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Kapitel 4
ОглавлениеEwen Kerber und Carla Rozier hatten die gemeinsam zubereitete Mahlzeit genossen. Die Flasche Rotwein war bereits zur Hälfte geleert, als Ewen den Fernseher einschaltete. Er wollte unbedingt sehen, ob die Bilder der beiden Toten in den Nachrichten ausgestrahlt würden. Es war schon kurz nach 20 Uhr 30 als die Nachricht erschien. Carla saß neben Ewen.
„Die sehen sympathisch aus“, meinte sie, „und sie scheinen beide noch ziemlich jung zu sein.“
„Ja, wir schätzen sie auf höchstens 30 Jahre. Es ist uns ein Rätsel, warum man sie umgebracht hat, vor allem die Art und Weise. Es sieht aus wie ein Unfall und dennoch will uns der Täter auf etwas aufmerksam machen.“ Ewen erzählte Carla ein paar Einzelheiten, ohne ausschweifend zu werden. Die Nachrichten waren vorbei und sie schalteten den Fernseher aus. Ewen wollte mit Carla den Rest des Rotweins genießen und etwas plaudern, als das Telefon klingelte.
„Ewen Kerber“, meldete er sich.
„Hier ist Marie, Ewen, ist meine Mutter bei dir?“
„Ja, ich gebe sie dir Marie, noch einen schönen Abend.“
Carla Rozier nahm den Hörer, den Ewen ihr reichte und begrüßte ihre Tochter.
„Hallo Marie, hast du am Nachmittag vergessen, mir etwas Wichtiges zu sagen?“
„Nein Mama, aber ich habe gerade die Nachrichten gesehen und da zeigten sie die Bilder von Pierre und Jules. Die beiden waren es, die uns vergewaltigt haben. Jetzt beginnt alles wieder von vorne.“ Marie begann zu weinen.
„Beruhige dich mein Schatz, soll ich zu dir kommen?“
„Ja, bitte komm, ich will jetzt nicht alleine sein.“
„Ich komme sofort mein Schatz.“
Carla legte das Telefon auf und erzählte Ewen schnell von dem Telefongespräch. Ewen half ihr bereits in den Mantel.
„Die beiden Toten sind die Vergewaltiger von Marie. Sie hat sie erkannt, als sie jetzt in den Nachrichten gezeigt wurden. Ich hoffe, dass jetzt nicht wieder alles von Neuem beginnt. Sie war so gut darüber hinweg.“
„Ich begleite dich Carla, vielleicht kann Marie mir weiterhelfen.“
„Du willst sie doch nicht sofort verhören?“
„Nein, kein Verhör aber sie kennt vielleicht noch ein paar Einzelheiten, die uns weiterhelfen können, den Mörder zu finden.“
„Warum suchst du denn überhaupt noch den Mörder, wenn es die zwei Männer waren, die meiner Tochter das angetan haben? Wir können dankbar sein, dass es sie nicht mehr gibt.“
„Es bleibt aber Mord, Carla, das weißt du genau und ich mache meine Arbeit.“
Carla nickte nur und war dankbar für seine Begleitung. Als sie bereits im Auto saßen, bat sie ihn, sehr rücksichtsvoll mit Marie umzugehen.
Die Fahrt zu Maries neuer Wohnung dauerte nur gute fünf Minuten. Marie hatte bereits auf die Ankunft ihrer Mutter gewartet und die Haustür geöffnet, als sie Ewen und ihre Mutter ankommen sah. Schluchzend fiel sie ihr um den Hals.
