Читать книгу Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean-Jacques Rousseau - Страница 144
Dreizehnter Brief.
Antwort.
ОглавлениеArme Cousine, wie viele Qualen bereitest du dir unaufhörlich, bei so viel Ursache in Frieden zu leben! All dein Unglück kommt von dir, Israel! Wenn du deinen eigenen Regeln folgtest, in Sachen des Gefühls nur auf die innere Stimme hörtest, und wenn dein Herz deine Vernunft zum Schweigen brächte, so würdest du dich der Sicherheit, welche es dir einflößt, unbedenklich überlassen, und würdest dich nicht anstrengen, gegen sein Zeugniß eine Gefahr zu fürchten, die nur von ihm herkommen kann.
Ich verstehe dich, ich verstehe dich wohl, meine Julie; deiner selbst gewisser, als du dich stellst, willst du dich wegen deiner begangenen Fehltritte demüthigen, unter dem Vorwand, neue zu verhüten, und deine Skrupel sind nicht sowohl Vorsichtsmittel für die Zukunft, als vielmehr eine Strafe, welche du dir für die Keckheit auflegst, die dich ehemals in's Verderben geführt hat. Du stellst die Zeiten in Vergleichung. Was fällt dir ein? Vergleiche doch auch die Umstände, und erinnere dich, daß ich dir damals deine Zuversicht vorwarf, wie ich dir heute deine Angst vorwerfe.
Du täuschest dich, mein liebes Kind; man hat nicht so sich selbst zum Besten; wenn man sich über seinen Zustand betäuben kann, indem man nicht an ihn denkt, sieht man ihn doch gleich so, wie er ist, sobald man sich damit beschäftigen will, und man verhehlt sich seine Tugenden nicht mehr, als seine Laster. Dein sanfter Sinn, deine Frömmigkeit machen dich zur Demuth geneigt. Traue nicht dieser gefährlichen Tugend, die nur der concentrirtesten Eigenliebe Nahrung giebt, und glaube mir, daß die edle Freiheit einer geraden Seele dem Stolze der demüthigen vorzuziehen ist. Wenn Mäßigung in der Klugheit nöthig ist, so ist sie es auch bei den Vorsichtsmaßregeln, zu welchen diese räth, damit nicht eine für die Tugend schimpfliche Fürsorge die Seele erniedrige, und durch die Aufregung, in welche sie uns versetzt, eine eingebildete Gefahr zu einer wirklichen mache. Siehst du nicht, daß man sich nach der Erhebung von einem Fall fein gerade halten muß, daß, wenn man sich die Neigung nach der entgegengesetzten Seite giebt, dies das Mittel ist, abermals zu fallen? Cousine, du warst Liebhaberin, wie Heloise, und siehe, bist nun Frau wie sie; gebe Gott einen bessern Ausgang! In der That, wenn ich deine natürliche Furchtsamkeit weniger kennte, würde deine Angst im Stande sein, mich meinerseits zu erschrecken, und wenn ich so skrupulös wäre, würdest du durch deine Furcht um dich machen, daß ich für mich zitterte.
Nein, überlege dir's besser, meine liebenswürdige Freundin; du, die du eine ebenso leichte und milde, als ehrliche und reine Moral besitzest, legst du nickt eine zu schroffe und deinem Charakter fremde Härte in deine Maxime über die Absonderung der Geschlechter? Ich gebe dir zu, daß sie nicht miteinander und nicht auf ein und dieselbe Art leben müssen; aber erwäge, ob diese wichtige Regel nicht in der Praxis verschiedene Ausnahmen nöthig macht, ob man sie ohne Unterschied auf Frauen und Mädchen, auf die allgemeine Gesellschaft und auf Privatzusammenkünfte, auf Geschäfte und auf Vergnügungen anwenden darf, und ob nicht Anstand und Schicklichkeit selber, von denen sie anempfohlen wird, sie hin und wieder einschränken müssen. Du willst, daß in einem Lande, wo gute Sitten herrschen, wo man bei der Verheiratung auf das von Natur Zusammenstimmende sieht, Versammlungen stattfinden, bei welchen die jungen Leute beiderlei Geschlechts sich sehen, sich kennen lernen und sich passend zusammenfinden können; Privatzusammenkünfte untersagst du ihnen aber mit großem Rechte. Sollte nicht gerade das Gegentheil für Frauen und Familienmütter stattfinden, die kein berechtigtes Interesse haben, sich öffentlich zu zeigen, die von ihren häuslichen Geschäften im Inneren des Hauses festgehalten werden und sich keiner Sache entziehen dürfen, welche der Herrin des Hauses geziemt? Es würde mir nicht gefallen, wenn du in deine Keller gingest, um den Käufern die Weine zu kosten zu geben, oder wenn du deine Kinder verließest, um Rechnungen mit einem Bankier in Ordnung zu