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Kapitel 2

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Die diffuse Straßenbeleuchtung in der Rue Théodore le Hars, einer schmalen Verbindungsstraße zwischen der Rue Jean Jaurès und dem Boulevard Dupleix, hatte schon vor einigen Stunden eingeschaltet. Die Polizeidienststelle, gleich am Anfang der Straße, lag beinahe so im Dunkeln wie die abgedunkelten Häuser während des Krieges. Es war früher Abend und die Dienstelle der Polizei war fast menschenleer. Vor dem Parkhaus Théodore le Hars, das gleich neben dem Hotel Escale Oceania lag, stand ein Van. Auf der engen Straße war das Parken nicht vorgesehen, weil ein stehendes Fahrzeug sofort eine Spur versperrte. Aber um diese Zeit war der Verkehr in der Straße eher gering und die Fahrzeuge konnten den Van gut passieren. Das fahle Licht der Laterne, die an der Hauswand des Nebengebäudes angebracht war, reichte nicht aus, um die Straße gut zu beleuchten. Der Fahrer des Vans saß hinter der verdunkelten Windschutzscheibe und schien auf jemanden zu warten. Der Van stand jetzt bereits seit einer guten halben Stunde an der Stelle. Tagsüber wäre längst eine Aufforderung zum Weiterfahren erfolgt oder ihm wäre ein Strafmandat ausgehändigt worden. Nach einigen weiteren Minuten stieg der Fahrer aus, ging mit gesenktem Kopf um das Fahrzeug herum, öffnete die Schiebetür und stieg ein. Er hatte das Fahrzeug kaum betreten als ein höchstens zwanzigjähriger Mann auf dem Bürgersteig der gegenüberliegenden Seite die Straße hochkam. Die Kapuze seines Sweatshirts war tief ins Gesicht gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Als er auf Höhe des geöffneten Vans war wurde er angesprochen.

„Hey“, rief der Mann aus dem Van ihm zu.

„Hast du eine Pille für mich?“

Der so Angesprochene sah sich um. Er wusste, dass die Straße von der Kamera am Gebäude der Polizei überwacht wurde. Niemand war auf der Straße.

„Zwanzig Euro das Stück“, sagte der Kapuzenmann, ohne dem Mann im Van einen Blick zu gönnen.

„Okay, aber nicht auf der Straße, komm rüber in den Wagen, hier sieht man uns nicht.“

Der Dealer zögerte, dann dachte er an die Überwachungskamera. Er überquerte die Straße und stieg in den Wagen. Er spürte noch den Elektroschocker an seinem Hals und sackte zusammen. Der Fahrer des Vans fesselte den jungen Mann und verklebte seinen Mund. Dann stieg er aus, schob die Tür zu, setzte sich hinter das Lenkrad und fuhr los.

Der Van verließ Quimper über die Route de Brest. Er folgte der Straße bis zur Einmündung in die N 165. Am Park Poullic bog er ab und folgte der D 770. An der Ortseinfahrt von Quilinen bog er von der Hauptstraße ab, passierte die Auberge de Quilinen und hielt vor dem Eingang zur Kapelle. Der Fahrer sah sich vor dem Aussteigen um. Die wenigen Häuser der kleinen Ortschaft lagen alle im Dunkeln, niemand war zu sehen. Er stieg aus, ging ums Fahrzeug, öffnete die Schiebetür und zog den gefesselten Dealer raus. Er löste die Fußfesseln und half ihm, sich aufzurichten.

„Los, geh schon und nicht stehen bleiben“, heischte er ihn an und untermauerte seine Worte durch einen Schubs. Der Dealer ging auf dem Kiesweg zum Eingang der Kapelle. Sein Begleiter holte den Schlüssel aus der Tasche, schloss die rote Kirchentür auf, stieß den Mann hinein und verschloss die Tür sofort.

Er schob den gefesselten Dealer zum Altarraum.

