Читать книгу Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk - Ярослав Гашек, Ярослав Гашек, Jaroslav Hasek - Страница 14

Schwejk als Simulant

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In jener großen Zeit wandten die Militärärzte ungewöhnliche Mühe daran, den Simulanten den Teufel der Sabotage auszutreiben und sie wieder in den Schoß der Armee zurückzuführen.

Es gab einige Grade der Folter für Simulanten und solche, die als Simulanten verdächtig waren, als da sind: Schwindsüchtige, Rheumatiker, Bruchleidende, Nierenleidende, Typhuskranke, Zuckerkranke, Leute mit Lungenentzündung und anderen Gebrechen.

Die Folter, der die Simulanten unterworfen wurden, war genau geregelt, und ihre Grade waren folgende:

Absolute Diät, früh und abends drei Tage lang je eine Tasse Tee, wobei allen, ohne Rücksicht darauf, worüber sie klagen, Aspirin zum Schwitzen verabreicht wird.

Um jedem den Gedanken auszutreiben, daß der Krieg ein Honiglecken sei, wird in reichlichen Portionen Chinin in Pulverform oder sogenanntes »Chinin zum Lecken« verabreicht.

Zweimal täglich Magenausspülungen mit einem Liter warmen Wassers.

Ein Klistier, unter Benützung von Seifenwasser und Glyzerin.

Eine Packung in ein in kaltes Wasser getauchtes Leintuch.

Es gab tapfere Menschen, die alle fünf Grade der Tortur überstanden und sich in einem einfachen Sarg auf den Soldatenfriedhof schaffen ließen. Aber es gab auch kleinmütige Menschen, die, wenn sie beim Klistier angelangt waren, erklärten, daß ihnen bereits gut sei und daß sie nichts anderes wünschten, als mit dem nächsten Marschbataillon in die Schützengräben abzugehen. Schwejk brachte man im Garnisonsarrest in die Krankenbaracke, just unter solche kleinmütige Simulanten.

»Ich halts nicht mehr aus«, sagte sein Bettnachbar, den man aus dem Ordinationszimmer gebracht hatte, wo ihm bereits zum zweitenmal der Magen ausgespült worden war.

Dieser Mann simulierte Kurzsichtigkeit.

»Morgen fahr ich zum Regiment«, entschloß sich der Nachbar auf der linken Seite, der gerade ein Klistier bekommen hatte und simulierte, daß er taub sei wie ein Klotz.

In dem Bett bei der Tür lag ein sterbender Schwindsüchtiger, in ein in kaltes Wasser getauchtes Leintuch gehüllt.

»Das ist schon der dritte diese Woche«, bemerkte der Nachbar auf der rechten Seite, »und was fehlt dir?«

»Ich hab Rheuma«, antwortete Schwejk, worauf ein aufrichtiges Gelächter aller rundherum folgte. Sogar der sterbende Schwindsüchtige, der Tuberkulose simulierte, lachte.

»Mit Rheumatismus komm nicht erst unter uns«, sagte ein feister Mann eindringlich zu Schwejk, »Rheumatismus is hier soviel wert wie Hühneraugen; ich bin blutarm, hab den halben Magen und fünf Rippen weg und niemand glaubts mir. Hier is sogar ein Taubstummer gewesen, vierzehn Tage ham sie ihn hier jede halbe Stunde in ein in kaltes Wasser getauchtes Leintuch gewickelt, jeden Tag hat man ihm ein Klistier gegeben und ihm den Magen ausgepumpt. Alle Sanitäter ham schon geglaubt, daß ers gewonnen hat und nach Haus gehen wird, bis ihm der Doktor was zum Brechen verschrieben hat. Umreißen hats ihn können, und da hat er klein beigegeben. ›Ich kann nicht länger den Taubstummen spieln‹, sagt er, ›ich hab wieder Sprache und Gehör.‹ Die Maroden ham ihm alle zugeredet, er soll sich nicht ins Unglück stürzen, aber er is dabei geblieben, daß er spricht und hört wie die übrigen. Und so hat ers auch früh bei der Visit gemeldet.«

»Er hat sich lang genug gehalten«, bemerkte ein Mann, der simulierte, daß er ein um einen vollen Dezimeter kürzeres Bein habe, »nicht so wie der, was simuliert hat, daß ihn der Schlag getroffen hat. Drei Chinine, ein Klistier und ein eintägiges Fasten ham genügt. Er hat gestanden, und bevors zum Magenpumpen gekommen is, war vom Schlag keine Spur mehr. Am längsten hat sich der gehalten, was von einem tollen Hund gebissen worn ist. Er hat gebissen, geheult, wirklich, das hat er ausgezeichnet getroffen, aber den Schaum beim Maul hat er nicht und nicht zuwege bringen können. Wir ham ihm geholfen, wie wir ham können. Wir ham ihn paarmal eine ganze Stunde vor der Visit gekitzelt, bis er Krämpfe gekriegt hat und ganz blau geworn is, aber der Schaum beim Maul is nicht und nicht gekommen. Es war schrecklich. Wie er sich einmal früh bei der Visit ergeben hat, hat er uns leid getan. Er hat sich beim Bett aufgestellt wie eine Kerze, hat salutiert und gesagt: ›Melde gehorsamst, Herr Oberarzt, daß der Hund, was mich gebissen hat, wahrscheinlich nicht toll war.‹ Der Oberarzt hat ihn so eigentümlich angeschaut, daß der Gebissene am ganzen Leib zu zittern angefangen hat und fortgesetzt hat: ›Melde gehorsamst, Herr Oberarzt, daß mich überhaupt kein Hund gebissen hat, ich hab mich selbst in die Hand gebissen.‹ Nach diesem Geständnis hat man gegen ihn wegen Selbstverstümmlung eine Untersuchung eingeleitet, daß er sich die Hand abbeißen wollt, um nicht ins Feld zu müssen.«

