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Kapitel 5
ОглавлениеEwen Kerber kam am nächsten Tag kurz nach acht Uhr ins Kommissariat, sie wollten spätestens um neun Uhr nach Morlaix fahren. Paul Chevrier war bereits in seinem Büro, als Ewen im Kommissariat eintraf. Die Bürotür von Paul stand offen, und Ewen begrüßte seinen Kollegen.
„Ich will mir nur noch schnell die Akte holen, dann können wir losfahren.“
„Ich bin bereit!“, antwortete ihm Paul. Ewen schloss seinen Schreibtisch auf und holte die Akte zu dem aktuellen Fall heraus. Er betrachtete noch einmal die Bilder von der Toten und sah sich die weiteren Fundsachen an. Die Visitenkarten hatte er noch immer in seiner rechten Jackentasche. Gut, dass er nicht so oft sein Jackett wechselte. Gestern Abend hatte er seinen Schreibtisch schon abgeschlossen, als Dustin mit den Karten zu ihm gekommen war. Jetzt nahm er sich ein Blatt Papier und klebte die Karten untereinander darauf, kopierte das Blatt und legte das Original in seine Akte. Die Kopie wollte er Paul geben. In seinem Eingangskorb lagen weitere Gegenstände der Toten. Dustin hatte sie schon am frühen Morgen hineingelegt. Ewen sah sich alles genau an.
Er fand obenauf die Protokolle der Polizisten, von der Befragung auf dem Markt. Ewen überflog die Notizen und stellte fest, dass kein Mensch etwas gesehen haben wollte. Der erste Marktstand lag etwa 200 Meter von der Fundstelle der Leiche entfernt. Da war es durchaus möglich, dass die Aussage zutraf. Das Portemonnaie und die Handtasche lagen auch auf seinem Schreibtisch. In den einzelnen Fächern des Portemonnaies steckten Kreditkarten, der Ausweis und ein Führerschein. Das Bargeld fehlte, was Dustin schon gestern erwähnt hatte.
Aus der Tasche hatte Dustin die Schminkutensilien herausgenommen und in kleine Plastiktüten gepackt. Für Ewen waren die verschiedenen Schlüssel von Bedeutung. Insgesamt gab es drei verschiedene Schlüsselanhänger in der Tasche. Einer davon war einfach zuzuordnen, es handelte sich um einen Fahrzeugschlüssel von einem Renault, vermutlich ein Clio, denn an dem Schlüssel hing ein Schlüsselanhänger mit dem Schriftzug Clio und der Nummer 456.
Auf ihren Namen war kein Wagen zugelassen, daraufhin waren die Autovermieter befragt worden, ob eine Frau Germaine Kerivel einen Mietwagen fuhr.
An den anderen beiden Schlüsselbunden schienen Hausschlüssel hängen. Nur, wieso waren es zwei verschiedene? Ewen nahm beide Schlüssel an sich, sie würden sie in Morlaix brauchen.
Ewen stutzte und sah sich alle Gegenstände nochmals an. Irgendetwas fehlte hier, nur was? Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Welche junge Frau konnte heute ohne Handy sein? Aber in der Tasche war keins zu finden gewesen. Wo also war das Handy von Germaine Kerivel? Ewen ging zum Telefon und wählte die Nummer von Dustin.
„Ewen hier, Dustin, habt ihr kein Mobiltelefon bei der Leiche gefunden oder in ihrer Tasche?“
„Mobiltelefon? Jetzt wo du danach fragst fällt es mir auch auf, nein, wir haben kein Handy bei ihren Sachen gefunden. Schon etwas seltsam, da hast du recht.“
Ewen legte auf und überlegte, ob das Fehlen des Handys bedeuten konnte, dass die Frau vielleicht überhaupt nicht am Steïr getötet worden war. Daran hatte er bis jetzt keinen Zweifel gehabt. Nichts hatte auf einen anderen Tatort hingewiesen. Die Frau war erwürgt worden, man hätte sie überall erwürgen und ihre Leiche dann an den Steïr bringen können. Wir müssen ihr Handy finden, ging ihm durch den Kopf.
Ewen nahm seine Akte in die Hand und verließ das Büro. Paul Chevrier kam ebenfalls gerade aus seinem Büro, so dass die beiden Kommissare gemeinsam zum Auto gingen und nach Morlaix fuhren.
