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Kapitel 4

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Es war später Nachmittag und der Feierabend rückte näher. Ewen Kerber saß an seinem Schreibtisch im Kommissariat von Quimper und betrachtete das Bild seiner Frau Carla. Es war jetzt schon mehr als zwei Jahre her, dass er Carla Rozier geheiratet hatte. Für Ewen waren es zwei wundervolle Jahre gewesen und er hoffte, dass noch viele folgen würden. Die alten Probleme, die Carla das Leben schwer gemacht hatten, waren beseitigt, und ihre Tochter Marie hatte die psychische Belastung der Vergewaltigung überwunden. Wenigstens schien es, als sei diese Episode beendet.

Er hatte den Fall zu einem Abschluss bringen können, sozusagen ein Abfallprodukt des letzten Mordfalles. Den letzten Fall hatte er, gemeinsam mit seinem Freund, Henri Medernach, einem ehemaligen Polizeikommissar aus Luxemburg gelöst, der bereits seit einigen Jahren pensioniert war.

Es ging damals um die Ermordung eines Geheimagenten und das Ausheben einer Fälscherwerkstatt. Henri Medernach war es, der ihm den entscheidenden Tipp gegeben hatte, und der schlussendlich zum Abschluss des Falles geführt hatte.

Das Telefon klingelte, sein Kollege Paul Chevrier rief an.

„Ewen, wir haben einen neuen Fall. Ein Passant hat am Ufer des Steïr, in der Nähe des Boulevard du Moulin au Duc, eine Frauenleiche gefunden. Yannick und Dustin sind bereits auf dem Weg zur Fundstelle.“

Yannick Detru, der Pathologe und Dustin Goarant von der Spurensicherung waren schon seit Jahren ein eingespieltes Team, und Ewen wusste, dass er sich auf die zwei Kollegen absolut verlassen konnte.

„Du kannst schon mal zum Wagen gehen, ich komme sofort nach“, sagte Ewen zu seinem Kollegen und legte den Hörer auf. Er zog sein Jackett an, das er lässig über die Stuhllehne des Besuchersessels gelegt hatte und ging hinunter auf den Parkplatz zu seinem Kollegen Paul. Gemeinsam fuhren sie die kurze Strecke zum Steïr.

Der Steïr ist ein kleiner Nebenfluss des Odet, der durch einen Teil der Innenstadt fließt, bevor er in den Odet mündet. Am Ufer des Steïr hat der, regelmäßig mittwochs und samstags dort stattfindende, Markt, seit Jahren schon seinen festen Platz gefunden. Die Stadt hat das neue Kino am nördlich gelegenen Ende des Gebietes errichtet und einen großen Parkplatz für die Kino- und Marktbesucher angelegt. Die Wege entlang des Steïr sind erneuert worden, zum Teil sogar neu angelegt, die Böschungen frisch gestaltet und ein Kinderspielplatz eingerichtet. Jetzt wird die einst so triste Gegend von zahlreichen Joggern und Spaziergängern besucht und der Kinderspielplatz ist gut frequentiert.

Als die beiden Kommissare auf dem Parkplatz, am Ende des Boulevard du Moulin au Duc, angekommen waren, konnten sie die Polizeifahrzeuge und die weitläufige Absperrung sehen, die die Kollegen bereits angebracht hatten. Der Parkplatz war wegen des Marktes gut gefüllt. Sie stellten ihren Wagen hinter den anderen Einsatzfahrzeugen ab.

Ewen Kerber ging unter der Absperrung hindurch und trat zu Yannick Detru, der noch mit der Untersuchung der Leiche beschäftigt war.

