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DIE HINTERGRÜNDE

Korrigieren Sie Ihre Vorurteile

Stellen Sie sich vor, Sie sind mit Ihrem Kumpel Tom unterwegs auf einem wunderschönen Waldweg. Sie erzählen Tom von dem Urlaub, den Sie planen, aber er hat nur ein Thema: Sein Läuferknie auf der rechten Seite macht ihn wahnsinnig. Er hat den Tipp mit der Faszienrolle ausprobiert, aber das hat nicht geholfen. Letzte Woche hat er sich eine Massage geben lassen, aber das hat auch nicht geholfen. Sie laufen ein Stück weiter hinter ihm her und schauen sich sein Schrittbild an. Dabei merken Sie, dass sein rechtes Knie nach innen einknickt. Sie sagen Tom, er soll sein Bein gerade halten. Aber er hat keine Ahnung, wie er das machen soll. Er überkompensiert also, indem er das Knie jetzt nach außen drückt. Jetzt läuft er auf der Außenseite seiner Füße, die ihm nach einiger Zeit nun auch noch weh tun. So zu laufen fühlt sich seltsam an und ist viel schwieriger als vorher. Tom wird immer frustrierter. Das eigentliche Problem ist aber, dass Toms Hüfte nach innen kippt. Die meisten Leute würden wahrscheinlich annehmen, dass das durch eine Muskelschwäche bedingt ist, und das ist in der Tat eine Möglichkeit. Aber bei einer großen Mehrheit der Menschen, die laufen, liegt der Grund ganz woanders. Kein System funktioniert, wenn es nicht angeschlossen ist.

Bei den meisten Läufern sind die Hüftmuskeln gehemmt oder, wie ich das nenne, „ausgestöpselt“. Mal ganz einfach ausgedrückt: Sie können kein Toastbrot machen, wenn der Toaster nicht angeschlossen ist. Bei Ihrer Hüfte ist es genau dasselbe. Sie springt nicht an, wenn Sie ihr nicht beibringen, sich mit Ihrem Gehirn zu verbinden. Personal-Trainer behaupten oft, dass Kniebeugen mit Gewichten alles wieder ins Lot bringen. Dem könnte ich kaum weniger zustimmen. Wenn Ihr Toaster nicht angeschlossen ist, können Sie noch so viel Brot hineinstopfen, es wird Ihr Problem nicht lösen. Wenn Sie Kniebeugen mit einer 100-kg-Hantel auf den Schultern machen, löst das kaum Ihre Körperprobleme. Die Belastung wird lediglich auf andere Muskeln übertragen und Sie kompensieren weiter. Genau dasselbe passiert, wenn Sie zusätzlich zu Ihren gehemmten Hüften auch noch unheimlich viel laufen. Das wird Ihnen nicht helfen, denn Laufen und fehlende Kraft sind nicht das Problem. Ihr Körper ist das Problem. Um den Muskel wieder „einzustöpseln“, müssen wir ihm beibringen, wie er funktionieren und sich mit dem Rest des Körpers koordinieren soll.

Vor Kurzem kam eine Läuferin zu mir, die über Hüftschmerzen klagte. Es war nicht so schlimm, dass sie gar nicht mehr laufen konnte, aber sie hatte diese Schmerzen durchgängig. Ihr Coach und ihre Freundinnen und Freunde hatten ihr gesagt, dass sie ihre Gesäßmuskeln stärken müsse, und sie begann daher, jede Woche zu einem „Bauch-und-Po“-Kurs zu gehen. Und was war das Ergebnis nach zwei Jahren? Gar keins. Die Schmerzen hatten sich null verbessert. Ihr Krafttraining konnte das Problem nicht lösen. Um genau zu sein, vergrößerte es die Belastung noch. Ihr Körper hatte gelernt, sich um die Bewegung herumzutricksen und war in der Lage, mehr Gewicht zu bewegen. Aber die Bewegungsabläufe waren nicht besser geworden. Sie hatte eine Menge Zeit investiert, aber nichts von dem, was sie unternommen hatte, hatte ihr dabei geholfen, ihr Schrittbild zu verbessern. Wir gingen erstmal einen Schritt zurück und bereinigten ihre Bewegungsprobleme. Nach drei Wochen war sie symptomfrei und erreichte einen persönlichen Rekord bei einem Halbmarathon. Durch die verbesserten Bewegungsabläufe bemerkte sie auch endlich eine Verbesserung durch das Krafttraining. Wenn Sie sich richtig bewegen, dann geben Sie Ihr Bestes. Und was am wichtigsten ist: Ihr Körper lernt neue Fähigkeiten, die Ihnen helfen, besser zu laufen.