»Alle solche Krankheiten, wo man Schaum vorm Maul braucht«, sagte der feiste Simulant, »lassen sich schlecht simulieren. Wie zum Beispiel die hinfallende Krankheit. Da war hier auch einer mit hinfallender Krankheit, der hat uns immer gesagt, daß es ihm auf einen Krampf nicht ankommt, so hat er euch manchmal zehn in einem Tag zuwege gebracht. Er hat sich in Krämpfen gewunden, hat die Fäuste geballt, hat die Augen herausgewälzt, daß es ausgesehen hat, wie wenn er sie auf Stielen hätt, hat um sich geschlagen, die Zunge herausgesteckt, kurz ich sag euch, eine herrliche erstklassige hinfallende Krankheit, so eine ganz echte. Auf einmal hat er Asten bekommen, zwei am Hals, zwei am Rücken, und aus wars mit den Krämpfen und mit dem Auf-den-Boden-Schlagen, weil er den Kopf nicht hat rühren können, nicht sitzen und nicht liegen. Er hat Fieber gekriegt, und im Fieber hat er bei der Visit alles verraten. Und er hat uns mit diesen Asten ordentlich zugesetzt, weil er mit ihnen noch drei Tage hat zwischen uns liegen müssen und zweite Diät gekriegt hat, früh Kaffee mit einer Semmel, abends Brei oder Suppe, und wir ham zuschaun müssen mit hungrigem ausgepumptem Magen und ganzer Diät, wie der Kerl frißt, schmatzt und vor Sattheit faucht und rülpst. Dreien hat er damit ein Bein gestellt, sie ham auch gestanden. Die sind mit Herzfehler gelegen.«

»Am besten«, sagte einer von den Simulanten, »läßt sich Wahnsinn simulieren. Von unserm Lehrkörper sind nebenan im Zimmer zwei, einer schreit fortwährend bei Tag und Nacht: ›Der Scheiterhaufen Giordano Brunos raucht noch, erneuert den Prozeß Galileis!‹, und der zweite bellt, erst dreimal langsam: haf – haf – haf, dann fünfmal schnell nacheinander: hafhafhafhafhaf und wieder langsam, und so gehts immerfort. Er hats schon über drei Wochen ausgehalten. Ich hab auch ursprünglich einen Narren machen wolln, hab religiösen Wahnsinn heucheln, von der Unfehlbarkeit des Papstes predigen wolln, aber zum Schluß hab ich mir von einem Raseur auf der Kleinseite für fünfzehn Kronen einen Magenkrebs besorgt.«

»Ich kenn einen Rauchfangkehrer in Břevnov«, bemerkte ein anderer Patient, »der macht euch für zehn Kronen so ein Fieber her, daß ihr aus dem Fenster springt.«

»Das is nix«, sagte ein anderer, »in Wrschowitz gibts eine Hebamme, die euch für zwanzig Kronen so gut das Bein ausrenkt, daß ihr euer Leben lang ein Krüppel bleibt!«

»Mir hat man das Bein für fünf Kronen ausgerenkt«, ließ sich eine Stimme von einem Bett in der Nähe des Fensters her vernehmen, »für fünf Kronen und drei Biere.«

»Mich kostet meine Krankheit schon über zweihundert«, erklärte sein Nachbar, eine vertrocknete Stange, »nennt mir, welches Gift ihr wollt, ihr werdet keins finden, das ich noch nicht genommen hab. Ich bin ein lebendiges Giftmagazin. Ich hab Sublimat getrunken, ich hab Quecksilberdämpfe eingeatmet, ich hab Arsen gekaut, ich hab Opium geraucht, ich hab eine Opiumtinktur getrunken, ich hab mir Morphium aufs Brot gestreut, ich hab Strychnin geschluckt, ich hab eine Phosphormischung von Schwefel und Schwefelsäure ausgetrunken. Ich hab mir Leber, Lunge, Nieren, Galle, Hirn, Herz, Därme ruiniert. Niemand weiß, was für eine Krankheit ich hab.«

»Das beste is«, behauptete jemand von der Tür her, »wenn man sich Petroleum unter die Haut am Arm spritzt. Mein Vetter war so glücklich, daß man ihm den Arm bis untern Ellbogen abgenommen hat, und heut hat er vorm Militär Ruh.«