„Ich habe die beiden sofort erkannt, Mama.“
Sie gingen in die Wohnung und schlossen die Tür. Carla Rozier beruhigte ihre Tochter, dann holte sie ihr ein Glas Wasser und setzte sich mit ihr auf das Sofa im kleinen Wohnzimmer. Ewen hatte ihnen gegenüber, auf dem Sessel Platz genommen und ließ Carla und Marie miteinander sprechen. Nach einer guten halbe Stunde fasste sich Marie langsam wieder. Sie wurde ruhiger und begann zu erzählen. Ewen stellte keine Zwischenfragen, er ließ sie ihre Geschichte erzählen. Als sie fertig war, hatte sie alles gesagt, was er wissen musste. Er war nur Zuhörer gewesen und doch hatte er die Informationen, die er zu bekommen gehofft hatte erhalten. Er sah Carla, die ihrer Tochter immer noch über den Kopf streichelte, kurz an und bedeutete ihr, dass er kurz vor die Tür gehen würde, um zu telefonieren.
Ewen Kerber wählte die Nummer seines Kollegen Paul Chevrier.
„Paul, es kommt Bewegung in unseren Fall. Die beiden Männer haben vor etwas mehr als drei Jahren, gemeinsam mit zwei weiteren Männern, bei einem Segeltörn zwei Mädchen vergewaltigt. Das eine Mädchen ist die Tochter meiner Lebensgefährtin Carla, die du ja schon kennengelernt hast, das andere Mädchen war ihre Freundin Sylvie Nicot. Sylvie Nicot hatte sich kurze Zeit nach der Vergewaltigung das Leben genommen. Leider kennen wir immer noch nicht die Nachnamen der beiden Opfer. Carlas Tochter, Marie kannte nur die Vornamen der vier Männer, es soll sich um Freunde von Sylvie gehandelt haben. Diese Sylvie Nicot kannte als einzige die vollen Namen der Männer. Marie hat mir nochmals ihre Vornamen genannt, Pierre, Jules, Robert, Jean-Marie. Es gibt bei den Kollegen im Sexualdezernat eine Akte. Dort müssten die Namen bereits notiert sein. Lass dir die Akte geben, vielleicht finden wir ja noch Hinweise, die damals nicht zuzuordnen waren. Die ersten beiden Vornamen gehören zu den Opfern. Wir suchen also die Nachnamen von Pierre und Jules.“
„Wenn ich dich richtig verstehe, dann gehst du davon aus, dass die Männer wegen der Vergewaltigung umgebracht wurden?“
„Ja Paul, es wäre ein naheliegendes Motiv, ich sehe zurzeit keine andere Verbindung zwischen den beiden Morden.“
Ewen Kerber war sehr nachdenklich geworden. Der Gedanke, der gerade durch seinen Kopf ging war alles andere als erbaulich. Er sagte Paul nichts davon. Er brauchte es auch nicht auszusprechen, denn Paul war durch das Schweigen seines Chefs, selber auf die Frage gestoßen.
„Damit Ewen, gehören Carla und ihre Tochter zu den Verdächtigen, ist dir das klar? Du müsstest den Fall wegen Befangenheit abgeben.“
„Genau das ist mir gerade durch den Kopf gegangen, Paul. Für mich steht fest, dass Marie nichts damit zu tun hat, sie könnte das in ihrer Verfassung überhaupt nicht und Carla wäre dazu auch nicht im Stande. Ich kann beide ausschließen, aber du solltest die Ermittlungen, die beiden betreffend, genauso weiter verfolgen wie alle anderen Spuren. Ich möchte mir nichts vorwerfen lassen. Ich werde Carla sagen, dass ich sie nicht heraushalten kann. Ich hoffe, dass sie es nicht falsch versteht. Aber ich kann und will den Fall jetzt nicht abgeben.“
„Ewen, was wird der Staatsanwalt dazu sagen?“
„Ich will versuchen, mit ihm zu sprechen. Ich hoffe, dass er mir so viel Vertrauen entgegenbringt.“Marc Louvin und Gerard Martinou hatten noch eine weitere Flasche Bordeaux geöffnet und saßen im Wohnzimmer vor dem Kamin. Die Flammen umspielten den gerade aufgelegten Kastanienscheit. Sie waren dabei, im nächsten Jahr einen gemeinsamen Segelurlaub zu planen. Sie könnten von Concarneau aus, mit Gerards Yacht für eine oder zwei Wochen an der Küste entlang segeln oder die diversen Inseln zwischen Concarneau und der Île d`Oléron aufsuchen. Sie schmiedeten ihren Plan, als Marcs Telefon klingelte.