FINDEN SIE SICH NICHT MIT PLAN B AB

Gute Läufer verfügen über ein Gangbild, das instinktiv reibungslos abläuft. Bei jedem Schritt tun sowohl Gehirn als auch Körper Ihr Bestes. Diese Athletinnen und Athleten haben einen „Plan A“ entwickelt, der es ihnen erlaubt, sich so effektiv wie möglich zu bewegen und so effektiv wie möglich zu laufen. Diese Personen schauen sich die besten professionellen Läufer an, um ihre eigene Form zu verbessern. Es ist ziemlich frustrierend, wenn wir gute Ratschläge annehmen, die uns aber dann in Wirklichkeit nicht recht weiterbringen. Lassen Sie uns erstmal einen Schritt zurücktreten und uns anschauen, wie unser Körper überhaupt Bewegungsabläufe erlernt. Vielleicht werden Sie dabei bemerken, dass Ihre eigenen, gelernten Bewegungen das eigentliche Problem dabei sind, beim Laufen in Bestform zu kommen. Für optimale Ergebnisse müssen wir qualitativ hochwertige Bewegungsabläufe lernen, aber Ihre Bewegungsqualität ist immer nur so gut, wie Ihr Körper es Ihnen erlaubt.

Fallbeispiel: Unser Freund Tom möchte sein Gangbild bereinigen. Aber sein Körper ist nicht perfekt auf das Laufen vorbereitet. Und sein Lebensstil bei der Arbeit hilft auch nicht gerade. Er sitzt mehr Stunden am Stück in Flugzeugen, als andere Leute nachts schlafen, und danach sitzt er noch ein bisschen mehr, denn er hat ständig Meetings. Sitzen kann die Haltung verschlechtern, indem es die Rumpf- und Hüftmuskeln hemmt bzw. „ausstöpselt“. Tom hat auch noch eine alte Verletzung, die sein rechtes Fußgelenk steif macht. Durch die Spannung in seinen Hüften kann er sich nicht richtig abstoßen. So schafft er es nicht, seine Beine weiter vor den Körper zu schwingen und weniger hinter sich her zu schleifen. Dieses veränderte Schrittbild stellt eine Überbelastung der Muskeln dar, die sich rund um sein Knie herum befinden, was dazu führt, dass er sein Bein nicht vollständig strecken kann. Und das bedeutet wiederum, dass das Laufen für den ganzen Körper viel belastender wird. Die Steifheit in seinem rechten Fußgelenk lässt ihn außerdem bei jedem einzelnen Schritt auf der Außenseite des Fußgelenks laufen, wodurch noch mehr Ungleichmäßigkeit entsteht, während er sein Bein vorwärts schwingt.

Tom will seine Kontrolle beim Laufen verbessern. Aber durch die vielen negativen Einflüsse hat sein Körper sich ganz auf Plan B eingestellt. Tom hat sich an das Problem angepasst, indem er sich sein eigenes, adaptiertes Gangbild zusammengeschustert hat. Und damit ist Tom nicht allein. Die Evolution hat uns darauf programmiert, die für uns energiesparendste Art und Weise zu gehen und zu laufen auszuknobeln. Tom hat seine Mankos kompensiert und seinen Gangreflex so angepasst, dass er innerhalb der derzeitigen Einschränkungen seines Körpers so effizient wie irgend möglich wird. Wenn wir etwas kontinuierlich üben, wird unser Körper immer besser darin und so schleifte sich bei Tom mit jedem Lauf dieses kompensierte Gangbild ein, das sich an sein steifes Fußgelenk und seine gehemmte Hüfte anzupassen versucht.