»No also, seht ihr«, sagte Schwejk, »das alles muß jeder für unsern Kaiser aushalten. Sogar das Magenpumpen und das Klistier. Wie ich vor Jahren bei meinem Regiment gedient hab, da wars noch ärger. Da hat man so einen Maroden krummgeschlossen zusammengebunden und ins Loch geworfen, damit er sich auskuriert. Da hats keine Kavalletts gegeben wie hier oder Spucknäpfe. Eine bloße Pritsche, und auf der sind die Maroden gelegen. Einmal hat einer wirklichen Typhus gehabt und der andre neben ihm schwarze Blattern. Beide waren krummgeschlossen, und der Regimentsarzt hat sie in den Bauch gekickt, daß sie herich Simulanten sind. Dann, wie diese zwei Soldaten gestorben sind, is es ins Parlament gekommen und in der Zeitung gestanden. Man hat uns gleich verboten, diese Zeitungen zu lesen, und eine Koffervisite gemacht, wer diese Zeitungen hat. Und wie ich halt schon immer Pech hab, hat man sie beim ganzen Regiment nirgends gefunden, nur bei mir. So hat man mich also zum Regimentsrapport geführt, und unser Oberst, der Ochs, Gott hab ihn selig, hat angefangen mich anzubrülln, daß ich grad stehn und sagen soll, wer das in diese Zeitung geschrieben hat, oder er wird mirs Maul von einem Ohr zum andern zerreißen und mich einsperrn lassen, bis ich schwarz wer. Dann is der Regimentsarzt gekommen, hat mir mit der Faust vor der Nase herumgefuchtelt und geschrien: ›Sie verfluchter Hund, Sie schäbiges Wesen, Sie unglückliches Mistvieh, du Sozialistenbengel, du!‹ Ich schau allen aufrichtig in die Augen, zwinker nicht mal und schweig, die Hand an der Mütze und die Linke an der Hosennaht, sie laufen um mich herum wie Hunde, belln mich an, und ich fort, wie wenn nichts. Ich schweig, leist die Ehrenbezeigung, die linke Hand an der Hosennaht. Wie sies so vielleicht eine halbe Stunde getrieben ham, is der Oberst auf mich zugelaufen und hat gebrüllt: ›Bist du ein Blödian oder bist du kein Blödian?‹ – ›Melde gehorsamst, Herr Oberst, ich bin ein Blödian.‹ – ›Einundzwanzig Tage strengen Arrest wegen Blödheit, zwei Fasttage wöchentlich, einen Monat Kasernenarrest, achtundvierzig Stunden Spangen, gleich einsperrn, nichts zu fressen geben, krummschließen, damit er sieht, daß das Ärar keine Blödiane braucht. Wir wern dir schon die Zeitungen aus dem Kopf schlagen, du Falott‹, schloß der Herr Oberst nach langem Herumlaufen. Während ich gebrummt hab, ham sich in der Kaserne Wunder ereignet. Unser Oberst hat den Soldaten überhaupt verboten zu lesen, und wenns auch nur die ›Pra ké Úřední Noviny‹ waren, in der Kantine ham sie nicht mal Wurst und Käsl in Zeitungen wickeln dürfen. Seit der Zeit ham die Soldaten angefangen zu lesen, und unser Regiment is das gebildetste geworn. Wir ham alle Zeitungen gelesen, und bei jeder Kompanie hat man Verse und Lieder auf den Herrn Oberst gemacht, und wenn was beim Regiment geschehn is, hat sich immer in der Mannschaft ein Wohltäter gefunden, ders in die Zeitung gegeben hat unter dem Titel ›Soldatenmißhandlungen‹. Und dran war noch nicht genug. Sie ham den Abgeordneten nach Wien geschrieben, daß sie sich ihrer annehmen solln, und die ham angefangen, eine Interpellation nach der andern einzubringen, daß unser Herr Oberst eine Bestie is und so was. Irgendein Minister hat zu uns eine Kommission geschickt, damit sie das untersuchen soll, und ein gewisser Franta Hentschl aus Hluboká hat dann zwei Jahre gefaßt, weil ers war, der sich nach Wien an die Abgeordneten gewendet hat wegen der Watschen, die er am Exerzierplatz vom Herrn Oberst erwischt hat. Dann, wie die Kommission weggefahren is, hat uns der Herr Oberst alle antreten lassen, das ganze Regiment, und hat gesagt, ein Soldat is ein Soldat, er muß das Maul halten und weiterdienen, wenn ihm was nicht gefällt, so is das eine Subordinationsverletzung. ›Ihr habt euch also gedacht, ihr Lumpen, daß euch diese Kommission helfen wird‹, sagt der Herr Oberst, ›einen Dreck wird sie euch helfen. Und jetzt wird jede Kompanie an mir vorbeidefilieren und laut wiederholn, was ich gesagt hab.‹ – So sind wir also eine Kompanie hinter der andern marschiert, rechts schaut, wo der Herr Oberst gestanden is, die Hand am Gewehrriemen, und ham ihn angebrüllt: ›Wir ham uns also gedacht, wir Lumpen, daß uns diese Kommission helfen wird, einen Dreck wird sie uns helfen.‹ – Der Herr Oberst hat gelacht, daß er sich den Bauch gehalten hat, bis die elfte Kompanie vorbeidefiliert. Sie marschiert, stampft, und wie sie zum Herrn Oberst kommt, nichts, Stille, nicht ein Ton. Der Herr Oberst is rot geworn wie ein Hahn und hat die elfte Kompanie zurückgeschickt, damit sies wiederholt. Sie defiliert und schweigt, und eine Reihe nach der andern schaut nur dem Herrn Oberst frech in die Augen. – ›Ruht!‹ sagt der Herr Oberst und geht am Hof auf und ab, schlägt sich mit der Peitsche über die Stiefelschäfte, spuckt aus, dann bleibt er auf einmal stehn und brüllt: ›Abtreten!‹, setzt sich auf seinen Gaul, und schon is er aus dem Tor heraus. Wir ham gewartet, was mit der elften Kompanie geschehn wird, und fort, wie wenn nix. Wir warten einen Tag, zwei, eine ganze Woche und fort, wie wenn nix. Der Herr Oberst hat sich in der Kaserne überhaupt nicht gezeigt, wovon die Mannschaft, die Chargen und die Offiziere große Freude gehabt ham. Dann hamr einen neuen Oberst bekommen, und von dem alten hat man erzählt, daß er in einem Sanatorium is, weil er Seiner Majestät dem Kaiser einen eigenhändigen Brief geschrieben hat, daß die elfte Kompanie gemeutert hat.«

Die Zeit der Nachmittagsvisite rückte heran.

