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Kapitel 1

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Ein leises Klopfen drang an das Ohr von Henri Medernach. Zuerst hatte er das Gefühl zu träumen. Als es aber noch einmal zu vernehmen war, diesmal etwas heftiger als zuvor, erhob er sich von seinem Bett und rief so etwas wie „ich hab's gehört“ oder so ähnlich. Jedenfalls konnte Giuseppe Carponi nichts damit anfangen und klopfte daher erneut. Giuseppe Carponi war es gewohnt, dass die Gäste des Schlafwagens nur schwer aufzuwecken waren. Endlich öffnete sich die Tür einen Spalt breit und Medernach blinzelte hindurch.

Giuseppe Carponi sagte nur: „Il treno arriverà in cinque minuti nella stazione. “

„Grazie“, erwiderte Medernach, schloss die Türe und beeilte sich beim Anziehen. Er brauchte nur zwei Minuten um sich anzukleiden und die wenigen Utensilien aus der Waschecke einzupacken. Er blickte durchs Fenster und konnte gerade für zwei oder drei Sekunden einen Blick auf die herrliche Küste von Ligurien werfen, bevor der Zug in den nächsten Tunnel eintauchte.

Henri Medernach, seit acht Tagen Kommissar a.D. hatte sich seinen Wunsch erfüllt, einmal einen mondänen Urlaub zu verbringen. Seine Wahl war auf den kleinen italienischen Ort Santa Margherita gefallen, auf Grund eines Gedichtes von Christian Morgenstern. Der Ort lag südlich von Rapallo auf einer Halbinsel, an deren Spitze sich das bekannte Fischerdorf Portofino befindet. Portofino beheimatete jetzt zwar mehr Millionäre als Fischer, aber es hatte noch nichts von seinem Charme verloren.

Ähnliches konnte man von Santa Margherita auch sagen, das nur drei oder vier Kilometer entfernt liegt.

Medernachs Hotel, das Imperiale Palace Hotel war das schönste teuerste und größte am Ort. Im Reisekatalog war es als „selecte“ geführt worden, eine Bezeichnung, die der Reiseveranstalter den außergewöhnlichen Hotels verliehen hatte. Zuerst war Medernach etwas irritiert gewesen als er den Preis gesehen hatte, aber dann entschied er sich doch für das Haus. Der Urlaub sollte schließlich wirklich etwas besonderes sein. Er konnte es sich durchaus leisten. Als Kommissar verdiente man in Luxemburg nicht schlecht. Er war ledig und unabhängig und so spielte das Geld keine so große Rolle. Er brauchte sich um niemanden zu sorgen und was er als Pension erhielt, reichte um sich einen angenehmen Lebensabend zu gestalten.

Der Zug war inzwischen im Bahnhof von Genua eingelaufen. Er musste von hier aus noch eine kurze Strecke mit dem Regionalzug nach Rapallo fahren. Medernach schnappte sich seine beiden Koffer, den Fotoapparat hatte er sich um den Hals gehängt und lief eilig zum angezeigten Bahnsteig. Der Regionalzug stand schon bereit und die Fahrt nach Rapallo würde nicht lange dauern.

In Rapallo, das er nach weniger als 30 Minuten erreichte bestieg er ein Taxi und nannte den Namen des Hotels.

Bereits nach wenigen Minuten fuhr das Taxi die Auffahrt zum Hotel hinauf. Der Weg führte durch einen herrlichen Park. Palmen, Rhododendren, Hortensien, Oleander in allen erdenklichen Farben, Oliven, Zitronen- und Orangenbäume wuchsen rechts und links des Weges. Dann tauchte der Eingang zum Hotel auf.

Ein beeindruckender prächtiger Bau aus der belle epoque, erbaut im Jahre 1889. Der Friedensvertrag von Rapallo war in seinen Mauern unterschrieben worden, so hatte es in seinem Prospekt gestanden.

Die grünen Fensterläden waren alle geschlossen und sollten wohl verhindern, dass die Sonne die Zimmer zu sehr aufheizte. Der untere Teil der Fensterläden konnte ausgeklappt werden. Herrliche Balkone erlaubten, sich abends ins Freie zu setzen und die einmalige Aussicht zu genießen. Großzügige Terrassen, ganz mit weißem Marmor ausgelegt und von marmornen Balustraden umgeben boten den Gästen Platz zum Verweilen und zu gepflegten Essen.

