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2.2 Kristallbaudefekte

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In der Realität haben alle Werkstoffe Defekte im Aufbau von Struktur und Gefüge. Diese beeinflussen erheblich die Eigenschaften, z. B. die elektrische Leitfähigkeit oder das Verformungsverhalten.

Man kann Kristallbaudefekte gemäß ihrer geometrischen Dimension (D) klassifizieren:

 • 0D: Punktförmige Defekte, z. B. Leerstellen, Zwischengitter und Austauschatome

 • 1D: Linienförmige Defekte, z. B. Versetzungen

 • 2D: Flächenförmige Defekte, z. B. Korngrenzen, Phasengrenzen

 • 3D: Volumenartige Defekte, z. B. Ausscheidungen (innerhalb eines Kristallits, können von Versetzungen überklettert werden)

Abb. 2.4 Die dichtest gepackten Ebenen der drei Kristallstrukturen krz (a), kfz (b) und hdp (c). Die dichteste Kugelpackung von Atomen gibt es im kfz und hdp Gitter.


Abb. 2.5 Stapelfolge der dichtest gepackten Ebenen im kfz Gitter (ABC ABC) und im hdp Gitter (AB AB). Durch den Unterschied in der Stapelfolge entstehen zwei verschiedene Kristallstrukturen.

Alle Kristallbaudefekte erhöhen die Festigkeit und verringern die Leitfähigkeit von Metallen. Dotierung von Halbleitern erhöht deren Leitfähigkeit.

0D: Punktförmige Defekte

Fremdatome, Leerstellen etc. sind punktförmige Gitterdefekte (Abb. 2.6). Typische Beispiele, wo Fremdatome gezielt eingebracht werden, sind elektrische Widerstände, dotierte Halbleiter oder die Mischkristallhärtung.

Zu den Punktfehlern zählen Leerstellen, substituierte Fremdatome sowie Fremd-und Grundatome auf Zwischengitterplätzen (interstitiell). Leerstellen stehen im thermodynamischen Gleichgewicht. Ihre Konzentration ergibt sich aus der Arrhenius-Beziehung

Abb. 2.6 Beispiele für Punktdefekte: Leerstelle, Zwischengitteratom, interstitielles Fremdatom auf Zwischengitterplatz (Einlagerungsfremdatom), Substitutionsfremdatom auf Gitterplatz (Austauschfremdatom). Die Kombination von Leerstelle und Zwischengitteratom wird Frenkel-Defekt genannt und spielt für Diffusionsprozesse eine Rolle. Statistisch unregelmäßig im Kristall verteilte Einlagerungs- oder Austauschfremdatome führen zu Mischkristallen.


wobei:

NV(T) Leerstellenkonzentration bei Temperatur T,
N 0 Leerstellenkonzentration bei Raumtemperatur,
UB Bildungsenergie für Leerstellen,
k Boltzmann-Konstante

Die Leerstellenkonzentration beträgt bei Raumtemperatur etwa 10-12 (d. h. eine Leerstelle auf 10 000 × 10 000 × 10 000 Atome), nahe bei der Schmelztemperatur ca. 10-4 (d. h. eine Leerstelle auf ca. 22 × 22 × 22 Atome). Mit Hilfe von Leerstellen können Atome ihre Plätze wechseln und werden ,,beweglich“. Aus dieser Tatsache heraus ergibt sich die Bedeutung der Leerstellen für den Stofftransport im festen Zustand (Diffusion).

Mischkristall Fremdatome in einem Kristall werden auf regulären Gitterplätzen eingebaut (Substitutionsatome in Austauschmischkristallen) oder, wenn sie genügend klein sind (z. B. Kohlenstoffatome in Stahl), auf Zwischengitterplätzen eingelagert (interstitielle Atome in Einlagerungsmischkristallen). Werden Fremdatome im Sinne einer Legierungsbildung in einen Kristall eingebaut, so spricht man von einer festen Lösung bzw. einem Mischkristall.

In der Umgebung von Punktdefekten ist das Gitter elastisch verzerrt. Fremdatome in Mischkristallen metallischer Legierungen führen zum Anstieg der Festigkeit und des elektrischen Widerstandes.

Abb. 2.7 Schematische Darstellung einer Stufenversetzung. Die Stufenversetzung ist mit dem Bild der eingeschobenen Halbebene so wie hier gezeichnet am leichtesten zu verstehen und reicht für ein einfaches Verständnis der plastischen Verformung in Metallen vollkommen aus. Die Sprungrichtung der Atome (Burgersvektor b) ist senkrecht zur Versetzungslinie.

1D: Versetzungen

Dieser Liniendefekt soll am Beispiel einer Stufenversetzung erläutert werden (Abb. 2.7). Eine Stufenversetzung kann man sich als eine im Kristall eingeschobene Gitterebene vorstellen. Die Versetzungslinie und damit der eigentlich gestörte Gitterbereich ist die Begrenzungslinie dieser eingeschobenen Ebene. In Metallen sind Versetzungen für die plastische Verformung bei Raumtemperatur verantwortlich. (Bei hohen Temperaturen tragen auch Leerstellen und Korngrenzen durch Diffusionsprozesse zur plastischen Verformung bei.) In Halbleiterwerkstoffen, die aus epitaktischen Schichten bestehen (z. B. Quantenfilmlaser), sind Stufen-Fehlpassungs-Versetzungen an der Grenzfläche Schicht-Substrat unerwünscht, da sie dazu führen, dass keine Photonen (Laserlicht), sondern Phononen (Gitterschwingungen) entstehen. Versetzungen entstehen bereits bei der Kristallisation. Sie werden auch in großer Zahl bei der plastischen Verformung erzeugt. Von sogenannten Frank-Reed-Quellen breiten sie sich auf einer Gleitebene als kreisförmige Linien aus wie Wellen auf dem Wasser, in das ein Stein geworfen wurde. Segmente des Kreises haben Stufencharakter (Stufenversetzung), andere Segmente 90° dazu verdreht haben Schraubencharakter und die Segmente dazwischen gemischten Charakter.