„Jetzt hast du die letzte Chance, deine Sünden zu bereuen und den Allmächtigen um Verzeihung zu bitten. Ich weiß genau, dass du vom Teufel besessen bist. Hier hat der Teufel aber keine Macht über dich, hier kannst du dich von ihm befreien. Knie nieder und sag dich vom Satan los.“ Mit einem schnellen Ruck zog er ihm das Klebeband vom Mund.

„Aua! Bist du besoffen! Was willst du von mir? Was soll das Gefasel von Teufel und Sünden? Mach mich los, ich habe keine Lust, mit dir hier zu bleiben. Wo sind wir überhaupt?“

„Knie nieder und sei demütig.“

Der Dealer kniete nieder und sah zu dem Mann auf.

„Du solltest vorsichtiger sein in deiner Wortwahl. Wir befinden uns im Haus des Herrn. Sieh nur diesen herrlichen Altar“, sagte er und beleuchtete ihn mit der mitgeführten Taschenlampe.

„Jedes deiner Worte erreicht den Allmächtigen. Also, sage dich vom Teufel los und befreie dich von deiner Besessenheit. Wer andere Menschen mit Drogen versorgt, die nur zu deren Untergang führen, kann nur vom Teufel besessen sein. Es ist ganz einfach, du musst nur beten und um Gnade bitten.“

„Du hast sie ja nicht mehr alle! Binde mich endlich los, dann vergessen wir die ganze Angelegenheit und ich schenke dir auch noch ein paar Pillen“, sagte der Kapuzenmann.

„Wie heißt du überhaupt? Ich würde dich gerne mit deinem Namen ansprechen“, fragte er jetzt den Gefesselten.

„Wenn es dich glücklich macht, ich heiße Peran, Peran Bagot. Und jetzt mach mich endlich los.“

„Peran, du solltest langsam gemerkt haben, dass ich es ernst meine. Ich frage dich ein letztes mal, Peran, willst du dich vom Teufel lossagen und dein Leben in die Hand Gottes legen?“

„Ich will, dass du mich losbindest und mit dem Gefasel, dem sinnlosen Geschwätz und dem Geplapper aufhörst.“

„Der Satan scheint dich fest in Händen zu halten“, entgegnete er, kniete selbst vor dem Altar nieder und sprach mehrere Gebete leise vor sich hin. Dann erhob er sich, sah auf den neben ihm knienden Dealer und begann, in seinen Taschen nach etwas zu suchen.

„So ist es richtig, schneide mir endlich diese dummen Fesseln durch. Du hast deinen Spaß gehabt. Ich gebe zu, ich hatte ganz schön Angst“, meinte der Dealer noch als er das Klappmesser in der Hand des Mannes erblickte.

Ohne auf die Bemerkung des Gefesselten einzugehen, öffnete der Fahrer des Vans das Messer und besah die geschliffene Schneide. Vorsichtig fuhr er prüfend mit einem Finger darüber, dann hob er das zuvor abgezogene Klebeband vom Fußboden und klebte es erneut über den Mund seines Opfers. Er zog den Mann nach oben und schob ihn zur Eingangstür. Er schloss die Tür auf, ging mit Peran hindurch und verschloss sie wieder hinter ihnen. Dann drückte er ihn in den Van und stach ihm mitten ins Herz. Peran Bagot sackte zusammen.

In einem nahegelegenen Wäldchen warf er den Leichnam wie zu entsorgenden Unrat auf den Boden. Er nahm ihm das Klebeband vom Mund und steckte es in seine Tasche. Dann fuhr er zurück nach Quimper.

Er betrat seine bescheidene Wohnung im Impasse de Kerlerec, ging in sein Wohnzimmer und trat vor einen Altar, den er sich vor etlichen Monaten eingerichtet hatte, zündete eine Kerze an und betete.

„Herr, verzeih diesem Sünder, der sich selbst im Angesicht des Todes nicht vom Satan losgesagt hat. Ich habe ihm die Chance gegeben, ich habe ihm den Weg gezeigt, aber er ist nicht bereit gewesen, den richtigen Weg einzuschlagen. Amen.“ Er stand auf, verneigte sich vor seinem Altar und ging zu Bett.

Das andere Quimper

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