Das war der erste Eindruck den Medernach bekam als er das Taxi verlassen hatte. Der Hoteldiener war sofort mit einem kleinen Wagen herbeigeeilt und nahm sein Gepäck entgegen. Medernach trat durch die Drehtür in den Eingangsbereich des Hotels. Gleich rechts hinter der Tür stand der Empfangsportier, der ihn lächelnd willkommen hieß.

Henri Medernach bekam das Zimmer 110, ein schönes Zimmer mit Meerblick. Die Möbel im Empirestil, das Bad vollständig mit weißem Marmor ausgelegt und die Decke mit Stuckverzierungen versehen, bestätigten seinen ersten Eindruck: er war in einem First Class Hotel.

Aufmerksam las Medernach die Hinweise zum Aufenthalt, die auf dem kleinen Schreibtisch lagen und denen man die Erwartung entnehmen konnte, dass die Malzeiten in gepflegter Kleidung eingenommen werden. Medernach lehnte sich in seinem Sessel zurück, schloss die Augen und entspannte sich. Nach wenigen Minuten war er eingeschlafen.

Ab acht Uhr gab es Abendessen, so hatte der Portier zu ihm gesagt. Seine Uhr zeigte sechs Minuten vor acht als er das Zimmer verließ, über den roten Teppich den Gang entlang ging und die wenigen Stufen zum Restaurant hinunterstieg.

Der Oberkellner kam ihm entgegen, fragte nach seiner Zimmernummer und geleitete ihn zu einem Ecktisch auf dem Balkon, der sich an der Westseite des Hotels direkt über der Terrasse, entlang des Restaurants und den verschiedenen Salons erstreckte. Bei schönem Wetter wurde das Essen hier draußen serviert. Von seinem Platz aus konnte er all das Geschehen beobachten.

Das Haus war nicht mehr sehr belegt, die Nachsaison hatte begonnen und die meisten Urlauber waren bereits abgereist. Medernach sah, wie ein englisches Ehepaar zu einem Tisch geleitet wurde. Wenigstens war er der Meinung, dass es sich um Engländer handeln müsste, kurze Hosen, Kniestrümpfe, ein ungebügeltes Hemd und dazu Sandalen deuteten darauf hin. Der Mann hatte einen beträchtlichen Bauchumfang. Seine Kopfhaut hatte auch schon bessere Zeiten erlebt, denn die wenigen Haare boten ihr fast keinen Schutz mehr vor den Sonnenstrahlen. Die wulstigen Lippen und die buschigen Augenbrauen verliehen ihm ein eher unfreundliches Aussehen. Seine Frau unterschied sich von den Körpermaßen nur wenig von ihm. Ein zerknittertes hemdartiges Kleid mit fünf Knöpfen und weiße Socken verhüllten ihren Körper.

Medernach dachte einen Augenblick an die Zeilen auf seinem Schreibtisch: „Wir bitten um gepflegte Kleidung zu den Mahlzeiten.“ Die Auslegung dieser Worte ist nun einmal sehr individuell, dachte er sich. Beim Eintreten des nächsten Paares vernahm er bekannte Laute. Der Oberkellner begrüßte mit einem herzlichen „bonsoir“ das elegant gekleidete Paar. Die beiden schienen schon länger im Hause zu weilen, denn man sprach sie mit ihrem Namen an. Monsieur et Madame Delacroix, hörte er und schloss daraus, dass es sich um Franzosen handelte. Diese Beiden unterschieden sich rein äußerlich wohltuend von dem ersten Paar.

Wenig später trat eine ältere Frau auf den Balkon, eine nicht gerade attraktive Erscheinung aber sie war korrekt gekleidet und trug eine Tasche unter dem Arm. Medernach hatte noch nie eine so dürre Frau gesehen. In Luxemburg würde man sagen, ‚nur Haut an Schank‘. Sie sprach den Oberkellner in Italienisch an. Er lächelte freundlich und begleitete auch sie zu einem Tisch.

