Читать книгу Grundlagen der Funktionswerkstoffe für Studium und Praxis - Janko Auerswald - Страница 32
2.9 Verformung von Keramiken und Kunststoffen
ОглавлениеKeramiken und anorganische Gläser sind spröde. Plastische Verformung durch Versetzungsgleiten findet nicht statt. Möglich hingegen ist Kriechen, d. h. Diffusion bei hohen Temperaturen. Keramiken besitzen eine hohe Druckfestigkeit, auch bei hohen Temperaturen. Die Zug- und Biegefestigkeit ist wegen der Öffnung von Rissen unter Zugspannung und Sprödbruch wesentlich geringer und streut sehr stark entsprechend der Weibull-Statistik. Keramiken haben einen großen E-Modul und eine geringe Wärmedehnung.
Kunststoffe bestehen aus Makromolekülen. (Man kann sich Makromoleküle als Teller voller Spaghetti vorstellen!) Es gibt also keine atomare Kristallstruktur wie in Metallen und deshalb auch kein Versetzungsgleiten. Die plastische Verformung erfolgt durch das Abgleiten der Makromoleküle gegeneinander. Die Festigkeit wird somit nicht definiert durch die starken Primärbindungen in der Polymerkette, sondern durch die wesentlich schwächeren Sekundärbindungen zwischen den Ketten.
Einfluss des Vernetzungsgrades Mit zunehmender chemischer Vernetzung (,,Zu-sammenkleben der Spaghetti“) wird das Abgleiten der Makromoleküle schwieriger, d. h., ein hoher Vernetzungsgrad bedingt eine hohe Festigkeit. Thermoplaste besitzen keine chemischen Vernetzungen zwischen den Makromolekülen und sind wieder einschmelzbar. Elastomere besitzen einen geringen Vernetzungsgrad (z. B. Gummi, stark reversibel dehnbar). Duroplaste weisen einen sehr hohen Vernetzungsgrad auf. Ihre Festigkeit ist relativ hoch, aber immer noch wesentlich niedriger als jene von Metallen.
Einfluss der sterischen Behinderung Vor allem in unvernetzten Thermoplasten hat die sterische (räumliche) Behinderung der Makromoleküle beim Abgleiten einen hohen Einfluss auf die Festigkeit. Eine starke sterische Behinderung führt zu einer hohen Festigkeit. Als sterische Behinderungen gelten:
Abb. 2.27 Polyimid mit sterischen Behinderungen (Benzolringe in der Hauptkette).
• große Seitengruppen (Chloratome in PVC, Methylgruppen in Polypropylen PP, Benzolringe in Polystyrol PS)
• verzweigte Seitenketten
• Benzolringe in der Hauptkette (zum Beispiel Polyimid, Abb. 2.27)
• sehr lange Makromoleküle
Qualitativer Vergleich der Festigkeiten verschiedener Werkstoffklassen
Der folgende Vergleich (Abb. 2.28) ist qualitativ, da unter anderem die Belastungsart (Druck, Zug, Biegung, Torsion, statisch, dynamisch, Temperatur etc.) sowie der Herstellungsprozess, die Qualität, Verfestigung, Wärmebehandlung und Abmessungen des Materials eine große Rolle spielen.
Abb. 2.28 Qualitativer Vergleich von Festigkeit und E-Modul der Werkstoffklassen Polymere, Metalle und Keramiken. Festigkeitsangaben von Keramiken unterliegen der Weibull-Statistik und können je nach Gefügezustand stark streuen. Die Druckfestigkeit von Keramik ist deutlich höher als die Zugfestigkeit. Bei Kunststoffen sind die Festigkeitskennwerte wegen des viskoelastischen Verhaltens (Kriechen) und der vielen möglichen Additive ebenfalls mit Unsicherheiten behaftet.
Die Festigkeit von Polymeren liegt ungefähr zwischen 10 MPa (z. B. Polyethylen), 100 MPa (PEEK) und 250 MPa (Polyimid). Der E-Modul liegt in der gleichen Größenordnung.
Die Festigkeiten weicher Metalle wie Blei liegen ebenfalls bei 10 MPa, die von Baustahl und Aluminiumlegierungen bei 300-600 MPa, während vergütete und gehärtete Stähle Festigkeiten von 1000 bis 2000 MPa erreichen können.
Keramiken weisen theoretisch Werte von bis zu 4000 MPa und mehr auf, allerdings nur im dicht gepressten Zustand als Druckfestigkeit. Sobald Zugspannungen an der Oberfläche wirken (Zug, Biegung), verhalten sie sich spröde und brechen auch bei wesentlich tieferen mechanischen Spannungen. Andererseits verfügen Keramiken über hohe Werte des E-Moduls und damit über geringe thermische Ausdehnungskoeffizienten, was in der Präzisionsmechanik sehr wichtig ist.