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Kapitel 5

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Die Meldung über einen erneuten Leichenfund an der Straße zwischen dem Restaurant Ty Coz und Penn ar Prat erreichte Anaïk am nächsten Morgen gleich nach ihrem Eintreffen im Kommissariat. Ihre Kollegen waren bereits auf den Weg zur Fundstelle als Monique ihr auf der Treppe entgegenkam und sie darüber informierte, dass ein weiterer Mann tot aufgefunden worden war.

„An der Stelle, an der wir Peran Bagot gefunden haben?“

„Ja, genau dort“, bestätigte Monique.

„Das sieht nach demselben Täter aus. Das gefällt mir überhaupt nicht. Lass uns losfahren und die Fundstelle ansehen.“

Dustin war dabei, die Fundstelle nach brauchbaren Spuren abzusuchen. Yannick verstaute gerade sein Thermometer als Anaïk ihn ansprach.

„Wie lange ist der Mann schon tot?“, fragte sie den Kollegen.

„Der Körpertemperatur nach schätze ich, dass sein Tod gegen 2 Uhr eingetreten ist. Der Tatort ist nicht hier. Hier gibt es so gut wie kein Blut, obwohl der Mann mit einem Stich ins Herz getötet worden ist. Die Vorgehensweise entspricht der des ersten Opfers. Auch er ist mit einem Elektroschocker betäubt worden. Findet zuerst den Tatort, vielleicht führt euch das dann zum Täter“, meinte Yannick und ging mit seinem Koffer zurück zum Auto.

„Danke Yannick“, rief Anaïk ihrem Kollegen hinterher, der nur noch von Weitem winkte.

Anaïk trat zur Leiche und sah sich den Toten genauer an. Die Punkerfrisur fiel ihr auf. Sie war sicher, dass sie den jungen Mann schon beim Betteln in der Innenstadt von Quimper gesehen hatte. Wieso bringt jemand einen jungen Punker um?

„Den Mann kenne ich“, sagte Monique.

„Ich auch, er hat sich täglich in der Innenstadt aufgehalten und versucht, sich durch Bettelei ein Zubrot zu verdienen. Mir ist seine Frisur aufgefallen, er sieht aus wie ein Irokese aus einem alten Western. Nur die Haarfarbe passt nicht so richtig.“

Monique lachte zustimmend.

Dustin trat mit etwas in der Hand zu Anaïk.

„Sieh mal, ich habe ein kurzes Stück von einem Seil aus Polypropylen gefunden. Es handelt sich um dasselbe Material, das wir auch schon beim letzten Toten gefunden haben. Wir können ganz sicher davon ausgehen, dass es sich um denselben Täter handelt. Einen erneuten Fußabdruck haben wir nicht gefunden. Der Boden ist inzwischen ziemlich trocken. In seiner Hosentasche hat aber ein Schlüssel gesteckt, vermutlich der Hausschlüssel, und in seinem Portemonnaie sind einige Münzen und sein Personalausweis gewesen. Der Mann heißt Budog Guého und wohnt in Quimper, in der Rue de Salonique.“

„Wenigstens wissen wir somit, um wen es sich handelt“, meinte Anaïk verdrossen.

„Scheiße und nochmals Scheiße“, brüllte sie dann heraus. Weder Dustin noch Monique kannten solche Ausbrüche von ihr.

„Was ist passiert?“, fragte Monique.

„In was für einer Stadt wohnen wir? Bis jetzt bin ich davon ausgegangen, dass wir in Quimper und Umgebung relativ sicher leben. Aber seit einigen Monaten scheinen sich alle Mörder im Finistère verabredeten zu haben. Wir bekommen es gehäuft mit Serienmördern zu tun. Das schlägt mir aufs Gemüt.“

„Es kommen bestimmt auch wieder ruhigere Zeiten“, beschwichtigte Monique.

„Ganz sicher“, meinte Anaïk. Sie hatte sich wieder in der Gewalt.

„Okay, was haben wir bisher?“, fragte sie Monique und den danebenstehenden Dustin.

Dustin antwortete als erster.

„Wir haben zwei Tote, die an dergleichen Stelle abgelegt worden sind, aber dort nicht ums Leben gekommen sind. Wir haben bei beiden Opfern ein Stück Seil aus Polypropylen gefunden. Das Ablegen der Opfer an dergleichen Stelle lässt darauf schließen, dass wir den Tatort in der näheren Umgebung vermuten können. Der Täter bringt seine Opfer um und fährt dann hier her.“

„Wenn du richtig vermutest, dann liegt der Tatort in einer der Ansiedlungen der Umgebung.“ Anaïk ging zu ihrem Wagen und holte eine Karte. Sie breite die Karte auf der Motorhaube des Autos aus.