Medernach hatte zwischenzeitlich seinen Aperitif erhalten, Campari Orange, sein Lieblingsaperitif, dazu Brot und Butter. Das Brot hatte es ihm angetan. Es war mit Oliven und Rosmarin gewürzt, einfach phantastisch, dachte er bei sich. Weshalb kommt man bei uns nicht auf die Idee? Er hatte in Luxemburg noch nirgendwo so ein Brot gesehen, geschweige denn gegessen.

Während er seinen Aperitif genoss, schweifte sein Blick über die Balustrade hinaus aufs Meer. Er sah die Yachten zurück in den Hafen fahren und die Möwen und Tauben über die jetzt verlassenen Badeplätze kreisen, in der Hoffnung, liegen gebliebene Krümel zu finden. Die Sonne versank langsam hinter den Hügeln, die sich westlich von Santa Margherita in Richtung Portofino erstreckten. Die orange, gelb, rot und blau gestrichenen Häuser, die den Hafen perlschnurartig umgaben warfen das spärliche Sonnenlicht zurück. Beständig vernahm man das leise Dröhnen der Schiffs- und Bootsmotoren. Das war ein Teil des hiesigen Flairs. Ja, hier konnte man es durchaus aushalten, so es das Portemonnaie zulässt.

Das Essen war einfach köstlich und der Chianti ein Genuss. Eine leichte Müdigkeit befiel ihn nun und er ging auf sein Zimmer.

Das Zimmermädchen hatte zwischenzeitlich die Fensterläden geschlossen und die Klimaanlage reduziert.

Die angenehme Temperatur und die Dunkelheit hatten ihn gut schlafen lassen. Als Medernach am nächsten Morgen auf die Uhr sah erschrak er beinahe. Zehn Uhr war es inzwischen. Jetzt hörte er den Straßenlärm. Schnell stand er auf, duschte und beeilte sich noch etwas zum Frühstück zu bekommen. Er konnte sich erinnern, dass das Frühstück nur bis 10 Uhr 30 gereicht wurde.

Für den heutigen Vormittag hatte er sich vorgenommen den Garten zu besichtigen. Nachdem er gestern den ganzen Tag verschlafen hatte, wollte er anschließend hinunter an das Meer. Die lange Fahrt mit der Bahn und die letzten Tage vor seiner Pensionierung hatten ihn doch etwas mitgenommen.

Henri Medernach verließ nach dem Frühstück das Hotel und überquerte den Vorplatz. Er ging auf eine kleine Brücke zu, die die Straße überspannte und über die man in den wunderschönen Garten des Hotels gelangte.

Er zählte die Stufen hinunter zum Meer. 146 hatte er gezählt als er unten angelangt war.

Sofort kam ein junger Mann auf ihn zu. Quer über seinem T-Shirt konnte er den Schriftzug

SALVATAGGIO lesen. Der junge Mann lächelte freundlich und sprach Medernach auf Englisch an.

„Möchten Sie einen Liegestuhl und einen Schirm, Mister?“

Medernach sprach mehrere Sprachen und so konnte er dem jungen Mann auch sofort antworten. Ohne zu übertreiben durfte er von sich behaupten ein Sprachgenie zu sein. Neben englisch, deutsch, französisch und italienisch konnte er auch noch etwas spanisch, niederländisch und schwedisch sprechen. „Ja, vielen Dank, einen Liegestuhl nehme ich sehr gerne und bei diesem herrlichen Wetter dürfte ein Sonnenschirm genau das Richtige für mich sein.“

Der junge Mann kehrte nach wenigen Minuten mit einer Liege und einem Sonnenschirm zurück. Auch legte er Henri ein Badetuch über die Liege. Genüsslich legte Henri sich nieder und schloss die Augen. Er lauschte auf die Stimmen um sich herum und ließ sich von seinen Gedanken treiben.

Medernach lag unter seinem Sonnenschirm und döste vor sich hin als er die unangenehme Stimme des Engländers vom gestrigen Abend vernahm.

„Meine Liege und Sonnenschirm!“ rief er dem jungen Mann zu. Von Höflichkeit war keine Spur und er schien auch nichts hinzufügen zu wollen.