„Kannst du mir schon etwas sagen, Yannick?“

„Die Frau ist vor ungefähr drei Stunden ermordet worden. An ihrem Hals sind deutliche Würgemale zu erkennen. Sie hat auch eine Kopfverletzung, die von einem stumpfen Gegenstand herrührt. Diese Verletzung ist aber nicht tödlich gewesen. Unter ihren Fingernägeln haben wir etwas Blut gefunden, vielleicht stammt es von ihrem Mörder. Alles Weitere nach der Obduktion.“

Ewen Kerber sah die Leiche an. Er sah in das Gesicht einer jungen, sehr schönen Frau. Ihre Kleidung war eher durchschnittlich aber mit einem gewissen Chic. Er sah, dass die Bluse der Frau zerrissen war, so als hätte man versucht, sie ihr herunterzureißen.

„Ist die Frau vergewaltigt worden?“

„Das kann ich dir noch nicht sagen, Ewen. Wie schon gesagt, alles Weitere nach der Obduktion.“ Damit erhob sich Yannick Detru und verließ den Tatort.

Ewen sah sich weiter um. Neben der Leiche lag ihre Handtasche.

„Dustin, hast du die Handtasche schon auf Spuren untersucht?“, fragte Kerber seinen Kollegen Goarant, der mit der Spurensicherung beschäftigt war.

„Du kannst die Tasche ruhig in die Hand nehmen, Ewen, ich habe sie mir schon angesehen. Ihre Papiere und die Geldbörse habe ich hier.“ Dustin zeigte zwei Plastiktütchen mit den erwähnten Inhalten.

Ewen ging zu Dustin und nahm die Tüte mit dem Ausweis in die Hand.

„Germaine Kerivel“ las er und stellte fest, dass sie aus Morlaix stammte. Er betrachtete das Bild auf dem Ausweis und sah dann auf das Gesicht der Frau vor ihm. Kein Zweifel, es handelte sich um Germaine Kerivel.

Ewen nahm die Handtasche auf und sah sich den Inhalt genauer an. Es war eine recht teure Handtasche, die gut und gerne ihre 1500 Euro gekostet haben mochte. Sie hob sich deutlich vom Stil der Kleidung ab.

Kerber war nicht der absolute Experte in Handtaschenfragen, aber er war doch schon etliche Male mit seiner Frau in Rennes gewesen und hatte, bei der Gelegenheit, die ausgestellten Waren in den eleganten Geschäften der Stadt angesehen. Carla besaß keine Tasche in dieser Preisklasse, aber sie war durchaus von den Handtaschen dieses Hauses begeistert.

Im Innern befanden sich die üblichen Utensilien einer Frau. Lippenstift, Lidschatten, Parfüm, Deodorant, Taschentücher, ein Kugelschreiber, ein Spiegel, Kamm, diverse Schlüssel und eine kleine Haarbürste. Ewen zog den Reißverschluss der Seitentasche auf und entnahm ihm ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Als er es öffnete sah er, dass es sich um einen Einzahlungsschein bei der BNP Parisbas handelte, vom heutigen Tag.

„Paul!“, rief er seinen Kollegen, der sich zuvor die Leiche angesehen hatte und nun dabei war, den Passanten zu befragen, der die Frau gefunden hatte.

„Ewen, ich komme sofort!“, antwortete er seinem Kollegen und beendete das Gespräch mit dem Mann. Dann ging er zu Ewen Kerber.

„Ewen, was hast du gefunden?“, fragte er seinen Freund.

„Schau dir einmal diesen Einzahlungsbeleg an. Hier steht, dass die Frau am Vormittag, bei der BNP Paribas in Quimper, einen Betrag von 180.000 Euro eingezahlt hat. Wir sollten uns das Konto der Frau ansehen. Kannst du das erledigen?“

„Geht klar, Ewen, aber wäre es nicht einfacher, wenn du Carla bitten würdest, nachzusehen? Immerhin arbeitet sie bei der Bank.“

„Ich will es lieber auf dem normalen Dienstweg erledigen und Carla da raushalten“, war die Antwort von Kerber. Paul konnte Ewen durchaus verstehen.

Ewen ging auf einen der Polizisten zu.

