Читать книгу Geister sind unser Geschäft - Jana Scherer - Страница 8
Kapitel 4 In dem wir Frau Jansen und die Schwartz-Zwillinge observieren, Trix ihre Lieblingsbonbons bekommt und der Gast König ist.
ОглавлениеTrix und ich blieben in einiger Entfernung stehen und behielten das Teestübchen im Auge. Durch die beschlagenen Scheiben des Cafés waren schemenhaft drei Gestalten zu erkennen.
»Sie setzen sich zusammen an den Tisch am Fenster«, flüsterte Trix. »Das ist es also, was Frau Jansen plötzlich so dringend erledigen musste. Von wegen Tierfutterhandel! Offenbar kennt sie Klara und Aurora.«
Ich nickte. »Da drin können wir die drei leider schlecht observieren. Das Teestübchen besteht nur aus einem einzigen Raum. Da sehen sie uns sofort. Und Frau Jansen ahnt bestimmt, dass wir ermitteln. Wenn wir in dem Café auftauchen, werden sie bloß belangloses Zeug reden.«
Ein Klappen ließ mich verstummen. Jemand hatte das Fenster auf Kipp gestellt! Trix deutete auf den Holunderbusch, der den Vorgarten des Teestübchens zierte. Ich nickte, lehnte mein beladenes Fahrrad an das Haus nebenan und hockte mich dann mit Trix hinter den Strauch.
»Wenn du hier schon dampfen musst, dann wenigstens bei offenem Fenster, Klara«, war eine Stimme von drinnen zu hören. »E-Zigaretten sind mindestens so gesundheitsschädlich wie normale.«
Ich kombinierte: Das hatte Aurora gesagt.
»Beruhig dich, Auroralein, das Fenster ist ja jetzt offen.« Nasal und bestimmt: Klara.
»Jetzt lenkt nicht ab, ihr beiden! Was soll das mit dem Leitungswasser und den Schafen? Das hätte ich euch nicht zugetraut. Jahrelang habt ihr nichts von euch hören lassen, und dann taucht ihr plötzlich wieder auf und macht so was!«
Ich nickte Trix zu. Das war ganz klar Frau Jansens Stimme.
»Aber wir …«, fing Aurora an.
Klara fiel ihr ins Wort. »Wir haben mit dem grünen Wasser nichts zu tun, Jeske. Wir sind genauso überrascht wie du. Und was ist überhaupt mit deinen Schafen?«
»Das wisst ihr doch ganz genau: Ihr habt sie mit grünen Totenköpfen besprüht!«
»Was?«, keuchte Aurora.
»Glaub mir, Jeske.« Das war wieder Klara. »Wir wussten bis gerade eben nicht mal davon.«
»Wollt ihr etwa behaupten, das wäre Zufall?« Frau Jansen war die Wut deutlich anzuhören. »Auf einmal seid ihr wieder in Ruckelnsen, und rein zufällig geschieht genau das, was wir damals …«
»Na, wer hockt denn da im Hollerbusch drin?«, erscholl plötzlich hinter uns eine laute, kratzige Stimme.
Trix und ich duckten uns noch etwas tiefer.
»Tut da mal rrrrrauskommen aus euerm Busch, ihr Lunkohren!«
Seufzend krochen Trix und ich hinter dem Busch hervor. Besser brachen wir die Observation ab, als dass Klara, Aurora und Frau Jansen womöglich auf uns aufmerksam wurden.
Einen Moment später standen wir vor einem schlecht rasierten, untersetzten Mann, der in ein schmutziges blaues Fischerhemd gekleidet war.
»Das ist Käpt’n Flock«, flüsterte ich Trix zu, »er …«
»Und jetzt verrrrrradet mir mal, wem ihr da was abgelauscht habt, nä?«, rief Käpt’n Flock dazwischen. Wie immer war seine Aussprache sehr feucht. Trix wurde von einem Spucketropfen getroffen und machte einen kleinen Schritt nach hinten.
»Wir haben nicht gelauscht, Käpt’n Flock«, erklärte ich möglichst leise, »wir ermitteln.«
Der Käpt’n winkte mit einer übertriebenen Geste ab. »Jau, Mensch, Harald, das hatt’ ich ja ganz vergessen, dat du ja so wat wie ’n Meisterdetektiv bist, nä? Und deine lüdde Freundin hier auch, oder wat?«
Trix räusperte sich. »Mein Name ist Dobbsen. Trix Dobbsen. Ich bin Privatermittlerin.«
Käpt’n Flock lachte rasselnd. »Angenehm, nä? Und mein Name is Flock. Thorsten Flock. Aber sag ruhig Käpt’n Flock zu mir, dat machen hier alle so, nä?« Er schüttelte Trix die Hand. »Mir tut das Ruckelnser Heimat- und Schifffahrtsmuseum gehören.«
»Meine Oma wartet mit dem Geburtstagskuchen auf uns«, sagte ich schnell.
