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Kapitel 4

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Er stand bereits früh auf, duschte, machte sich eine Tasse Kaffee und nahm zwei Scheiben Buchweizenbrot aus dem Brotkorb. Er hatte noch genügend Zeit für sein Frühstück, bis er seinen Beobachtungsposten einnehmen musste.

Er hatte sich eine große, eine sehr große Aufgabe vorgenommen, das wusste er. Er hatte sich vorgenommen, sein Quimper von allem Unrat, Abschaum und vor allem vom Teufel zu befreien. Der Satan hatte sich in Quimper breitgemacht. Die Kathedrale wurde von immer weniger Gläubigen besucht. Dafür gab es beständig mehr Punker, Prostituierte, Drogendealer, Stadtstreicher, Schurken, Betrüger, Diebe, Hehler, Erpresser, Geldverleiher und sonstige Halunken, die der Stadt ihren Stempel aufdrückten. Wie oft hatte er gehört, dass sich brave Bürger auf den Straßen der Stadt nicht mehr sicher fühlten. Er hatte keine Angst. Der Herr verlieh ihm die Kraft, diese schwere Aufgabe zu übernehmen. Er musste es schaffen, den Teufel aus den armen Seelen zu treiben, dann würden die Menschen von ihrem gotteslästerlichen Leben Abstand nehmen und sich wieder dem wahren, dem einzigen Gott zuwenden. Einen ersten Drogendealer hatte er sich bereits ausgesucht und hatte ihm die Chance geben, sich vom Satan loszusagen. Aber der Satan hatte über manche Menschen mehr Macht als er es sich vorstellen konnte.

Sein Weg führte ihn heute in die Rue Kéréon. An der Kreuzung zur Rue Saint-François hielten sie sich häufig auf, die Punker, junge Menschen mit blauen, gelben, grünen und roten Haaren. Farben, die ihnen der Schöpfer nicht verliehen hatte. Mit ihren zahlreichen Piercings verunstalteten sie sich die Augenbrauen, die Lippen, die Ohren und andere Körperteile. Sie versuchten, den braven Bürgern Geld aus der Tasche zu ziehen oder sie aufs unflätigste zu beschimpften. Er hatte bereits festgestellt, dass einer unter ihnen besonders schlimm war. In seinen Augen handelte es sich um den Ober-Punker oder den Anführer. Er hatte sich ihn vorgenommen. Er war gespannt, ob er sich vom Teufel lossagen würde. Sollte er sich allerdings weigern, müsste er auch die Konsequenzen tragen. Er setzte sich auf eine breite Außenfensterbank und wartete auf den Irokesen, wie er ihn getauft hatte. Er brauchte nicht lange zu warten bis die ersten Punks erschienen. Der Irokese war noch nicht darunter. Jetzt saß er seit einer Stunde hier und der Erwartete war immer noch nicht erschienen. Gerade als er sich entschlossen hatte abzubrechen, sah er ihn auf den Platz kommen. Der Punker sprach mit den anderen, lachte laut, trank einen Schluck aus der mitgebrachten Bierdose und begann mit den Betteleien. Nach einer halben Stunde verließ der Irokese die Gruppe und ging über die Rue Saint-François zur Markthalle von Quimper.

Er stand auf und folgte ihm im Abstand von wenigen Metern. Er sah, dass der Irokese die Markthalle betrat und an den verschiedenen Ständen vorbeischlich. Würde er etwa auch noch einen Diebstahl begehen? Nein, er schlenderte durch die Markthalle, bettelte bei dem einen oder anderen Marktbesucher um Kleingeld und verließ die Halle am anderen Ende wieder. Der Irokese folgte der Rue Astor zum Place Terre-au-Duc, setzte sich an den Brunnen mit der farbenfrohen Umrandung und nahm wieder einen Schluck aus seiner Bierdose. Er ging an ihm vorbei und sah sich den Irokesen genau an. Er betrachtete die vielen Piercings, die leuchtend roten Haare, die nur noch die Mitte seines Kopfes bedeckten und die zerrissenen Jeans. Sollte er sich an einen der Tische der Crêperie Le Steïr setzen, um den Mann unauffällig beobachten zu können? Er wusste allerdings nicht, wie lange der Irokese sich am Brunnen aufhalten würde und er wollte ihn auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Also stellte er sich vor die Auslage des Juweliers und tat, als betrachtete er die Schmuckstücke. In der Scheibe spiegelte sich der Brunnen, so konnte er jede Bewegung des Irokesen beobachten. Es dauerte tatsächlich nicht lange und der Irokese stand auf, stellte die leere Bierdose einfach auf das Kopfsteinpflaster und schlenderte in die Rue Saint-Mathieu. Er folgte ihm in sicherem Abstand. Der Irokese ging bis zum Theater der Stadt. Achtlos schlenderte er am Théâtre de Cornouaille vorbei. Hinter dem Theater spazierte er durch die Rue de Couëdic und bog schließlich in die Rue de Salonique ein. Vor einem heruntergekommenen Haus mit braunen Fensterläden hielt er an. Der Irokese kramte in seinen Taschen, vermutlich auf der Suche nach seinem Schlüsselbund. Kurze Zeit später hatte er ihn gefunden, öffnete die Tür, trat ein und warf die Tür ins Schloss. Die Glasscheibe vibrierte.

