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Kapitel 3

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Nach dem Umzug am Sonntag war Ewen froh, dass die Filets Bleus vorbei waren. Auch der Nachmittag in Concarneau ging dem Ende entgegen. Für Ewen waren die Filets Bleus damit hoffentlich für einige Jahre kein Gesprächsthema mehr.

„Ewen, ich würde ganz gerne mit dir eine Kleinigkeit essen gehen. Dann müssen wir zu Hause nicht kochen.“

„Das können wir gerne machen“, meinte Ewen.

„Wohin sollen wir gehen? Hier in Concarneau?“

„Ich habe in der Zeitung von einem neuen kleinen Restaurant gelesen, dass vor vier Wochen in Pont Aven aufgemacht hat. Es ist ja nicht weit bis nach Pont Aven. Vielleicht können wir das ausprobieren.“

„Das lässt sich machen. Muss man dort reservieren?“ Ewen war schon des Öfteren ohne Reservierung in ein neues Restaurant gegangen und musste dann enttäuscht und hungrig weitergehen, weil alle Tische bereits besetzt waren.

„Lass uns sicherheitshalber anrufen. Hast du die Nummer dabei?“

Carla nickte und suchte in ihrer Handtasche nach dem Zeitungsausschnitt aus dem Ouest France, den sie ausgeschnitten und sicherheitshalber eingesteckt hatte.

„Hier Liebster, das Restaurant heißt Cheminées d´antan und liegt in der rue des Meunier, in Pont Aven.“ Sie gab Ewen die Telefonnummer.

Ewen rief an und ließ den letzten Tisch für sie reservieren.

„Wie gut, dass ich angerufen habe“, meinte Ewen.

Es dauerte nicht lange, bis sie in Pont Aven angekommen waren. Sie fanden einen Parkplatz direkt vor dem Restaurant. Ewen und Carla stiegen aus und gingen auf das Haus zu, aus massivem Granit gebaut. Die kleinen braunen Fensterrahmen passten gut zu den grauen Mauern des alten Gebäudes. Sie traten ein. Obwohl Ewen mit seinen 1,76 m nicht gerade groß war, musste er sich doch etwas bücken, um nicht mit dem Kopf an den Türrahmen zu stoßen.

Der junge Besitzer, der auch der Koch war, kam ihnen entgegen und fragte nach ihrem Namen. Das Restaurant war ausgebucht. Ewen konnte den Grund schnell erkennen. Es gab nur sechs Tische in dem Restaurant, und wenn er richtig gezählt hatte, standen insgesamt nur 18 Sitzplätze zur Verfügung. Sie wurden zu einem kleinen Tisch in der Nähe des Fensters geleitet und nahmen dort Platz. Der Besitzer brachte ihnen die Speisekarte und nannte die heutigen Frischfischangebote, dann ließ er ihnen Zeit zur Auswahl.

Ewen sah sich um. Das Lokal war etwas spartanisch ausgestattet und erweckte nicht den Eindruck eines luxuriösen Speiselokals. Ewen ließ sich überraschen was die Küche zu bieten hatte. Die Speisekarte war nicht umfangreich, was ja durchaus ein Qualitätsmerkmal war und darauf hindeutete, dass die Küche nur Frisches verarbeitete. Die Bedienung trat an ihren Tisch und fragte nach ihrer Wahl. Carla hatte sich für die Encornets als Vorspeise entschieden und Ewen für die Foie Gras Maison. Danach wählte Carla eine Dorade und Ewen ein Filet de Boeuf.

Carla wollte etwas mehr über das neueröffnete Restaurant erfahren und fragte die Bedienung:

„War dieses Gebäude schon immer ein Restaurant?“

Die Dame schmunzelte.

„Oh nein, vor dem Krieg ist es ein Bordell gewesen. Als der Krieg dann vorbei gewesen ist, hat es jemand gekauft und zu einer Bar mit kleinem Restaurant umgebaut. Als das Restaurant Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts aufgegeben worden ist, hat sich niemand mehr um das Haus gekümmert, und es ist verfallen. Können Sie sich vorstellen, dass sogar Bäume hier drinnen gewachsen sind? Dann ist das Haus wieder gekauft und in den späten Achtzigern erneut zu einem Restaurant umgebaut worden. Das kleine Restaurant ist ganz gut gelaufen, aber auch der neue Besitzer hat es vor einigen Jahren aufgeben müssen.