„Wir stehen jetzt hier“, sagte Anaïk und zeigte auf die Stelle der Karte.

„In der näheren Umgebung liegt Landrévarzec, Quilinen, Guilvit, Ty Toquic und Penn ar Prat, der erste Ort nördlich von hier.“

„Wenn die Morde in Landrévarzec ausgeführt worden sind, dann werden wir den Tatort nicht so rasch finden. Der Ort ist größer und hat bestimmt mehr als 1.500 Einwohner“, meinte Monique.

„Wenn ich mich nicht täusche, sind es sogar über 1.700“, ergänzte Dustin.

„Aber diese Orte und noch einige weitere kämen in Frage“, sagte Anaïk abschließend.

„Wir könnten einen Aufruf in der Zeitung starten und nach verdächtigen Beobachtungen fragen. Vielleicht melden sich ja Zeugen“, meinte Monique.

„Machen wir, aber wir können schon mit den Befragungen der kleineren Ortschaften in der Umgebung beginnen“, erwiderte Anaïk und faltete die Karte wieder zusammen. „Lass uns nach Penn Ar Prat fahren und uns einen ersten Überblick verschaffen.“

„Dann auf nach Penn ar Prat“, meinte Monique und ging zum Dienstwagen.

Penn ar Prat mit seinen etwa 20 Häusern war schnell erreicht. Monique fiel die Müllsammelstelle auf als sie von der Hauptstraße in den geteerten Weg einbogen, der vor einem alten Bauernhof zu den dahinter liegenden neueren Häusern führte. Drei Hunde sprangen wild bellend um das Fahrzeug als sie an dem Hof vorbeifuhren.

„Wir können unsere Fragen gleich hier auf dem Bauernhof stellen. Wenn das deren Hunde sind, dann würde jedes Fahrzeug, das hier nachts vorbeikommt, ihr Gebell auslösen“, schlug Monique vor.

„Gute Idee, lass uns anhalten.“

Anaïk und Monique stiegen vorsichtig aus dem Wagen, beide hatten die Hunde im Auge, die aber nicht angriffslustig wirkten. Die Neugierde an dem fremden Besucher überwiegte. Eine Frau kam ihnen entgegenkam und rief den Hunden etwas zu, was weder Anaïk noch Monique verstanden.

„Bonjour Madame“, grüßte Anaïk und ging auf die Dame zu.

„Bonjour“, antwortete die Bäuerin etwas verhalten und wartete auf eine Frage oder Erklärung.

„Wir sind von der police judiciaire aus Quimper und haben einige Fragen“, sagte Anaïk. Sie griff in ihre Handtasche und holte den Ausweis heraus.

„Fragen Sie, ich habe wenig Zeit“, antwortete die Frau.

„Wir haben knappe 500 Meter von hier entfernt eine Leiche gefunden und möchten von Ihnen gerne wissen, ob Sie in der vergangenen Nacht ungewöhnliche Geräusche oder Beobachtungen gemacht haben“, fragte Anaïk.

„Nein, das habe ich nicht. Wenn etwas gewesen wäre, hätten die Hunde angeschlagen. Hier ist es die ganze Nacht ruhig gewesen.“

„Vielen Dank, wir versuchen unser Glück bei den Nachbarn“, meinte Anaïk und wandte sich um.

„Den Weg können Sie sich sparen. Wenn an unserem Hof jemand vorbeifährt, ob hinter der Scheune oder hier vorne, dann bellen meine Hunde. Da es nur diese beiden Wege zu den weiteren Häusern gibt, können Sie davon ausgehen, dass niemand dort gewesen ist. Hundert Meter weiter oben gibt es noch einen privaten Zugang zu einem Haus, dort können Sie noch fragen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie hier vergeblich suchen“, meinte die Frau und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Ein Hund folgte ihr, während die beiden anderen sich auf den Boden legten und die Kommissarinnen nicht aus den Augen ließen.

Anaïk fuhr die wenigen Meter zu dem Haus, von dem die Bäuerin gesprochen hatte.

Ein schmaler Zugang führte zu einem großzügigen Platz, um den sich Schuppen, Gewächshäuser und Lagerhallen gruppierten. Zwei Männer in Arbeitskleidung standen vor einem Traktor und waren dabei, eine defekte Welle abzumontieren.