Und dann bat Tom eines Tages einen Freund im Fitnessstudio um Rat. Er bekam alle möglichen Ratschläge, um seine Bewegungsabläufe zu verbessern, und nach ein paar Monaten waren die Bewegungen seiner Hüfte und seines Fußgelenks tatsächlich um Einiges besser geworden. Aber Toms Laufform änderte sich überhaupt nicht. Warum? Sie können Ihre Mobilität verbessern, aber Ihr Körper muss auch wissen, wie er damit umgehen soll. Es braucht Übung, um diese neuen Bewegungen in die Programmierung Ihres Gehirns zu übernehmen. Wenn Sie das erreichen wollen, müssen Sie die Art, wie Sie sich bewegen, neu „verkabeln“.


ABBILDUNG 2.1 Übung führt zu Plastizität

Bewegungsblockaden zwingen Sie dazu, sich anders zu bewegen. Sobald eine Blockade einmal aufgehoben ist, müssen Sie die Fähigkeitenkontrolle über die neuen Bewegungen üben, um eine Verbesserung beim Laufen zu spüren.

REFLEXARTIGE BEWEGUNGEN NEU „VERKABELN“

Kratzen Sie sich einmal an der Nase. Es ist ganz leicht, tun Sie es einfach. Was ist passiert? Sie haben einen Befehl gelesen. Ihr Gehirn war einverstanden. Es hat eine Nachricht an die Muskeln in Ihrem Arm gesendet, um die Hand zu heben, sie an Ihr Gesicht zu führen, die genaue Lokalisierung Ihrer Nase im Gesicht zu finden und mit den Fingern zu wackeln, um so eine Bewegung zu erzeugen und zu kratzen. Klingt wie eine Menge einzelner Schritte, nur um sich an der Nase zu kratzen, oder? Dies alles wird durch einen Vorgang gesteuert, den man freiwillige Bewegung nennt. Sie haben sich bewusst dazu entschieden, sich zu bewegen und Ihr Gehirn hat die Aufgabe erledigt.


ABBILDUNG 2.2 Unterbewusstes Laufen

Die Anleitung für Ihr Gangbild kommen von den zentralen Mustergeneratoren, die genau unterhalb Ihres Gehirns liegen.

Und jetzt stehen Sie einmal auf, gehen ans andere Ende des Zimmers und wieder zurück. Wiederum hat sich Ihr Gehirn dazu entschlossen, dass es das wohl hinbekommt. Sie sind aufgestanden und losgegangen. Aber danach sind die Dinge ein wenig anders abgelaufen. Bei jedem Schritt haben Sie Ihre Hüfte gebeugt, das Knie gestreckt, den Unterschenkel nach vorne geschwungen, einen Fuß auf dem Boden abgesetzt, das Fußgelenk bewegt und die Wade angespannt, um den Körper vorwärts zu bewegen, und dann haben Sie das Ganze wiederholt. Das ist alles passiert, ohne dass Sie lange darüber nachdenken mussten. Unser Gang ist kein freiwilliger Ablauf, sondern eher reflexartig.

Reflexartige Bewegungen laufen ohne bewusstes Nachdenken ab. Um genau zu sein werden die Signale, die in Ihrem Körper herumhüpfen und ihm sagen, ob er kriechen, gehen oder rennen soll, von einem speziellen Programm ausgeführt, das man zentrale Mustergeneratoren oder ZMG nennt. Das Wichtigste, was Sie hierzu wissen müssen, ist, dass sich diese ZMG unterhalb des Gehirns im Rückenmark befinden. Das ist der Grund, warum Sie zum Laufen Ihr Gehirn nicht anstrengen und sich konzentrieren müssen. Bewusste Gedanken entstehen in Ihrem Gehirn, deshalb sage ich gerne, dass wir mit dem Unterbewusstsein laufen. Jeder Schritt, den Sie machen, verstärkt Ihr Gangbild, egal ob es das beste für Sie ist oder nicht. Manchmal führen angehäufte Beschwerden und Schmerzen, die Sie sich während Ihrer Laufkarriere angeeignet haben, zu einem Humpeln, das andere an Ihnen bemerken, aber Sie selbst nicht. Für Sie ist es ganz normal geworden. Die ZMG lernen aus all den Übungseinheiten, die Sie für sich wiederholende Bewegungen wie dem Gehen ausführen, und durch Übung entstehen neue Verbindungen. Klar, Sie können diesen Reflex unterdrücken. Wenn Sie wollen können Sie sich mit dem linken Bein stärker abstoßen als mit dem rechten. Aber dafür müssen Sie dann doch Ihr Gehirn anstrengen, denn Sie würden dadurch Ihr normales Reflexmuster für Ihr Gangbild modifizieren, das die ZMG in Ihrem Rückenmark senden.