Nun hat der junge Monsieur Kergoat das Haus gemietet und sein erstes Restaurant eröffnet. Seit zwei Monaten sind wir jetzt hier und das Restaurant ist jeden Tag ausgebucht.“

Carla bedankte sich für die ausführlichen Informationen. Sie warteten gespannt auf das Essen.

Zusammen mit den Getränken brachte die Bedienung auch ein Tellerchen mit Butter und einen Korb mit Brot.

„Das Brot ist nach einem alten Hausrezept selbst gebacken“, fügte sie mit gewissem Stolz hinzu.

Carla und Ewen stellten sofort fest, dass es ganz ausgezeichnet schmeckte. Von ihrer Vorspeise waren sie auch äußerst zufrieden. Sowohl die Encornets als auch die Foie Gras schmeckten ausgezeichnet. Nach dem genauso hervorragenden Hauptgang waren sie begeistert und würden das kleine Restaurant jederzeit weiterempfehlen.

So hatte der Besuch der Filets Bleus für Ewen noch ein überaus angenehmes Ende gefunden.

Am Montagmorgen, als Ewen Kerber im Kommissariat in Quimper eintraf, saß sein Kollege Paul Chevrier schon an seinem Schreibtisch. Er las gerade den Bericht, den Dustin Goarant, der Leiter der Spurensicherung, erstellt hatte und sah sich das Ergebnis der Obduktion an, die Yannick Detru geschickt hatte.

„Guten Morgen, Ewen, wir kommen langsam voran mit unserem neuen Fall. Ich habe am Samstag noch nach dem Wagen von Alain de Rochefort fahnden lassen. Er fährt immer noch denselben Wagen. Wir haben seinen Peugeot 806 auf dem Parkplatz gegenüber der Ville Close gefunden. Dustin ist noch dabei den Wagen zu untersuchen. In Dustins Bericht habe ich den Hinweis auf einen Notizzettel gefunden, den er im Jackett des toten de Rochefort gefunden hat. Ich habe ihn mir angesehen. Auf dem Zettel stehen Buchstaben und Zahlen in unverständlicher Anordnung hinter- und untereinandergeschrieben. Wir haben dem Papier noch keinen Sinn zuordnen können.“

Paul reichte Ewen den Zettel, der in einer kleinen Plastiktüte steckte.

MD, jf

12 MJ M

14 PG

14 SB

12 CR

„Schon etwas seltsam. Alle Zeilen fangen mit zwei Ziffern an, gefolgt von jeweils zwei Buchstaben. Nur in der ersten Zeile sind es drei Buchstaben. Wir sollten es den Kollegen von der Entschlüsselungsabteilung geben. Es könnte sich ja um einen Code handeln oder um eine verschlüsselte Nachricht. Ich kann daraus nichts herauslesen.“ Ewen betrachtete die Notiz aufmerksam.

„Es geht mir auch so. Man hat auch noch sein Portemonnaie, samt dem darin enthaltenen Geld, seinen Schlüsselbund und sein Handy gefunden. In seinem Portemonnaie waren über 600 Euro. Einen Raubmord können wir also ausschließen. Weiterhin hat Dustin eine Quittung aus der Crêperie gefunden, die er vor seinem Tod besucht hat, was uns die zwei Amerikaner bereits bestätigt haben.

Yannick hat uns mitgeteilt, dass de Rochefort mit einer 7,65 mm Pistole erschossen worden ist. Die Kugel hat ihn aus sehr kurzer Entfernung getroffen. Der Schuss ist direkt ins Herz gegangen und sofort tödlich gewesen. Er hat auch kleinere Schmauchspuren entdecken können. Andere Verletzungen hat er nicht gefunden.