Ohne eine Regung des Unmutes zu zeigen, rückte der so Angesprochene zwei Liegen zurecht, da die Frau des Engländers ihn begleitete, brachte den gewünschten Sonnenschirm und zwei Badetücher. Dann entfernte er sich mit einem höflichen: „Bitte schön, mein Herr.“

Medernach sah aus den Augenwinkeln, wie sich der stark übergewichtige Mann auf seine Liege fallen ließ. Er unterhielt sich mit seiner Frau in einer Lautstärke, dass Medernach gezwungen war dem Gespräch der Beiden zu folgen.

„Sollen wir es morgen dann erledigen?“ fragte die Frau.

„Es dürfte noch etwas zu früh dafür sein, wir sollten noch ein wenig warten.“

„Aber zu lange wäre schlecht, man kann nie wissen wie lange sie noch hier bleibt.“ Seine Frau hatte sich aus ihrem Liegestuhl erhoben und wartete auf eine Reaktion ihres Mannes. Der dachte überhaupt nicht daran, eine Antwort zu geben. Stattdessen drehte er sich um, wandte ihr den Rücken zu und blickte hinauf zum Hotel.

So war der Engländer der Erste, der Frau Pellini die Treppe herunter kommen sah. Er wandte sich seiner Frau zu und sagte: „Die Salattante kommt auch wieder, es dauert bestimmt nicht mehr lange, dann fällt sie vor lauter Schwäche die Treppen herunter.“

„Vielleicht solltest du auch etwas mehr Salat essen, dann würden dir die Hosen besser passen und die Knöpfe nicht immer von deinem Hemd abreißen.“ antwortete seine Frau.

Medernach sah nun zur Treppe. Er erkannte die Dame von gestern Abend sofort. Sie ist noch etwas dünner geworden, war sein erster Gedanke. Zwar hatten die beiden recht, was die Figur der Frau Pellini betraf aber Medernach fand ihre Bemerkungen dennoch unpassend.

„Du solltest den Mund nicht zu voll nehmen,“ fuhr der Engländer fort „dein Gewicht dürfte auch nicht gerade das einer Primaballerina sein.“

„Sie kommt!“ sagte die Engländerin jetzt zu ihrem Mann und beendete damit die Gewichtsdiskussion.

„Jetzt solltest du mit ihr sprechen, die Chancen stehen nicht schlecht. Wenn du ihr das Ganze überzeugend vorträgst, könnte es klappen.“

„Du hast wirklich keine Geduld. Man kann doch nicht nach drei Tagen schon damit anfangen! Wir sollten Sie vielleicht erst einmal zufällig ansprechen und langsam den Kontakt aufbauen.“ antwortete er, legte sich bequem auf die Liege und ließ sich die unerbittliche Sonne auf den prallen Bauch scheinen.

Medernach sah eine junge Frau die Treppe zum Badeplateau herunter kommen. Die Frau war etwa Ende zwanzig. Sie hatte langes blondes Haar, trug einen gelben Badeanzug und ein ebenfalls gelbes Tuch um die Hüften gewickelt. Ihm waren auch die beiden großen Perlen nicht entgangen, die sie als Ohrringe trug. Medernach kannte sich mit Schmuck aus und taxierte das Paar auf ungefähr zwanzigtausend Euro.

Damit könnte man hier im Hotel mindestens sechs Wochen gut leben, dachte er sich.

Der Bademeister war auf die Frau zugegangen und wies auf die Liege neben Medernach. Sie akzeptierte und kam mit eleganten Bewegungen auf ihn zu.

„Guten Tag!“ sagte sie höflich zu Medernach als sie ihre Tasche auf die Liege neben ihn legte.

„Guten Tag!“ antwortete er und stellte sich vor.

"Medernach, Henri Medernach aus Luxemburg."

„Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich heiße Hartung, Clara Hartung aus München.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“ erwiderte Medernach und meinte es aufrichtig. Clara Hartung war eine bemerkenswert schöne Frau.

Sie holte die Sonnencreme aus ihrer Tasche, cremte sich die Beine und Arme ein und legte sich dann auf die Liege.

Lange ist sie noch nicht hier, dachte Medernach, denn ihre Haut war noch sehr blass. Sein kriminalistischer Blick hatte ihm auch bereits verraten, dass die Frau dunkelhaarig war und sich nur blond gefärbt hatte.