Ewen steuerte den Wagen zuerst auf die Schnellstraße, in Richtung Brest. Nach ungefähr 23 Kilometern verließen sie die Schnellstraße und fuhren über die N164 nach Pleyben.
Ewen war ein Liebhaber von alten Kapellen und Kirchen, von denen es in der Bretagne unendlich viele gab. Auch die Calvaires hatten es ihm angetan. Er fotografierte sie leidenschaftlich gerne in seiner Freizeit. In Pleyben fuhren sie an der Kirche, mit einem der schönsten Calvaires der Bretagne, vorbei. Wenn er Zeit gehabt hätte, wäre er ausgestiegen. Er hatte ihn bestimmt schon dreimal besucht. Aber immer wieder entdeckte er etwas Neues.
Sie folgten nun der D785, bis kurz vor Morlaix. Als sie bereits kurz vor der Stadt waren, rief Ewen die dortigen Kollegen an und teilte ihnen mit, dass sie gleich zur Wohnung von Germaine Kerivel fahren würden.
Aus der carte d´identitée hatten sie nur den Wohnort entnehmen können, die Adresse hatten sie sich aus dem Melderegister der Stadt beschafft. Die Wohnung von Germaine Kerivel lag in der Rue Laennec, einer Straße im östlichen Teil der Stadt. Als sie vor dem Haus eintrafen, sahen sie bereits das Fahrzeug des Kollegen aus Morlaix, das genau vor dem Haus parkte.
Ewen und Paul stellten ihren Wagen ab und stiegen aus. Sie gingen auf den Kollegen zu.
„Commissaire Kerber? Ich bin Commissaire Jacques Corbel. Ich freue mich, Sie in Morlaix zu begrüßen.
„Ganz meinerseits“, antwortete Ewen und reichte dem Kollegen die Hand.
„Mein Kollege, Paul Chevrier“, stellte er Paul vor.
„Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Letztes Jahr haben Sie doch diesen spektakulären Fall mit den Geldfälschern gelöst. Die Zeitungen sind voll davon gewesen.“
„So spektakulär war der Fall auch nicht“, versuchte Kerber herunterzuspielen. Er mochte nicht gelobt werden.
„Haben Sie einen Schlüssel bei der Toten gefunden?“, fragte Corbel.
„Wir haben mehrere Schlüssel gefunden. Ich habe sie alle mitgebracht, in der Hoffnung, dass einer zur Wohnung passt.“
Die drei Kommissare gingen zum Haus, in dem insgesamt sechs Familien zu wohnen schienen. An dem Briefkasten, in der Mitte der untersten Reihe, stand der Name von Madame Kerivel. Ewen sah sich den ersten Schlüsselbund an und stellte fest, dass an diesem kein Schlüssel für einen Briefkasten hing. Er sah sich den zweiten an, hier sah er einen deutlich kleineren Schlüssel, der zu einem Briefkasten passen konnte. Er nahm den Schlüssel und versuchte den Briefkasten zu öffnen. Die Klappe öffnete sich, und aus dem Kasten fielen fünf Briefe heraus. Ewen fing die Briefe auf und gab sie Monsieur Corbel.
„Mir scheint, dass ich hier den richtigen Schlüsselbund habe. Lasst uns mal in die Wohnung gehen.“
Die Wohnung von Madame Kerivel lag auf der zweiten Etage. Als sie vor der Wohnungstür standen, nahm Ewen den Schlüssel, den er als Wohnungsschlüssel identifiziert hatte, und steckte ihn ins Schloss. Der Schlüssel passte, und die Tür ließ sich leicht öffnen. Die drei Kommissare betraten die Wohnung. Sie vermittelte einen sehr aufgeräumten Eindruck. Alles schien, unberührt zu sein. Nichts deutete darauf hin, dass hier jemand eingebrochen war und nach etwas gesucht hatte. Sie machten sich an die Arbeit, die Wohnung systematisch zu durchsuchen. Ewen hoffte einen Anhaltspunkt zu finden, der ihm weiterhelfen würde.
Die Wohnung hatte eine Küche, ein Schlaf- und Wohnzimmer und ein kleines Büro. Paul durchsuchte die Küche und das Schlafzimmer, während der Kollege Corbel sich das Wohnzimmer vorgenommen hatte. Ewen war ins Büro gegangen, um sich die Papiere der Frau näher anzusehen. Vor allem die Kontoauszüge und der gesamte Schriftverkehr interessierten ihn.