Er ging davon aus, dass er jetzt den Wohnort des Irokesen gefunden hatte. Er sah sich nach einem möglichen Parkplatz um. Neben dem Collège La Sablière gab es einen, direkt gegenüber dem Wohnort des Irokesen. Dort würde er auf ihn warten können. Er hatte ihn des Öfteren nachts in der Stadt gesehen, sodass er davon ausging, dass der Irokese abends sein Haus noch einmal verlassen würde.

Zufrieden machte er sich auf den Weg nach Hause. Heute Abend würde er, falls der Irokese einsichtig wäre, den Teufel aus der armen Seele austreiben können. Er war zufrieden mit sich und entschied, auf dem Rückweg an der Crêperie Le Steïr anzuhalten und etwas zu essen. Er suchte sich einen freien Tisch vor der Crêperie, bestellte einen Cidre und Crêpes und genoss den Blick auf den Platz. Er erinnerte sich an die Herkunft des Namens für den Platz. Der Place Terre-au-Duc hatte früher dem Herzog der Cornouaille und nicht dem Bischof gehört, daher die Bezeichnung. Für geschichtliche Zusammenhänge interessierte er sich. Für ihn zählte der Platz zu den schönsten Plätzen von Quimper, wenn er von dem Place Corentin einmal absah. Er mochte die schiefen, farbigen Fachwerkhäuser, die alten Laternen an den Häusern, das hin und her der Passanten und das lustige Spiel der Kinder am Brunnen.

Den restlichen Nachmittag verbrachte er in seiner Wohnung, mit der Arbeit an seinem Beitrag über die Kapelle von Quilinen.

Gegend 23 Uhr brach er auf. Wie er sich gedacht hatte, waren die Stellplätze neben dem Collège La Sablière leer und er konnte seinen Wagen abstellen. Er blieb im Van sitzen und beobachtete die Straße im Rückspiegel. Wenn der Irokese nach Hause käme, käme er aus der Innenstadt. Er würde ihn nicht in den Wagen locken können, hier würde er wohl Gewalt anwenden müssen.

Es war eine ruhige Straße, in der der Irokese wohnte. Er stand jetzt schon seit über einer Stunde auf dem kleinen Parkplatz und hatte noch nicht eine Person gesehen, die durch die Straße gegangen war. Er sah sich die Fassaden der Häuser an, die alle in keinem guten Zustand waren. Sah die Stellen, von denen der Putz herabfiel, die Holzfenster, deren Holz nach Farbe schrie und die Strom- und Telefonleitungen, die nur notdürftig an den Hauswänden befestigt waren. Vor dem Haus des Irokesen stand ein absolutes Halteverbotsschild, das das Parken nur für Behinderte erlaubte. Ihm fielen die Garagentore auf, die teilweise niedriger waren als die Haustüren. Konnte man in einer solchen Garage aufrecht stehen? Er beantwortete sich die Frage selbst. Natürlich war das möglich, schließlich könnte der Raum dahinter ja auch viel grösser sein. Warum war also das Tor so niedrig?

