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Kapitel 3

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Anaïk Pellen-Bruel stand um halb sechs auf. Es wurde Zeit, dass sie ihren morgendlichen Lauf wieder aufnahm, den sie seit einigen Wochen vernachlässigt hatte. Der Umzug ins neue Haus nach Beg Meil und die damit verbundenen Arbeiten hatten ihren früheren Zeitplan durcheinandergewürfelt. Der zehn Kilometer lange morgendliche Lauf entlang des Küstenwegs von Sainte-Marine nach Île Tudy und zurück war ein fester Bestandteil ihrer körperlichen Ertüchtigung gewesen. Sie hatte sich heute vorgenommen, über den am Strand von Beg Meil entlangführenden Wanderweg bis nach Mousterlin und zurück zu laufen. Die Entfernung entsprach ungefähr der Strecke, die sie früher zwischen Sainte-Marine und Île Tudy zurückgelegt hatte. Wenn sie einmal große Lust und vor allem die nötige Zeit hätte dann könnte sie dem GR weiter folgen und über die Deiche und Dünen bis nach Benodet laufen. Sie hatte sich die Strecke auf der Wanderkarte angesehen und ausgemessen. Bis nach Benodet waren es etwas mehr als 9 Kilometer. Aber fürs erste sollte die Strecke bis Mousterlin ausreichen. Nach etwas mehr als einer Stunde war sie wieder zurück.

Brieg war kurz nach ihr aufgestanden. Er verließ gegen 7 Uhr 30 das Haus, um einen Kollegen in Penn Ar Prad abzuholen, einem Weiler nördlich von Quimper, mit dem er heute zur Werft nach Concarneau fuhr.

Die erste Besprechung hatte er heute um 10 Uhr. Die Werft hatte eine Anfrage von der Marine erhalten, sieben bewaffnete Schnellboote zu bauen. Die Schiffe waren für den Schutz der französischen Häfen bestimmt. Lediglich ein Schnellboot sollte in den Gewässern vor Dschibuti eingesetzt werden. Ein Auftrag, der die Werft vor neue Herausforderungen stellte. Bis jetzt hatte man nur unbewaffnete zivile Schiffe gebaut. Der Auftrag würde die Arbeitsplätze für mehrere Jahre sichern. Die Geschäftsleitung hatte die Anfrage positiv beschieden.

Brieg kannte die Streck zum Lieu dit Penn Ar Prad, da er erst kürzlich mit Anaïk im Restaurant Ty Coz, nur einen Kilometer vor dem Lieu gelegen, gegessen hatte. Er hielt vor dem Haus von Marc Duygou, der bereits vor der Haustür auf ihn wartete.

„Bonjour Marc, hast du dich gut auf das Meeting vorbereitet?“

„So gut es geht. Schnellboote sind eben schon etwas anderes, aber wir werden das hinbekommen“, meinte Marc Duygou und gurtete sich an.

Brieg wendete das Auto und fuhr los.

„Scheiße Brieg, ich muss noch einmal pissen. Ich habe zu viel Kaffee getrunken.“

„Soll ich noch einmal umdrehen?“

„Nein, da vorne ist ein kleines Wäldchen, halt einfach noch mal kurz an.“

Brieg fuhr rechts ran und hielt auf dem Seitenstreifen. Marc stieg aus, überquerte die Straße, ging drei Schritte auf das Wäldchen zu und entleerte seine Blase. Er wollte gerade zum Auto zurückgehen als er wie angewurzelt stehen blieb. Vor ihm lag ein Gegenstand, der ihm wie ein menschlicher Körper vorkam. Er ging näher heran.

„Brieg! Ich glaube du solltest deine Frau anrufen, hier liegt eine Leiche“, rief er Brieg zu. Brieg sah ihn erstaunt an bis er begriff, dass er es ernst meinte mit dem Anruf bei seiner Frau. Er griff zu seinem Handy und wählte Anaïks Nummer.

„Schatz, wir haben eine Leiche gefunden. Marc ist der Meinung, dass du sofort mit deinen Leuten kommen musst.“

„Du machst keine Scherze?“

„Natürlich nicht!“

„Wo liegt die Leiche?“, fragte Anaïk ruhig.

