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Kapitel 3

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Yannick Detru von der Rechtsmedizin trat in das Büro von Ewen Kerber ein und legte die mitgebrachte Akte vor dem Kommissar auf den Schreibtisch.

„Es war keinerlei Fremdeinwirkung festzustellen, Ewen. Wie ich dir schon am Strand gesagt habe, schlichtweg ein Unfall. Der Mann ist abgestürzt und ist mit dem Kopf auf die Felsen aufgeschlagen. Sein rechter Unterarm war gebrochen. So wie der Bruch lag, nehme ich an, dass er versucht hat sich abzustützen, was aus so einer Höhe ein vergebliches Unterfangen ist. Für ein Gewaltverbrechen konnte ich keine Hinweise finden. In seinem Blut fanden sich keine Spuren von Alkohol oder Betäubungsmitteln oder sonst irgendwelchen Drogen oder Medikamenten. Hat die Spurensicherung etwas Brauchbares gefunden?“

Ewen Kerber hatte sich den Bericht des Pathologen ruhig angehört und an der einen oder anderen Stelle zustimmend genickt.

„Die Spurensicherung hat bei dem Mann, wie bei dem ersten Toten, keinerlei Ausweispapiere gefunden. Auch er trug kein Portemonnaie bei sich, was doch recht seltsam ist und den Verdacht auf einen Raubmord nährt. Yannick, ich würde dir ja zustimmen, dass es sich um einen Unfall handelt, wenn da nicht die Fischabfälle auf seinem Leichnam wären. Das kann ich nicht einem Unfall zuordnen.“

„Das mit den Fischabfällen ist schon sonderbar, da gebe ich dir recht Ewen, aber wieso sollte jemand einen Mann eine Böschung hinunter werfen und ihn anschließend mit Fischabfällen bedecken. Das macht irgendwie keinen Sinn.“

„Vielleicht ist das eine versteckte Botschaft? Eine Botschaft, die wir noch nicht entschlüsselt haben.“

Yannick erhob sich von dem Stuhl, auf den er sich während seines Berichtes hatte fallen lassen und schlenderte wieder gemächlich zur Tür.

„Bis zum nächsten Mal, Ewen, mach’s gut.“

Ewen hatte den Bericht des Pathologen zur Hand genommen und angefangen zu lesen. Als Yannick die Bürotür hinter sich geschlossen hatte, klingelte das Telefon und Carla Rozier war am Apparat.

Die Stimmung von Ewen hellte sich spontan auf.

„Liebling, wie geht es dir?“ rief er ins Telefon und sein Gesicht entspannte sich.

„Es geht mir ganz gut, danke, ich wollte dich nur fragen, wann wir uns heute sehen können. Ich will Marie noch zur Kontrolluntersuchung begleiten und danach wäre ich frei. Wir könnten uns vielleicht schon zu einem kleinen Aperitif, so gegen 17 Uhr im Café Finistère treffen, was hältst du davon?“

Ewen sah auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass es erst 15 Uhr war. Er hatte noch über eineinhalb Stunden Zeit bis dorthin. Das musste für heute genügen.

„Finde ich eine wunderbare Idee mein Schatz, wir sehen uns um fünf im Café Finistère. Alles Gute für die Untersuchung, ich bin mir sicher, das alles Okay ist mit Marie.“

„Ich denke auch, sie kommt langsam über alles hinweg.“

Ewen legte auf.

Er hatte Carla vor wenigen Wochen kennengelernt, als er im Café Finistère einen Espresso genossen hatte. Sie saß mit ihrer erwachsenen Tochter Marie, die seiner Schätzung nach etwa vierundzwanzig Jahre alt war, am Nachbartisch. Die beiden unterhielten sich über die Chagall Ausstellung im Kunstmuseum, das gleich neben dem Café lag.

