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Vom Kronprinzen zum Vertrauten des Vaters

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Noch bevor er richtig laufen und sprechen konnte, war Felix schon ›Sohn des Chefs‹. Was zunächst nichts anderes hieß, als Sohn eines Mannes zu sein, der mit Geldverdienen beschäftigt und deshalb nie da war. Dass er als Sohn des Chefs auch etwas Besonderes war, spürte er, sobald ihn sein Vater mit in die Firma nahm. Als Sohn des Chefs durfte er in der Firma Sachen, die ihm zuhause nicht erlaubt waren. Keiner der Angestellten wagte etwas zu sagen, wenn er im Kontor mit teuren und empfindlichen Geräten spielte, während sein Vater in seinem Privatbüro saß und nicht gestört werden wollte. Mit vier Jahren bekam er sein erstes Pferd geschenkt. Seitdem durfte er seinen Vater, wenn sie in der Provinz Santa Fe auf ihrer Estancia waren, hin und wieder zu einer ihrer Aufkaufstellen begleiten.

Die Landschaft, die ihm sein Vater bei diesen Ausritten zeigte, war eine vom Getreidemarkt geschaffene Welt, in der sich Weizenfelder in Tonnen Exportgetreide verwandelten, Eisenbahnen in einen endlosen Getreidestrom und die romantisch anmutenden Windräder, die längs der Bachläufe standen, in Kraftwerke, die unaufhörlich Wasser zu den Getreidefeldern pumpten. Sein Vater wollte, dass er Fragen stellte, und gab ihm auf alles Antwort. Wie der Boden unter den Weizenfeldern durch Alfalfa auch im Sommer feucht und nährstoffreich gehalten wurde, wie der hohe Humusgehalt die stark tonhaltigen Böden auflockerte, sie mürbe und durchlässig machte. Wie aus den fünfzig bis sechzig Sack Getreide, mit denen die Pferdekarren, an denen sie vorbeiritten, beladen waren, auf dem Schienenweg Züge mit bis zu tausend Tonnen Getreidefracht wurden. Und wie schließlich in den Häfen diese tausend Tonnen Getreidefracht auf Schiffe mit zehntausenden Tonnen Cargo verladen wurde.

»Die Estancia habe ich mir ganz alleine erarbeitet.«20 Sie ritten schon den Weg zu ihrem eigenen Landgut zurück, als Felix seinen Vater diesen Satz sagen hörte. Die Estancia sei sehr groß, entgegnete er in anerkennendem Ton. Und nachdem er sie sich einen Moment lang genauer betrachtet hatte, fügte er noch hinzu, dass sie so eine große Estancia im Grunde doch gar nicht bräuchten. Sie waren nur zu viert und die meiste Zeit des Jahres in Buenos Aires, wo sie im modischen Recoleto-Viertel noch ein Haus besaßen, ähnlich groß wie die Estancia. Hermann Weil blickte seinen Sohn erstaunt an. Er selbst hatte mit einem Dutzend Geschwister in einem winzigen Haus in Steinsfurt gelebt, das zugleich als Futtermittellager diente. Alles war so beengt, dass es jeden seiner Brüder in die Ferne zog, sobald er nur alt genug war. Er hatte dies seinem Sohn oft erzählt. Und nun beschwerte der sich, dass er seine Kindheit in zu großen Häusern verbringen müsste. Begriff er denn gar nichts? Verärgert erklärte Hermann Weil seinem Sohn, dass ihre Häuser und Grundstücke nur deshalb so groß seien, weil er sie sich erarbeitet hätte. Doch zum ersten Mal ließ Felix eine Antwort seines Vaters mit offenen Fragen zurück.