„Auf der Strecke zwischen dem Restaurant Ty Coz und Penn ar Prat, geschätzte 500 Meter vom Restaurant entfernt.“

„Brieg, bitte nichts anrühren und wartet auf uns. Ich benachrichtig sofort meine Mannschaft. Ich bin in wenigen Minuten bei euch“, sagte Anaïk und legte auf.

„Marc, die police judiciaire ist unterwegs, wir sollen nichts anrühren und auf ihr Eintreffen warten.“

Marc kam bleich zum Auto zurück und setzte sich auf den Beifahrersitz.

„Von Morden zu lesen ist gruselig aber eine Leiche vor sich liegen zu sehen ist grausam“, meinte er und zog die Tür zu.

„Deine Frau ist an einen solchen Anblick vielleicht gewöhnt, ich könnte mich nicht daran gewöhnen.“

„Marc, mir geht es nicht anders. Ich hoffe, dass wir noch rechtzeitig zum Meeting kommen, ansonsten müssten wir Bescheid geben.“

Keine 10 Minuten später tauchten bereits die Fahrzeuge mit Blaulicht auf. Brieg kannte einige von Anaïks Kollegen von der Hochzeit, wie Dustin und Yannick, und begrüßte sie. Anaïk und Monique kamen zeitgleich mit dem Pathologen und der Spurensicherung an.

Yannick machte sich sofort auf den Weg zur Leiche. Dustin Goarant wies seine Leute ein.

Anaïk und Monique kamen zu Brieg und begrüßten sich.

„Warum habt ihr hier angehalten?“, fragte Anaïk.

„Marc musste seine Blase entleeren. Der Kaffee! Ich habe auf dem Grünstreifen angehalten und Marc ist über die Straße zu dem Wäldchen gegangen. Auf dem Rückweg blieb er stehen und rief mir zu, dass ich dich informieren soll, dass hier eine Leiche liegt.“

„Ihr habt keinen Wagen wegfahren gesehen oder eine Person auf der Straße wahrgenommen?“

„Nein, niemanden“, antwortete Marc, der sich zu ihnen gesellt hatte.

„Müssen wir jetzt hierbleiben, oder können wir uns auf den Weg nach Concarneau machen?“, fragte Brieg seine Frau.

„Ich glaube, wir benötigen euch hier nicht weiter. Ich weiß ja, wie ich dich erreichen kann“, sagte Anaïk und verabschiedete sich herzlich von ihm.

Brieg und Marc fuhren los. Jetzt wimmelte es auf der Straße vor dem Wäldchen. Herbeigerufene Gendarmen sperrten die Straße ab und sicherten den Abschnitt.

Yannick brauchte nur wenige Minuten, um festzustellen, dass der Mann keines natürlichen Todes gestorben war.

„Was kannst du mir sagen?“, fragte Anaïk den Pathologen.

„Der Mann wurde zuerst mit einem Elektroschocker betäubt oder kampfunfähig gemacht, siehst du hier die Spuren des Schockers? Danach wurde er mit einem einzigen Messerstich getötet. Der Stich ging direkt ins Herz.“

„Todeszeit?“

„Ich schätze, dass er gegen Mitternacht, plus minus eine Stunde, umgebracht worden ist. Der Tatort ist auf keinen Fall hier. Es ist zu wenig Blut zu sehen. Sein Mörder hat die Leiche hier entsorgt. Ein ganz junger Mann, um die zwanzig schätze ich. Seine Hände sind auf dem Rücken mit einem Stück Seil gefesselt und der Mund mit Klebeband verschlossen gewesen, man kann die Spuren noch sehen. Alles Weitere nach der Obduktion“, meinte Yannick und entfernte sich von der Leiche.

„Scheint sich um einen Dealer zu handeln“, rief Dustin und zeigte auf einen Beutel mit Pillen.

„Ecstasy?“

„Sieht so aus! Der junge Mann heißt Peran Bagot und wohnt in Quimper“, sagte Dustin und hielt den Personalausweis in die Höhe.

Monique ging zu ihm und nahm den Ausweis in Empfang.

„Ein Mord aus dem Drogenmilieu?“, fragte sie und machte sich einige Notizen. Monique Dupont war vor zwei Jahren aus Paris in die Bretagne gekommen. Sie hatte sich auf die Ausschreibung einer Stelle bei der police judiciaire in Quimper beworben. Anaïk, ihre Chefin, war sofort von der jungen Kommissarin begeistert gewesen und hatte sie eingestellt. Inzwischen hatten die beiden bereits einige Fälle gemeinsam gelöst.