Der Käpt’n schüttelte auch mir die Hand. »Ach ja, alles Gute zu deinem Ehrentag, Harald! Aber Kuchen kann ja zum Glück nicht kalt wern, nä? Am besten kommt ihr gleich mal mit zum Museum, da darf Trix sich meine hochinteressanten Exponate ankieken.«
»Aber unser Kakao, der kann kalt werden«, behauptete ich. Käpt’n Flock wusste ja nicht, dass der Kakao bereits im Kühlschrank stand, weil ich ihn eiskalt am liebsten mochte. »Komm, Trix!« Ich griff mir mein Fahrrad und lief los. »Bis bald, Käpt’n Flock!« Wir ließen ihn stehen.
»Was sollte das denn jetzt?«, keuchte Trix, während sie neben mir herrannte. »Der wirkte doch ganz lustig.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn der anfängt zu erzählen, kommt man nicht mehr weg. Und wenn man Pech hat, singt er sogar. Dabei wird seine Aussprache noch feuchter.«
Wir verlangsamten unseren Schritt.
Trix grinste. »Und ich dachte, ein Detektiv müsste für die Ermittlungen seine eigenen Vorlieben zurückstellen können.«
Ich winkte ab. »Käpt’n Flocks Gequatsche hat doch mit unseren Ermittlungen nichts zu tun. Viel interessanter finde ich das Gespräch, das wir gerade am Teestübchen mithören konnten. Frau Jansen hat gesagt: Auf einmal seid ihr wieder in Ruckelnsen, und rein zufällig geschieht genau das, was wir damals … Wie ging der Satz wohl weiter?«
»Genau das, was wir damals … was wir damals befürchtet haben?«, schlug Trix vor. »Was wir damals machen wollten? Oder vielleicht sogar: was wir damals gemacht haben? Welche Variante hältst du für am wahrscheinlichsten?«
»Auch das müssen wir ermitteln«, stellte ich fest. »So, wir sind da.« Ich lehnte mein Fahrrad an unseren Zaun.
»Wem gehört denn der schicke rote Geländewagen?« Trix zeigte auf das Auto, das auf der Straße vor unserem Haus parkte. Auf dem Dachgepäckträger thronte ein Kajak. »Schönes Teil«, kommentierte sie. »Damit kann man hier sicher gut herumpaddeln.«
»Keine Ahnnung, wem das gehört.« Ich nahm Koffer und Katzenkorb vom Fahrrad herunter und drückte beides Trix in die Arme. Dann schloss ich die Haustür auf.
»Wir sind da-ha!«, rief ich. Im selben Moment fiel mir ein, dass meine Großmutter ja längst von Onkel Freddie abgeholt worden war. Trotzdem bekam ich eine Antwort: »Mi-au-hau!«
»Miss Moneypenny!«, rief Trix.
Wir folgten dem Miauen in die Küche. Dort saßen Fräulein Karnelia und Miss Moneypenny einträchtig nebeneinander und fraßen.
»Meine Oma scheint vor ihrer Abreise noch die Näpfe gefüllt zu haben«, stellte ich fest.
»Ist deine Großmutter weggefahren?«
»So ist es. Sie verbringt die Osterfeiertage bei meinem Großonkel. Am Ostermontag ist sie zurück. Aber wir sind nicht alleine. Sie hat extra Magnus aus Humbug herbestellt, um auf uns aufzupassen. Er kommt heute Abend.«
Trix zuckte mit den Schultern. »Wenn es deine Oma beruhigt.«
Ich verdrehte die Augen. »Am besten bringen wir erst mal dein Gepäck in das Gästezimmer oben. Und dann gehen wir runter in die Detektei.«
»Okay, kann ich vorher noch einen von den Eukalyptusbonbons haben?«
»Ja, klar«, antwortete ich automatisch. Doch dann stutzte ich. »Was für Eukalyptusbonbons denn?«
»Na, diese da.« Trix nahm etwas von der Anrichte und hielt es mir vor die Nase: ein in grünes Papier eingewickeltes Bonbon. »Da liegen noch mehr.«
Tatsächlich. Auf der Anrichte verstreut lagen grün eingewickelte Bonbons. »Komisch. Wir haben sonst nie Eukalyptusbonbons im Haus. Weder meine Oma noch ich mögen die.«
Trix wickelte das Bonbon aus und steckte es in den Mund. »Verstehe ich nicht. Die sind doch köstlich.«
Ich verspürte ein höchst unangenehmes Gefühl im Magen.
