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Sex und das Rätsel in mir – auf dem Heuboden – Bolsover d. Ä. und das Geschlecht

Manchmal habe ich mich gefragt, ob andere in derselben Zwangslage waren, und einmal habe ich bei einem besonders guten Schulfreund vorsichtig versucht, die Sprache darauf zu bringen. Mir war der Gedanke gekommen, dass womöglich meine Verfassung etwas vollkommen Normales war und jeder Junge sich wünschte, ein Mädchen zu werden. Das schien doch nur logisch, wenn Frauen sämtlich so großartige und bewundernswerte Wesen waren, wie Geschichte, Religion und Benimmregeln uns gemeinschaftlich versicherten. Allerdings verlor ich diese Illusion schnell wieder, denn mein Freund bog meine Frage mit Gusto in einen schmutzigen Witz um, und ich zog sie eilig zurück, kichernd und verlegen.

Dass mein Dilemma tatsächlich von meinen Geschlechtsorganen herrührte, kam mir damals nicht in den Sinn und scheint mir auch heute noch unwahrscheinlich. Bald war ich alt genug für die Public School, und dort in Lancing lernte ich sehr genau die Fakten der menschlichen Reproduktion; sie schienen mir arg prosaisch. Das finde ich bis heute. Da wunderte es mich überhaupt nicht, dass Maria mit der Schönheit einer jungfräulichen Geburt gesegnet worden war, denn nichts konnte für meine Begriffe unpoetischer sein als die Mechanik des Geschlechtsverkehrs, etwas, das jedes Lebewesen ohne Weiteres tun kann, ja, das sehr leicht sogar künstlich funktioniert. Dass meine unausgegorenen Sehnsüchte, geboren aus Wind und Sonnenschein, aus Musik und Tagträumen – dass mein Rätsel einfach eine Frage von Penis oder Vagina sein sollte, von Hoden und Gebärmutter, scheint mir bis heute eine abwegige Vorstellung, denn es ging doch nicht um meinen Fortpflanzungsapparat, sondern um mein Ich.

Wenn es damals irgendwo auf der Welt eine Institution gab, die mich hätte überzeugen können, dass ein Männerleben dem weiblichen vorzuziehen war, dann war es bestimmt nicht Lancing College. Inzwischen hatte der Zweite Weltkrieg begonnen, und die Schule residierte nicht mehr in ihren prachtvollen Gebäuden in Sussex, sondern in einer Ansammlung von Landhäusern in Shropshire. Ich vermute, sie hatte dadurch viel von ihrer Geschlossenheit und Selbstgewissheit verloren; jedenfalls erwies sie sich nach der Seligkeit von Oxford und der beschwingten Großzügigkeit zu Hause als enttäuschend stillos, und nichts an dieser Schule fand ich aufregend, nichts gab mir das verlorene Gefühl des Heiligen zurück.

Ich war nie wirklich unglücklich dort, aber die ganze Zeit über hatte ich Angst. Die Lehrerschaft war durchweg freundlich, doch das grässliche Präfektensystem konnte sehr grausam sein. Ich kam ständig in Schwierigkeiten, meistens durch dumme Fehler meinerseits, und bezog häufiger Prügel als jeder andere Junge in meinem Haus. Ein albernes, gehässiges Ritual gehörte dazu, wenn man vom Hausvorsteher geschlagen wurde. Der Kellerraum war mit Decken oder Vorhängen ausgehängt, wodurch er tatsächlich wie eine Folterkammer wirkte, und sämtliche anderen Präfekten assistierten. Ich war jedes Mal krank vor Angst, und selbst heute, dreißig Jahre später, ist mir noch unwohl, wenn ich daran denke. Und nichts was ich später als Drill bei der britischen Armee kennenlernen sollte, kein Feldwebelgebrüll und kein Sarkasmus der Adjutanten, war so angsteinflößend wie das Regime des Lancing College Officers Training Corps mit seinen Paraden jeden Donnerstagnachmittag, bei denen alle zur Teilnahme verpflichtet waren. Wir trugen Uniformen aus dem Ersten Weltkrieg und exerzierten mit Gewehren aus dem 19. Jahrhundert, kürzlich den Italienern in Nordafrika abgenommen, und allein schon ein Knopf, der nicht genug glänzte, eine schief gewickelte Gamasche genügte, um angebrüllt zu werden. Zwanzig Jahre oder noch länger ist mir der Schrecken dieser Paraden im Traum erschienen, die stechenden blassblauen Augen des Fähnrichsanwärters, wie er sich mir bei der Parade spöttisch und erwartungsvoll näherte (denn wenn ich tatsächlich einmal da war, das heißt niemanden davon überzeugen konnte, dass ich mir den Knöchel verstaucht oder eine schwere Erkältung hatte, dann war mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ich derjenige, an dessen Aufzug sich etwas aussetzen ließ).