Militärarzt Grünstein schritt von Bett zu Bett, hinter ihm ein Sanitätsunteroffizier mit dem Protokollbuch.

»Makuna?«

»Hier!«

»Klistier und Aspirin! – Pokorny?«

»Hier!«

»Magen auspumpen und Chinin! – Kovařik?«

»Hier!«

»Klistier und Aspirin! – Kotatko?«

»Hier!«

»Magen auspumpen und Chinin!«

Und so gings einer nach dem andern, ohne Erbarmen, mechanisch, stramm. »Schwejk?«

»Hier!«

Doktor Grünstein betrachtete den neuen Zuwachs.

»Was fehlt Ihnen?«

»Melde gehorsamst, ich hab Rheuma!«

Doktor Grünstein hatte sich während der Zeit seiner Praxis eine feine Ironie angeeignet, die viel nachdrücklicher wirkte als Geschrei.

»Aha, Rheuma«, sagte er zu Schwejk, »da haben Sie aber eine äußerst schwere Krankheit. Es ist wirklich ein Zufall, Rheuma zu bekommen, wenn ein Weltkrieg ausgebrochen ist und man in den Krieg ziehn soll. Ich glaube, das muß Sie schrecklich verdrießen.«

»Melde gehorsamst, Herr Oberarzt, daß es mich schrecklich verdrießt.«

»Da schau her, es verdrießt ihn also. Das ist sehr hübsch von Ihnen, daß Sie sich gerade jetzt an diesen Rheumatismus erinnert haben. In Friedenszeiten läuft so ein armer Teufel herum wie ein Zickel, aber wie ein Krieg ausbricht, gleich hat er Rheuma und gleich versagen ihm die Knie. Tun Ihnen nicht die Knie weh?«

»Melde gehorsamst, daß ja.«

»Und die ganzen Nächte können Sie nicht schlafen, nicht wahr? Rheuma ist eine sehr gefährliche, schmerzhafte und schwere Krankheit. Wir haben hier mit Rheumatikern schon gute Erfahrungen gemacht. Die absolute Diät und der übrige Teil unserer Behandlung hat sich sehr bewährt. Sie werden hier früher gesund werden als in Pistyan und werden an die Front marschieren, daß es hinter Ihnen nur so stauben wird.«

Zum Sanitätsunteroffizier gewendet, sagte er: »Schreiben Sie: Schwejk, absolute Diät, zweimal täglich Magen auspumpen, einmal täglich ein Klistier. Wies weitergehn wird, werden wir sehn. Inzwischen führen Sie ihn ins Ordinationszimmer, pumpen Sie ihm den Magen aus, und bis er zu sich kommt, geben Sie ihm ein Klistier, aber ein ordentliches, daß er alle Heiligen anruft, damit sein Rheuma erschrickt und davonläuft.«

Dann wandte er sich allen Betten zu und hielt eine Rede voll schöner und vernünftiger Sentenzen: »Glaubt nicht, daß ihr einen Ochsen vor euch habt, der sich alles an die Nase binden läßt. Mich bringt euer Benehmen durchaus nicht aus dem Gleichgewicht. Ich weiß, daß ihr alle Simulanten seid, daß ihr vom Militär desertieren wollt. Und demgemäß behandle ich euch. Ich habe Hunderte und Hunderte solcher Soldaten überlebt, wie ihr es seid. In diesen Betten sind ganze Scharen von Menschen gelegen, denen nichts anderes gefehlt hat als kriegerischer Geist. Während ihre Kameraden im Felde kämpfen, haben sie geglaubt, daß sie sich in den Betten wälzen, Krankenkost bekommen und warten können, bis der Krieg vorbei ist. Da haben sie sich aber sakramentisch getäuscht, und auch ihr alle werdet euch sakramentisch täuschen. Noch nach zwanzig Jahren werdet ihr aus dem Schlaf schreien, wenn ihr davon träumen werdet, wie ihr bei mir simuliert habt.«

»Melde gehorsamst, Herr Oberarzt«, ertönte es leise aus einem Bett beim Fenster, »ich bin schon gesund, ich hab schon in der Nacht gemerkt, daß mir der Stickhusten vergangen is.«

»Sie heißen?«

»Kovařik, melde gehorsamst, ich soll ein Klistier bekommen.

»Gut, das Klistier bekommen Sie noch auf den Weg«, entschied Doktor Grünstein, »damit Sie sich nicht beschweren, daß wir Sie hier nicht behandelt haben. So, und jetzt alle Maroden, die ich vorgelesen habe, dem Unteroffizier nach, damit jeder bekommt, was ihm gebührt.«

Und jeder bekam auch eine redliche Portion, wie sie ihm vorgeschrieben war. Und wenn sich einige bemühten, auf die Vollstrecker der ärztlichen Befehle durch Bitten oder die Drohung einzuwirken, daß sie, die Patienten, sich auch zur Sanität melden und ihre Peiniger ihnen vielleicht einmal in die Hände fallen könnten, Schwejk verhielt sich tapfer.