Und einen Moment später war mir auch klar, warum. »Atme mal bitte in die andere Richtung, Trix. Du riechst wie mein Mathelehrer.«
Trix lachte, was eine noch dickere Eukalyptuswolke in meine Richtung schickte. »Wieso das denn?«
»Er lutscht ständig solche Bonbons. Ich glaube, er bestellt sie sogar extra aus Australien. Hier gibt es die gar nicht zu kaufen.«
»Exquisit«, kommentierte Trix mit vollem Mund. »Wie kommt deine Oma denn dann an die ran? Hat sie die auch in Australien bestellt?«
Das konnte ich mir selbst nicht erklären. »Ich habe keinen blassen Schimmer.«
Trix nahm sich gleich noch ein Bonbon und wickelte es aus. »Weißt du, was auffällig ist an den Dingern?«
»Außer der Tatsache, dass sie bestialisch stinken?«
Trix hielt mir das eckige Bonbon hin. Es funkelte im Licht wie ein Diamant. »Sie sind grün. So wie das Leitungswasser und die Totenköpfe auf den Schafen. Grün scheint die Farbe des Tages zu sein.« Sie griff sich die übrigen Bonbons von der Anrichte und ließ sie in ihre Jackentasche gleiten. »Ich stelle diese Beweisstücke mal sicher.«
Aber: »Beweismittel sind nicht zum Verzehr bestimmt«, erinnerte ich Trix. »Das ist meine Detektiv-Regel Nummer 26.«
Sie grinste. »Keine Sorge. Gegen eine von deinen Detektiv-Regeln würde ich niemals verstoßen.«
Mit dem Koffer und dem Katzenkorb beladen, stiegen wir die knarzende alte Treppe hoch. Ich zeigte Trix ihre Unterkunft und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Ich fragte mich, was sie von dem Zimmer hielt. Es war klein und hatte eine schräge Decke, weil es direkt unter dem Dach lag. Das alte Doppelbett aus dunklem Holz füllte fast den ganzen Raum aus. Trix war ganz anderes gewohnt. Zu Hause residierte sie in einer riesigen Villa.
Doch Trix sah richtig begeistert aus. »Total gemütlich!«
Wir stellten den Koffer und den Katzenkorb in eine Ecke.
»Mein Zimmer ist gleich nebenan«, erklärte ich Trix, als wir wieder auf den Flur traten. »Und das da ist unser zweites Gästezimmer.« Ich zeigte auf eine blaue Tür gegenüber. »In der Hochsaison vermieten wir beide Zimmer an Urlauber. Aber jetzt in der Nebensaison stehen sie leer.«
Die Tür ging auf. »Dem muss ich ausdrücklich widersprechen, nicht wahr?«, sagte jemand.
In der Tür stand ein älterer Herr, den ich noch nie gesehen hatte.
Trix machte ein Geräusch, als hätte sie einen Beutel Murmeln verschluckt. Dann fing sie wie verrückt an zu husten.
»Habe ich euch erschreckt?«, rief der Mann.
»Uns erschreckt nichts«, erwiderte ich, »Gefahr ist unser Geschäft.« Dabei klopfte ich Trix auf den Rücken, die immer noch Geräusche von sich gab wie ein Seehund mit Schluckauf.
Aus den Augenwinkeln betrachtete ich den Fremden, der eine bedröppelte Miene machte. Er war nicht viel größer als ich und hatte graue Locken, die sich vorne zu einer Halbglatze lichteten. Gekleidet war er in ein weißes Hemd mit weiten Ärmeln, eine rot glänzende Weste, die mit einem gelben Blumenmuster bestickt war, und eine schwarze Cordhose. Durch die Gläser einer goldenen Brille blickte er uns freundlich an. Doch das Bemerkenswerteste an ihm war seine Nase. Sie sah aus, als hätte er sie als Kind zu lange an einer Schaufensterscheibe platt gedrückt. Man konnte von vorne in seine Nasenlöcher hineinschauen wie in einen Autobahntunnel mit zwei Röhren. Wahrscheinlich schaltete er jedes Mal die Scheinwerfer ein, bevor er sich in der Nase bohrte.
Trix hustete und hustete.
Der Nasen-Herr sah uns bedauernd an. »Hat Frau Donnerschlag euch denn gar nicht mitgeteilt, dass sie in der Tat so freundlich war, mir das Zimmer zu vermieten?«
Ich räusperte mich. »Nein, dieser Fakt ist mir nicht bekannt.«
Trix hustete noch stärker.
»Trix? Alles in Ordnung?«
»Bonbon – verschluckt«, röchelte sie.