An dieser Art Gesellschaft wollte ich keinen Anteil. Ich verließ Lancing zum frühestmöglichen Zeitpunkt und meldete mich mit siebzehn freiwillig zur Armee, und wenn ich an meine Jahre auf dieser Schule zurückdenke, fallen mir nur zwei Dinge ein, die mir Freude gemacht haben. Eins war das Vergnügen, auf meinem Fahrrad das walisische Grenzland zu erkunden; das andere Vergnügen war Sex. Wenn ich zu den farnkrautüberwucherten Hügeln zog oder die Burgen erkundete, die über diese lang umkämpfte Grenze wachten, dann zog ich mich in ein Leben zurück, das wahrhaftiger, persönlicher war als alles, was Lancing zuließ; und wenn die Berührung durch die kräftige Hand eines Präfekten verstohlen unter dem Teestubentisch mich erregte, dann konnte ich vergessen, dass er mich in der Woche zuvor geprügelt hatte; bei ihm konnte ich wirklich ich selbst sein, nicht das armselige Kind, das sich weinend über die Packkiste beugen musste, sondern jemand, der um vieles erwachsener war, selbstvertrauter, selbstbestimmter.

Ich hoffe, niemand wird mich für narzisstisch halten, wenn ich sage, dass ich ein recht attraktiver Junge war, vielleicht nicht gerade eine Schönheit, aber schlank und rank. Und da das englische Schulsystem nun einmal ist, wie es ist, blieben Avancen nicht aus, und meine inneren Überzeugungen gewannen vollkommen neue Konturen dadurch. Es schien mir ganz natürlich, in diesen kurzlebigen und meist ziemlich harmlosen Romanzen die Rolle des Mädchens zu übernehmen, und die platonische Seite davon genoss ich sehr. Es machte Spaß, wenn jemand mir den Hof machte, es war eine Genugtuung, wenn er mich bewunderte, und es war auch nützlich, Beschützer in der Oberstufe zu haben. Ich genoss es, wenn sie mich auf der Dienstbotentreppe küssten, und es schmeichelte mir sehr, als der Adonis unter den Oberklässlern unseres Hauses hochkomplizierte Pläne schmiedete, damit wir uns auch in den Ferien sahen.

Wenn es dann allerdings zu der eher elementaren Seite der Knabenliebe kam, stellte ich fest, dass ich sie zwar nicht direkt abstoßend, aber doch peinlich fand. Es schien mir, ästhetisch gesprochen, einfach nicht richtig. Nichts passte. Unsere Körper hielten nicht aneinander, und außerdem fand ich, dass zwar Flatterhaftigkeit beim Flirt auf harmlose Weise unterhaltsam war, diese körperliche Intimität mit bloßen Bekannten dagegen unelegant. Das war nicht das, worauf Oxfords heilige Hallen mich vorbereitet hatten. Es war auch nicht das, woran die Mädchen unter meinen Freunden dachten, wenn sie mit stockendem Atem von der Hochzeitsnacht sprachen. Von Jungfrauengeburt war es meilenweit entfernt. Es machte mir auch Kummer, dass zwar mein Körper sich oft danach sehnte, sich hinzugeben, sich zu öffnen, dass aber die Apparatur nicht die richtige dafür war. Sie war für etwas anderes gedacht, und mir schien sie für mich vollkommen falsch.

Ich fürchte, meine Verehrer fanden mich frigide, selbst die, die ich am meisten mochte, und dabei wollte ich doch nicht undankbar sein. Ihre Absichten schockierten mich nicht, aber ich brachte es einfach nicht fertig, sie zu erwidern. Wir gingen unserem verbotenen Vergnügen meist auf den Heuböden von Bauernhöfen nach, oder in den luftigen Schobern, die sie damals noch auf den Feldern errichteten, und ich finde, es sagt alles, dass das, was mir von diesen ersten sexuellen Erfahrungen am lebhaftesten und am sinnlichsten in Erinnerung geblieben ist, nicht die täppischen Umarmungen von Bolsover dem Älteren sind, nicht der schwere Atem seiner Leidenschaft, die deftige Art, wie er uns von unseren Hosen befreite, sondern das warme und ein wenig modrige Gefühl des Heus auf meinem Körper, das und der Geruch der gärenden Äpfel in der Scheune unter uns.

Das also war Sex! Mir war auf Anhieb klar, dass dies etwas anderes als das Geschlecht war – oder besser gesagt etwas anderes als jener innere Faktor, den ich als das Weibliche in mir identifiziert hatte. Letzteres, schien mir, war zwar gewiss von großer Bedeutung für zwischenmenschliche Beziehungen, aber beinahe nebensächlich bei Bolsovers Vergnügungen im Heuschober – und das stimmte, denn hätte Bolsover sich in jenem Augenblick nicht mit einem attraktiven jüngeren Mitschüler vergnügen können, wäre er gewiss trotzdem dort hinaufgestiegen und hätte sich mit sich selbst vergnügt.