Deshalb kann es manchmal so schwierig sein, unsere Laufform zu ändern. Die perfekte Form zu erreichen, wenn Ihr Körper darauf gar nicht ausgelegt ist, bedeutet, gegen Ihre eigenen Körperbewegungen zu kämpfen. Falls Sie je versucht haben, Ihren Laufrhythmus zu ändern, wissen Sie das selbst am besten. Wenn Sie seit acht Jahren 162 Schritte pro Minute laufen und dann auf einmal 180 Schritte hinbekommen wollen, muss sich Ihr Gehirn ganz schön anstrengen. Diesen Übergang können Sie nicht von einem Tag auf den anderen machen. Dasselbe gilt für die Haltung. Wie soll eine Läuferin die richtige Haltung bei einem Halbmarathon beibehalten, wenn sie keine Ahnung hat, wie sie eine neutrale Wirbelsäulenposition im Stehen hinbekommen soll?

Trotzdem gibt es noch haufenweise Lauftrainer, die den Leuten erzählen, dass sie den Bodenkontakt verringern sollen, um schneller zu laufen. Dieser Ratschlag stammt aus einem Experiment, das mit einer Gruppe der besten Läufer der Ver-einigten Staaten durchgeführt wurde. Ihnen wurde gesagt, sie sollen ihren Kontakt mit dem Boden bei allen Laufeinheiten verringern. Aber dazu mussten Sie komplett umorganisieren, wie stark Sie sich bei jedem einzelnen Schritt in den Boden stemmten. Sogar diese elitären Körper hatten keine Ahnung, wie sie das anstellen sollten und zwangen sich zu riesigen Veränderungen in Muskelrekrutierung und Intensität. Es war eine komplette Katastrophe, die bei jedem einzelnen Läufer zu Verletzungen führte. Den Bodenkontakt zu verringern, kann Sie schneller machen, aber Ihr Körper muss üben, wie er das richtig machen soll, bevor Sie erwarten können, dass die Veränderung übernommen wird und sich in Ihrem Gangbild spiegelt. Sie können Ihre Laufform verändern, aber gute Form ist nichts, das Sie an einem Tag durch eine Art Schlüsselerlebnis hinbekommen. Ihr Körper muss eine Datenbank mit dem richtigen Muskelgedächtnis aufbauen. Sobald Ihr Körper das einmal richtig hinbekommen hat, ist es einfach, den Ablauf zu wiederholen. Es ist wirklich wie beim Fahrradfahren.

Neurale Plastizität

Vor ein paar Jahren erlitt ich eine schwere Kopfverletzung und lag eine Zeitlang im Koma. Durch die Schwellung wurden einige Teile meines Gehirns, die normalerweise oben im Schädel liegen, nach unten verschoben, und mein Rückenmark wurde zusammengedrückt. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, konnte ich nicht in einer geraden Linie den Bürgersteig hinunterlaufen. Die Verletzung meines Gehirns und meines Rückenmark machten es mir unmöglich, das Gleichgeweicht zu halten und mich zu koordinieren. Ich weiß noch, dass ich über das Gehen nachdenken musste, wie ich es zuvor noch nie getan hatte. Da das normale Reflexsignal, das mein Rückenmark sendete, gestört war, brauchte ich freiwillige Befehle aus meinem Gehirn. Und ich übte das Gehen... sehr oft. Letzten Endes verständigten sich mein Gehirn und die ZMG in meinem Rückenmark und schrieben ein neues Programm. Mein Gehirn hatte wieder Zeit, über andere Dinge nachzudenken, mein Gang wurde wieder automatisch und reflexartig, und ich konnte wieder gerade den Bürgersteig hinuntergehen. Keine Angst, mir geht es wieder gut, aber was ich hiermit zeigen will, ist wie plastisch unser Gehirn wirklich ist:

Es ist tatsächlich möglich, die Art, wie Sie sich bewegen, zu verbessern.