Der Nasen-Herr warf ihr einen besorgten Blick zu. »Ist es sehr schlimm? Soll ich das Heimlich-Manöver bei dir zur Anwendung bringen?«
»Heimlich-was? Nein!«, keuchte Trix.
»Was ist denn das Heimlich-Manöver?«, erkundigte ich mich, während ich Trix noch stärker auf den Rücken klopfte.
»Das Heimlich-Manöver ist nach seinem Erfinder, dem amerikanischen Arzt Henry J. Heimlich, benannt, nicht wahr?«, erläuterte der Mann in aller Seelenruhe. »Dabei wird der Bauchraum komprimiert, um einen Überdruck zu erzeugen, der den Fremdkörper aus der Luftröhre katapultiert.«
Trix machte ein Geräusch wie ein lungenkranker Frosch, dann flog etwas Grünes in hohem Bogen aus ihrem Mund.
Der Mann duckte sich gerade noch rechtzeitig. Das Bonbon zischte über ihn hinweg in sein Zimmer.
Er lächelte und entblößte dabei eine breite Lücke zwischen den Schneidezähnen. »Offenbar hat allein die Beschreibung des Heimlich-Manövers schon ausgereicht, nicht wahr?«
Trix wischte sich die Tränen aus den Augen. Ich kombinierte: Sie war für die nächsten Minuten nicht ansprechbar.
»Meine Großmutter hat Ihnen also das Zimmer vermietet, ja?«, nahm ich das Gespräch mit dem Nasen-Typen wieder auf. »Wollen Sie Urlaub in Ruckelnsen machen?«
»In der Tat. Ich möchte die Osterfeiertage nutzen, um die Gegend ein wenig mit meinem Kajak zu erkunden. Ich brauche in der Tat Bewegung, ich hab ein wenig Bauchfett angesetzt in letzter Zeit.« Er klopfte auf seinen stattlichen Bauch. »Und natürlich will ich mir morgen Abend die berühmten bunten Osterfeuer am Strand ansehen. Das muss ja in der Tat eine ganz tolle Sache sein, nicht wahr?«
»Ja, Sie werden nicht enttäuscht sein«, prophezeite ich ihm. »In die Flammen wird Leuchtfarbe gekippt, sodass sie in allen Farbschattierungen flackern. Es ist ein beeindruckender Anblick.«
»Genau so hat mir die nette Frau Schuhpisser das vorhin auch geschildert. Unglaublich großartig – das waren ihre Worte. Von ihr habe ich auch eure Adresse bekommen. Wenn ich das richtig verstehe, betreibt sie nicht nur die Zimmervermittlung im Ort, sondern ist hier auch die Bürgermeisterin?«
Ich nickte. Trix schnäuzte sich.
»Frau Schuhpisser teilte mir außerdem mit, dass in eurem schönen Ort das Leitungswasser heute leider eine grüne Färbung angenommen hat. Aber sie sagte, die Wasserwerke würden einen Tankwagen mit Trinkwasser vor dem Rathaus aufstellen. Das habe ich dann gleich deiner Großmutter mitgeteilt, nicht wahr? Sie hat mir netterweise eine Kanne Kakao zu trinken gegeben und mir versichert, dass ihr nach eurer Rückkehr zeitnah Wasser holen gehen würdet. Es wäre gut, wenn ihr das in der Tat sofort erledigen könntet. Die grüne Giftbrühe möchte ich dann doch nicht zu mir nehmen, nicht wahr? Ich bin schließlich hier, um mich zu erholen, und nicht, um meine Gesundheit zu ruinieren.«
Ich knirschte mit den Zähnen. Meine Oma hatte ganz offensichtlich meinen Kakao an diesen Fremden verschenkt! Und wir hatten wirklich Wichtigeres zu tun, als eimerweise Wasser herzuschleppen. Doch leider war der Nasen-Typ ein Feriengast. Der Gast ist König. Das war zwar keine Detektiv-Regel, aber meine Großmutter bestand trotzdem darauf.
»Selbstverständlich. Wasser kommt gleich«, grummelte ich also.
»Danke schön, sehr zuvorkommend. Ach ja – ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Remmer Klaus. Remmer ist der Vorname, nicht wahr?«
»Angenehm«, antwortete ich, »mein Name ist Harald Donnerschlag. Und das ist Trix Dobbsen.«
»Trix ist der Vorname«, röchelte Trix. Sie klang immer noch ziemlich mitgenommen.
Remmer Klaus lächelte. »Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, nicht wahr?«
Dann haute er uns die Tür vor der Nase zu.
Trix krächzte: »Ich schlage vor, wir gehen nun in der Tat sofort Wasser holen, nicht wahr?«
Ich nickte. »Und anschließend machen wir zeitnah mit den Ermittlungen weiter!«