bringen; aber wenn ein anständiger Mann kommt, der deinen Gatten besuchen oder irgend ein Geschäft mit ihm abmachen will, wirst du dich weigern, seinen Gast in seiner Abwesenheit zu empfangen, und die Honneurs des Hauses gegen ihn zu machen, um nicht unter vier Augen mit ihm allem bleiben zu müssen? Gehe auf das Princip zurück, und alle Regeln werden sich daraus von selbst ergeben. Warum denken wir, daß die Frauen zurückgezogen und von den Männern abgesondert leben müssen? Werden wir unserem Geschlechte die Beleidigung anthun, zu glauben, daß dies aus Gründen geschehe, die von seiner Schwachheit hergenommen sind, und lediglich um der Gefahr der Versuchung zu entgehen? Nein, meine Liebe, diese unwürdige Furcht geziemt einer braven Frau, einer Familienmutter nicht, die von Gegenständen, welche eine ehrenhafte Gesinnung in ihr nähren, unablässig umgeben ist, und die den achtungswürdigsten Pflichten der Natur ihr Leben widmet. Was uns von den Männern trennt, ist die Natur selbst, die uns andere Beschäftigungen vorzeichnet, ist jene sanfte, schüchterne Bescheidenheit, die, ohne gerade an die Keuschheit denken, ihre sicherste Schutzwehr ist, jene aus sich selbst achtende, pikante Zurückhaltung, die, indem sie in den Herzen der Männer zugleich Begierde und ehrfurchtsvolle Scheu weckt, so zu sagen, die Koketterie der Tugend ausmacht. Deshalb nun sind Gatten selbst nicht von der Regel ausgenommen, deshalb bewahren sich die sittsamsten Frauen gerade den meisten Einfluß auf ihre Männer, weil sie mit Hülfe dieser klugen, wohlbedachten Zurückhaltung, in der nichts von Eigensinn und Widerspänstigkeit liegt, auch im Schoße der zärtlichsten Vereinigung sie immer noch in einer gewissen Entfernung halten, und sie verhindern, je ihrer überdrüssig zu werden. Du wirst mir zugeben, daß deine Vorschrift zu allgemein ist, um nicht Ausnahmen zuzulassen, und daß, da sie sich nicht auf eine strenge Pflicht gründet, derselbe Wohlstand, welcher sie gebietet, manchmal auch von ihr entbinden kann. Die Vorsicht, welche du auf deine begangenen Fehltritte gründest, ist beleidigend für deinen gegenwärtigen Zustand; ich würde sie deinem Herzen nie verzeihen, und es wird mir schwer, sie deiner Vernunft zu verzeihen. Wie hat dich der Wall, welcher deine Person vertheidigt, nicht vor einer beschimpfenden Furcht schützen können? Wie kann meine Cousine, meine Schwester, meine Freundin, meine Julie die Schwachheit eines zu empfindsamen Mädchens mit der Untreue einer strafbaren Frau vermengen? Betrachte Alles, was dich umgiebt, du wirst Nichts finden, was nicht deine Seele erheben und tragen müßte. Dein Mann, der so hoch von dir denkt, und dessen Achtung du zu rechtfertigen hast, deine Kinder, die du zum Guten bilden willst, und die es sich einst zur Ehre schätzen werden, dich zur Mutter gehabt zu haben, dein ehrwürdiger Vater, der dir so theuer ist, der sich deines Glückes freut, und auf seine Tochter noch stolzer ist, als selbst auf seine Ahnen, deine Freundin, deren Loos von dem deinigen abhängt, der du über die Frucht einer Umkehr, zu welcher sie beigetragen, Rechenschaft schuldig bist, ihre Tochter, der du mit deinem Beispiel in den Tugenden vorleuchten mußt, welche du in ihre Seele pflanzen willst, dein Freund, der die deinigen tausendmal mehr anbetet, als deine Person, und noch mehr Achtung vor dir hat, als du Furcht vor ihm, du selbst endlich, die du in deiner Sittsamkeit den Lohn der Anstrengungen findest, welche sie dir gekostet hat, und die du die Frucht so vieler Mühe nicht wirst in einem Augenblicke verlieren wollen: wie viele Beweggründe, so geeignet deinen Muth anzufeuern, beschämen dich, daß du dir mißtrauen magst! Aber, was brauche ich, um für meine Julie einzustehen, an das zu denken, was sie ist? Es genügt mir zu wissen, was sie während der Verirrungen war, welche sie bejammert. Wenn je dein Herz der Untreue fähig gewesen wäre, so würde ich dir erlauben, sie stets zu fürchten; aber selbst in dem Augenblicke, da du meintest, sie von Weitem ins Auge fassen zu können, stelle dir den Abscheu, den dir ihre wirkliche Gegenwart erweckt haben würde, nach jenem vor, den sie dir verursachte, sobald an sie denken nicht viel anders gewesen wäre, als sie begehen.