„Ich möchte Sie bitten, die Betreiber der Marktstände zu befragen, vielleicht ist jemandem etwas aufgefallen. Alles kann von Bedeutung sein. Nehmen Sie sich noch einen Kollegen mit, und schicken Sie die Protokolle möglichst schnell ans Kommissariat, zu meinen Händen.“

Der Polizist folgte der Aufforderung sogleich.

Nachdem das Team der Spurensicherung die Arbeit beendet hatte und die Leiche in die Pathologie gebracht worden war, fuhren Ewen und Paul ebenfalls zurück ins Kommissariat.

„Wir sollten uns die Wohnung der Frau ansehen. Vielleicht findet sich etwas Brauchbares.“ Ewen sah Paul an und sah seinen fragenden Gesichtsausdruck.

„Die Frau wohnt in Morlaix, Ewen, das ist nicht unser Revier!“

„Das ist mir wohl bekannt, aber gestorben ist sie hier in Quimper. Wir rufen die Kollegen in Morlaix an und bitten um eine Zusammenarbeit. Das dürfte kein Problem sein.“

„Für dich, für mich und für die Kollegen in Morlaix sicherlich nicht. Aber was sagt unser OPJ Nourilly? Du kennst doch diesen vom Lachen befreiten, kleinkarierten Chef. Wenn wir ihm erklären, dass wir nach Morlaix fahren müssen, dann fragt er sofort nach den Benzinkosten für die 100 Kilometer.“

„Lass mich das machen, das kriegen wir schon hin. Wir sollten morgen früh fahren.“

Ewen Kerber ging in sein Büro, rief die Kollegen in Morlaix an und verabredete sich mit ihnen. Dann telefonierte er mit Nourilly und erklärte ihm die Situation.

„Müssen Sie denn nach Morlaix fahren? Sie wissen doch, was uns das wieder kostet? Können Sie die Wohnungsdurchsuchung nicht den Kollegen in Morlaix überlassen und das ganze am Telefon klären?“

„Nein, das kann ich nicht. Ich muss mir ein Bild von der Frau machen, von ihrer Wohnung, von ihrem Umfeld und auch von ihren Freunden und Bekannten. Sehr häufig handelt es sich um Beziehungstaten, und da ist der Täter durchaus im Bekanntenkreis zu suchen. Sie wissen doch, wie solche Verbrechen manchmal ablaufen.“

„Also gut, wenn es denn sein muss, dann fahren Sie eben nach Morlaix. Sie müssen doch hoffentlich nicht auch noch dort übernachten?“

„Ich werde versuchen, es zu vermeiden, Monsieur Nourilly. Vielen Dank für Ihre Kooperation.“ Ewen legte auf, mehr wollte er nicht erreichen.

Kurz darauf klingelte das Telefon. Paul war in der Leitung.

„Ewen, ich habe gerade von der BNP Paribas erfahren, dass das Konto unserer Toten einen Kontostand von 720.000 Euro aufweist. Die letzte Einzahlung über 180.000 Euro ist, wie du ja schon gesehen hast, am heutigen Morgen gewesen. Vor drei Monaten hat sie schon einmal 180.000 Euro einbezahlt. Vor zwei Jahren haben zwei Einzahlungen über jeweils 60.000 Euro stattgefunden und zwar im Mai und August, zusammen auch 120.000 Euro. Dann sind letztes Jahr im Juli und September jeweils 120.000 einbezahlt worden.“

„Die Frau hat entweder jemanden erpresst oder betrogen, das Geld gestohlen, oder sie ist eine verdammt clevere Geschäftsfrau gewesen. Wir sollten alle Betrügereien und Erpressungen raussuchen, von denen wir erfahren haben. Vielleicht findet sich ja etwas Nützliches. An so etwas wie einen Banküberfall glaube ich bei der Frau nicht.