Auch Ewen hatte sich diese Ausstellung angesehen, schließlich war eine solche Ausstellung ein Ereignis für Quimper. Die Stadt mit ihren knapp 80 000 Einwohnern war zwar Sitz der Verwaltung des Departements, hatte ein Theater, eine neue Mediathek, Kinos, aber kulturell gehörte sie nicht zur Spitze Frankreichs.

Die Frau gefiel ihm ausgesprochen gut. Als er ihre Tochter sagen hörte, dass die Ausstellung bestimmt auch Papi gefallen hätte, wenn er noch leben würde, ging Ewen davon aus, dass die Frau vielleicht genauso alleine lebte wie er. Er hatte nicht lange überlegt und sie mit einem Kommentar zur Ausstellung angesprochen. Ganz schnell entwickelte sich daraus eine Konversation, die Ewen mit einer Einladung zum Essen beendete. Völlig entspannt hatte er ihr gesagt, dass sie ihm sehr gut gefalle und er glücklich wäre, ihre nähere Bekanntschaft zu machen.

Ewen hatte auch bei Carla einen sympathischen Eindruck hinterlassen und so nahm sie die Einladung gerne an. Ewen schlug für den Abend das Restaurant Ambroisie vor. Carla war einverstanden und so wollten sie sich dort treffen. Das Restaurant war als gute Adresse in Quimper bekannt.

Schon bald stand für beide fest, dass sie sich einen gemeinsamen Lebensweg vorstellen könnten.

Carla hatte Ewen viel von ihrer Tochter Marie erzählt, die seit wenigen Tagen fünfundzwanzig Jahre alt war und die über einige Traumata hinwegkommen musste. Nicht nur über den Tod ihres Vaters, der bei einem Verkehrsunfall gestorben war, sondern auch über eine Vergewaltigung, die vor drei Jahren stattgefunden hatte. Damals war Marie mit ihrer besten Freundin zu einem Segeltörn aufgebrochen. Ihrer Freundin Sylvie Nicot und vier Männern aus ihrem Bekanntenkreis, stand für drei Tage eine große Segelyacht zur Verfügung und sie wollten damit an der Küste entlang segeln. Während der ersten Tage war alles sehr schön und harmonisch verlaufen. Am Abend vor ihrer Rückkehr hatten die Männer ziemlich viel getrunken und waren immer aufdringlicher geworden. Als die Mädchen sie abwiesen, waren sie über sie hergefallen und hatten beide mehrmals vergewaltigt.

Nach der Rückkehr verschwanden die vier Männer sofort. Marie kannte lediglich ihre Vornamen. Die Yacht gehörte einem Bekannten von Sylvie, aber Marie hatte sich nicht einmal den Namen der Yacht gemerkt. Nur Sylvie kannte die Yacht, den Besitzer und die Männer. Da auch Sylvie nach der Rückkehr sofort verschwunden war und man sie erst fand, nachdem sie sich das Leben genommen hatte, blieben die Täter bis heute unbestraft. Die Anzeige, die damals gegen Unbekannt aufgegeben wurde, musste eingestellt werden.

Marie begann, mit der Unterstützung ihrer Eltern, eine psychologische Therapie.


Für Ewen war das Zusammentreffen mit Carla wie ein vom Schicksal gewolltes Arrangement. Seine Frau war, wie auch Carlas Mann bei einem Verkehrsunfall gestorben. Ewen sah in Carla ein Geschenk des Himmels. Sie trafen sich nun regelmäßig und vor einigen Tagen hatten sie sich entschlossen zusammenzuziehen.

Ewen Kerber bewohnte ein sehr großes Haus, das er von seinen Eltern geerbt hatte. Carla lebte mit ihrer Tochter in einer Mietwohnung.

Carla Rozier arbeitete als Abteilungsleiterin in der Filiale der BNP Paribas in Quimper. Ihre Tochter war seit einem Jahr als Kindergärtnerin tätig.