Etwas später waren dann auch Monsieur und Madame Delacroix aufgetaucht. Jetzt hatten sich beinahe alle Gäste, die er gestern Abend im Restaurant gesehen hatte hier auf dem Badeplateau versammelt.

Es wurde wenig gesprochen. Hin und wieder ging jemand zu den Duschen oder sprang ins Meer um sich etwas abzukühlen. Der etwa fünfzehn Meter höher gelegene Pool wurde nur wenig genutzt. Auch die darum herum erbauten Kabinen standen zumeist leer. Zwischen Schwimmbad und Badeplateau befand sich das Restaurant "Le Vele". Von dort kamen immer wieder Kellner und brachten den Gästen die bestellten Getränke. Medernach hatte sich eine Flasche Wasser bringen lassen. Er verspürte am Mittag Hunger und ging in das Restaurant. Man zeigte ihm einen Tisch und er entschied sich für das reichhaltige Buffet.

Es dauerte nicht sehr lang, da kam auch Clara Hartung die 38 Stufen zum Restaurant herauf. Der Oberkellner empfing sie mit freundlichen Worten, die Medernach allerdings wegen der Entfernung nicht verstehen konnte. Dann zeigte er auf einen schön gelegenen Tisch. Clara schüttelte den Kopf und zeigte mit der Hand auf Medernach. Sie kam langsam auf ihn zu.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“ fragte sie mit einem bezaubernden Lächeln auf den Lippen.

„Im Gegenteil, Frau Hartung.“ erwiderte er und hatte das Gefühl, etwas rot geworden zu sein.

„Fräulein, nicht Frau“ sagte sie „und nennen Sie mich doch einfach Clara. Ich halte nichts von diesen Förmlichkeiten.“

„Dann muss ich aber auch auf Henri bestehen. Sie erstaunen mich, dass Sie auf das Fräulein Wert legen. Ich hatte den Eindruck, dass in Deutschland die Fräulein in den letzten Jahren ausgestorben sind. Selbst kleine Mädchen werden schon mit Frau angesprochen.“

„Sie haben recht Henri, ich finde es höchst merkwürdig, wie man damit in Deutschland umgeht. Ich für mein Teil lege Wert darauf als Fräulein angesprochen zu werden.“

„Sind Sie schon länger hier im Hotel?“ Henri Medernach wollte einerseits etwas Konversation treiben andererseits aber auch seine Neugierde stillen und feststellen ob seine Vermutung der Wahrheit entsprach.

„Oh nein, seit drei Tagen, ich hatte zuvor einige Tage in Ascona zu tun.“

„Ascona, Santa Margherita, Sie halten sich wohl nur in den schönsten Gegenden auf?“

Clara lachte, schüttelte ihren Kopf und meinte: „Das sieht nur auf den ersten Blick so aus. Ich bin die meiste Zeit über in München.“

„Auch eine schöne Stadt.“ erwiderte Medernach und beide lachten.

„Jetzt machen Sie aber bestimmt einige Tage Urlaub?“

„Ja, einige Tage wollte ich mir hier gönnen.“ Clara zeigte dabei auf das Meer, den Park und das Hotel.

„Es ist schon ein herrliches Fleckchen Land.“ meinte Henri und fuhr fort: „Ich habe mir den Urlaub zur Pensionierung geschenkt. So einen Urlaub kann ich mir nicht immer leisten.“

„Was haben Sie denn in Ihrem Berufsleben gemacht, Henri?“

„Ich war dreißig Jahre lang bei der Kriminalpolizei in Luxemburg. Als Leiter der Mordkommission habe ich so viel Schlimmes gesehen, dass ich mir jetzt einmal etwas Schönes und Erholsames leisten will.“

„Mordkommission, das muss doch bestimmt aufregend sein.“

„Vielleicht war es das am Anfang, später aber bestimmt nicht mehr. Man wird gleichgültig, ja sogar beinahe abgestumpft. Hin und wieder hatte ich so genug davon, dass ich alles hinschmeißen, nur noch den gerade anstehenden Fall lösen und danach aufhören wollte. Dann passierte der nächste Mord und ich nahm mir erneut vor, nach seiner Auflösung aber endgültig aufzuhören und so ging es immer weiter und weiter.“

