Читать книгу LOTTA und das Böse dieser Welt - Jasmina Marks - Страница 6
Die Nephilim
ОглавлениеLotta dachte in diesem Moment an die sogenannten Nephilim, die ja Mischwesen aus göttlichen Wesen und Menschenfrauen gewesen sein sollen. So steht es zumindest in den Apokryphen festgehalten. Jenem Werk, das zur damaligen Zeit weithin unbekannt war. Oder auch allgemeinhin nicht anerkannt wurde, im 2. Jahrhundert aber von christlichen Theologen geprägt worden ist. Schwierig daran mag erscheinen, dass es anfangs als „außerkanonisch“ gegolten hat, beinahe schon häretisch. Also nicht würdig genug gewesen ist, um in die Bibel aufgenommen zu werden und auch in Teilen sogar als Ablehnung der Religion betrachtet worden ist. Was man ja auch den Gnostikern zugesprochen hat. Womit unterschiedliche Gruppierungen oder religiöse Gemeinschaften des 2. und 3. Jahrhunderts gemeint sind. Die, die sich und ihre Lehren von den anderen distanziert sahen. Fast schon wie ein Geheimbund fungierend, weil sie sich, nach ihrem eigenen Verständnis, der eigenen Wahrnehmung ihrer Lehren, von den anderen abhoben. Dieses Wissen demnach „nur“ an bestimmte Gelehrte oder möglicherweise Eingeweihte weitergegeben worden ist, weil es auch zu gefährlich war, ihre Sichtweise offen zu äußern. So kann es einem gehen, wenn man den Mut hat, eine eigene Meinung zu haben!
In diesen Schriften also, die nicht „gut“ genug für die Bibel waren, stehen die Nephilim als riesenhafte Gestalten drin. Weil sich nämlich die Engelschar, die Grigori, die von Gott den Auftrag bekommen hatten, sich um die Menschen zu kümmern und den Erzengeln bei der Erschaffung des Garten Eden helfen sollten, sich blöderweise zu den weiblichen Menschen hingezogen fühlten, ihnen dummes Zeug beibrachten. Geheimnisse des Himmels ausplauderten und sich eben in die Frauen so sehr verliebten, dass sie ihnen zu nahe kamen. Sogar so nahe, dass sie gemeinsam Kinder zeugten, welche vom Charakter her als ausgesprochen „böse“ beschrieben wurden. Also eine Warnung! Man solle, wenn schon, dann auf jeden Fall unter sich bleiben und das - bitte schön – gesittet! Die Strafe für die Grigori, folgte ja schließlich auch auf dem Fuße. Sie wurden getroffen vom Zorn Gottes, der so erzürnt war, dass er sie des Himmels verwies und in Dämonen verwandelte – ihnen ihre Unsterblichkeit genommen haben soll!
Wobei Lotta immer geglaubt hatte, dass der „Garten Eden“ so was wie das Paradies sein sollte und es schloss sich in ihrer Gedankenwelt aus, dass das Paradies ausgerechnet auf Erden, in Form eines Gartens dann noch, direkt neben den Menschen hätte erschaffen werden sollen. Irgendwie komisch oder nicht? Wozu braucht es so etwas in der irdischen Welt, wenn es doch eigentlich ein Teil des Himmels darstellt? Bedenkt man dann noch, dass alles, was im Himmel Mist baut, zu uns runter kommt, angeblich, macht es doch gar keinen Sinn, etwas so weit über uns Stehendes bei uns etablieren zu wollen, quasi.
Naja gut, andererseits waren ja auch Adam und Eva als erstes im Garten Eden, wird zumindest so behauptet. Und die beiden haben uns anderen alles versaut. Aber das ist eine andere Geschichte. Wenn auch faszinierend irgendwie, wie die Fantasie der Schreiber damals funktioniert hat. Ein Garten muss als etwas überaus Schönes gegolten haben, dass er mit so etwas Überirdischem wie dem Paradies gleichzusetzen war. Und dann ist es natürlich auch die Frau gewesen. Eva, die sich, wie könnte es auch anders sein, verführen lässt, zur bösen Tat. Jene Frau, die aus der Rippe des Mannes erschaffen worden ist. Womit ja klar ist, dass sie das nicht wert war. Die ist also schuld daran, dass wir hier auf Erden das Paradies nicht haben! So war es! Also haben wir hier „nur“ irdisches Dasein. Alles andere wäre ja auch ein bisschen weit hergeholt, oder nicht?
Wobei Lotta, auch das war vollkommen klar, dieses wieder einmal ganz anders sah. „Paradies“ ist ein so großes Wort. Als etwas Perfektes anzusehen - Utopia. Also völlig entrückt. Die Welt kann nicht perfekt sein und es wird immer davon abhängen, wie wir uns in ihr zurechtfinden. Denn es schien ihr absolut im Rahmen des Möglichen zu liegen, dass es Menschen gab, die ihr irdisches Dasein als glücklich und paradiesisch empfinden würden, weil sie umgeben waren von Menschen, die sie lieben und von denen sie geliebt werden. Es liegt alles im Auge des Betrachters, vom Herzen her und sonst nix!
