Читать книгу Zombie Zone Germany: Elegie - Janika Rehak - Страница 4

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Prelude

Die letzten Töne von Running for Rain klangen aus. Yosh schloss die Augen und ließ die Finger noch einen Moment auf den Tasten liegen. Er spürte den Nachhall als ganz leichtes Zittern.

Die Noten stiegen unter die Decke, drehten dort einen Reigen, verdichteten sich und tropften auf die Zuschauerränge hinunter. Wenn sich jetzt jemand umsah, nach oben blickte und sich fragte, ob da gerade wirklich ein zarter Sommerschauer auf ihn niederging, dann hatte Yosh alles richtig gemacht.

Das erste, zaghafte Klatschen erklang. Es setzte sich schnell bis in die letzten Ränge fort und wurde zu einer Gewitterkaskade. Yosh ließ sie mit geschlossenen Augen auf sich einprasseln, stand auf und verbeugte sich.

Die Elbphilharmonie präsentiert: Leon Yoshio Maibach, live in concert.

Er hatte dem Publikum einiges abverlangt. Zuerst Mussorgsky. Bilder einer Ausstellung. Zwei Stunden lang hatten die sperrigen Klänge von einem imaginären Kunstwerk zum nächsten geführt. Dann Schumann, komplex, aber verträumt. Eine reichlich überspannte Darbietung, so wie man es von Yosh gewohnt war, die sich dann aber ganz zum Schluss im Regenlied auflöste. Ein Fingertanz für Klavier, seine Eigenkomposition, schon etwas älter, doch sie bekam immer noch eine Menge Klicks auf den gängigen Musikplattformen. Ein Stilbruch allererster Güte.

Die Zuschauer waren irritiert. Sollten sie.

Die Kritiker rätselten, wie beides zusammenpasste. Die Antwort war simpel: Gar nicht.

Ein holpriger Anfang, ein flirrendes Zwischenspiel, am Ende Regen.

Fenja würde es verstehen.

Yosh verharrte einen Moment, hielt den Kopf gesenkt und richtete sich wieder auf. Vor ihm lag eine Wand aus Gesichtern. Pailletten glitzerten. Hier und da blinkte ein Armband auf. Zuerst fixierte Yosh einen Punkt ganz hinten über dem letzten Rang, lächelte, verbeugte sich dann noch einmal. Seine Augen suchten die erste Reihe ab.

Fenja, du kommst doch…?

Da war sie, in ihrem nachtblauen Kleid. Sie hatte die kurzen Haare zurückgekämmt, an ihrem Ohrläppchen funkelte ein Schmuckstein.

Sie trug wieder ihren Ehering.

Jemand reichte Yosh einen Blumenstrauß. Er nahm ihn entgegen, nickte, bedankte sich, ohne wirklich hinzusehen. Das Scheinwerferlicht blendete. Er musste blinzeln und hatte Angst, Fenja könne verschwinden, wenn er zu lange nicht hinsah.

Das Mädchen im Regen. Sommergewitter in Hamburg. Zwei Menschen am Straßenrand, beide durchnässt, die Blicke aneinander festgesaugt.

Lust auf einen Regenspaziergang?

Jemand reichte Yosh einen zweiten Strauß, einen dritten. Die Leute erhoben sich von den Plätzen. Yosh verbeugte sich noch einmal. Eine Levkoje fiel zu Boden.

Der Applaus wurde zu weißem Rauschen. Fenja lächelte. Alle lächelten. Die Levkoje verwelkte, schrumpfte zusammen, ein toter Ast mit trockenen Kelchen. Mundwinkel zogen sich auseinander, rotes Zahnfleisch blitzte.

Fenjas Lippen formten: »Ich liebe dich.«

Dann kroch etwas aus ihrer Nase.

Das weiße Ding wand sich aus dem rechten Loch, wogte einen Moment hin und her, es konnte sich für keine Richtung entscheiden. Der Körper zog nach, schob sich vorwärts, kroch über die Lippen aufs Kinn zu. Dort blieb er einen Moment lang hängen, fiel zu Boden und zerplatzte.

Das Geräusch war trotz des Händeklatschdonners zu hören.

Das weiße Rauschen wurde lauter, verwandelte sich in einen einzelnen hohen Fiepton. Körper standen aufrecht, schwankten hin und her. Graue Haut platzte, Lippen rissen auf, Knochenhände schlugen aufeinander, Totenschädel zeigten ihr Dauerlächeln.