DAS MUSKELGEDÄCHTNIS AUFBAUEN

Als Tom zu mir kam, stellte sich heraus, dass seine äußeren Hüftrotatoren, die für die Steuerung der Hüfte verantwortlich sind, blockiert waren. Während der Behandlung lernte Tom, seine Hüftmuskeln durch isolierte Bewegungen zu fühlen und abzurufen. Anfangs konnte er sich dabei nicht unterhalten. Es war nicht körperlich anstrengend, aber er musste sich mental ungemein konzentrieren. Für die meisten von uns bedeutet die mentale Konzentration, die benötigt wird, um eine neue Bewegung durchzuführen, eine 7 auf einer Skala von 1 bis 10. Hierbei sind wir in der kognitiven Phase unserer Bewegungsverbesserung. In dieser Phase sind die Bewegungen noch nicht gleichmäßig und brauchen haufenweise Hirnleistung. In dieser Anfangsphase funktioniert es meist nicht, einfach zu sagen: „So, und jetzt strecken wir mal das Bein.“ Tom hat einfach nicht das Muskelgedächtnis, das er benötigt, um diese neue Fertigkeit seinem Gangreflexprogramm hinzuzufügen.

Nach zwei Trainingswochen bewegte Tom seine Hüfte schon geschmeidiger – er hatte ein paar neue Kabel verlegt. Es war nun an der Zeit, einige Übungen für eine vollständigere Körperbewegung hinzuzufügen. Wenn Tom sich jetzt anschickt, seine Hüften geradeaus zu lenken, dann macht er es richtig. Statt seine Knie nach außen zu drehen, so dass das ganze Gewicht auf der Außenseite des Fußes liegt, hält er seine Füße stark und gerade und bewegt sich richtig aus der Hüfte heraus. Tom spürt bereits, dass dieser Bewegungsablauf richtiger ist, aber er muss immer noch darüber nachdenken und muss noch ein wenig daran arbeiten, kontinuierlich so zu laufen. Tom hat keine riesige mentale Datenbank mit den richtigen Bewegungsabläufen. Sein Plan B ist für ihn immer noch der Normalzustand, und sein Plan A fühlt sich irgendwie gekünstelt an. Denken Sie daran, Laufen ist reflexartig. Um seine Form zu ändern, musste Tom zusätzlichen Input von seinem Gehirn in sein normales Gangbild einfügen, um seinen Körper beim Laufen zu kontrollieren. Und damit befinden wir uns nun in der assoziativen Phase der Bewegungsverbesserung. Tom kann die richtigen Bewegungsabläufe auf Kommando abrufen, aber sie sind ihm noch nicht vollständig in Fleisch und Blut übergegangen.


Nach einem Monat des Übens findet Tom die Übungen einfach, beinahe automatisch. Und das merkt man. Er ist nun in der autonomen Phase. Seine Muskeln sind in Topform, und Tom hat gelernt, diese Bewegungen in sein Gangbild zu übernehmen. Seine Hüftausrichtung beim Laufen ist nun symmetrisch. Er streckt seine Hüften nun korrekt und hat überhaupt keine Schmerzen mehr. Wir haben ein neuromuskuläres Problem durch neuromuskuläres Training gelöst.

Fassen wir noch einmal zusammen. Tom hatte beim Laufen Schmerzen, was auch zu sichtbaren Schwierigkeiten bei seiner Laufform führte. Das Einknicken seines Beins führte zu einem Abscheren seiner Knieaußenseite, was wiederum zu einem Läuferknie führte. Aber was war das zugrundeliegende Problem, das sein Bein zum Einknicken brachte? Wir wissen, es fehlte ihm nicht an Muskelkraft. Muskeln brauchen etwa 6 bis 8 Wochen um größer zu werden (Hypertrophie) und mehr Kraft zu produzieren, aber Tom ging es schon nach nur vier Wochen besser. Was ist also passiert?


ABBILDUNG 2.3 Krafttraining für die Systemintelligenz

Mit der Beinstreckmaschine kann eine intramuskuläre Verbesserung der isolierten Muskelstärke erreicht werden, aber es gibt funktionellere Bewegungsübungen, wie etwa einbeinige Kniebeugen, die intramuskuläre Stärke und Koordination aufbauen und so Ihren Lauf verbessern.