Für mich ist Geschlecht überhaupt nichts Physisches, sondern etwas ganz und gar Immaterielles. Es ist Seele, könnte man sagen, es ist Talent, Geschmack, Umwelt und Umgebung, es ist die Stimmung eines Menschen, Licht und Schatten, es ist die Musik in unserem Inneren, es ist die Beschwingtheit eines Schrittes oder ein Blick, den wir wechseln, es ist mehr Leben und Liebe, als jede Kombination aus Genitalien, Ovarien und Hormonen je sein kann. Es ist das Wesentliche unserer selbst, die Psyche, das Bruchstück, das zum Ganzen gefügt werden soll. Männlich und weiblich sind die Geschlechtsorgane, maskulin und feminin die Identitäten des Geschlechts, und auch wenn es zwischen den beiden Konzepten natürlich Überschneidungen gibt, sind es alles andere als Synonyme. Geschlechtsidentität ist, wie C. S. Lewis einmal schrieb, nicht einfach nur eine fantasievolle Erweiterung des physischen Geschlechts. »Geschlecht ist etwas Reales, eine viel tiefergehende Realität als das Sexuelle. Ja, Sexualität ist lediglich die Anpassung einer grundlegenden Polarität an die Erfordernisse des organischen Lebens, einer Polarität, die der gesamten Schöpfung gemeinsam ist. Die Sexualität einer Frau ist einfach eine der Erscheinungsformen des weiblichen Geschlechts; es gibt viele weitere, und das Männliche und das Weibliche begegnen uns auf Ebenen der Realität, auf denen eine Unterscheidung zwischen Mann und Frau schlichtweg unsinnig wäre.«

Lewis verglich die Unterschiede zwischen Maskulinem und Femininem mit denen zwischen Rhythmus und Melodie oder zwischen einer geballten Faust und einer offenen Hand. Was ich in meinem Inneren hörte, war eine Melodie, das stand fest, kein Trommelrühren und keine Fanfare, und mein Verstand mochte zwar bisweilen geballt sein, aber mein Herz war ja nur zu offen. Später wurde es Mode, von meinem Zustand als »Geschlechtsverwirrung« zu reden, aber ich finde diesen Ausdruck unpassend und bigott: Ich habe an meiner geschlechtlichen Identität seit jenem Augenblick unter dem Klavier, in dem sie mir klarwurde, kein einziges Mal mehr gezweifelt. Nichts auf der Welt hätte mich dazu gebracht, meinem Geschlecht untreu zu werden, auch wenn es weiterhin vor aller Welt verborgen blieb; mein Körper hingegen, meine Organe mit allem, was dazugehörte, schienen mir weit weniger sakrosankt, und um vieles uninteressanter dazu.

Was nicht heißen soll, dass ich unempfänglich für körperliche Anziehung gewesen wäre. Zu den namenlosen Sehnsüchten, die mich auch weiterhin bedrängten, gehörte der Wunsch, einen tieferen, physischeren Anteil am Leben zu erhalten. Ich hatte den Eindruck, dass mir zu den großen Grundkonstanten des menschlichen Lebens, Geburt und Tod, irgendwie der Zugang fehlte, sodass ich nicht dazugehörte und alles nur von Ferne sah, als spähte ich durch eine Fensterscheibe. Die Leben anderer Menschen um mich herum schienen mir echter, weil sie näher an jenen Grundkonstanten waren, eine vertrauliche Verbindung mit ihnen eingegangen waren. Kurz, heute sehe ich, dass ich mir damals sehr gewünscht habe, ich könne eines Tages Mutter werden, und vielleicht war die Tatsache, dass ich mich so sehr mit der Jungfrauengeburt beschäftigte, nur meine Art, einzusehen, dass ich das niemals sein konnte. Mein Leben lang habe ich Babys gern gehabt, mit jener geradezu zwanghaften Begehrlichkeit, die vermutlich unglückliche alte Jungfern in einem bestimmten Alter zur Kindesentführung treibt; und als ich später in das Alter kam, in dem andere Mütter werden, aber auch weiterhin dazu nicht in der Lage war, tat ich das Zweitbeste und wurde stattdessen Vater.

Was hätte Bolsover gesagt, wenn ich, mich aus der Umklammerung seiner Lenden lösend, solche Sophistereien als Rechtfertigung vorgebracht hätte? Aber für mich war das alles offensichtlich. Ich war im falschen Körper zur Welt gekommen, weiblich in meiner Identität, männlich in den Organen, und zu meiner wahren Bestimmung konnte ich nur kommen, wenn eins dem anderen angepasst wurde. Ich habe darüber nun seit vier Jahrzehnten nachgedacht, und auch wenn ich weiß, dass eine solche absolute Erfüllung sich niemals erreichen lässt – ein Mann kann nicht Mutter werden, nicht einmal durch ein Wunder –, bin ich bis heute zu keinem anderen Schluss gekommen.

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