Dustin versucht bereits, an Hand des Projektils zu klären, ob die Waffe in unserer Datei zu finden ist. Dustin tippt auf eine Beretta. Am Tatort hat er die dazugehörige Patronenhülse gefunden. Die Waffe muss schon öfter benutzt worden sein, denn sie zeigt starke Abnutzungserscheinungen im Lauf auf, die an dem Projektil sichtbar sind. Damit dürfte es einfach sein, die Waffe zu identifizieren. Dustin geht übrigens davon aus, dass ein Schalldämpfer benutzt worden ist, daher die nur geringen Schmauchspuren. Das Handy habe ich an Gallic gegeben, damit er es sich genau ansieht.“

„Das ist ja schon eine ganze Menge an Informationen. Lass uns doch das alles drüben in meinem Büro an der Pinnwand markieren, dann haben wir eine bessere Übersicht.“

Paul folgte Ewen in sein Büro, dort hefteten sie die gefundenen Beweisstücke unter die Tatortbilder. Auch die zwei Bilder, die das junge amerikanische Paar ihnen zur Verfügung gestellt hatte, hefteten sie an die Wand. Ewen sah sich die Kopie des Notizzettels an. Das Original hatte Paul in die Akte gelegt und eine zweite Kopie an die Dekryptierabteilung gegeben.

MD, jf

12 MJ M

14 PG

14 SB

12 CR

Was bedeuteten die Buchstaben und Ziffern? Lag hier der Schlüssel zur Lösung ihres Falles? Ewen überlegte, welche Bedeutung sie diesem Zettel geben sollten. Natürlich könnte es sich um einen einfachen Notizzettel handeln, den de Rochefort vielleicht schon vor längerer Zeit erstellt hatte, um sich irgendetwas merken zu können. Der Mann war Staatssekretär im Verteidigungsministerium gewesen, da konnte doch das MD für Ministère de Défense stehen. Das schien ihm plausibel zu sein. Damit würden sie aber im Augenblick nicht weiterkommen. Er widmete sich den anderen Beweisstücken. Er sah sich das Foto genauer an, dass das amerikanische Ehepaar aufgenommen hatte.

„Paul, habt ihr bereits klären können, wer der zweite Mann auf dem Bild ist?“

„Nein, noch nicht. Wir sind aber dran. Ein Bildvergleich mit unserer Datenbank hat bisher noch keine Übereinstimmung ergeben. Wir suchen weiter.“

„Wir sollten uns die Wohnung von de Rochefort ansehen.“

„Toll, dann auf nach Paris. Nourilly wird sich sicherlich über den Reiseantrag freuen.“ Paul lächelte verschmitzt und sah Ewen an.

„Der wird sich natürlich nicht freuen, aber wir können nicht alles unserem Kollegen, Jean-Paul Claude, in Paris überlassen. Haben wir überhaupt die Adresse von de Rochefort?“

„Ich habe bereits um die Beschaffung gebeten, ich habe sie noch nicht erhalten. Ich frage nach, ob die Sekretärin sie schon kennt. Wie war übrigens dein Wochenende, der Besuch der Filets Bleus?“

„Ach, im Großen und Ganzen ganz nett. Es ist Carla hauptsächlich um ihre Tochter gegangen. Diese Menschenmassen sind einfach nichts für mich.“

„Solche Massenveranstaltungen versuche ich auch zu meiden wo ich nur kann“, meinte Paul.

„Wenn du in der Politik arbeiten würdest, dann müsstest du solche Events nutzen, um gesehen zu werden. Am Samstag ist eine ganze Reihe von Politikern in der Ville Close gewesen. Ich habe drei sogar selber gesehen, als ich nach der Tatortbesichtigung wieder die Ville Close verlasen habe. Da sind die Abgeordneten von der UMP, der PS und sogar von den Grünen vertreten gewesen. Es finden ja demnächst wieder Wahlen statt. Meinst du, dass de Rochefort aus diesem Grund hier in Concarneau gewesen sein könnte?“

„Kann ich nicht sagen, für mein Gefühl ist es keine gute Visitenkarte, sich mit einem vorbestraften Staatssekretär zu zeigen. Sein Aufenthalt muss einen anderen Grund gehabt haben. Ich werde zu Dustin gehen, vielleicht hat er im Wagen schon etwas gefunden, gehst du mit?“

„Natürlich, falls es etwas Neues gibt, will ich es wissen.“

Paul und Ewen gingen in die große Halle, in der Dustin damit beschäftigt war, das Fahrzeug des ehemaligen Staatssekretärs zu untersuchen.