Toms Beine knickten nach innen weg, da die Muskeln in seiner Hüfte, die das Gelenk stabilisieren und bewegen, nicht korrekt mit seinen ZMG verbunden waren. Daher konnte er seine Hüfte einfach nicht geradeaus bewegen, obwohl er wusste, dass dies das Problem war. Präzise Bewegungen benötigen Koordination – sowohl zwischen den Muskeln als auch innerhalb eines Muskels.

Intramuskuläre Koordination können wir uns wie ein Selbstgespräch des Muskels vorstellen. Ein Muskel besteht aus vielen Fasern, die sich zusammenziehen, um eine Muskelkontraktion zu erzeugen, die wiederum zu einer Bewegung führt. Wenn der Muskel gehemmt (oder „ausgestöpselt“) ist, dann bekommen nicht genügend dieser Fasern das Signal, sich anzustrengen. Um das wieder in Ordnung zu bringen, sind sehr spezifische, manchmal sogar isolierte Bewegungen notwendig, um den Fasern innerhalb des Muskels beizubringen, miteinander zu kommunizieren und so eine gleichförmigere Kontraktion zustande zu bekommen. Diese Trainingsmethode zielt auf Muskelintelligenz ab.

Intermuskuläre Koordination bezieht sich auf die Kommunikation zwischen den Muskeln. Sie können Trainieren wie ein Bodybuilder und acht Sätze auf der Beinstreckmaschine hinlegen und so Ihre intramuskuläre Koordination und Stärke erhöhen, bis Ihre Oberschenkelmuskeln nicht mehr in Ihre Jeans passen. Aber diesen einen Muskel zu trainieren wird Ihnen nicht dabei helfen, besser zu laufen. Beim Sport agieren Muskeln nicht isoliert, wie sie es tun, wenn Sie auf der Beinstreckmaschine trainieren. Was Sie wirklich trainieren müssen, sind Bewegungsabläufe, nicht Muskeln. Diese Trainingsmethode zielt auf Systemintelligenz ab.

Manche Menschen stellen sich intermuskuläre Koordination und die hierfür notwendige Arbeit als eine Art Crosstraining vor. Aber das hat nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun. Die Forschung zeigt, dass neuromuskuläres Training hervorragende Ergebnisse erreicht. Es verringert Ihr Verletzungsrisiko und verbessert die Koordination, Schnelligkeit, den vertikalen Sprung und die Kontaktzeiten. Dieses Training ist ein Zusatz zu Ihrem Lauftraining. Crosstraining bezieht sich auf eine Art Training, das Personen, die laufen, durchführen, um ihr Herz und ihre Lungen in Form zu halten, wenn ihr Laufvolumen gerade eher niedrig ist. Zusätzliches Training verfeinert hingegen Ihre Fähigkeiten und macht Sie zu einem besseren Läufer oder einer besseren Läuferin.

Wenn wir sagen, dass Muskeln „ausgestöpselt“ sind, dann meinen wir damit, dass sie nicht mit unseren voreingestellten Reflexbewegungen verbunden sind. Deshalb konzentrieren wir uns darauf, die Koordination sowohl innerhalb eines Muskels als auch zwischen den Muskeln aufzubauen. Durch Übung erlaubt uns die neurale Plastizität, diese präzisen Bewegungen mit unseren ZMG zu „verkabeln“. So geht uns die präzise Laufform in Fleisch und Blut über.

Koordination, Kontrolle und Präzision sind allesamt Fähigkeiten, die jeder Läufer üben muss. Für diese Bewegungen sind ein hohes Volumen und wenig Resistenz notwendig. Sie sollten diese Fähigkeiten ein paar Mal jede Woche das ganze Jahr über trainieren, um zu gewährleisten, dass der Bewegungsablauf beim Laufen automatisch abgerufen werden kann. Sie müssen die Bewegungen wirklich verinnerlichen, nicht nur bei einer Übung oder einer Trainingseinheit, nicht nur nach einem Kilometer oder nach fünf, sondern bei jeder Wiederholung auf der Aschenbahn, jedes Mal, wenn Sie einen Hügel hinauflaufen und bei jedem Kilometer des Wettlaufs. Das Ziel ist letztendlich, das Bewusstsein für den verfeinerten Bewegungsablauf reflexartig werden zu lassen. Das ist besonders wichtig an einem Wettlauftag, wenn Sie das Programm abfahren müssen, das Sie so oft geübt haben, ohne lange darüber nachzudenken.

Entfesselt laufen

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