»Schon mich nicht«, forderte er jenen Schergen auf, der ihm das Klistier gab, »denk an deinen Eid. Selbst wenn dein Vater oder dein eigner Bruder hier liegen möcht, gib ihnen ein Klistier, ohne mit der Wimper zu zucken. Denk dir, daß Österreich auf solchen Klistieren ruht, und der Sieg ist unser.«

Am folgenden Tag bei der Visite fragte Doktor Grünstein Schwejk, wie es ihm im Militärspital gefalle.

Schwejk entgegnete, daß es ein gutes, erhabenes Unternehmen sei. Zur Belohnung erhielt er dieselbe Behandlung wie gestern, nebst einem Aspirin und drei Pulvern Chinin, die man ihm ins Wasser schüttete, worauf er sie sofort austrinken mußte.

Nicht einmal Sokrates hat den Giftbecher mit solcher Ruhe ausgetrunken wie Schwejk, an dem Doktor Grünstein alle Grade der Folter ausprobierte, das Chinin.

Als man Schwejk in Anwesenheit des Arztes in ein nasses Leintuch wickelte, antwortete er auf die Frage, wie ihm dies gefalle: »Melde gehorsamst, Herr Oberarzt, es is wie auf der Schwimmschule oder im Seebad.«

»Haben Sie noch Rheuma?«

»Melde gehorsamst, Herr Oberarzt, es will nicht und nicht besser wern.«

Schwejk wurde einer neuen Tortur unterworfen.

Zu jener Zeit wandte die Witwe nach einem General der Infanterie, Baronin von Botzenheim, große Bemühungen daran, jenen Soldaten ausfindig zu machen, über den die »Bohemia« kürzlich einen Artikel veröffentlicht hatte, der schilderte, wie er, der Krüppel, sich in einem Krankenwagerl zur Assentierung fahren ließ und: »Auf nach Belgrad!« rief, was der Redaktion der »Bohemia« Anlaß zu einer Aufforderung an ihre Leser gab, Sammlungen zugunsten des loyalen verkrüppelten Helden zu veranstalten.

Schließlich wurde auf Grund einer Anfrage bei der Polizeidirektion festgestellt, daß es sich um Schwejk handle, und das Weitere ließ sich dann schon leicht erforschen. Baronin von Botzenheim packte ihre Gesellschafterin und ihren Kammerdiener samt einem Korb zusammen und fuhr auf den Hradschin.

Die arme Baronin wußte nicht einmal, was es bedeutet, wenn jemand im Spital des Garnisonsarrestes liegt. Ihre Visitkarte öffnete ihr die Türe des Gefängnisses, in der Kanzlei kam man ihr ungemein höflich entgegen, und schon fünf Minuten später wußte sie, daß »der brave Soldat Schwejk«, nach dem sie fragte, in der 3. Baracke, Bett Nummer 17 lag. Doktor Grünstein selbst, der wie vor den Kopf geschlagen war, begleitete sie.

Schwejk saß gerade nach der täglichen, von Doktor Grünstein verordneten Prozedur auf dem Bett, umringt von einer Gruppe abgezehrter und ausgehungerter Simulanten, die sich bisher nicht ergeben hatten und zähe mit Doktor Grünstein auf dem Schlachtfeld absoluter Diät kämpften.

Hätte sie jemand belauscht, dann hätte er den Eindruck gewonnen, daß er sich in der Gesellschaft von Gourmands, in einer höheren Kochschule oder in Feinschmeckerkursen befinde.

»Sogar die ordinären Rindsfettgrieben kann man essen«, erzählte gerade einer, der hier mit einem »veralteten Magenkatarrh« lag, »wenn sie warm sind. Wenn das Rindsfett kocht, drückt man sie aus, bis sie trocken sind, salzt sie, pfeffert sie, und ich sag euch, Gänsegrieben sind nicht so gut.«

»Laßt nur gut sein«, sagte der Mann mit dem »Magenkrebs«, »über Gänsegrieben kommt nichts. Was kann man gegen sie mit Schweinsgrieben aufstecken? Sie müssen selbstverständlich goldbraun ausgekocht sein, so wies die Juden machen. Die nehmen eine fette Gans und ziehn das Fett samt der Haut ab und kochens aus.«

»Wissen Sie, daß Sie sich in bezug auf die Schweinsgrieben irren?« bemerkte Schwejks Nachbar, »ich mein natürlich Grieben aus hausgemachten Fetten, was man so hausgemachte Grieben nennt. Nicht braungefärbt, aber auch nicht gelb. Es muß etwas zwischen diesen beiden Schattierungen sein. So eine Griebe darf weder zu weich noch zu hart sein. Sie darf nicht knusprig sein, sonst ist sie verbrannt. Sie muß auf der Zunge zerfließen, und man darf dabei nicht den Eindruck haben, daß einem das Fett übers Kinn hinunterfließt.«

»Wer von euch hat schon Grieben aus Pferdefett gegessen?« ließ sich eine Stimme vernehmen, jedoch niemand antwortete, weil der Sanitätsunteroffizier hereingelaufen kam. »Alle ins Bett, eine Erzherzogin kommt her, daß niemand die schmutzigen Füße unter der Decke heraussteckt!«

Nicht einmal eine Erzherzogin hätte so würdevoll eintreten können, wie es Baronin von Botzenheim tat. Hinter ihr wälzte sich eine ganze Eskorte, in der nicht einmal der Rechnungsfeldwebel des Spitals fehlte, der in diesem Besuch die geheime Hand der Revision sah, die ihn vom fetten Trog im Hinterland reißen und vor die Drahtverhaue den Schrapnells zur Beute werfen würde.