Seltsam ist nur die Tatsache, dass sie alle Einzahlungen in der Filiale der Bank, hier in Quimper, getätigt hat. Da sie in Morlaix gewohnt hat, wäre es doch einfacher gewesen die dortige Filiale aufzusuchen oder nicht?“

„Da stimme ich dir zu, Paul, das spricht aber dafür, dass mit den Einzahlungen etwas nicht stimmt. Wenn sie aus Morlaix stammt, dann hat sie ihre Kindheit dort verbracht, ist dort in die Schule gegangen und kennt viele Einwohner, und viele dürften sie kennen. In einer kleinen Stadt spricht sich schnell herum, wenn jemand so viel Geld besitzt, Bankgeheimnis hin oder her. Wenn sie vermieden hat, dass man ihr unangenehme Fragen stellt, über die Herkunft des Geldes, dann ist es schon besser gewesen, es nicht in Morlaix zur Bank zu bringen. Wir sollten uns unbedingt in ihrem Bekanntenkreis in Morlaix umhören. Nourilly ist einverstanden mit unserem Ausflug dorthin.“

„Das hast du wieder gut hinbekommen, Ewen, also bis morgen früh.“ Paul Chevrier legte auf, und auch Ewen wollte den heutigen Arbeitstag beenden, als es an seiner Tür klopfte.

„Herein!“, rief Ewen, während er die Schublade seines Schreibtisches verschloss.

Dustin Goarant von der Spurensicherung trat ein.

„Gut, dass ich dich noch antreffe“, sagte Dustin und verschloss die Tür wieder hinter sich.

„Wir haben am Tatort noch dieses kleine Stück Folie gefunden. Es handelt sich um eine Bodenabdeckfolie, wie sie Gärtner benutzen. Man nennt sie auch Mulchfolie. Die Folie muss nichts mit der Toten zu tun haben, sie kann auch noch von den dort stattgefundenen Arbeiten stammen. Mir ist nur aufgefallen, dass sie neu aussieht, und die gröbsten Arbeiten wurden dort vor zwei Monaten abgeschlossen. Jetzt werden, wenn überhaupt noch, höchstens vereinzelte Ausbesserungsarbeiten durchgeführt.

Dann habe ich bei der Durchsicht des Portemonnaies einige Dinge gefunden, die für euch vielleicht interessant sein könnten. Es hat sich kein Bargeld darin befunden, das könnte durchaus auf einen Raubmord hindeuten. Andererseits sind die Kreditkarten alle vorhanden. Darüber hinaus haben wir noch sieben Visitenkarten gefunden, darunter auch die eines nicht ganz unbekannten Herren.“

Dustin reichte Ewen die sieben Karten, und der sah sie sich genau an. Obenauf lag die Karte von Guy de Moros, einem bekannten Kriminalschriftsteller aus Loctudy. Ewen kannte den Mann vom Hören und Sagen. Seine Frau Carla liebte seine Bücher und kaufte sie sofort nach deren Erscheinen. Auf der nächsten Karte fand er den Namen von André Salaun, einem bekannten Austernzüchter aus Riec-sur-Belon, auch dieser Mann war ihm namentlich bekannt. Der Name Raymond Brelivet sagte ihm genauso wenig, wie auch die restlichen Namen, Damien Sizun, Maurice Guilvit, Gilles Coray. Bei der letzten Karte stutzte Ewen Kerber und sah Dustin an.

„Du kennst doch auch diesen Herrn?“ Ewen zeigte Dustin die Visitenkarte.

„Yves le Meur, ich habe erwartet, dass du über diesen Namen stolperst. Welcher Polizist in Quimper kennt den nicht? Der ist ständig auf der Liste, wenn es um Razzien in der Szene geht. Der mischt doch überall mit. Prostitution, Drogenhandel, Hehlerei, und ich weiß nicht, was sonst noch alles an kriminellen Aktionen auf seine Kappe geht. Wenn die Frau sich mit dem angelegt hat, dann gute Nacht, Marie.“

„Das ist auf jeden Fall ein erster Anhaltspunkt. Vielleicht hat die Frau versucht Le Meur zu erpressen, oder sie hat Geld von ihm gestohlen. Da hätte sie sich den falschen herausgesucht. Mit Le Meur ist nicht zu spaßen.“ Henri steckte die Visitenkarten in sein Jackett.