2D: Korngrenzen und andere Flächendefekte

Die meisten technischen Werkstoffe sind polykristalline Werkstoffe, d. h., sie sind aus einer Vielzahl kleiner Kristalle, den sogenannten Körnern aufgebaut. Die Körner entstehen z. B. beim Erstarren einer Schmelze, indem die Kristallisation an vielen Orten gleichzeitig einsetzt (Abb. 2.8). An den Korngrenzen stoßen die aus der Schmelze wachsenden Körner zusammen. Korngrenzen sind stark ungeordnete Bereiche im Kristallgitter und können in der Regel von Versetzungen nicht überwunden werden. Aus diesem Grund sind sie auch als Anhäufung von Versetzungen zu verstehen. Korngrenzen behindern die Wanderung von Blochwänden und damit die Ummagnetisierung in Weichmagneten, z. B. Trafoblechen.

Abb. 2.8 Entstehung von Körnern und Korngrenzen bei der Kristallisation aus der Schmelze (a) über Keimbildung (b) und Wachstum der Kristallite (c) bis zum schematischen polykristallinen Gefüge mit Körnern und Korngrenzen (d). Die kleinen Kristallite sind typischerweise ca. 10 100 pm groß und werden Körner genannt. Die Bereiche, wo sie nach dem abgeschlossenen Kristallwachstum zusammenstoßen, heißen Korngrenzen. Diese sind ca. 10100nm breit.

Außer Korngrenzen gibt es noch andere Flächenfehler wie Zwillingsgrenzen oder Stapelfehler, die beide bevorzugt in hdp und kfz Strukturen auftreten. Von einem Stapelfehler spricht man, wenn z. B. in einem kubisch-flächenzentrierten Gitter der Zählrhythmus in der Schichtenfolge der dichtest gepackten Gitterebenen nicht ABC ABC, sondern ABC BC ABC (intrinsischer Stapelfehler) oder ABC B ABC (extrinsischer Stapelfehler) lautet, wenn also lokal die Stapelfolge der dichtest gepackten Ebenen gestört ist. Zwillingsbildung basiert auf einer Spiegelebene in der Stapelfolge der dichtest gepackten Ebenen nach dem Muster ABC ABC|BAC. Dazu sind mindestens drei übereinanderliegende Stapelfehler nötig. Stapelfehler und Zwillingsbildung tragen ebenfalls zur plastischen Verformung bei. In Ni-Ti-Formgedächtnislegierungen (Nitinol) dominiert die Zwillingsbildung sogar aufgrund der geringen Stapelfehlerenergie.

3D: Ausscheidungen

Zu den Ausscheidungen gehören z. B. Zementit in Stahl, Yz-Ausscheidungen in Su-perlegierungen(Abb. 2.9)oder Ausscheidungen in Cu-Be-Kontaktwerkstoffen. Ausscheidungen können als eigenständige Phase innerhalb von kristallinen Körnern auftreten (z. B. Ni3Al-Ausscheidungen in kfz Nickel-Mischkristall-Körnern von Superlegierungen). In diesem Fall können sie von Versetzungen geschnitten, umgangen oder überklettert werden, was bei Korngrenzen nicht der Fall ist.

Oft treten Ausscheidungen an Zentren erhöhter Energie auf, z. B. den Korngrenzen. Ausscheidungsphasen sind Phasen und haben natürlich auch Phasengrenzen. Diese wiederum kann man als zweidimensionale Gitterdefekte anschauen. Eine Phase ist ein in sich homogener Teil eines Werkstoffs bezüglich chemischer Zusammensetzung, Struktur und Eigenschaften. Es existieren ein- und mehrphasige Werkstoffe. Die Phasen sind voneinander getrennt durch sogenannte Phasengrenzen. Man unterscheidet kohärente, teilkohärente und inkohärente Phasengrenzen. Die Kohärenz beschreibt den Grad der Übereinstimmung der Gitterparameter und Kristallorientierung. Ausscheidungshärtung ist das Mittel der Wahl für Kontaktwerkstoffe, da der elektrische Widerstand nicht so signifikant ansteigt wie bei Mischkristallhärtung. Auch Hochtemperaturlegierungen enthalten oft Ausscheidungen.

Abb. 2.9 Ni3AL-yz-Ausscheidungen (hell) in einem Nickel-Mischkristall (dunkel)von Superlegierungen für Turbinenschaufeln. Zu sehen ist die Weak-Beam-Aufnahme eines Transmissionselektronenmikroskops (TEM) in der nur die Ausscheidungen als zweite Phase hell leuchten.

Im Fall der kohärenten Phasengrenze ist die Passung zwischen den beiden Phasen sehr gut, bei der inkohärenten Phasengrenze sehr schlecht (Abb. 2.10). Phasengrenzen sind von Bedeutung für die Aushärtung von Al-, Ti-, Ni- und Cu-Legierungen. Durch die Erzeugung von kohärenten Zweitphasen (Ausscheidungen) entstehen Kohärenzspannungsfelder, welche die Versetzungsbewegung behindern. Dies führt zu einer Erhöhung der Festigkeit und Härte des Werkstoffs.

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