Er war blaß, aber noch blässer war Doktor Grünstein. Ihm tanzte die kleine Visitkarte der alten Baronin mit dem Titel »Generalswitwe« vor Augen samt allem, was damit verbunden sein konnte, wie Konnexionen, Protektion, Beschwerden, Versetzung an die Front und andere fürchterliche Dinge.

»Hier haben wir den Schwejk«, sagte er, eine künstliche Ruhe bewahrend, indem er Baronin von Botzenheim an Schwejks Bett führte, »er verhält sich sehr geduldig.«

Baronin von Botzenheim setzte sich auf den herbeigeschobenen Stuhl an Schwejks Bett und sagte in gebrochenem Tschechisch: »Tscheski Soldat, brav Soldat, Kripplsoldat sein tapfere Soldat, hab moc gern tscheski Österreicher.«

Dabei streichelte sie Schwejks unrasierte Wangen und fuhr fort: »Alles in Zeitung gelesen, ich Ihnen bringen Papat, Tabak, Zuzat, tscheski Soldat, brav Soldat, Johann, kommen Sie her!«

Der Kammerdiener, der mit seinem struppigen Kaiserbart an den Raubmörder Babinsky erinnerte, schleppte einen umfangreichen Korb ans Bett, während die Gesellschafterin der alten Baronin, eine große Dame mit verweintem Gesicht, sich auf Schwejks Bett setzte und ihm das Strohpolster unter dem Rücken zurechtrückte, mit der fixen Idee, daß man dies kranken Helden tun müsse.

Die Baronin zog inzwischen die Geschenke aus dem Korb. Ein Dutzend gebratener Hühner, in rosa Seidenpapier gewickelt und mit schwarzgelben seidenen Schleifen umwunden, und zwei Flaschen eines Kriegslikörs mit der Etikette »Gott strafe England!«. Auf der andern Seite war auf der Etikette Franz Josef mit Wilhelm zu sehen, wie sie sich an den Händen hielten, als wollten sie das Spiel spielen »Häschen in der Grube saß und schlief, armes Häschen, bist du krank, daß du nicht mehr hüpfen kannst?«.

Dann zog sie drei Flaschen Wein für Rekonvaleszenten und zwei Schachteln Zigaretten aus dem Korb. Das alles breitete sie elegant auf dem leeren Bett neben Schwejk aus und legte noch ein schön gebundenes Buch dazu »Begebenheiten aus dem Leben unseres Monarchen«, ein Werk des jetzigen, überaus verdienten Chefredakteurs unseres Amtsblattes »Die Tschechoslowakische Republik«, der den alten Franz abgöttisch liebte.

Dann legte sie auf das Bett ein Paket Schokolade, ebenfalls mit der Aufschrift »Gott strafe England!« und ebenfalls mit den Photographien des österreichischen und deutschen Kaisers geschmückt. Auf der Schokolade hielten sie einander nicht mehr an der Hand, jeder hatte sich selbständig gemacht und kehrte dem andern den Rücken. Sehr hübsch war eine doppelreihige Zahnbürste mit der Aufschrift »viribus unitis«1, damit jeder beim Zähneputzen Österreichs gedenke. Ein elegantes und sehr passendes Geschenk für die Front und die Schützengräben war eine Manikürkassette. Auf dem Deckel war ein explodierendes Schrapnell zu sehen und ein Mensch im Sturmhelm, der mit dem Bajonett vorstürmte. Darunter stand »Für Gott, Kaiser und Vaterland!«. Ohne Bild war ein Paket Zwieback, dafür stand darauf der Vers:

Österreich, du edles Haus,

steck deine Fahne aus,

laß sie im Winde wehn,

Österreich muß ewig stehn!

mit der tschechischen Übersetzung auf der andern Seite.

Das letzte Geschenk war eine weiße Hyazinthe in einem Blumentopf.

Als das alles ausgepackt auf dem Bette lag, konnte Baronin von Botzenheim sich der Tränen nicht erwehren. Einigen ausgehungerten Simulanten floß der Speichel aus dem Mund. Die Gesellschafterin der Baronin stützte den sitzenden Schwejk und weinte ebenfalls. Es herrschte Grabesstille, die Schwejk plötzlich unterbrach, indem er die Hände faltete: »Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name, zu uns komme Dein Reich, pardon gnädige Frau, so is es nicht, ich wollt sagen: Vater unser, himmlischer Vater, segne uns diese Gaben, die wir dank Deiner Freigebigkeit genießen werden. Amen.«

Nach diesen Worten nahm er ein Huhn vom Bett und begann zu essen, von dem entsetzten Blick Doktor Grünsteins gefolgt.

»Ach, wie es ihm schmeckt, dem Wackern«, flüsterte die alte Baronin dem Doktor begeistert zu, »er ist sicher schon gesund und kann ins Feld gehn. Ich bin wirklich sehr froh, daß ihm mein Geschenk so gelegen gekommen ist.«

Dann schritt sie von Bett zu Bett und verteilte Zigaretten und Schokoladepralinen, kehrte von ihrem Rundgang abermals zu Schwejk zurück, streichelte ihm das Haar mit den Worten: »Behüt Euch Gott« und ging mit dem ganzen Gefolge zur Tür hinaus.