„Ihr habt es wohl sehr eilig, wenn ihr hier persönlich erscheint.“

„Dustin, du solltest doch wissen, dass wir ohne deine ausgezeichnete Arbeit keinen einzigen Fall lösen würden!“

„Das musste ja mal gesagt werden“, meinte Dustin und grinste. Also, ich kann euch schon einmal verraten, dass wir in dem Wagen nichts von Bedeutung gefunden haben. Im Handschuhfach haben wir lediglich diese kleine Liste gefunden, mit den Kandidaten der PS für die nächsten Wahlen. Sie enthält die Adressen von sechs Leuten, die sich für ein Abgeordnetenmandat für Concarneau beworben haben. Vielleicht hat de Rochefort die Kandidaten aufsuchen wollen. Dann habe ich noch den Strafzettel gefunden, der auch im Handschuhfach gelegen hat. Demnach hat de Rochefort längere Zeit auf dem Parkplatz am Place Duquesne in der Passage Lanriec gestanden und nicht bezahlt.“

„Diese Information ist durchaus wichtig“, meinte Ewen. „Es könnte doch sein, dass er von dort aus mit der Fähre in die Ville Close gefahren ist.“

„Das kann nicht sein, Ewen“, schaltete Paul sich in das Gespräch ein.

„Wir haben seinen Wagen gegenüber der Ville Close gefunden.“

„Stimmt, das hast du mir schon gesagt, als ich heute Morgen eingetroffen bin.“

„Nun gut, das ist dann wirklich nicht so viel, Dustin, ich habe gehofft, dass wir etwas mehr erfahren würden. Danke jedenfalls, bis demnächst.“

Ewen und Paul verabschiedeten sich von Dustin und gingen wieder in ihr Büro.

Paul kümmerte sich sofort um die Adresse von de Rochefort. Es dauerte auch gar nicht lange, bis er sie in Händen hielt. Sein Erstaunen war groß. Er stand von seinem Schreibtisch auf und ging ins Büro von Ewen.

„Ich habe eine traurige Nachricht für dich, Ewen“, meinte er, als er ins Büro trat.

„Wir können nicht nach Paris fahren.“

„Warum denn das? Hast du Nourilly bereits gefragt?“

Nourilly, der OPJ, war er der Chef der police judiciaire. Ewen war der Meinung, dass diese Officiers de police judiciaire, im Zuge der Sparmaßnahmen die die Regierung plante, abgeschafft werden könnten, ohne einen Verlust der Polizeiarbeit befürchten zu müssen. In seinen Augen bestand die Hauptaufgabe von Robert Nourilly, dem OPJ, vorwiegend darin, Pressekonferenzen einzuberufen, zu denen er Ewen jedes Mal hinzubat.

„Nein, Ewen, ich habe soeben die Adresse von Alain de Rochefort erhalten. Er hat seinen Wohnsitz in Paris in einen Zweitwohnsitz verwandelt und ist nach…“, Paul machte eine Kunstpause, um Ewen raten zu lassen.

„Nach Concarneau gezogen?“

„Stimmt genau, er hat seinen Erstwohnsitz hierher nach Concarneau verlegt. Er wohnt am Place Duquesne, in der Passage Lanriec. Deswegen auch der Strafzettel dort. Wahrscheinlich hat sein Wagen mehrere Tage auf dem Parkplatz gestanden. Seine Wohnung liegt genau gegenüber der Ville Close.“

„Dann lass uns sofort nach Concarneau, beziehungsweise zur Passage Lanriec fahren, und uns die Wohnung ansehen. Seit wann wohnt er denn dort?“

„Der Abmeldung von Paris ist zu entnehmen, dass er bereits vor vier Wochen weggezogen ist.“

„Mal sehen, was uns dort erwartet.“

Tod in der Ville Close

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