„Ich werde mich gleich bei den Kollegen der Drogenabteilung erkundigen, ob es von dem Mann eine Akte gibt.“ Monique griff zu ihrem Handy und wählte die Nummer von Edvin Baud.

Der Kollege Baud, ein kräftiger Mann mit schütterem dunkelbraunem Haar, einer hohen Stirn, einem markanten Kinn, grauen Augen und einem leichten Bauchansatz, führte die Abteilung schon seit einigen Jahren. Monique hatte einen guten Draht zu ihm.

„Baud“, meldete er sich.

„Hallo Edvin, Monique hier. Wir haben gerade ein Mordopfer gefunden. Es handelt sich um einen gewissen Peran Bagot, geboren am 23.04.1997 in Quimper. Habt ihr über den Jungen etwas?“

„Bleib kurz dran, ich sehe nach“, sagte Edvin Baud und legte den Hörer zur Seite. „Ein kleiner Dealer, handelt mit Ecstasy, ist bereits einmal festgenommen worden, aber wir haben ihn wieder laufen lassen müssen, weil er nur drei Pillen in der Tasche hatte, angeblich gerade selbst gekauft. Er ist schon des Öfteren in der Scene beobachtet worden. Sein bevorzugtes Revier scheint die Gegend um die Rue Théodore le Hars zu sein. Wir haben ihn dort einige Male kontrolliert. Aus unserer Sicht ist er ein kleiner Fisch. Du sagst, dass er ermordet worden ist?“

„Genau, wir haben ihn in der Nähe von Penn ar Prad gefunden.“

„Wo in aller Welt liegt Penn ar Prad?“

„Auf der Strecke zwischen Quimper und Quilinen“, antwortete Monique.

„Penn ar Prad? Kleiner Gedankensprung, kennst du die bretonische Bedeutung, Monique?“

„Edvin, ich kann kein Bretonisch.“

„Das bedeutet, am Ende der Wiese oder Weidefläche. Penn ist eines der Wörter, die eine ganze Reihe von Bedeutungen haben können. Eine davon ist Wiese oder Weidefläche eine andere bedeutet Kopf, aber es kann auch Chef heißen. Du siehst, mit der Bezeichnung am Ende der Wiese kann man nicht gerade auf die Lage des Ortes schließen. Schließlich gibt es viele Wiesen, Weideflächen und Köpfe in der Bretagne.“

„Danke für die Einführung in Bretonisch für Anfänger. Du hast mir mit der Auskunft über Peran Bagot weitergeholfen. Ich werde mir seine Akte bei euch holen, sobald wir wieder im Kommissariat sind.“

„Vielleicht hilft dir noch ein weiterer Hinweis. Die Rue Théodore le Hars wird von Kameras beobachtet. In der Straße liegt das Polizeirevier, wie ihr sicherlich wisst. Vielleicht wurde der junge Mann ja dort ermordet oder entführt.“

„Das ist ein wichtiger Hinweis Edvin, dem gehe ich sofort nach.“ Monique legte auf, ging zu Anaïk und informierte sie.

Anaïk sprach mit Dustin, der inzwischen das Seil, mit dem Bagot gefesselt worden war, losgemacht und eingetütet hatte. Monique hörte gerade noch wie Dustin sagte:

„…eine Flechtleine aus Polypropylen, relativ günstig. Sie wird für das Knüpfen von Fischernetzen benützt und kann in allen Geschäften mit Schiffs- oder Fischereizubehör erworben werden. Bestimmt kann man sie auch im Internet bestellen.“

„Danke Dustin, du schickst mir deinen Bericht“, sagte Anaïk und wandte sich Monique zu.

„Hast du etwas über den Toten herausgefunden?“

„Ja, ich habe mit Edvin gesprochen. Die Drogenabteilung kennt den jungen Mann. Er ist wohl nur ein kleiner Dealer, der bis jetzt nur ein einziges Mal verhaftet worden ist. Bei seiner Verhaftung hatte er nur drei Ecstasy Pillen bei sich, die er angeblich gerade selbst gekauft hat. Sie haben ihn darauf wieder laufen lassen. Aber Edvin hat mir gesagt, dass Bagot sich oft in der Rue Théodore le Hars aufgehalten hat. In der Straße liegt die Polizeidienststelle, das heißt, dass die Straße videoüberwacht ist. Wir sollten uns die Aufzeichnungen ansehen. Wenn wir Glück hätten, so meinte Edvin, könnten wir sehen, ob der Mann vielleicht dort entführt oder ermordet worden ist.“

„Sollten wir sofort machen“, meinte Anaïk und sah nochmals nach Dustin. Der war gerade dabei, einen Fußabdruck zu sichern, den er unmittelbar neben der Leiche entdeckt hatte. Die auffällig tiefen Abdrücke im Boden könnten bedeuten, dass die Person, von der der Abdruck stammte, die Leiche getragen hatte.