„Danke, Dustin, wir werden die Leute alle befragen müssen. Vielleicht gibt es ja eine Verbindung von ihr zu Le Meur die mit der Tat in Zusammenhang steht. Zwischen der Toten und den restlichen Männern kann es aber auch Beziehungen gegeben haben, die über eine reine Bekanntschaft hinausgegangen sind.

Die Frau könnte natürlich auch Geschäftsbeziehungen zu diesen Männern unterhalten haben, ihr Bankkonto deutet daraufhin, dass sie größere Einnahmen verbucht hat. Vielleicht habe ich ja mit meiner ersten Vermutung falsch gelegen, dass es sich um eine Erpresserin oder Betrügerin handelt.“

Dustin verabschiedete sich von Ewen Kerber und verließ das Büro. Auch Ewen verließ sein Zimmer und machte sich auf den Weg zu Carla.

Als er nach Hause kam empfing ihn Carla wie er es bereits seit über zwei Jahren liebte. Ewen bekam einen Kuss, und sobald er sein Jackett abgelegt hatte, reichte Carla ihm seinen Aperitif. Diese Geste war beinahe ein Ritual geworden, und er wäre bestimmt enttäuscht, wenn sich daran etwas ändern würde.

Auf der Terrasse standen bereits einige amuses- gueules, die Carla vorbereitet hatte.

Sie setzten sich, und Carla prostete Ewen zu. Der Rosé war herrlich temperiert und schmeckte ausgezeichnet. Sie tranken einen Château des Demoiselles, aus der Provence. Sie hatten sich im letzten Jahr zwei Kartons davon gekauft. Eine Empfehlung ihres Weinhändlers.

Carla und er liebten im Sommer einen Rosé zum Aperitif. Zum Essen kam dann ein Rotwein auf den Tisch, und manchmal genossen sie anschließend auch noch ein Gläschen vor dem Fernseher oder beim Lesen.

„Was gibt es heute zu essen?“, fragte Ewen seine Frau.

„Ich habe uns aus den Halles frische Crevettes mitgebracht und wunderschöne Filetsteaks. Als Vorspeise gibt es einen Salat mit Crevettes, und danach darfst du uns die Steaks grillen, während ich die Frites zubereite und die Kräuterbutter anrichte. Entspricht das deinen Vorstellungen?“

„Absolut, mein Schatz, du weißt, dass mir alles schmeckt was du uns zauberst.“

„Soll ich uns noch eine Flasche Rotwein holen?“

„Der steht schon im Wohnzimmer und soll seine Temperatur erreichen. Du könntest ihn aber schon öffnen. Dann bekommt er noch Luft, bevor wir ihn trinken.“

„Mache ich gerne.“

Während sie noch ihren Aperitif genossen, erzählte Ewen seiner Frau von dem aktuellen Fall.

Danach ging Carla in die Küche, und Ewen holte den Rotwein aus dem Wohnzimmer. Sie würden das Abendessen ebenfalls auf der Terrasse einnehmen können. Es war ein angenehmer, lauer Abend, ein Vorteil der westlichen Bretagne, die Temperaturen waren gemäßigt und nie extrem. Selbst im Winter blieb das Thermometer für gewöhnlich über null Grad. Selten gab es einmal minimalen Frost, von minus drei oder vier Grad. Im Sommer dagegen war es eine Ausnahme, wenn die Temperaturen über dreißig Grad stiegen.

Ewen holte die Flasche und sah, dass es sich um einen Château Touzinat Grand Cru, einen Wein aus dem Saint Emilion handelte. Es war einer der besseren Weine aus ihrem Weinkeller.

Er überlegte, ob er irgendeinen Geburtstag oder den Hochzeitstag vergessen hatte. Es fiel ihm aber nichts ein.

„Haben wir etwas zu feiern, mein Schatz?“, fragte er Carla.