Aber zurück zu denen, die da oben nichts taugen und dann halt zu uns runter kommen. Als wenn wir nicht schon genug Übel hier hätten! Oder haben wir das Übel vielleicht eben jenen zu verdanken, die zu uns gekommen sind? Und aufgrund ihrer plötzlichen Menschlichkeit auch deshalb „menschlich“ fühlten? Also eventuell Unzufriedenheit, derbe Enttäuschung, darauf folgende Verletztheit, Rachsucht vielleicht, dann Uneinsichtigkeit, immense Sturheit, Neid sowieso, als auch Zorn (da waren sie wieder - die Todsünden!) zu uns brachten? Eine Frage, die nicht so ohne Weiteres zu beantworten ist. Wobei Lotta glaubte, dass die Menschen das auch alleine schafften, alle diese Regungen des Gefühlslebens sowohl vor Tausenden von Jahren als auch bis hin zur heutigen Zeit gefühlt haben werden. Es war halt menschliche Veranlagung. In uns verankert, dass wir fühlen können. Das Entscheidende war, wie gehen wir damit um?!
Im Grunde ein wahnsinnig toller Stoff für einen richtigen Fantasie-Thriller oder so was in der Art. Gibt es ja auch etliche, entstanden allerdings in der heutigen Zeit. Und die boomen wie irre, werden gelesen in allen Variationen. Ob nun Vampire, gefallene Engel oder solche, die sich in Frauen verliebten oder Weltallstorys oder was auch immer. Den Menschen dürstet nach Außerweltlichem, sie verschlingen es förmlich, entweder als Buch oder in Filmen. Erfolgreich ist, was vollkommen irreales wiedergibt. Wenn man teilhaben kann an Dingen, die nicht in unserem Alltag stattfinden. Sollten die Menschen heute in diesem Punkt denen von damals auch nur ansatzweise ähneln, dann würde das durchaus für den Erfolg solcher Geschichten auch in längst vergangenen Zeiten sprechen. Sich berauschen lassen und dem Alltag entfliehen. Ist der „Erfinder“ der Nephilim dann ein Bestsellerautor aus früheren Jahrtausenden? Naja, da damals wenige Leute lesen konnten, woher haben es dann alle gewusst? Wurde das auf der Straße im Abendsonnenschein als Geschichte vorgetragen? Wer hat denn überhaupt alles den Inhalt solcher Schriften zu hören bekommen? Wahrscheinlich nicht die Allgemeinheit. Also, wie begründet sich dann die Annahme, dass alle von dem, was in Schriftrollen festgehalten ist, überzeugt waren?
Inwieweit es Gottes Zorn als solchen gegeben hatte, mit derartigen Konsequenzen, und woher überhaupt die Menschen wussten, dass es so etwas wie eine sexuelle Beziehung zwischen himmlischen Geschöpfen und den Menschen geben könnte, erschloss sich Lotta nicht. Wie kommt man überhaupt auf so eine Idee? Und natürlich sind es wieder einmal die menschlichen Frauen, die sich verführen lassen. Ein Mann würde einem solchen Charme nicht erliegen, ist das so gemeint? Die Frau ist also schlecht, weil sie nicht nur leicht um den Finger zu wickeln ist, sich daraufhin körperlich hingibt und dann noch eines draufsetzt und dem Mann schadet, auf diese Weise zum Verderben führt. Oder sie infolgedessen Gestalten gebiert, die zu Riesen werden, die alles mal eben so fressen und vernichten. Sie müssen ja rein biologisch normal geboren worden sein und sind dann im Laufe ihrer Kindheit ganz schnell zu gewaltigen Wesen herangewachsen, oder wie jetzt? Diese Kreaturen, die sowohl Mensch als auch Tier angreifen, gnadenlos zerstörerisch sind, diese Nephilim.
Erwiesen ist ihre Existenz wohl kaum, weder heute noch damals. Dem Urheber solcher Geschichten kann man wirklich einen außergewöhnlichen Einfallsreichtum unterstellen. Dem allerdings ein kleines bisschen Boshaftigkeit beiwohnt. Nämlich deswegen boshaft, weil es das Wesen „Frau“ deutlich diffamiert, nachhaltig sogar! Bestraft werden allerdings „nur“ die Engel, und zwar von Gott höchst selbst!
