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5. Caelan

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Die Halle der MacFarlanes war riesig. Fast protzig. Gigantische Wandteppiche bedeckten die kahlen Mauern und das rot-grüne Wappen sah ihnen entgegen, als sie eintraten. Das Feuer loderte, wie Caelan es sich erhofft hatte. Stimmengewirr, Kinderlachen und ungeduldiges Klopfen auf die Tischplatten hallte durch die Luft. Das Abendessen war noch nicht da. Statt Essensdüften rochen sie das schmutzige Stroh und die Binsenkräuter, die den Boden bedeckten. Und die Omegas. Ihr leicht süßer Duft war ungewöhnlich stark. Die Hitze musste kurz bevorstehen.

»Nicht übel hier.« Myles grinste. »Ich muss zugeben, dass das üppiger ist als unsere mickrige Trutzburg.«

Fraser überblickte die gefüllten Holzbänke und -tische. »Wie viele Leute leben hier?«

»Zweihundert in der Burg und noch mal ungefähr vierhundert im nahen Umkreis«, sagte Caelan. Er suchte den Raum nach Schwachstellen ab, Orten, in die ein Angreifer leicht eindringen konnte. Er fand keine. Gut. Die Fenster wären breit genug gewesen, dass jemand sich hindurchzwängen könnte. Aber sie lagen so hoch, dass er danach zu Tode gestürzt wäre. Und der große Saal befand sich schon im zweiten Stock. »Das MacFarlane-Rudel hat insgesamt fast tausend Mitglieder.«

»Was du alles weißt.« Myles sah einem blondgelockten Omega dabei zu, wie er sich die Hände wusch. Wasser spritzte aus der Tonschüssel auf die Tischplatte.

»Das weiß ich, weil ich zuhöre.« Caelan nickte dem Rudel-Chief zu. »Konzentrier dich, Myles. Wir haben einen …«

»Auftrag. Ich weiß.« Fraser seufzte. »Du musst mir das nicht ständig erzählen, Caelan. Ich weiß, dass die Sutherlands ganz arg furchtbar gefährlich sind.«

»Dann nimm ihn auch ernst.« Caelan sah ihn strafend an.

»Tu ich doch. He, Myles. Reiß dich zusammen.« Fraser gab seinem Freund einen Klaps auf den Hinterkopf. »Der große Caelan befiehlt es.«

»Das ist keine Zeit für Witze«, sagte Caelan.

Der Rudel-Chief erhob sich, um sie zu begrüßen. Er bahnte sich seinen Weg durch die Reihen.

»Bei dir ist nie Zeit für Witze.« Fraser verdrehte die Augen. »Du solltest dich mal sehen. Du schaust, als hätte dir jemand in den Weinbecher gekackt. Wann bist du zu so einem Miesepeter geworden?« Etwas Dunkles huschte über seine Miene und er verharrte. »Sorry, Cael. Ich weiß.«

Caelan hatte kein Wort sagen müssen. Jeder Muskel seines Körpers verhärtete sich. Er war dankbar, dass der Rudel-Chief sie in diesem Moment erreichte. Lachlan MacFarlane war kein Riese, aber hart wie Leder und breit wie ein Ochse. Narben durchzogen sein Gesicht und die Hände. Klingen und Krallen hatten seine Haut gezeichnet. Die Falten auf seiner Stirn waren tief, doch die schwarzen Haare wiesen nur vereinzelt graue Strähnen auf.

»Caelan«, sagte er und legte die Finger auf seine Schulter. »Gut, dass ihr da seid. Kommt mit.« Eine Stimme, die tausend Befehle gegeben hatte.

Caelan gehorchte. Er folgte dem Rudel-Chief in die Mitte des Saals und Myles und Fraser folgten ihm.

»MacFarlanes!«, begann Lachlan und jedes Gesicht im Saal wandte sich ihm zu. »Bevor ihr euch die Bäuche vollschlagt: Schaut euch an, wer uns besucht.« Er deutete auf Caelan und seine Begleiter.

»Hallo.« Myles strahlte den ganzen Raum an, aber vor allem jemanden, der ganz hinten saß. Oh. Hinter einem Dutzend Augenpaaren, die sie ansahen, erkannte Caelan den Rotschopf. Der starrte finster zurück. Ja, er schaute ihn an, als wollte er ihn zum Kampf herausfordern. Langsam hob er etwas hoch. Etwas Graues. Caelans Umhang. Der Omega wackelte mit der Augenbraue, spöttisch, als wollte er sagen: Hol's dir doch, wenn du dich traust.