Die Arbeit mit den Kindern hatte Marie geholfen über die Vergewaltigung hinweg zu kommen. Vor zwei Wochen war Marie zu ihrer Mutter gekommen und hatte ihr gesagt, dass sie sich eine eigene Wohnung nehmen wollte. Langsam müsse sie auf eigenen Beinen stehen. Carla hatte ihre Tochter in ihrem Vorhaben unterstützt. Und so war ihr die Entscheidung, zu Ewen zu ziehen, leicht gefallen.


Ewen erwachte langsam wieder aus seinem Tagtraum und legte den Bericht des Pathologen zur Seite, den er immer noch in Händen hielt. Vielleicht würden sie morgen weiterkommen, wenn die Bilder einmal im Fernsehen veröffentlicht waren. Ewen erhob sich und ging zu seinem Kollegen Paul Chevrier.

„Paul, haben wir außer diesen Fischabfällen und den Geldbörsen weitere Übereinstimmungen zwischen den beiden Morden gefunden?“

„Nachdem wir alles was wir gefunden haben untersucht haben, muss ich eine gewisse Enttäuschung zugeben. Wenn du mich fragst, dann sehe ich eine weitere Übereinstimmung in dem Alter der beiden Toten. Beide müssen etwa um die dreißig Jahre alt gewesen sein. Auch waren sie auffallend gut gekleidet, was auf ein gehobenes Einkommen hindeutet. Beide stammen mit Sicherheit nicht aus der Bretagne, denn hier wird niemand Unbekanntes vermisst. Von Beiden fehlt das Portemonnaie und beide Fahrzeuge sind noch nicht gefunden. Mehr habe ich nicht herausfinden können.“

„Dann können wir nur hoffen, dass wir nach der Ausstrahlung im Fernsehen etwas mehr wissen. Paul, ich bin nachher verabredet aber du weißt, wie du mich im Notfall erreichen kannst.“

Damit verließ Ewen Kerber das Büro seines Kollegen Paul Chevrier und das Kommissariat am Place Charles de Gaulle.

Er überlegte eine Weile, ob er den Weg hinunter zum Place Saint-Corentin zu Fuß oder mit dem Wagen zurücklegen sollte. Er entschied sich für den 15 minütigen Fußweg und ließ seinen Wagen hier oben stehen. Gemütlich spazierte er in Richtung der Innenstadt. Er freute sich, Carla zu sehen. Sie hatten sich vorgenommen, am Abend gemeinsam etwas zu kochen.

Auf dem Weg zum Café Finistère ließ er sich noch einmal alles durch den Kopf gehen, was er über den Fall wusste. Auch wenn es nicht sehr viel war, er konnte aber dennoch eine Kleinigkeit übersehen haben. Dass er nicht an das Fernsehen gedacht hatte, wurmte ihn. Was sollte der Kollege aus Paris von ihm denken. Aber auch bei diesem Spaziergang fiel ihm nichts Weiteres ein. Die Fischabfälle blieben ihm ein Rätsel. Was wollte jemand damit nur ausdrücken? Er war beinahe sicher, dass sich darin eine Botschaft verbarg. Er überlegte, woher solche Abfälle zu bekommen waren. Aus seiner Sicht kamen nur Restaurants oder die Fischindustrie in Concarneau in Frage. Es musste eine Person geben, die Zugang zu solchen Abfällen hatte. Davon gab es aber bestimmt sehr viele. Hier an der Küste befanden sich zahlreiche Fischrestaurants und in Concarneau, Douarnenez oder an den anderen Fischereistandorten, gab es darüber hinaus eine Menge Leute, die an solche Abfälle gelangen konnten. Man konnte ja schwerlich alle Fischer, Köche oder Küchengehilfen überwachen oder befragen und um ihre Alibis bitten. Nein, er musste einen weiteren Zugang zu dem Fall finden.

Carla war schon etwas früher auf der Terrasse des Kaffees eingetroffen. Als Ewen um die Ecke bog und auf den Platz trat, sah er Carla ihm zuwinken.

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