Ich erinnere mich unseres Erstaunens, als wir einmal hörten, daß es Länder gebe, wo die Schwachheit einer jungen Liebenden ein unverzeihliches Verbrechen ist, während der Ehebruch einer jungen Frau mit dem Namen Galanterie beschönigt wird, und wo man sich nach der Verheiratung unverholen für den Zwang entschädigt, in welchem man als Mädchen lebte. Ich weiß, welche Ansichten hierüber in der großen Welt herrschen,wo die Tugend Nichts, und Alles nur eitler Schein ist, wo das Verbrechen verschwindet, wenn es schwer zu beweisen, und der Beweis selbst gegen den Brauch, der es autorisirt, lächerlich ist; aber du, Julie, die du von reiner und treuer Liebe entbrannt, nur in den Augen der Menschen strafbar warst, und dir nichts vorzuwerfen hattest zwischen dem Himmel und dir, die du, trotz deiner Fehltritte uns Achtung auferlegtest, die du, das Verlorene ohnmächtig beklagend, uns doch noch zwangest, die Tugenden, die du nicht mehr hattest, anzubeten, die du unwillig warst, deine eigene Selbstverachtung zu ertragen, als Alles sich vereinigte, das, was du gethan, verzeihlich zu machen, getraust du dir noch, das Verbrechen zu fürchten, nachdem du deine Schwachheit so theuer bezahlt hast? zu fürchten, daß du jetzt weniger vermögen werdest, als in den Zeiten, die dir so viel Thränen gekostet? Nein, meine Liebe; weit entfernt, dich beunruhigen zu dürfen, müssen deine alten Verirrungen deinen Muth befeuern; eine so verzehrenee Reue ist nicht der Weg zu Gewissensbissen, und wer so viel Scham besitzt, kann nicht der Schande trotzen. Wenn je eine schwache Seele Stützen gegen ihre Schwäche hatte, so sind es solche, welche sich dir darbieten; wenn je eine starke Seele sich selbst aufrecht halten konnte, ist dann die deinige eine, die der Stützen bedarf? Sage mir doch, was für einen vernünftigen Grund du hast, dich zu fürchten! Dein ganzes Leben ist nur ein immerwährender Kampf gewesen, in welchem, selbst nach deiner Niederlage, Ehre und Pflicht nie aufhörten, Widerstand zu leisten und zuletzt den Sieg davontrugen. Ach, Julie, soll ich glauben, daß nach so vielen Qualen und Leiden, zwölf Jahre der Thränen und sechs Jahre des Ruhmes noch die Möglichkeit für dich bestehen lassen, eine Prüfung von acht Tagen zu fürchten? In kurzen Worten, sei aufrichtig gegen dich selbst; wenn Gefahr ist, so rette deine Person und erröthe über dein Herz; wenn aber nicht, so heißt es deiner Vernunft Schimpf anthun und deine Tugend schänden, wenn du dich vor Gefahren fürchtest, die sie nicht bedrohen können. Weißt du nicht, daß es entehrende Versuchungen giebt, die einer gesitteten Seele niemals nahen können, die selbst zu besiegen schimpflich ist, und gegen welche Vorsicht zu gebrauchen, weniger sich demüthigen als sich erniedrigen heißt?