Obwohl es schon spät war, rief Jean-Paul Claude seinen Kollegen auf dem Handy an. Er war es gewohnt, ihn auch nachts anzurufen. Marc Louvin war immer ansprechbar, wenn es um einen seiner Fälle ging.
„Was gibt es an Neuigkeiten, Jean-Paul?“ begrüßte er ihn.
„Wir haben die ersten Hinweise auf die Identität der Opfer. Ich habe bereits einen Kollegen zu dem Anrufer gesandt, um die Angaben zu überprüfen. Doch der Reihe nach. Vor einer halben Stunde rief ein Herr Jaouen bei uns an. Er wohnt in Paris, im 10. Arrondissement und sagte uns, dass er, auf dem Bild in den Nachrichten seinen Neffen erkannt hat. Sein Bruder ist, gemeinsam mit seiner Frau, vor sieben Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Der Junge ist damals bereits berufstätig gewesen und hat seine eigene Wohnung gehabt. Der Kontakt zu seinem Neffen sei, seit dem Tod seines Bruders, eher sporadischer Natur. Der junge Mann arbeitete als Anlageberater bei der Banque Villatte. Seine Abteilung war unter Druck geraten, weil sie, vermutlich aus Provisionsgründen, die Kunden sehr schlecht beraten hat und diese, durch die Finanzkrise enorme Summen verloren haben. Der junge Mann, Pierre Jaouen, war am stärksten in die Affäre verwickelt. Sein Onkel meinte, dass er eine gewisse Skrupellosigkeit an den Tag gelegt hat und sehr auf seinen Vorteil bedacht gewesen sei. Er habe große Summen verdient und auch entsprechend gelebt. Der Mann sagte weiter, dass der andere, ein gewisser Jules Garrec sein könnte. Er war sich aber nicht sicher. Garrec arbeitete in derselben Bank und war der beste Freund von Jaouen. Leider konnte er uns nichts über die Familie von Garrec sagen.“
„Das ist doch schon eine ganze Menge. Ich danke dir Jean-Paul, damit kommen wir ein gutes Stück weiter.“ Marc legte auf und erzählte seinem Freund von der neuen Entwicklung.“
„Dann habt ihr ja jetzt euer Motiv, nicht wahr?“
„Das könnte ein Motiv sein, Gerard, aber es ist nicht gesagt, dass es das einzig ist. Mich stört in diesem Zusammenhang der Tatort. Pierre Jaouen hat doch bestimmt nicht Leute aus der Bretagne in Paris beraten. Unser Mörder hält sich mit großer Wahrscheinlichkeit hier auf, hier haben die Morde stattgefunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand aus Paris, den jungen Mann dazu bringt in die Bretagne zu fahren, um ihn anschließend hier ermorden zu können. Mit welchem Argument könnte man einen jungen Mann dazu bewegen, fünf Stunden mit dem Auto zu fahren. Ein betrogener Anleger aus der Bretagne würde doch eher nach Paris fahren und sein Opfer dort töten. Das würde nicht nur weniger Spuren hinterlassen, sondern auch die Tätersuche auf die Hauptstadt konzentrieren und so dem Täter größere Sicherheit geben. Nein, das macht keinen Sinn.“
Gerard musste Marc recht geben, daran hatte er nicht gedacht. Aber denken alle Mörder so wie ein Kripobeamter?
„Deine Frage nach dem Argument, für eine Fahrt in die Bretagne ist aus meiner Sicht einfach zu beantworten. Eine Frau!“ meinte Gerard. Dabei nahm er sein Glas Bordeaux wieder in die Hand und prostete Marc zu.
„Lassen wir uns den Wein schmecken. Über den Fall kannst du morgen wieder nachdenken.“ Marc nahm sein Glas. Das Feuer spielte weiter mit dem Stück Holz und die beiden tranken ihren Wein. Der Abend wurde noch lang und es kamen weitere Holzscheite in die Glut.