„Ja, das haben wir!“, sagte sie und kam aus der Küche. Heute vor drei Jahren haben wir uns auf dem Place Saint-Corentin im Café Finistère kennengelernt. Du erinnerst dich bestimmt nicht an den Tag, aber ich werde ihn nie vergessen.“ Carla gab Ewen einen Kuss und ging zurück in die Küche.

Ewen hatte den Tag wirklich vergessen. Aber an den Verlauf konnte er sich noch genau erinnern.

Es wurde ein sehr schöner Abend. Das Essen schmeckte ausgezeichnet, und ihm gelangen die beiden Filets. Das Fleisch blieb saftig und hatte die richtige, rosige Farbe beim Anschneiden. Danach schwelgten sie in Erinnerungen über die Zeit der letzten drei Jahre.


Guy de Moros konnte am nächsten Morgen nicht erwarten, dass seine Frau das Haus verließ. Er wollte sofort Claudine Lebrun anrufen und sich mit ihr treffen. Ausgerechnet am heutigen Morgen hatte Marie-Julie es überhaupt nicht eilig.

„Musst du nicht so langsam in die Boutique?“, fragte er seine Frau, die keinerlei Anstalten machte, vom Frühstückstisch aufzustehen und nach Quimper zu fahren.

„Nein, ich habe heute Zeit. Meine Mitarbeiterinnen wissen Bescheid, dass ich etwas später komme. Ich will mit dir noch ein wenig plaudern und dann bei den Pépinières Le Loupp in Benodet vorbeifahren. Ich brauche einige Pflanzen für den Garten.“

„Hast du nicht langsam genug Pflanzen im Garten?“

Guy sah auf seine Uhr und wusste nicht so recht, wie er es jetzt anstellen konnte das Haus zu verlassen, ohne bei Marie-Julie Verdacht zu wecken. Dann kam ihm die Idee mit seinem Freund, Alain Dourdy. Er wollte Claudine ja vor seinem Hotel abholen.

„Marie-Julie, Liebling, ich habe mich mit Alain heute verabredet, wir wollen zusammen den Tag verbringen. Ich muss in einigen Minuten aufbrechen.“

„Kein Problem, dann fahre ich etwas früher in die Pépinières. Sehen wir uns gegen acht Uhr heute Abend?“

„Da bin ich auf jeden Fall zurück. Ich wünsche dir einen schönen Tag, mein Schatz.“

Guy gab Marie-Julie einen Kuss und verließ das Haus. Die kurze Strecke bis zum Hotel war schnell zurückgelegt. Er stellte seinen Wagen vor dem Hotel ab, da er Claudine nicht, wie vorgestern, auf der Treppe stehen sah. Guy stieg aus und betrat das Hotel. Auch in der Hotellobby war Claudine nicht zu sehen. Guy ging zur Rezeption.

„Bonjour Monsieur de Moros, Sie wollen bestimmt zu Monsieur Dourdy?“

„Bonjour Marcel, ich will mich mit einer Madame Lebrun treffen, ich habe versprochen, ihr ein wenig die Gegend zu zeigen. Die Frau hat bei euch ein Zimmer.“

„Das ist gut, dass Sie nicht zu unserem Chef wollen. Der ist heute Morgen weggefahren, um einige Einkäufe zu erledigen. Wie sagen Sie heißt die Dame?“

„Claudine Lebrun aus Rennes“, antwortete Guy und sah gespannt auf Marcel.

Der Mann gab den Namen in den Computer ein und sah sich die Gästeliste an, dann gab er erneut etwas in den Computer ein und schüttelte leicht den Kopf.

„Tut mir leid, Monsieur de Moros, aber wir haben keine Madame Lebrun als Gast im Haus. Auch habe ich keine Frau mit dem Vornamen Claudine gefunden. Sind Sie sicher, dass die Dame bei uns abgestiegen ist?“

„Ich habe sie doch Vorgestern vor dem Hotel abgeholt, und sie hat mir gesagt, dass sie bei Ihnen einen kurzen Urlaub verbringt.“

„Monsieur de Moros, vielleicht hat die Frau bei uns an der Bar einen Café getrunken, aber ein Zimmer hat sie hier definitiv nicht.“

„Danke Marcel, dann werde ich mich wohl wieder auf den Heimweg machen.“ Guy verließ das Hotel, bestieg seinen SLK und fuhr zurück zu seinem Haus.