Die Kommissarinnen näherten sich den Männern, die sich nicht von ihrer Arbeit ablenken ließen und weiter mit einem Hammer auf die Verriegelung der Welle einschlugen.

„Pardon Messieurs, dürfen wir Sie kurz stören?“, fragte Anaïk.

Jetzt sahen die beiden von ihrer Arbeit auf. Der eine pfiff laut beim Anblick der zwei hübschen Frauen.

„Sie dürfen mich immer stören“, meinte er und grinsend.

„Police judiciaire, Anaïk Pellen-Bruel, und das ist meine Kollegin Monique Dupont“, klärte sie die beiden Herren auf.

„Wollen Sie mich gleich mitnehmen, oder darf ich die Arbeit noch zu Ende bringen?“, fragte er scherzhaft.

„Wir haben lediglich eine Frage an Sie. Haben Sie in der vergangenen Nacht irgendetwas Ungewöhnliches beobachtet oder gehört? Ein Auto, ein Rufen oder andere Geräusche?“

„Gestern Nacht? Wann genau soll das gewesen sein?“, fragte jetzt der andere Mann.

„Ja, gestern gegen Mitternacht oder etwas später“, erwiderte Anaïk seine Frage.

„Also ich habe nichts mitbekommen, aber das ist nicht verwunderlich. Ich habe gestern bestimmt acht Flaschen Cidre getrunken und geschlafen wie ein Säugling.“

„Und wie sieht es bei Ihnen aus?“, fragte Monique den zweiten Mann.

„Ich habe nichts gehört. Die Nacht war so ruhig wie jede Nacht hier. Sie sollten einmal versuchen, hier zu schlafen, dann wissen Sie, was Ruhe bedeutet. Ich lade Sie gerne ein, einmal bei mir Probe zu schlafen.“ Er hielt seinen Witz für gelungen.

„Vielen Dank“, sagte Anaïk und wandte sich zum Gehen.

„Möchten Sie nicht wenigstens noch ein Glas Cidre mit uns trinken?“, rief der Cidremann ihnen hinterher.

Anaïk und Monique gingen nicht darauf ein und verließen das Grundstück.

„Hier haben wir nicht viel erfahren“, meinte Monique.

„Ich frage mich, ob wir so überhaupt weiterkommen. Vielleicht ist ein Aufruf in der Zeitung einfacher und verschwendet nicht so viel von unserer Zeit“, erwiderte Anaïk. „Wir können uns aber noch etwas in Quilinen umsehen, der Ort liegt nicht weit entfernt.“

Sie fuhren nach Quilinen und hielten an der Auberge de Quilinen.

„Lass uns mit dem Wirt sprechen, manchmal erzählen Gäste von nächtlichen Ereignissen.“

„Es ist noch sehr früh, die Auberge hat vermutlich noch nicht geöffnet“, meinte Monique.

„Einen Versuch können wir starten“, antwortete Anaïk und öffnete die Wagentür. Sie gingen auf die Eingangstür der Auberge zu. Die Tür war verschlossen. Enttäuscht wandte sie sich ab und wollte wieder zum Wagen gehen als ein Fahrzeug neben ihnen anhielt.

„Wir öffnen das Restaurant erst gegen 12 Uhr.“

„Bonjour Monsieur, wir haben auch nur einige Fragen an Sie zu richten. Wir haben nicht vor, das Lokal zu besuchen“, erklärte Anaïk.

„Dann fragen Sie“, antwortete der Fahrer, stieg aus dem Fahrzeug aus, verschloss das Auto und trat zu den beiden Kommissarinnen.

„Police judiciaire Quimper, Anaïk Pellen-Bruel“, stellte Anaïk sich vor und zeigte ihren Dienstausweis.

„Das ist meine Kollegin“, fügte sie hinzu.

„Monique Dupont“, ergänzte Monique und hielt ihm ebenfalls ihren Ausweis entgegen.

„Legen Sie los, was möchten Sie wissen?“, fragte er die zwei Damen.

„Es geht um die letzten beiden Nächte. Haben Sie in der Zeit um oder nach Mitternacht eine Beobachtung gemacht oder etwas gehört?“, fragte Anaïk und wartete gespannt auf die Antwort.

„Wenn Sie von mir spektakuläre Enthüllungen erwarten, dann muss ich Sie enttäuschen. Bei uns in Quilinen ist nicht so viel los. Aber ich kann mich erinnern, dass nach der Schließung meines Lokals ein Fahrzeug am Haus vorbeigefahren ist. Ich habe dem keine weitere Beachtung geschenkt.“

„Aber Sie erinnern sich, dass ein Auto vorbeigefahren ist?“, fragte Anaïk nach.