Diese kleine Kackbratze, dachte Caelan. Er würde ihn später zurechtweisen. Gerade begnügte er sich damit, in die Runde zu nicken.

»Caelan, Fraser und Myles vom MacKay-Rudel«, sagte Lachlan. »Sie sind hier, um uns zu helfen, falls die Sutherlands angreifen.«

Ein Raunen ging durch den Saal. Omega-Augen weiteten sich. Selbst der Rothaarige wirkte verunsichert. Gut.

»Falls die Sutherlands angreifen?«, fragte ein Alpha aus der vorderen Reihe. »Warum sollen sie uns angreifen?«

Lachlan MacFarlane zögerte nicht. Seine Miene wurde härter, als er antwortete. »Sie ziehen nach Süden. Nach den Kämpfen mit unseren Freunden, den MacKays, sind sie auf die nächste Beute aus.«

Kälte rann durch den Saal, trotz des Feuers im Kamin. Es war so still, dass sie die Scheite knacksen hörten.

»Na, dann sollen sie kommen!« Ein fast glatzköpfiger Alpha sprang auf. »An uns werden sie sich die Zähne ausbeißen!«

Jubelrufe brandeten durch den Saal, gefolgt von farbenfrohen Beschreibungen, was man den Sutherlands antun würde, wenn sie sich zur Burg der MacFarlanes trauten. Selbst einige Omegas machten mit.

Plötzliche Trauer ergriff Caelan. So hatte er selbst gejubelt, vor einem halben Jahr. Als die Sutherlands auf Burg MacKay zumarschiert waren. Es schien Jahrhunderte her zu sein. Connor war an seiner Seite gewesen.

»Genau!«, röhrte Lachlan. »Wir sind stärker als diese Bastarde! Wir haben sie damals am Loch Shin geschlagen und in Ullapool! Wir werden es wieder tun! Und wir haben unsere Cousins hier, die wissen, wie diese Dreckskerle kämpfen!« Wieder landete seine Hand auf Caelans Schulter.

Der Jubel wurde lauter. Myles und Fraser badeten darin. Caelan stand stocksteif da und kämpfte gegen die Erinnerungen, die in ihm aufstiegen. Sie hatten gejubelt, damals. Und dann waren die Sutherlands gekommen und der Jubel war verstummt. Unbehagen krallte sich in ihm fest, als er an das Banner dachte, rostrot wie getrocknetes Blut. Wie Peitschenhiebe hatte es geklungen, wenn es im Wind flatterte.

»Setz dich zu uns«, sagte Lachlan und deutete auf seinen Tisch. Sein Omega-Gefährte saß dort, nicht mehr jung, aber hochschwanger. Daneben drei Männer, von denen Caelan nur einen kannte: Eric, die rechte Hand des Rudel-Chiefs. Die anderen beiden mussten ebenfalls hochrangig sein, wenn er nach dem aufwendigen Karomuster ihrer Kilts ging. Sein eigener war schlicht. Aber auf Äußerlichkeiten kam es nicht an.

»Gerne«, sagte er und wollte das Wort an seine Gefährten richten. Aber die unhöflichen Mistkerle waren schon unterwegs in die Menge. Vermutlich wollten sie sich um ihre bescheuerte Wette kümmern.

Wehe, ihr macht den MacKays heute Schande. Wenn die beiden Trottel einen Zweikampf herausfordern oder mit einem vergebenen Omega erwischt werden, erwürge ich sie eigenhändig.

Die Freundschaft zwischen den MacKays und den MacFarlanes war erst wenige Jahrzehnte alt und empfindlich wie ein halb verheilte Wunde. Ein falscher Schritt und alle Rudelmitglieder würden sich sofort an die Schlacht am Naver erinnern, bei der sie auf verschiedenen Seiten gestanden hatten.

Das Essen kam und alle jubelten erneut. Zwei Omegas schleppten den Kessel mit Eintopf herein und ein dritter verteilte ihn auf den Tellern. Angefangen beim Rudel-Chief und seinen Vertrauten. Und Caelan. Schon bald waren sie in ein Gespräch vertieft. Lachlan wollte alles über die Sutherlands und ihre Angriffsstrategien wissen, an das Caelan sich erinnerte.

»Wie viele sind es noch?«, fragte Lachlan und hielt seinem Omega das Whiskyglas hin. Der füllte es nach.

»Ich weiß es nicht«, sagte Caelan. »Angegriffen wurden wir von mindestens fünfhundert. Aber sie haben viele verloren.« Grimmiger Stolz stieg in ihm auf. »Mein Bruder und ich haben allein siebenundzwanzig von den Drecksäcken abgestochen.«

Beeindrucktes Nicken und Schulterklopfen. Ein Kloß steckte in Caelans Hals, aber er ignorierte ihn. Er wollte jetzt nicht an Connor denken.