Wobei es damals vermutlich niemand hinterfragt hätte, sondern ob dieser obskuren Geschichte sofort angefangen hätte, innerlich zu schlottern, vor lauter Angst, wenn er es denn zu hören bekommen hat! Heute schockiert einen ja nichts mehr so schnell. Allerdings kann man auch das nicht wirklich wissen. Nur weil es jemand niedergeschrieben hat, ist das noch lange nicht der Beweis dafür, dass auch alle anderen unbeirrbar daran glaubten. Aber vermutlich werden sie aufgrund des Nachteils einer weniger fortschrittlichen Zeit, eben nicht die Möglichkeit gehabt haben, sich anderweitig Informationen zu beschaffen. Sie werden hingenommen haben, was man ihnen vorsetzt, wenn man es sie denn wissen ließ. Und wahrscheinlich ist auch, dass sie, wenn sie denn Zweifel gehabt haben werden, diese eher stillschweigend mit sich trugen, als dass sie es gewagt hätten, den Obrigkeiten offen zu widersprechen! Oder aber es grundsätzlich von ihnen als Unterhaltung angesehen wurde, bzw. sie all das nicht als der Wahrheit entsprechend angenommen haben werden. Nicht zu vergessen, dass das Christentum als solches, wie wir es heute kennen, noch nicht einmal „geboren“ war und Gott und die Engel, der Garten Eden als auch die Nephilim womöglich nichts weiter waren, als eine von irgendwem erdachte Geschichte, die das Leben der Menschen bereichern sollte.
Heute zumindest würde es einem niemand ernsthaft abkaufen, dass demnächst mal so ein wütender Riese vorbei schaut und alles verschlingt, was ihm in die Finger kommt, weil eine Frau sich mit einem göttlichen Wesen eingelassen hat, schwanger geworden ist und nun ihr Kind nicht im Griff hat, oder so ähnlich! Generell würde niemand ernsthaft in Betracht ziehen, dass eine Schwangerschaft unter Beteiligung überirdischer Kräfte entstehen könnte, oder? Unbefleckte Empfängnis einer Jungfrau – wer auch immer damit um die Ecke kommen würde, dem glaubt kein Schwein! Wie bitte soll das auch möglich sein - rein biologisch betrachtet! Sofort würde es heißen, abfällig, wie sich ganz von selbst versteht, „hat sie wohl ausschweifenden Kontakt gehabt und den Überblick verloren, wer der Erzeuger sein kann“. Bei anhaltender Behauptung, steif und fest, wie man so schön sagt, wenn sie darauf besteht, ein himmlisches Kind unterm Herzen zu tragen, was ein leuchtender Engel ihr mitgeteilt hat, würde man diese Frau umgehend in jene Jacke stecken, die sich nur am Rücken öffnen oder verschließen lässt!
Ein Mann, der ernsthaft an die Empfängnis eine Frau durch ein überirdisches Wesen glauben und dieses lautstark propagieren würde, müsste man den erst nehmen? Tun wir doch! Zumindest die meisten von uns glauben an eine Schwangerschaft der Jungfrau Maria durch den Heiligen Geist! Ohne vorherigen Sex versteht sich! Wäre ja auch fatal und die Bedeutung untergrabend. UPS – war das jetzt zu spitzzüngig? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht!
Zurück zu den Nephilim. Es erfordert eine außerordentliche Gabe, so etwas auf solche Weise so bildhaft auferstehen zu lassen, sodass es auch noch glaubhaft erscheint und in die Geschichte eingeht. Oder ist doch alles Eingebung? Worte, die aufgrund einer höheren Macht durch die Finger eines Menschen fließen, der sie niederschreibt, um für andere ein Leitfaden zu sein? Eine ernsthafte Warnung?
Einerseits fand Lotta solche gedanklichen Reisen ja überaus spannend und andererseits erschreckte es sie, wie man auf solche Vorstellungen kommen konnte, diese dann auch noch niederschrieb, sodass deren geistiges Gut noch etliche Hundert Jahre später, mehr als Tausend Jahre sogar, als Beleg galten, was man einst fest geglaubt hatte. An dessen Existenz man nicht zweifelte. Auch heute gibt es zahlreiche Geschichten, die sich aus den Tiefen der Fantasie vereinzelter, höchst begabter Menschen entwickelten und deshalb wahnsinnig erfolgreich sind. Aber würde man aufgrund dessen in Tausend Jahren darauf schließen, dass wir das alles bitterernst genommen haben? Zauberschulen, die durch ein unsichtbares Bahngleis erreicht werden können zum Beispiel? Blutsaugende Teenager, die sich verlieben oder übergroße Affen und Roboter, klein und vor sich hinpiepsend, die galaktische Sterne des Bösen zu vernichten helfen? Ja nee ist klar! Es würde Aufschluss darüber geben, was uns interessierte, was uns faszinierte, aber nicht wiedergeben, an was wir glaubten!
Das, was geschrieben steht (oder in Filmen bildlich veranschaulicht wird), ist basierend auf der Meinung des Schreibers (Regisseurs), desjenigen, der es verfasst hat und nicht automatisch ein Beweis für das Denken der Allgemeinheit in der Zeit, aus der es stammt! Auch wenn man etwas mit Begeisterung verfolgt, beweist das nicht den unerschütterlichen Glauben an die tatsächliche Existenz.