„Ja, weil nach Mitternacht selten ein Fahrzeug durch den Ort fährt. Ich hatte den Eindruck, dass der Wagen von der Chapelle gekommen ist.“

„Haben Sie das Fahrzeug beobachtet als es an ihrem Lokal vorbeigefahren ist?“

„Ja, ich stand vor der Tür und habe eine Zigarette geraucht. Ich habe aber weder das Nummernschild noch andere Details realisiert.“

„Sie haben den Fahrer nicht erkennen können?“, fragte Anaïk.

„Nein, das war nicht möglich, die Fenster des Wagens waren abgedunkelt und die Scheinwerfer haben mich geblendet. Der Van hatte eine dunkle Farbe, das konnte ich erkennen. Braun oder ein dunkles Grau. Schwarz war er nicht.“

„Sie haben uns gut geholfen, Monsieur, vielen Dank“, sagte Anaïk und ging mit Monique zum Dienstwagen zurück.

„Wenn es stimmt, dass der Wagen verdunkelte Scheiben und eine dunkle Farbe hatte, könnte es der Wagen sein, den wir auf dem Video gesehen haben, in der Rue Théodore le Hars. Lass uns die Kapelle ansehen“, meinte Anaïk.

Sie fuhren die wenigen Meter bis zur Kapelle und gingen zur Eingangstür. Die Tür war verschlossen.

„Innen können wir uns wohl nicht umsehen, die Kapelle scheint nicht immer geöffnet zu sein“, meinte Monique.

„Während der Sommermonate zwischen Juli und September ist sie täglich ab 14 Uhr geöffnet“, stellte Anaïk nach der Lektüre des entsprechenden Anschlags an der Tür fest.

„Dann sehen wir uns draußen um, ich nehme nicht an, dass die Morde in der Kirche begangen worden sind“, meinte Anaïk.

„Ausschließen würde ich das nicht“, erwiderte Monique und folgte Anaïk über den Kiesweg.

„Sieh mal Monique, das könnte Blut sein“, meinte Anaïk am Ende des Kieswegs. Auf dem Kies konnte man eine kleine Verfärbung erkennen, das hätte Blut sein können. Monique holte eine Plastiktüte aus der Tasche, zog Latexhandschuhe an und sammelte einzelne verfärbte Steinchen ein.

„Yannick kann die DNA der Blutspur auf den Kieselsteinen mit der unserer beiden Toten vergleichen. Mit etwas Glück sind wir auf den Tatort gestoßen“, meinte Monique.

„Die Menge Blut, die wir hier gefunden haben, ist noch weniger als die Menge, die wir am Fundort gefunden haben. Yannick hat dort bereits gemeint, dass der geringe Blutverlust nicht auf den Tatort schließen lässt. Das könnte bedeuten, dass die Morde im Fahrzeug oder in der Nähe des Fahrzeugs geschehen sind, so dass das meiste Blut im Wagen ist“, meinte Anaïk als sie wieder im Auto saßen.

„Wir können uns die Kapelle später noch näher ansehen, es wird nicht so schwer sein, einen Schlüssel für die Kapelle aufzutreiben“, meinte Monique.

„Könnten wir machen, aber ich verspreche mir nicht viel davon.“

Im Kommissariat übergaben sie die blutbespritzten Kieselsteine Yannick und verschafften sich danach einen Überblick über die dürftigen Ergebnisse. Nicht ein einziger brauchbarer Hinweis war darunter. Sie hatten Klebeband gefunden, vermutlich von einer Fessel, zudem ein Stück Flechtleine aus Polypropylen, die üblicherweise für das Ausbessern von Netzen benutzt wurde, und hoffentlich eine DNA. Dann gab es noch das Video, von der Aufzeichnungskamera aus der Rue Théodore le Hars, mit der Entführung des ersten Opfers, auf dem ein Van zu erkennen war, der aber noch keinem Besitzer zugeordnet werden konnte, da die Zulassungsnummer nicht zu lesen war. Lediglich die beim ersten Opfer sichergestellte Fußspur könnte vom Täter stammen. Was ihnen gänzlich fehlte war das Motiv. Warum diese Morde? An einem Drogendealer? An einem Punk, der Geld auf den Straßen von Quimper erbettelte?

Das andere Quimper

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