»Sie sind geschwächt, aber sie machen weiter. Burg MacKay hat ihnen nicht gereicht. Das Rudel wird sich ausruhen, neu aufstellen und weiterziehen.« Er probierte den Whisky. Süßer als der, den er gewohnt war. Trotzdem nicht schlecht.

Lachlan winkte und ein weiterer Mann gesellte sich zu ihnen. Harris, der Krieger, den sie zusammen mit dem rothaarigen Omega erwischt hatten. Ob Myles doch recht hatte und die beiden sich miteinander vergnügt hatten? Bilder stiegen in ihm auf, in denen die weißen Schultern und schlanken Hüften des Rothaarigen eine wichtige Rolle spielten.

»Harris.« Lachlan bedeutete ihm, sich zu setzen. »Caelan erzählte, dass sie bei ihnen über die Burgmauern geklettert sind. Kann das bei uns auch passieren?«

»Nein.« Harris lachte verächtlich. »Unsere Mauern sind doppelt so hoch wie die im Norden. Bis die auf der Mitte sind, haben wir sie längst entdeckt.«

Lachlan rieb sich das stoppelige Kinn. »Caelan, du schaust dir morgen die Mauern an, zusammen mit Harris und Eric. Überprüft, ob sie sicher sind.«

Eric und Harris nickten. Harris eher widerwillig. »Aber ich sag's euch, die sind sicher.«

»Das dachten wir auch«, erwiderte Caelan.

»Das glaub ich.« Harris schnaubte leise.

Caelan sah ihn an, unverwandt. Myles nannte das seinen Todesblick. Angeblich war es anderen Menschen unangenehm, wenn man sie lange musterte, ohne zu blinzeln. Harris erwiderte den Blick erst, dann rutschte sein Blick auf die Tischplatte und dann räusperte er sich.

»Wie sind sie über die Mauer gekommen?«, fragte Eric.

»Haken und Seile.« Caelan erlöste Harris und sah auf den Whisky in seinem Glas. »Sie waren schnell. Wir haben sie runtergeschnitten, wo wir konnten, aber sie hatten einen Scheinangriff am Tor gestartet und wir haben zu spät gemerkt, was sie vorhaben.«

»Dein Bruder ist dort gestorben, nicht wahr?« In Erics Frage schwang verhaltenes Mitleid mit.

»Nicht auf der Mauer.« Connor war vor dem Omegahaus gestorben. Er hatte sein Leben für seinen Gefährten gegeben, der zu schwach gewesen war, um zu kämpfen. Körperlich und im Herzen. Nach Connors Tod, nachdem die Sutherlands sie überrannt hatten, war Connors Gefährte zum Partner eines Sutherland-Alphas geworden.

»Es tut mir leid.« Lachlan lächelte grimmig. »Aber bald kannst du es ihnen heimzahlen, mein Junge.«

»Deshalb bin ich hier.«

Schulterklopfen und Lachen. Alle stießen mit ihm an, selbst Harris. Der schien sich hier wohl zu fühlen und blieb. Am Tisch des Rudels-Chiefs zu sitzen war eine Ehre und er würde erst gehen, wenn sie ihn verjagten. Caelan widerstand der Versuchung, ihn nach dem rothaarigen Omega zu fragen. Ungefähr eine Minute lang.

»Was war da heute Mittag los?« Er grub den Löffel in seinen Eintopf und schob ihn sich in den Mund.

Harris schnalzte mit der Zunge. »Ach, der kleine Fuchs war mal wieder unverschämt. Dem sollte dringend einer die Bäckchen versohlen.«

»Der Ansicht bin ich auch.« Der Eintopf schmeckte nicht schlecht, auch wenn Caelan die Kräuter seiner Heimat vermisste. »Bei uns würde ein Omega es niemals wagen, in einen Bereich einzudringen, der verboten ist.«

»Hier schon.« Ein dreckiges Grinsen. »Aber ich beschwer mich gar nicht. Wenn die Bücklinge so blöd sind, in unseren Turm zu kommen, können wir mit ihnen machen, was wir wollen.«

War das sein Ernst? Caelans Erstaunen musste sich auf seiner Miene gezeigt haben, denn Harris schaute ungläubig.