Aus den Kontoauszügen konnte er nun die Beträge entnehmen, die sein Kollege schon bei der Bank ermittelt hatte.
Ewen zog eine Schublade nach der anderen an ihrem Schreibtisch auf und sah sich alles genau an. In der untersten Schublade fand er eine Liste.
1 Brelivet Raymond (Autohändler) St. Malo, 60.000 Juli 2011
2 Maurice Guilvit (Industrieller) Nantes, 60.000 August 2011
3 Yves Le Meur (Barbesitzer und Zuhälter) Quimper, 120.000 Mai 2011
4 Damien Sizun (Banker) Rennes 120.000, Sept. 2012
5 Gilles Coray (Werftbesitzer) Lorient, 180.000, April 2013
6 André Salaun (Austernzüchter) Riec-sur Belon
7 Guy de Moros (Schriftsteller)
Ewen sah sich die Liste an und addierte die genannten Summen. Er kam auf 540.000 Euro. Ewen dachte an die Summen, die Paul ihm genannt hatte. Er hatte ihm doch gesagt, dass der Kontostand 720.000 Euro betrug. Das hieß, dass die letzte Einzahlung von André Salaun stammen musste, wenn er die Liste richtig interpretierte. Er hielt wohl ihre Opferliste in der Hand. Frau Germaine Kerivel hatte die angeführten Personen wohl um die jeweiligen Summen erpresst oder betrogen. Ewen legte die Liste zu der Akte der Toten. Er sah sich weiter in dem kleinen Büro um. In der Ecke hinter der Tür lag ein Laptop in einer Tasche. Ewen nahm den Computer an sich. Die Kollegen sollten den Rechner überprüfen. Vielleicht befänden sich dort nähere Informationen über die Geschäfte der Frau Kerivel. Als Ewen mit dem Zimmer fertig war, ging er zu seinem Kollegen aus Morlaix, in das Wohnzimmer.
„Nun, was gefunden?“, fragte er ihn.
„Nichts Wesentliches, die üblichen Bilderalben, eine kleine Briefmarkensammlung aus der Kindheit, Liebesbriefe von diversen Männern, und einige Perücken lagen in dem Schrank. Die Frau schien ihr Äußeres häufig verändert zu haben. Die Perücken gab es in blond, braun, schwarz und sogar mit rotem Haar.“
„Das passt zu dem, was ich gefunden habe“, sagte Ewen und nahm die Liste aus der Akte. In diesem Moment kam auch Paul ins Wohnzimmer.
„In der Küche habe ich nichts gefunden. Der Kühlschrank ist ziemlich leer, ich schätze, dass sie schon lange nicht mehr in der Wohnung gewesen ist. Auch im Schlafzimmer ist nichts Wesentliches zu finden gewesen. Was habt ihr gefunden?“
„Ich habe eine ganz interessante Liste im Büro entdeckt, und Kollege Corbel hat diverse Perücken gefunden, was ganz gut zu meiner Liste passt.
Seht euch das mal an. Die Frau hat Buch geführt über Männer, mit denen sie wohl intim gewesen sein muss. Die Männer haben ihr hohe Summen gegeben. Auf der Liste sind die Beträge aufgelistet, die du, Paul, gestern von der Bank genannt bekommen hast. Nur hinter dem vorletzten und letzten Namen, dem Monsieur André Salaun und Guy de Moros, stehen keine Summen. Ich gehe davon aus, dass die 180.000 Euro auf dem Einzahlungsschein, den wir gestern gefunden haben, von Monsieur Salaun stammen. Das ist der Betrag, der gestern bei der BNP-Paribas einbezahlt worden ist. Die Summen passen zum Kontostand.“
„Dann könnt ihr ja wohl davon ausgehen, dass die Frau eine Betrügerin gewesen ist und dass der Mörder auf der Liste steht.“ Jacques Corbel sah seine Kollegen aus Quimper an und wartete auf eine Antwort.
Ewen studierte immer noch die Liste. Er war geneigt, seinem Kollegen aus Morlaix zuzustimmen. Sicher war er sich allerdings nicht. Vieles sprach für eine Revanche, nach einer Erpressung oder einem Betrug. Aber aus seiner langjährigen Erfahrung wusste er auch, dass man sehr vorsichtig sein musste mit schnellen Schlussfolgerungen. Häufig steckte noch etwas anderes dahinter.