Ich mache nicht den Anspruch, meine Gründe für unwiderleglich auszugeben, sondern nur dir zu zeigen, daß welche vorhanden sind, die gegen die deinigen streiten, und dies reicht hin, um meiner Meinung eine Berechtigung zu geben. Verlasse dich nicht auf dich, die du es nicht verstehst, dir selbst Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, noch auf mich, die ich in deinen Fehlern immer nur dein Herz angesehen, und die ich dich immer angebetet habe, sondern auf deinen Mann, der dich so sieht, wie du bist, und dich genau nach deinem Verdienste beurtheilt. Wie alle Gefühlsmenschen bereit, Denen nicht viel zuzutrauen, die es nicht sind, glaubte ich nicht, daß sein Scharfblick in die Geheimnisse zärtlicher Herzen einzudringen vermöchte, aber seit der Ankunft unseres Reisenden sehe ich aus dem, was er mir schreibt, daß er sehr gut in den eurigen liest, und daß nicht eine der Regungen, die in ihnen vorgehen, seiner Beobachtung entrinnt; ich finde seine Beobachtungen selbst so fein und richtig, daß ich mit meiner Ansicht fast zu dem andern Extrem übergesprungen bin, und nun glauben möchte, daß kalte Menschen, die mehr ihre Augen, als ihr Herz befragen, die Leidenschaften Anderer besser zu beurtheilen im Stande sind, als lebhafte und ungestüme oder eitle Personen, wie ich, die stets damit anfangen, sich an die Stelle Anderer zu denken, und die Sache nie anders sehen, als wie sie selbst sie fühlen. Wie dem sei, Herr v. Wolmar kennt dich wohl; er schätzt dich, er liebt dich, und sein Schicksal ist an das deinige geknüpft: was fehlt ihm also dazu, daß du ihm die gänzliche Leitung deiner Aufführung überlassest, über die du dich selbst zu täuschen fürchtest? Vielleicht will er, im Vorgefühl des herannahenden Alters, durch Proben, die geeignet sind, ihn sicher zu machen, der eifersüchtigen Unruhe vorbeugen, in welche eine junge Frau einen alten Gatten zu versetzen pflegt; vielleicht erfordert der Plan, mit dem er umgeht, daß du mit deinem Freunde traulich leben könnest, ohne deinem Gemahl Besorgnisse einzuflößen, oder selbst welche zu hegen: vielleicht will er dir nur einen Beweis von dem Vertrauen und der Achtung geben, die er in so hohem Grade für dich fühlt. Man muß sich nie dagegen sträuben, auf solche Gesinnungen einzugehen, gleich als bürde man sich dadurch eine zu schwere Last auf; ich, mit einem Worte, denke, daß du der Klugheit und der Sittsamkeit zugleich nicht besser Genüge thun kannst, als indem du dich in allen Stücken seiner Zärtlichkeit und seiner Einsicht anvertraust.
Willst du dich, ohne Herrn v. Wolmar weh zu thun, für einen Stolz bestrafen, den du nie hattest, und einer Gefahr begegnen, die nicht mehr vorhanden ist, so wende, wenn du nun mit dem Philosophen allein bist, alle die jetzt überflüssigen Vorsichtsmaßregeln gegen ihn an, die dir ehedem so nothwendig gewesen wären; lege dir ganz die Zurückhaltung auf, als ob du mit deiner Tugend dich dennoch auf dein Herz und das seinige nicht verlassen könntest; vermeide zu liebevolle Gespräche und die zärtlichen Erinnerungen an die Vergangenheit; bleibe nicht zu lange mit ihm unter vier Augen, behalte deine Kinder beständig um dich, bleibe mit ihm im Zimmer, im Elysium und ungeachtet der Profanation im Bosket nicht viel allein. Vor allen Dingen aber nimm deine Maßregeln auf so ungesuchte Weise, daß sie nur eine Wirkung des Zufalls scheinen, und daß er nicht einen Augenblick auf den Gedanken kommen könne, als fürchtest du ihn. Du fährst gern im Kahne und versagst es dir deines Mannes wegen, der das Wasser fürchtet, und deiner Kinder wegen, die du keiner Gefahr aussetzen willst; nimm Wolmar's Abwesenheit wahr, um dir dieses Vergnügen zu verschaffen, indem du deine Kinder unter Fanchon's Aufsicht lassest. Dies wird ein Mittel sein, dich ohne Gefahr den süßen Ergießungen der Freundschaft hinzugeben, und eines langen Beisammenseins in Ruhe zu genießen, unter dem Schutze der Ruderleute, welche sehen, ohne zu hören, und die man nicht los werden kann, ohne erst bedacht zu haben, was man vorhat.
Ich habe da noch einen Einfall, über den Viele lachen würden, der dir aber, weiß ich gewiß, gefallen wird, nämlich, daß du in Abwesenheit deines Mannes ein treues Tagebuch führest, das ihm, wenn er wiederkommt, gezeigt werden soll, und daß du bei allen euren Unterhaltungen an dieses Tagebuch, in das sie hineinkommen sollen, denkest. Ich glaube in der That nicht, daß ein solches Mittel vielen Frauen von Nutzen sein würde; aber einer offnen und keiner Verstellung fälligen Seele stehen gegen das Laster Hülfsmittel zu Gebote, die den Anderen stets fehlen werden. Nichts ist verächtlich, was darauf abzielt, die Reinheit zu bewahren, und kleine Vorsichtsmaßregeln dienen großen Tugenden zum Schirme.