Eine ältere Frau kam, mit ihrem Dackel an der Leine, aus einem der Nachbarhäuser des Irokesen. Die Frau kam auf den Van zu, ging aber ruhig weiter. Der Dackel beschnüffelte den Bordstein und hob ab und zu sein Bein. Die Frau war mit dem Hund jetzt um die Straßenecke gebogen. Er hoffte, dass der Punker bald käme. Er hatte keine Lust, ihn genau dann in den Wagen zu zerren, wenn die Frau mit ihrem Dackel zurückkam. Es dauerte keine fünf Minuten und er sah, dass die alte Frau wieder in die Straße einbog. Sie ging langsam an seinem Fahrzeug vorbei. Sie konnte ihn nicht sehen, dessen war er sich sicher. Die Frau verschwand in ihrem Haus.

Im Rückspiegel sah er jetzt den Irokesen, der gemächlich zu seiner Wohnung schlenderte.

Er stieg aus und ging um den Van herum, öffnete die seitliche Schiebetür und ging zielstrebig auf den herannahenden Irokesen zu.

„Hast du etwas Kleingeld für mich?“, bettelte ihn der Irokese an.

Als Antwort erhielt er einen Schlag gegen das Kinn. Im Fallen spürte der Irokese den starken Strom, der durch seinen Körper fuhr und ihn zusammensacken ließ. Mit seinen kräftigen Armen hob er den Mann auf und trug ihn die kurze Strecke zur geöffneten Fahrzeugtür. Er warf ihn wie einen Kartoffelsack hinein, stieg ins Fahrzeug, schnürte die Arme und Beine seines Opfers zusammen, verklebte den Mund mit Klebeband und machte sich dann auf den Weg zur Chapelle de Quilinen.

Schon nach wenigen Minuten kam Budog Guého wieder zu sich. Ihm wurde schlagartig klar, dass er Opfer einer Entführung geworden war. Was hatte der Mann vor? Um Geld konnte es sich nicht handeln, seine Bettelei musste dem Fremden doch gezeigt haben, dass bei ihm nichts zu holen war. Budog versuchte, sich ein Bild seiner Lage zu machen. Er lag, verschnürt wie ein Rodeo-Kalb, auf dem Boden des Wagens, sein Mund war mit Klebeband verschlossen, sodass er noch nicht einmal laut Fluchen konnte, und sein Körper erhielt bei jedem Schlagloch einen weiteren blauen Fleck. Kurz darauf wurde die Geschwindigkeit deutlich reduziert. Der Fahrer fuhr jetzt durch enge Kurven, die ihn mal nach rechts und dann wieder nach links rollen ließen. Dann blieb der Wagen stehen. Absolute Stille umgab ihn. Die Schiebetür des Vans wurde geöffnet und sein Entführer betrat den Wagen. Er öffnete ihm die Fußfesseln.

„Steh auf“, herrschte er ihn an.

Budog überlegte kurz ob er einfach liegen bleiben oder der Aufforderung nachkommen sollte. Er entschied sich aufzustehen und hoffte auf eine Möglichkeit zur Flucht.

„Los, raus aus dem Wagen“, raunte sein Kidnapper ihm zu.

Budog schob sich zur Tür und versuchte aufzustehen, was mit seinen gefesselten Armen schwierig war. Er stand nun in der Dunkelheit eines kleinen Dorfplatzes vor einer alten bretonischen Kapelle. Er kannte die Kapelle nicht und hatte keinen Schimmer, wo er sich gerade befand.

„Geh weiter und träum nicht“, befahl der Unbekannte und zeigte dabei auf den schmalen Kiesweg, den er im Schein des Mondes erkennen konnte. Schritt für Schritt näherten sie sich der Kapelle. Sein Entführer hielt ihn vor der Tür mit einer Hand fest, während er mit der anderen den mitgebrachten Schlüssel in das Schloss der alten Holztür schob.

„Ich hoffe, du weißt, wie du dich im Haus des Herrn zu benehmen hast?“, sagte der Unbekannte und führte ihn über die steinerne Schwelle in die Kapelle. Seine Taschenlampe schickte einen hellen Lichtstrahl ins Innere des Raumes. Budog spürte, dass der Mann ihn nach rechts schob. Sie näherten sich dem Altar, einem Altar dessen Alter er nur erahnen konnte, weil seine farbige Ausgestaltung einer kürzlichen Renovierung unterzogen worden war. Budog konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt in einer Kirche gewesen war. Als seine Eltern noch lebten hatte er regelmäßig die Messe in der Kirche Saint-Mathieu besucht. Damals war er allerdings noch im Kindesalter gewesen. Seither waren etliche Jahre vergangen. Was hatte der Unbekannte nur vor? Warum brachte er ihn in diese Kapelle? Wo waren sie überhaupt?