„Gab es so viele Morde in Luxemburg? Das Land ist doch so klein.“

„Vielleicht nicht so viele wie in den Nachbarstaaten, aber Morde kamen schon vor.“ Henri Medernach schien nachzudenken. Es hatte den Anschein als ging er in Gedanken alle Mordfälle, die er in seinem Leben bearbeitet hatte durch. Dann sagte er zu Clara:

„Lassen Sie uns von etwas Angenehmeren sprechen als von Morden.“

Clara stimmte zu und sie unterhielten sich über das Wetter, die Menschen im Allgemeinen und die wunderschöne Landschaft, als das englische Ehepaar ebenfalls das Restaurant betrat.

„Schau, sie hat eine Bekanntschaft gemacht. Jetzt hast du bestimmt keine Gelegenheit mehr mit ihr zu sprechen.“ Frau Paddington, so war ihr Name, sah dabei ihren Mann vorwurfsvoll an.

„Ich habe dir gesagt sprich sie sofort an, aber nein, du musst ja immer deinen Kopf durchsetzen.“

Paddington kratzte sich am Bauch und tat so, als habe er die Worte seiner Frau nicht gehört. Er sah sich die Boote und die riesigen Yachten an, die sich ihren Weg in den Golf von Tugullio nach Richtung Portofino bahnten.

„Clara, du hier?“ Ein Mann etwa um die vierzig war in Begleitung einer gleichaltrigen Frau an den Tisch von Clara und Medernach getreten. Clara drehte sich um und blickte dem Mann in die Augen. Sie lächelte und begrüßte das Paar.

Medernach hatte den Eindruck, dass es etwas gezwungen war.

„Hallo Peter, Hallo Sarah, auch wieder im Imperiale?“

„Ja, wir wollen ein paar Tage hier verweilen. Wir kommen gerade aus Rom. Peter hatte dort zu tun und ich dachte, es wäre eine gute Gelegenheit etwas Shopping zu machen.“ Sarah zeigte dabei auf ihren, wahrscheinlich neuen Badeanzug und auf den Pareo, den sie lässig um die Hüften gewickelt hatte.

„Darf ich euch Herrn Medernach vorstellen. Henri, das sind Peter und Sarah Krollmayer aus München. Peter ist ein begnadeter Ingenieur und hat schon viele neue Dinge entwickelt und gebaut. Wir kennen uns schon seit Jahren. Ist es nicht so, Peter?“

Clara hatte dabei einen leichten Unterton in ihrer Stimme.

„Oh ja, seit Jahren.“ wiederholte der Angesprochene und fuhr fort „Bleibst du länger in Santa Margherita, Clara?“

„Ich hatte vor, zwei Wochen zu bleiben. Seit dem Tod von Vater muss ich mich um die Geschäfte kümmern. Deshalb geht es leider nicht länger.“

„Dann amüsiert euch gut, wir werden uns bestimmt noch öfter sehen.“ sagte Peter und beide verabschiedeten sich und gingen zum Schwimmbad.

„Ein unangenehmes Paar, diese Krollmayers. Entweder sie erzählt von ihren Einkäufen oder er jammert über die schlecht gehenden Geschäfte. Ich habe manchmal den Eindruck, sie verfolgen mich. Ständig begegne ich ihnen.“

Clara schien wirklich wenig erfreut zu sein, Sarah und Peter hier zu treffen.

Paddington hatte sich genau wie Medernach für das Buffet entschieden und war schon zum wiederholten Mal mit einem reichlich gefüllten Teller zurückgekehrt.

„Wenn du sie heute nicht ansprichst dann könnte es zu spät sein. Wenn sie den Vertrag erst unterschrieben hat sind wir ruiniert.“

Alice Paddington sah ihren Mann an und wartete auf seine Antwort.

„Sie hat doch gar keine Ahnung. Es sind ihre Mitarbeiter oder Geschäftsführer, die uns die Probleme bereiten.“

„Stimmt,“ erwiderte Alice „aber Sie muss unterschreiben. Nur Sie kann uns gefährlich werden. Also, heute Abend muss es sein.“ Alice widmete sich ihrem Teller, genauer gesagt all den Speisen mit denen sie ihn gefüllt hatte.

Ligurischer Urlaub

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