen ein jähes Ende. Ich horchte auf. Stand da etwa ein Fall vor der Tür?
»Ja bitte?«, rief ich mit fester Stimme.
Doch es war nur meine Sekretärin. Auf der linken Hand balancierte sie eine Kuchenplatte mit einem saftigen Zitronenkuchen. Den schneeweißen Zuckerguss zierte ein Detektivhut aus braunem Marzipan.
Ich kombinierte: Sie wollte ihrem hart arbeitenden Chef zum Geburtstag eine Freude bereiten. Gerührt zwinkerte ich ihr zu. »Du verwöhnst mich, Schätzchen!«
Ihre wohlgeformte rechte Augenbraue hob sich so weit nach oben, dass sie an der Deckenlampe hängen zu bleiben drohte.
»Ich hab mich wohl verhört! Schätzchen?«
»Äh, Oma meine ich natürlich.«
Ihre Augenbraue entspannte sich, nur um einen Moment später wieder hochzuschnellen.
»Was tippst du denn da schon wieder für einen Quatsch auf der Schreibmaschine zusammen, Harald? Wisch lieber den Tisch ab, damit ihr hier nachher anständig Geburtstag feiern könnt! Ich versteh einfach nicht, warum du unbedingt in deiner kalten, ungemütlichen Detektei mit den beiden Kuchen essen willst. Nee, nee, nee, nee. Hast du überhaupt genug Sitzgelegenheiten für deine Gäste?«
Ich sah mich um. »Äh … nein.«
»Eben. Du kannst die alten Küchenstühle nehmen, die in dem kleinen Kellerraum nebenan stehen. Und denk dran, dass du um drei Trix vom Bahnhof abholen musst. Am besten nimmst du dann gleich den Müll mit raus, nä?«
»Alles klar, Oma.«
Sie setzte den Kuchen auf meinem Schreibtisch ab. »Euren Kakao stelle ich in den Kühlschrank. Ich bin dann mal oben, nä?«
»Ist gut, Oma!«
Okay, okay, okay, ich gebe es zu: Ich hatte natürlich keine Sekretärin. Meine Detektei bestand noch immer bloß aus ein paar alten Möbeln in unserem Keller. Aber wenigstens sagte mir meine Großmutter nicht mehr täglich, dass ich den »blöden Hut« abnehmen sollte. Und sie drohte auch nicht mehr ständig damit, meine Detektei zu schließen. Nur, wenn ich mal wieder eine Fünf in Mathe mit nach Hause brachte.
Als sie weg war, holte ich die beiden alten Stühle und stellte sie in meine Detektei. Dann setzte ich mich wieder an meine Schreibmaschine und tippte: langweilig, langweilig, langweilig …
Ich war gerade beim fünfundzwanzigsten langweilig angekommen, als ein markerschütternder Schrei die Stille durchschnitt.
»Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieh! Was ist denn das? Harald!«
Ich sprang auf und stürmte in die Küche.
Dort stand meine Großmutter – blass wie ein verschreckter Käsekuchen. »Harald, das … das … das Wasser …«, stammelte sie und zeigte auf den Wasserhahn.
Hätte ich meinen Hut aufgehabt, wäre er mir bei diesem Anblick vor Überraschung hochgegangen: Aus dem Hahn lief grellgrünes Wasser! Es war so penetrant neonfarben, dass es beinahe zu leuchten schien. Vorsichtig näherte ich mich der Spüle.
»Achtung, das Wasser ist sicher giftig!«, rief meine Großmutter.
Ich holte unter der Spüle die gelben Putzhandschuhe hervor und zog sie über. Dann hielt ich meinen Zeigefinger unter den Wasserstrahl, führte die Hand zur Nase und schnupperte. Das grüne Wasser, das aus dem Hahn lief, roch nach – Hähnchen! Schnell drehte ich den Wasserhahn zu.
»Verstehst du das, Harald?« Meine Oma zitterte. »Wieso ist denn das Wasser plötzlich grün?«
Darauf hatte ich leider auch keine Antwort. In meinem Kopf befanden sich nur Fragen: Waren wir der einzige Haushalt, bei dem grünes Wasser mit einem seltsamen Geruch aus der Leitung kam? Wie entstanden die Färbung und das Aroma? Handelte es sich um einen Unfall oder um eine bewusste Manipulation? Wer war dafür verantwortlich?
»Kann ich dich einen Moment alleine lassen?«, fragte ich meine Großmutter. Meine Detektiv-Regel Nummer 22 lautet nämlich: Vergewissere dich vor Aufnahme der Ermittlungen, ob die Opfer des Verbrechens zuerst Hilfe benötigen.
Meine Großmutter wischte sich einige Schweißperlen von der Stirn. »Mit mir ist alles in Ordnung, glaub ich.«
»Super, bis gleich!« Ich rannte hinunter in meine Detektei, platzierte meinen Hut auf dem Kopf, zog den Mantel an, steckte meinen Notizblock und mein Mobiltelefon in die Tasche und sprang die Treppe hoch. Auf dem Weg zurück in die Küche schaute ich im Badezimmer vorbei und kontrollierte das Wasser am Waschbecken und in der Dusche. Es war genau wie in der Küche – Farbe: Grün, Aroma: Hähnchen. Mit meinem Telefon machte ich ein kurzes Video davon, wie das grüne Nass aus Hahn und Brause lief. Zur Beweissicherung.
Zurück in der Küche, drehte ich den Wasserhahn an der Spüle wieder auf. Das Wasser hatte die gleiche grüne Färbung wie vorhin und roch jetzt noch stärker nach Hähnchen. Auch hier machte ich eine kurze Filmaufnahme.
Die Standuhr schlug.
»Nee, nee, nee, nee«, jammerte meine Großmutter, »schon halb drei. In eineinhalb Stunden ist Onkel Freddie da, um mich abzuholen, aber mit dem grünen Wasser kann ich euch doch gar nicht hier alleine lassen.«
»Doch, Oma, kannst du«, versicherte ich ihr mit beruhigend tiefer Stimme. »Verbring mal schön die Osterfeiertage mit Onkel Freddie. Außerdem sind Trix und ich ja nicht allein. Heute Abend kommt schließlich Magnus.« Sie hatte extra meinen großen Bruder aus Humbug herbestellt, damit er auf Trix und mich aufpassen konnte. Das war natürlich vollkommen unnötig.
Meine Großmutter seufzte. »Na gut. Und am Ostermontag bin ich ja schon wieder da.«
»So ist es«, stimmte ich ihr zu. »Es besteht also überhaupt kein Grund zur Sorge.« Schnell drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange. »Gute Reise und viel Spaß, Oma.«
»Danke, Harald, aber …«
»Ich muss jetzt dringend los zum Bahnhof. Perfekt, dass Trix gerade heute kommt.«
Meine Oma seufzte noch mal. »Harald, das ist bestimmt kein …«
Mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit ging dieser Satz mit »… Fall für euch« weiter, aber ganz genau weiß ich es nicht.
Denn ich war längst draußen, unterwegs im Ruckelnser Regen, mit einer Mission: das Rätsel des grünen Wassers aufzuklären.