„Lass uns zurück ins Kommissariat fahren, hier können wir nichts weiter ausrichten.“

Sie telefonierten mit den Kollegen aus der Rue Théodore le Hars und ließen sich die Aufzeichnung vom Vorabend kommen. Ein Gendarm brachte ihnen nach wenigen Minuten eine Kopie der Speicherkarte. Anaïk und Monique machten sich mit der Karte auf den Weg zu Robert in die Kriminaltechnik.

Für die Aufzeichnung von 22 Uhr bis Mitternacht erschien zuerst eine leere Straße auf dem Bildschirm. Hin und wieder fuhr ein Fahrzeug durch die Straße, oder ein Fußgänger bog in die Straße ein. Einige Hotelgäste fuhren vor und Personen verließen oder betraten das Hotel. Gegen 23 Uhr 10 kam ein dunkler Van in die Straße gefahren und hielt vor dem Parkhaus Théodore le Hars, gleich neben dem Hotel Escale Oceania.

„Komisch, der Fahrer steigt nicht aus“, meinte Monique.

„Wäre an der Stelle auch verboten“, antwortete Robert.

„Kannst du das Kennzeichen sichtbar machen?“, fragte Anaïk.

„Das ist schwierig, das Fahrzeug ist ziemlich weit von der Kamera entfernt und die Beleuchtung ist mies, ich kann es versuchen. Robert vergrößerte den Ausschnitt mit dem Kennzeichen.

„Der Wagen ist zu weit von der Kamera entfernt, das wird so nichts. Ich muss das Bild in Ruhe bearbeiten, aber das kann dauern.“

„Lass uns die Aufzeichnung weiterverfolgen“, bat Anaïk.

Die nächsten Bilder brachten kaum Veränderung. Der Wagen blieb an der Stelle stehen. Inzwischen war es 23 Uhr 30, und es waren lediglich einige weitere Fahrzeuge durch die Straße gefahren. Der Fahrer des Van rührte sich nicht aus dem Wagen. Anaïk sah weiterhin gebannt auf den Bildschirm.

„Da, der Fahrer steigt aus“, rief Monique. Deutlich war zu sehen, dass der Fahrer um das Fahrzeug herumging, die Seitentür öffnete und dort einstieg. Er schien zu wissen, dass die Straße von der Kamera überwacht wurde, denn man konnte sein Gesicht nicht erkennen.

„Sieh nur, hier kommt ein Mann mit einer Kapuze. Die Kamera hat ihn nur von hinten aufgenommen, es könnte sich um unser Opfer handeln. Die Kleidung stimmt überein.“

Der Mann war jetzt auf der Höhe des Vans angekommen als der Fahrer des Vans seinen Kopf herausstreckte und dem Mann auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig etwas zurief. Der Kapuzenmann sah sich vorsichtig um und erwiderte etwas. Dann überquerte er die Straße und stieg durch die geöffnete Seitentür in den Van. Nach einigen Minuten verließ der Fahrer den Wagen, verschloss die Tür, ging auf die Fahrerseite, stieg ein, fuhr einige Meter zurück und lenkte das Fahrzeug dann in die Allée Couchouren. Robert hielt die Aufzeichnung an.

„Unser Opfer ist hier entführt worden“, konstatierte Anaïk und sah auf das Standbild mit dem Van.

„Er ist ins Auto gelockt und vermutlich mit dem Elektroschocker betäubt worden. Wir müssen das Kennzeichen des Fahrzeugs herausbekommen“, bat Anaïk Robert.

„Ich werde es versuchen, versprechen kann ich nichts. Das Licht ist schwach und die Kamera weit entfernt.“

„Du schaffst das schon“, sagte Anaïk und verließ den Techniker.

Das andere Quimper

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