Bevor Doktor Grünstein, der die Baronin begleitet hatte, zurückkehrte, verteilte Schwejk die Hühner, die von den Patienten mit solcher Geschwindigkeit verschlungen wurden, daß Doktor Grünstein statt der Hühner nur einen Haufen Knochen vorfand, die so sauber abgenagt waren, als wären die Hühner lebendig in ein Geiernest geraten und als hätte auf ihre Knochen einige Monate hindurch die Sonne gebrannt.

Auch die Flasche Kriegslikör und die drei Flaschen Wein waren geleert. Sogar das Paket Schokolade und der Zwieback waren in den Mägen verschwunden. Jemand hatte selbst die Flasche Nagelpolitur ausgetrunken, die sich in der Garnitur befand, und die Zahnpasta angebissen, die der Zahnbürste beigelegt war.

Als Doktor Grünstein zurückgekehrt war, stellte er sich wiederum in Kampfpositur und hielt eine lange Rede. Ein Stein war ihm vom Herzen gefallen, weil der Besuch bereits gegangen war. Der Haufen abgenagter Knochen bekräftigte ihn in dem Gedanken, daß alle Patienten in diesem Zimmer unverbesserlich seien.

»Soldaten«, legte er los, »wenn ihr ein bißchen Verstand hättet, dann hättet ihr das alles liegengelassen und euch gesagt, wenn wir das auffressen, dann wird uns der Herr Oberarzt nicht glauben, daß wir schwer krank sind. Ihr habt euch dadurch selbst das Zeugnis ausgestellt, daß ihr meine Güte nicht zu schätzen wißt. Ich pumpe euch den Magen aus, gebe euch Klistiere, bemühe mich, euch bei absoluter Diät zu halten, und ihr überstopft euch den Magen. Wollt ihr einen Magenkatarrh bekommen? Da irrt ihr euch aber, bevor euer Magen versuchen wird, das zu verdauen, werde ich ihn so gründlich reinigen, daß ihr daran bis in den Tod denken werdet. Noch euren Kindern werdet ihr davon erzählen, wie ihr einmal Hühner gefressen und euch mit verschiedenen andern guten Dingen vollgestopft habt, aber wie es keine Viertelstunde in eurem Magen geblieben ist, weil man euch den Magen noch warm ausgepumpt hat. Also einer nach dem andern mir nach, damit ihr nicht vergeßt, daß ich nicht so ein Ochs bin wie ihr, sondern doch noch ein bißchen gescheiter als ihr alle zusammen. Außerdem kündige ich euch an, daß ich morgen eine Kommission herschicke, weil ihr euch schon zu lange hier herumwälzt und keinem von euch was fehlt, wenn ihr euch in fünf Minuten den Magen so hübsch verschweinern könnt, wie ihr es gerade jetzt fertiggebracht habt. Also, eins, zwei, drei, marsch!«

Als die Reihe an Schwejk kam, blickte ihn Doktor Grünstein an, und eine Reminiszenz an den heutigen rätselhaften Besuch veranlaßte ihn zu der Frage: »Sie kennen die Frau Baronin?«

»Sie is meine Stiefmutter«, antwortete Schwejk, »in zartem Alter hat sie mich ausgesetzt, und jetzt hat sie mich wiedergefunden …«

Und Doktor Grünstein sagte kurz: »Dann geben Sie dem Schwejk noch ein Klistier.«

Abends ging es auf den Kavalletts recht traurig zu. Einige Stunden vorher hatten alle allerlei gute und schmackhafte Dinge im Magen gehabt, und nun hatten sie nur schwachen Tee und eine Schnitte Brot darin.

Nummer 21 ließ sich vom Fenster her vernehmen: »Werdet ihrs glauben, Kameraden, daß ich Backhuhn lieber eß als Brathuhn?«

Jemand brummte: »Schmeißt ihm die Decke übern Kopf«, aber sie waren alle so schwach nach dem mißlungenen Festmahl, daß keiner sich rührte.

Doktor Grünstein hielt Wort. Am Vormittag kamen einige Militärärzte: die berühmte Kommission.

Sie schritten ernst die Bettreihen entlang, und man hörte nichts anderes als: »Zeigen Sie die Zunge!«

Schwejk steckte die Zunge so weit heraus, daß er eine blöde Grimasse schnitt und seine Augen sich schlossen.

»Melde gehorsamst, Herr Stabsarzt, ich hab keine längere Zunge.«

Darauf folgte ein interessantes Gespräch zwischen Schwejk und den Mitgliedern der Kommission. Schwejk behauptete, daß er diese Bemerkung in der Befürchtung gemacht habe, man könnte glauben, er wolle vor ihnen die Zunge verstecken.

Die Urteile der Mitglieder der Kommission über Schwejk waren in Anbetracht dessen außerordentlich verschieden.

Die Hälfte von ihnen behauptete, Schwejk sei »ein blöder Kerl«, die andere hingegen, er sei ein Filou, der sich aus dem Militär einen Jux machen wollte.

»Das müßt aber verflucht zugehn!« brüllte der Vorsitzende der Kommission Schwejk an, »daß wir mit Ihnen nicht fertig werden sollten.«

Schwejk blickte die ganze Kommission mit der göttlichen Ruhe eines unschuldigen Kindes an.

Der Oberstabsarzt trat dicht an Schwejk heran.