Auf der Fahrt dachte er über Claudine nach, warum hatte sie ihn angelogen? Wieso behauptete jemand, dass er in einem Hotel wohnte, wenn es nicht der Wahrheit entsprach? Hatte sie etwas zu verbergen?

Guy, mit seinem instinktiven Hang zum Mysteriösen überlegte gleichzeitig, wie er diesen Stoff für seine Romane verwenden würde.

Klar, sie war eine Betrügerin und verschwand auf diese Art und Weise von der Bildfläche. Das Erschwindelte Geld oder was sie auch sonst erbeutet hatte war verloren und es gab keine Chance die Frau schnell zu finden. Es gab kein Foto von ihr. Stimmte der Name überhaupt?

Die Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er bereits wieder vor dem Haus stand. Er bemerkte, dass Marie-Julie das Anwesen bereits verlassen hatte, ihr Wagen war nicht mehr zu sehen.



Marie-Julie trank den Café zu Ende und zog sich ihre leichte Sommerjacke an, nahm die Handtasche und ging zu ihrem Auto. Die Fahrt in die Pépinières von Le Loupp würde nicht sehr lange dauern und sie wollte auch nicht sehr viel kaufen. In ihren Kofferraum würden die wenigen Pflanzen hineinpassen. Danach würde sie nach Quimper in die Boutique fahren.

Die Gärtnerei von Le Loupp galt als eine der schönsten in der ganzen Region. Marie-Julie kaufte dort sehr gerne ein. Manchmal dauerten die Einkäufe länger als geplant, nur weil sie sich, bei der Betrachtung der schönen Anlage und der Pflanzen, in der Zeit vertat.

Marie-Julie stellte ihren Wagen auf dem Parkplatz ab. Gerade als sie an der Eingangstür angekommen war, kam Alain Dourdy heraus. Als er Marie-Julie sah, ging er sofort auf sie zu.

„Marie-Julie, du bist auch hier, schön dich zu sehen. Was macht Guy? Wir haben uns schon länger nicht gesehen.“ Alain hatte Marie-Julie mit zwei Wangenküssen begrüßt, so wie es unter Freunden üblich ist.

„Bonjour Alain, ich bin ganz erstaunt, dich hier zu sehen. Guy hat mir vorhin gesagt, dass er zu dir fahren würde, ihr hättet euch verabredet.“

Alain Dourdy durchschaute sofort, dass sein Freund Guy ihn als Ausrede missbraucht hatte. Natürlich wollte er ihm nicht schaden und schaltete blitzschnell um.

„Oh je, das habe ich doch glatt vergessen, ich mache mich ganz schnell auf den Weg zurück. Hoffentlich ist Guy mir nicht böse. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.“

Damit eilte er zu seinem Wagen und war froh, dass Marie-Julie nicht gefragt hatte, wohin sie gehen wollten. Er wusste nicht, was Guy ihr gesagt haben konnte. Alain und Guy hatten sich schon seit mindestens drei Wochen nicht mehr gesehen.

Marie-Julie betrat die Gärtnerei und dachte doch noch über das Gespräch mit Alain nach. Es war nicht seine Art, etwas zu vergessen. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte er noch nie einen Termin vergessen und schon gar nicht, wenn er mit Guy verabredet war. Ihr fiel jetzt wieder der SLK ein, dem sie vor einigen Tagen begegnet war. Damals hatte sie den Eindruck, Guy mit einer fremden Frau zu sehen. Hatte ihr Mann vielleicht doch ein Verhältnis mit einer anderen Frau? Sie wollte es nicht glauben und schob die aufkommenden Gedanken erneut zur Seite. Die Pflanzen bei Le Loupp waren einfach zu schön und nahmen ihre ganze Aufmerksamkeit in Beschlag.


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