„Wir werden die Leute alle aufsuchen müssen und sie verhören. Es wird nicht einfach sein, den Mörder zu finden. Falls die Liste wiedergibt, was wir jetzt vermuten, dann haben alle Geprellten ein Motiv.
Ich habe noch den Laptop der Toten gefunden, Sie haben ja nichts dagegen, wenn wir ihn mit nach Quimper nehmen und von unseren Technikern untersuchen lassen?“ Ewen hatte die Worte an seinen Kollegen Corbel gerichtet.
„Nicht im geringsten. Es macht doch Sinn, wenn ihr den PC direkt in Quimper untersucht.“
„Ich danke Ihnen jedenfalls, Monsieur Corbel, für ihre Kooperation und Hilfe. Eigentlich habe ich mir noch die Freunde, Bekannten oder Verwandten ansehen wollen. Wäre es möglich, dass ihr das übernehmt, und falls sich etwas Wichtiges ergibt, uns die Information übermittelt?“
„Das ist kein Problem, machen wir gerne!“, antwortete Kommissar Corbel.
„Wir machen uns dann wieder auf den Weg, zurück nach Quimper.“
„Noch einen Augenblick, liebe Kollegen, sollten wir uns nicht noch schnell die letzte Post ansehen?“
„Natürlich, das hatte ich schon ganz vergessen.“
Corbel nahm die Briefe zur Hand und sah sich die Absender an. Zwei Briefe waren Rechnungen von der EDF und von der GDF. Ein Brief enthielt einen Kontoauszug von der BNP Paribas, ein weiterer enthielt ein Angebot, für ein kostenloses Wochenende in den Vogesen, wenn man das Glück hatte, nach dem Kauf einer neuen Bettdecke, der glückliche Gewinner der stattfindenden Tombola zu sein. Der fünfte Brief kam aus Australien und trug als Absender den Namen, Maurice Fillancourt.
Corbel öffnete den Brief und las ihn kurz durch.
„Mir scheint, wir haben hier den Namen ihres wirklichen Freundes. Der Monsieur Fillancourt schreibt, dass er jetzt die richtige Farm gefunden hat, und dass sie jetzt nur noch das Geld zum Kauf benötigen. Der Verkäufer ist bereit, noch drei Monate mit dem Verkauf zu warten. Er fragt Germaine, ob sie es schaffen kann, das Geld in vier Wochen zusammenzuhaben.“
„Das ist ja sehr interessant. Das Pärchen hat das ergaunerte Geld nutzen wollen, um sich eine Existenz in Australien aufzubauen? Weit weg von dem Ort der Betrügereien. Besten Dank, Monsieur Corbel, wir haben einen großen Schritt nach vorne gemacht.“
Ewen und Paul verabschiedeten sich nochmals, verließen die Wohnung und schlossen die Tür ab. Kommissar Corbel brachte ein Siegel an, so konnte in der Wohnung nichts verändert werden.
Auf der Fahrt nach Quimper war Ewen sehr still. Paul hatte den Eindruck, dass sein Kollege mit seinen Gedanken weit entfernt war. Dann, sie waren schon seit fast einer halben Stunde unterwegs, begann Ewen zu sprechen.
„Wenn einer von den Männern der Liste der Mörder ist, dann geht es bei dieser Tat doch um Rache. Rache wofür? Durch den Tod der Frau bekommt keiner der Männer sein Geld zurück. Meine Fragen sind also:
Erstens, hat die Frau das Geld erpresst?
Zweitens, hat sie das Geld von den Männern geschenkt bekommen?
Oder drittens, hat man ihr das Geld geliehen?
Wenn man ihr das Geld geschenkt hat, gibt es keinen Grund sie zu töten, es sei denn, aus Enttäuschung, weil sie den jeweiligen Mann verlassen hat. Also aus Rache für das Verlassen.