»Ich möcht gern wissen, Sie Meerschwein, was Sie sich jetzt wohl denken!«

»Melde gehorsamst, ich denk überhaupt nicht.«

»Himmeldonnerwetter!« schrie ein Mitglied der Kommission, mit dem Säbel klirrend, »er denkt also überhaupt nicht. Warum, Sie siamesischer Elefant, denken Sie denn nicht?«

»Melde gehorsamst, ich denk deshalb nicht, weils beim Militär den Soldaten verboten is. Wie ich vor Jahren bei den Einundneunzigern gedient hab, da hat uns unser Herr Hauptmann immer gesagt: ›Ein Soldat darf nicht selbst denken. Für ihn denken seine Vorgesetzten. Wie ein Soldat anfängt zu denken, is er schon kein Soldat, sondern ein ganz gemeiner Zivilist. Denken führt zu nichts …‹«

»Halten Sies Maul«, unterbrach ihn wütend der Vorsitzende der Kommission, »über Sie haben wir sowieso schon Berichte. Der Kerl meint, man wird glauben, daß er ein wirklicher Idiot ist … Sie sind kein Idiot, Schwejk, gescheit sind Sie, gerieben sind Sie, ein Lump sind Sie, ein Fallott, ein Lausbub, verstehn Sie …«

»Melde gehorsamst, ich versteh.«

»Ich hab Ihnen schon gesagt, Sie solln das Maul halten, haben Sie gehört?«

»Melde gehorsamst, daß ich gehört hab, daß ich das Maul halten soll.«

»Himmelherrgott, also halten Sie das Maul. Wenn ichs Ihnen befehl, dann wissen Sie gut, daß Sie kuschen müssen!«

»Melde gehorsamst, daß ich weiß, daß ich kuschen muß.«

Die Offiziere blickten einander an und riefen den Feldwebel.

»Diesen Mann da«, sagte der Oberstabsarzt von der Kommission, auf Schwejk weisend, »führen Sie in die Kanzlei und warten unseren Bericht und Rapport ab. Im Garnisonsarrest wird man ihm schon das Quasseln aus dem Kopf treiben. Der Kerl ist gesund wie ein Fisch, simuliert und drischt noch mit dem Maul und macht sich einen Jux aus seinen Vorgesetzten. Er denkt, daß sie nur zu seiner Unterhaltung da sind und daß der ganze Krieg eine Hetz oder ein Jux ist. Man wird Ihnen im Garnisonsarrest zeigen, Schwejk, daß der Krieg kein Jux ist.«

Schwejk ging mit dem Feldwebel in die Kanzlei, und auf dem Weg über den Hof summte er vor sich hin:

Meinte, daß das Dienen,

eine Hetz nur sei,

daß es eine Woche oder vierzehn Tage

dauert – und vorbei …

Und während Schwejk in der Kanzlei von dem diensthabenden Offizier angebrüllt wurde, daß man solche Kerle wie Schwejk niederschießen solle, brachte die Kommission in den Krankenzimmern die Simulanten zur Strecke. Von siebzig Patienten retteten sich nur zwei. Einer, dem eine Granate ein Bein abgerissen hatte, und ein zweiter mit wirklichem Beinfraß.

Nur diese beiden hörten nicht das Wörtchen »Tauglich«; die andern wurden alle, nicht einmal die drei sterbenden Schwindsüchtigen ausgenommen, felddiensttauglich befunden, wobei es sich der Oberstabsarzt nicht nehmen ließ, eine Rede zu halten.

Sie war von den verschiedensten Beschimpfungen durchflochten und inhaltlich knapp. Alle seien Rindviecher und Mist, und nur wenn sie tapfer für Seine Majestät den Kaiser kämpfen würden, könnten sie in die menschliche Gesellschaft zurückkehren. Nur so könne ihnen nach dem Krieg verziehen werden, daß sie sich vom Militär drücken wollten und simuliert hätten. Er selbst glaube aber nicht daran, sondern denke, daß auf alle der Strick warte.

Ein junger Militärarzt, eine noch reine und unverdorbene Seele, bat den Oberstabsarzt, ebenfalls sprechen zu dürfen. Seine Rede unterschied sich von der seines Vorgesetzten durch Optimismus und Naivität. Er redete deutsch.

Er sprach lange davon, daß ein jeder von denen, die das Krankenhaus verlassen, um zu ihren Regimentern an die Front abzugehen, ein Sieger und Ritter sein müsse. Er sei überzeugt, daß sie die Waffen auf dem Kampfplatz geschickt handhaben und sich ehrenhaft in allen Kriegs- und Privatverhältnissen verhalten würden als unbezwingbare Krieger, eingedenk des Ruhmes Radetzkys und des Prinzen Eugen von Savoyen. Daß sie mit ihrem Blut die weiten Felder der Ehre des Herrscherhauses düngen und sich siegreich der Aufgabe entledigen würden, die die Geschichte ihnen vorbehalten habe. Tollkühn, ihres Lebens nicht achtend, sollten sie unter den zerschossenen Fahnen ihrer Regimenter vorwärtsstürmen, zu neuem Ruhm, zu neuen Siegen.

Auf dem Gang sagte dann der Oberstabsarzt zu diesem naiven Mann: »Herr Kollege, ich kann Ihnen versichern, daß das alles vergeblich ist. Aus diesen Lumpen hätte nicht einmal Radetzky oder Prinz Eugen Soldaten gemacht. Mit denen kann man sprechen wie ein Engel oder wie ein Teufel, es ist alles für die Katz. Es ist eine Bande.«

9

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk

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