»Was, bei euch nicht?« Meckerndes Lachen. »Dann wird es dir bei uns gefallen. Ich schwör dir, wenn der Mistkerl nicht entwischt wäre, hätte ich ihn genagelt wie ein Hammer. Der hätte das ganze Jahr nicht mehr sitzen können.«

Kaltes Wasser floss in Caelans Magen. »Gegen seinen Willen?«

»Ein Bückling hat keinen Willen«, sagte Harris. »Und schon gar nicht, wenn er in den Alphaturm kommt. He, ich wette, der ist mir Absicht da rein. Wahrscheinlich wollte er, dass ihn endlich jemand rammelt. Er ist noch unberührt. Hat er selbst gesagt.« Ein Schatten flog über Harris' Miene. »Bevor er abgehauen ist, der Dreckskerl. Das zahl ich ihm heim, ich schwör's dir.«

Caelan verspürte Übelkeit. Ihr Rudel-Chief hatte ihm erzählt, dass es weiter südlich seltsame Sitten gab, aber das?

»Die Omegas sind nicht unsere Sklaven«, sagte er. »Sie sind schwach und müssen von uns beschützt werden.«

Harris' Eckzähne erschienen. »Die Bücklinge sollen gehorchen, sonst nichts. Anwesende natürlich ausgenommen.« Er prostete dem Omega des Rudel-Chiefs zu, der schmallippig lächelte.

»Die Omegas sind schwach, aber wertvoll«, sagte Eric. »Schließlich bringen sie die Welpen zur Welt. Ich schätze, jedes Rudel hat seinen eigenen Weg, mit ihnen umzugehen.«

»Und der Weg der MacFarlanes ist es, sie zu schänden?«

Erics Gesicht blieb unbewegt. »Nur, wenn sie in unseren Bereich eindringen. Es muss Grenzen zwischen uns geben.«

»Grenzen.« Caelan sah in sein Whiskyglas. Das war es also gewesen. Kein unverschämter Rotschopf, der mit seinem Liebhaber spielte oder vor seiner Strafe abhaute. Sondern ein Junge, der vor einer Vergewaltigung floh.

»Natürliche Grenzen.« Der Rudel-Chief sah seinen Omega freundlich an. »Oder was denkst du?«

»Wir sind nicht gleich, das stimmt.« Lachlans Gefährte hatte eine melodiöse Stimme. »Und ich bin froh, dass ihr uns beschützt.«

»Und bestraft, oder?«, fragte Lachlan.

»Ja. Wenn wir es verdienen.« Etwas Dunkles lag hinter der Miene des Omegas. Als wollte er noch etwas hinzufügen. Aber er tat es nicht.

Schwach, dachte Caelan. Das dunkle Gefühl in seinem Magen blieb. Wo war er hier gelandet? Die MacKays und die MacFarlanes waren entfernte Cousins, aber offensichtlich unterschieden ihre Bräuche sich voneinander. Sehr.

»He, MacKay.« Harris deutete hinter sich. »Ist das bei euch im Norden üblich, dass ihr bei den Omegas sitzt?«

Was? Caelan sah zu Myles und Fraser hinüber. Wie erwartet redeten sie auf den Rotschopf ein. Erst jetzt erkannte er, dass sie die einzigen Alphas am Tisch waren. Auch auf den umliegenden Bänken saßen ausschließlich Omegas.

»Trennt ihr sie beim Essen?«, fragte er.

»Nur die unverpartnerten«, sagte Eric. »Es führt zu weniger Unruhe, wenn die Omegas niemanden reizen können.«

»Reizen?«

»Wenn sie niemanden mit ihrem Duft dazu bringen, sie anzufassen.« Eric schnüffelte. »Obwohl ich sie bis hier rieche. Die Hitze muss kurz bevorstehen.«

»Omegas können niemanden dazu bringen, sie anzufassen«, sagte Caelan. »Dazu sind sie zu schwach.«

»Eure Omegas vielleicht, MacKay.« Harris nahm einen Schluck Whisky. »Unsere sind eine Landplage. Der Bückling da hinten hat letzte Woche meinen Freunden schöne Augen gemacht. Und dann hat er sich verkrümelt. Hast schon recht, die besser zu erziehen wäre gut. Aber so macht's auch Spaß.«

Caelan sah einen nervös wirkenden Omega, mager und dunkelhaarig, dessen Blicke immer wieder zu den Alphatischen huschten. Er sah nicht aus wie ein Verführer.

Der Rotschopf saß ganz in der Nähe. Die beiden Trottel laberten immer noch auf ihn ein, und seine Miene wurde immer düsterer. Der Blondgelockte neben ihm dagegen strahlte. Lächelnd sagte er etwas zu Myles.

»Ich muss nach meinen Kameraden schauen«, sagte Caelan.

Der Omega im Turm

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