Wenn sie das Geld erpresst hat, dann macht der Mord nur einen Sinn, wenn der Erpresste damit weiteren Zahlungen aus dem Weg gehen kann. Das setzt aber voraus, dass sie ihn erneut erpresst hat. Wir haben aber, jeweils nur eine Einzahlung der jeweiligen Männer. Wenn man ihr das Geld geliehen hat, dann macht der Mord gar keinen Sinn. Wie soll der Mörder wieder an sein Geld kommen, nachdem die Frau tot ist? Wir sollten über andere Motive nachdenken.“
Paul hatte Ewen bei seinen Ausführungen nicht mit Zwischenfragen gestört. Ihm erschienen die Überlegungen durchaus sinnvoll. Aber was gab es an weiteren Motiven?
„An welches andere Motiv denkst du?“, fragte Paul Ewen.
„Ein Verehrer, der die Frau nicht bekommt und sie auch keinem anderen gönnt, ein Familienstreit, eine Affekthandlung, eine Verwechslung, es gibt noch viele Möglichkeiten. Wir müssen mehr über ihr Leben erfahren und über ihr Umfeld. Was hat sie gemacht? Wo war sie in den letzten Tagen vor der Ermordung? Mit wem hat sie zusammengelebt, oder ist sie Single gewesen? “
Ewen warf einen kurzen Blick in den Spiegel, bevor er von der Voie Express abbog.
„Mir scheint, dass wir eine Menge Arbeit vor uns haben. Da sitzt man in der Provinz, von der gesagt wird, dass das Leben hier ruhig fließt und hat dann mehr Morde aufzuklären, als in der Großstadt.“
„Na ja Paul, so schlimm ist es in Quimper nun auch nicht. Seit dem Mord, an den vier Vergewaltigern vor drei Jahren und an dem Geheimagenten im letzten Jahr, der diesen Geldfälschern auf der Spur gewesen ist, hat es bei uns doch keinen Mord mehr gegeben. Der letzte Fall, der dann doch kein Mord gewesen ist, liegt doch auch schon einige Monate zurück.“
„Du hast ja Recht, Ewen, aber ich habe manchmal den Eindruck, dass die Straftaten dramatisch zunehmen. Vor etlichen Jahren ist doch ein Mord etwas Besonderes gewesen. Heute gehört er schon zu den täglichen Nachrichten. An jedem Tag erscheint in dem Ouest France ein Artikel über einen Mord in der Bretagne. Früher sind es doch eher die großen Städte, Paris oder Marseille gewesen, wenn man von solchen Verbrechen gehört hat.“
„Willkommen in der Neuzeit, kann ich da nur sagen!“
Ewen steuerte den Wagen auf den Hof des Kommissariats und stellte den Motor ab. Die beiden Kommissare stiegen aus und gingen in ihr Büro.
„Wie wollen wir mit der Überprüfung der Liste vorgehen? Wir können die Kollegen in Rennes, Lorient, Saint-Malo, Nantes usw. bitten, die Befragungen durchzuführen, aber ich bin der Meinung, dass es immer besser ist, die Informationen aus erster Hand zu bekommen. Nourilly wird aber bestimmt nicht erfreut sein, wenn wir ihm sagen, dass wir durch den ganzen Osten der Bretagne fahren müssen, um die Liste unserer Verdächtigen abzuarbeiten.“ Paul sah Ewen mit einem Grinsen an.
„Da könntest du Recht haben. Ich sehe auch, dass es besser wäre, wenn wir die Befragungen selber durchführen könnten, aber wir werden es zeitlich nicht schaffen. Wir fangen erst einmal bei uns in der Gegend an. Es ist ja durchaus möglich, dass der Mörder von hier stammt, denn die Tat hat hier stattgefunden. Danach sehen wir weiter. Jedenfalls hat sich die Fahrt nach Morlaix gelohnt. Diese Liste bringt uns ein Stück weiter.“
Ewen zog die Liste aus der Akte und überlegte bereits, wen sie als erstes befragen sollten.
„Wir sollten uns zuerst diesen Le Meur vornehmen, am besten gleich morgen früh. Danach können wir nach Riec-sur-Belon zu diesem Austernzüchter Salaun und nach Loctudy zu dem Schriftsteller Guy de Moros, fahren. Der de Moros steht zwar nicht mit einer Geldsumme auf der Liste, aber vielleicht gehört er in die Kategorie enttäuschter Liebhaber. Als letzten würde ich dann den Werftbesitzer Gilles Coray, in Lorient, sprechen wollen. Ich bringe nur schnell noch den Laptop zur Kriminaltechnik, dann können sie ihn schon untersuchen.