Yosh spürte eine Bewegung, blickte hinunter auf die Blumen und sah ein Gewimmel von Maden. Er schleuderte die Sträuße von sich und schlug auf die glänzenden Körper ein, doch da kamen immer wieder neue. Sie krochen unter das Jackett und in die Hemdärmel.

Das Publikum setzte sich in Bewegung, Körper drängten zur Bühne, quollen über Gänge und Stühle hinweg, Krallenhände griffen um sich, Kiefer schlugen aufeinander.

Mittendrin stand Fenja, lachte und klatschte - »Ich liebe dich!« - während ihr Maden aus Nase und Augen krochen, ihr Gesicht einhüllten, bis es nur noch eine grauweiße Masse war.

Yosh schrie.

Er schrie und schrie, stürzte durch einen Nebel aus Körpern, Gesichtern und Händen. Er schlug um sich, schlug auf die Maden ein, die ihn bis hierher verfolgt hatten, auf seinem Körper herumkrochen, über die Haut, unter die Kleidung, immer auf der Suche nach einer Öffnung. Er schlug nach dem Kissen, den Laken, der Matratze, schlug nach den Händen, die nach ihm griffen.

Kleine, kraftvolle Finger schlossen sich um seine Handgelenke.

»Shh«, machte Kiyomi.

Sie hielt seine Arme fest, drückte ihn zurück auf die Matratze, schließlich saß sie mit ihrem ganzen Gewicht auf ihm und verschloss seinen Mund. Irgendwann schluchzte Yosh nur noch lautlos gegen ihre Handkante.

Durch das Fenster fiel ein schmaler Lichtstrahl. Er beleuchtete Kiyomis Scheitel, Stirn, Nase und Schlüsselbein.

Yosh konnte nicht klar fokussieren. »Nacht oder Tag?«

»Ist doch egal«, sagte sie ihm ins Ohr.

Yoshs Körper gab nach, er kämpfte nicht weiter gegen die Bilder an, obwohl ein Teil von ihm genau dorthin zurückwollte. Wieder Klavier spielen, die Tasten berühren, wenigstens im Traum.

Fenja sehen. Sogar in dieser Gestalt.

Yosh ertastete zerwühlte Laken. Sein Blick war immer noch unscharf, aber er wusste, wie das Zimmer aussah. Doppelbett, Bauernschrank mit Schnitzereien, weiße Gardinen. Der Boden war ein Parcours aus leeren Flaschen. Man kam nur schwer vom Bett bis zur Tür, ohne eine davon umzustoßen. Besser, man blieb einfach liegen. Besser, man sah gar nicht hin.

In der Luft lag ein sauer-scharfer Geruch. Kein guter, aber ein lebendiger Geruch.

Die Dinger da draußen rochen anders.

Auf dem Nachttisch lag der MP3-Player, Musikfetzen drangen aus den Kopfhörern. Kiyomi drückte auf »off«. Sie nahm die Flasche vom Nachttisch, trank einen Schluck und überließ Yosh den Rest. Er schluckte, zu viel und zu schnell. Ein rotes Rinnsal floss über seine Lippen und versickerte im Kopfkissen, ein neuer Fleck blühte auf.

Kiyomi stellte die Flasche weg und leckte den Rest von Yoshs Lippen. Yosh starrte nach oben, sah winzige Staubpartikel im Lichtstrahl schweben, auf und ab. Auf und ab.

Kiyomi stupste ihn mit der Nase an, leckte noch einmal seine Unterlippe, tastete sich mit der Zunge vor. Sein Unterleib lag zwischen ihren Schenkeln, sie streichelte, spielte und knabberte, bis er reagierte. Sie setzte sich auf ihn.

Yosh schaute weiter zur Decke.

Da oben: Staub.

Über ihm: Kiyomi.

Draußen: Tagnachtgleiche.

Kiyomi hatte Recht. Es war vollkommen egal.

Sie murmelte, flüsterte, wurde schneller, auf und ab, stieß einen Schrei aus und sank auf ihm zusammen, die Lippen ganz dicht an seiner Ohrmuschel.

»Erzähl mir das Märchen vom Gespensterschrank«

Ihr Atem roch nach Wein und Erdbeeren. Wie konnte sie nach alldem immer noch nach Erdbeeren riechen?

Zombie Zone Germany: Elegie

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