Da übrigens dein Mann mich im Vorbeigehen besuchen will, so wird er mir, hoffe ich, die wahren Gründe sagen, die ihn zur Reise bestimmt haben, und wenn ich sie nicht stichhaltig finde, so werde ich ihn entweder von der Durchführung seines Vorhabens abbringen, oder auf alle Fälle thun, was nicht in seiner Absicht gelegen hat; darauf kannst du dich verlassen. Inzwischen hast du da, denke ich, mehr als nöthig ist, um dich gegen eine Prüfung von acht Tagen sicher zu fühlen. Geh, meine Julie, ich kenne dich zu gut, um nicht für dich eben so sehr und mehr als für mich selbst einzustehen. Du wirst immer so sein, wie du sein sollst und willst. Wenn du dich auch der bloßen Redlichkeit deiner Seele anvertrauen wolltest, würdest du noch immer keine Gefahr laufen: denn ich habe keinen Glauben an unvorhergesehene Niederlagen; möge man immerhin mit dem falschen Namen Schwachheit Fehltritte bedecken, die stets freiwillig sind, nie erliegt eine Frau, die nicht hat erliegen wollen; und wenn ich dächte, daß ein solches Geschick dich ereilen könnte, glaube mir, glaube meiner zärtlichen Freundschaft, glaube allen Gefühlen, die sich in dem Herzen deiner armen Clara regen mögen, ich würde ein zu empfindliches Interesse dabei haben, dich davor zu hüten, daß ich dich dir selbst überlassen sollte.
Was dir Herr von Wolmar über die Dinge gesagt hat, die er schon vor eurer Verheiratung erfahren hatte, überrascht mich nicht sehr: du weißt, daß ich immer dergleichen vermuthet habe, und ich will dir noch obenein sagen, daß mein Verdacht sich nicht auf eine Geschwätzigkeit von Seiten Babi's beschränkte. Ich habe niemals glauben können, daß ein gerader und wahrer Mann, wie dein Vater, der zum wenigsten selber Verdacht hatte, es sollte über sich gewonnen haben, seinen Schwiegersohn und Freund zu hintergehen, daß er wohl nur deshalb so sehr in dich gedrungen haben mochte, zu schweigen, weil es etwas sehr Verschiedenes war, ob die Entdeckung von seiner oder deiner Seite ausging, und daß er ohne Zweifel der Sache eine Wendung geben wollte, die weniger geeignet war, Herrn von Wolmar zurüchzuscheuchen, als die, welche du, wie er wohl einsah, nicht unterlassen haben würdest ihr zu geben. Aber ich muß deinen Expressen zurückschicken; wir werden über das Alles in vier Wochen mit mehr Muße sprechen.
Adieu, Cousinchen; genug der Predigerin gepredigt; nimm dein altes Gewerbe wieder vor, und aus Ursachen. Es macht mich ganz unwirsch, daß ich noch nicht bei dir sein kann. Ich bringe aus Hast alle meine Geschäfte durch einander und weiß kaum, was ich thue. Ach, Chaillot, Chaillot! .... wenn ich weniger toll wäre! .... aber ich hoffe es immer zu bleiben.
N. S. Apropos! ich vergaß deiner Hoheit mein Compliment zu machen. Sage mir doch, ich bitte dich, ist dein erlauchter Herr Gemahl Hetmann, Knees oder Bojare? Was mich betrifft, ich würde zu fluchen glauben, wenn man dich gnädigste Frau Bojarin [Frau von Orbe wußte vermuthlich nicht, daß die beiden ersten Namen in der That hohe Titel sind, der letztere aber einen bloßen Edelmann bezeichnet.] tituliren müßte. Ach, armes Kind, du, die so viel geseufzt hat, daß sie als gnädiges Fräulein geboren, da hast du nun das Pech, die Frau eines Prinzen zu sein! Unter uns aber, für eine Dame von so hohem Stande finde ich hast du sehr bürgerliche Skrupel. Weißt du nicht, daß sich das ängstliche Gewissen nur für Leute ohne Geburt schickt, und daß man ein Kind aus gutem Hause auslacht, wenn es Anspruch macht, der Sohn seines Vaters zu sein?