Der Mann riss ihm das Klebeband vom Mund.

„Auf die Knie vor dem Antlitz Gottes“, fauchte er Budog an und unterstrich die Aufforderung mit einem heftigen Druck auf seine Schultern.

„Du erhältst jetzt die Gelegenheit, dich vom Teufel loszusagen. Es ist die einzige Chance, die du bekommst. Überlege dir also gut, wie du dich entscheidest.“

Budog sah den Mann unverständlich an.

„Von welchem Teufel sprichst du? Ich habe keinen Kontakt zum Teufel! Der einzige Teufel den ich sehe, bist du. Ist das christlich, einen Menschen zu entführen, zu fesseln und ihn in eine alte Kapelle zu schleppen?“

„Der Teufel hat schon seit Langem Besitz von dir ergriffen. Sag dich los von dem Dämon und kehre zu Gott zurück, sonst werde ich dich töten müssen. Ich werde den Teufel nicht verschonen. Ich werde ihn aus Quimper verjagen und ihm keine Möglichkeit bieten, weiterhin in der Stadt zu verweilen“, antwortete der Unbekannte und drückte Budog weiter runter.

„Wie willst du denn in mir den Teufel erkennen?“, fragte Budog naiv.

„Sieh dich doch an! Deine Frisur, dein Leben, deine Faulheit, deine Bettelei, dein Schnorren. Das sind doch alles Ausdrücke des Teufels. Und Schluss jetzt mit dem Palaver, sag dich vom Teufel los, falls dir dein Leben noch etwas wert ist.“

„Also gut, dann sage ich mich los vom Teufel. Teufel, ich will nichts mehr mit dir zu tun haben! Reicht das oder brauchst du noch eine Unterschrift?“

„Das reicht mir nicht, das ist keine aufrichtige Lossagung, das ist nur Geplapper und ein Versuch, alles ins Lächerliche zu ziehen.“

Der Unbekannte kniete sich jetzt neben Budog nieder und faltete die Hände zum Gebet. Er murmelte unverständliche Worte, bekreuzigte sich mehrmals und stand nach einigen Minuten auf. Er stand neben Budog und zog ihn mit seinen kräftigen Armen hoch, klebte ihm den Mund wieder zu und dirigierte ihn zum Ausgang.

Vor der Kapelle blieb er stehen, zog den Schlüssel aus der Hosentasche und versperrte den Zugang zum Gotteshaus. Dann schob er Budog wieder zum Van. Er öffnete die Schiebetür, griff in seine Hosentasche und zog ein Klappmesser heraus. Er öffnete es langsam.

Was soll das Messer? Will er mir die Fesseln durchtrennen, dachte Budog, bevor ihm das Messer mit einem gezielten Stoß ins Herz gestoßen wurde und Budog leblos zurück in den Van fiel.

Über das Gesicht des Unbekannten huschte ein zufriedenes Lächeln. Den Blutfleck, den das herausspritzende Blut auf seiner Brust hinterließ, ignorierte er. Er hatte wieder einmal einen Besessen beseitigt, dem Teufel ein Opfer entrissen und einen weiteren Erfolg in seinem Kampf gegen Luzifer gewonnen. Er würde nicht eher Ruhe geben, bis er Quimper von dem letzten Besessenen befreit hätte.

Er startete den Motor des Wagens und lenkte das Fahrzeug aus Quilinen heraus. Sein Weg führte ihn wieder an dem kleinen Wald vorbei, wo er bereits sein erstes Opfer entsorgt hatte. Er hielt an, holte den Leichnam aus dem Van und legte den Körper einige Schritte von der Straße entfernt in einen Graben. Er nahm ihm das Klebeband vom Mund und durchtrennte die Fußfessel.

„Du hattest deine Chance Irokese, aber du hast mein Angebot nicht genutzt. Der Teufel in dir war stärker als der Wille zu leben“, sprach er laut zu dem auf dem Gras liegenden Leichnam. Dann fuhr er zurück nach Quimper.

Leider hatte er wieder die Arbeit mit der Reinigung seines Fahrzeugs. Schließlich durfte kein Blut eines Besessenen im Wagen bleiben. Sein Auto sollte immer frei von teuflischen Resten sein.

Das andere Quimper

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