Auf ihren Ausritten hatte der voller Anerkennung von den golondrinas gesprochen, den italienischen Erntehelfern, die ›Schwalben‹ genannt wurden, weil sie wie Zugvögel im Rhythmus der Erntezeiten zwischen ihrer Heimat Italien und den argentinischen Getreideregionen hin und her zogen. Sein Vater sagte, diese Piemontesen seien fleißige und arbeitsame Männer, denen Italien einen großen Teil seines Aufschwungs zu verdanken hätte. Denn sie brächten ihr gesamtes Geld, das sie in Argentinien bei der Erntearbeit verdienten, in die Heimat zurück. Obwohl diese Männer ebenso fleißig und hart wie sein Vater arbeiteten, lebten sie – Felix hatte es mit eigenen Augen gesehen – in einfachen Lehmhütten auf abgelegenen Feldern; nicht in so einer großen Estancia wie sie. Zwar wohnten seine Freunde Antonio und Fernando und ihre Eltern Juana und Jacinto mit bei ihnen im Haus. Aber selbst das Spielzimmer seiner Schwester war größer als der Raum, in dem Antonio und Fernando mit ihren Eltern schliefen. Juana, einst seine indianische Amme, arbeitete bei ihnen als Köchin. Jacinto, ihr Mann, war Chauffeur und persönlicher Diener seines Vaters. Sein Vater war zwar immer freundlich zu ihnen. Aber selbst wenn die Eltern seiner Freunde nicht besonders unglücklich wirkten, fragte er sich, wie Freundschaften funktionieren sollten, wenn einer allein in einem riesigen Haus wohnen durfte und der andere sich ein kleines Zimmer mit seiner ganzen Familie teilen musste.

Während er sich diese Art von Fragen zu stellen begann, wurde er zufällig Zeuge, wie sein Vater einen Lehrling aus der Firma warf. Die Szene war ihm noch Jahrzehnte später genau vor Augen. »Sein Gesicht war gerötet, seine Augen tränenerfüllt, und er biss sich auf die Lippen. Er rannte zu dem Kleiderständer, riss seine Mütze herunter und war weg durch die Tür, alles in Sekunden.« Sein Vater hätte ihn entlassen, weil er zum zweiten Mal gegen eine Anordnung verstoßen hätte, erklärte ihm damals einer ihrer Buchhalter. »Was tut er denn jetzt?«, wollte er wissen. Der Buchhalter zuckte mit den Achseln: »Who cares …?«21 Es schien Felix, als sollte ein Exempel statuiert werden. Freundschaften, die nicht den gleichen Interessen dienten, konnten nicht funktionieren. Die Komplikationen, die sich für seinen Vater aufgrund seiner Stellung im Umgang mit Menschen ergaben, begannen sich auf seine eigenen Freundschaften zu übertragen. Sein Verhältnis zu Antonio und Fernando änderte sich. Von klein auf hatte er zu ihrer Familie gehört. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, dass es umgekehrt nicht so sein könnte. Denn er und seine Schwester hatten ihre leibliche Mutter selbst nie länger als eine Stunde am Tag gesehen. Felix Weils Erinnerung nach war dies die Stunde des Nachmittagstees. »Dann wurden wir hereingeführt, betrachtet und baldigst mit freundlichem Lächeln entlassen. ›Das muss so sein‹, sagte unsere Engländerin. ›Kinder sind für Eltern da, aber Eltern nicht für Kinder.‹«22 Aus Rücksicht auf die Mutter, die kein Spanisch sprach, wurde in ihrem Beisein nur deutsch gesprochen. Mit den Kindermädchen und Hauslehrerinnen redeten seine Schwester und er französisch und englisch. Waren sie alleine, wechselten sie sofort ins Spanisch über. Seit die französischen Kindermädchen und englischen Gouvernanten in der Erziehung an Juanas Stelle getreten waren, begann sich Felix immer weiter von Antonio und dessen älterem Bruder Fernando zu entfernen. »Aber«, stellte er im Rückblick fest, »zu meinem Erstaunen sagte ich nichts mehr über unseren Lebensstil und den meines indianischen Milchbruders Antonio.«23


Das große Haus in der Avenida Alvear in Buenos Aires füllte sich mit Leben, wenn die Brüder Hermann Weils mit ihren Familien zu Besuch kamen. Ferdinand Weil hatte inzwischen eine Tochter namens Carlota. Und Samuel Weil war Vater eines Sohns. Mit je einem beziehungsweise mit zwei Kindern war bei den drei Brüdern Weil, die selbst in einem Haushalt mit dreizehn Kindern aufgewachsen waren, die Familienplanung abgeschlossen. Nach dem Wunsch Hermann Weils sollte sein Sohn die Schulausbildung erhalten, die bei ihm selbst zu kurz gekommen war, da er mit 15 Jahren als Untertertianer von der Höheren Bürgerschule in Sinsheim abgehen musste. Obwohl es in Buenos Aires schon weiterführende Schulen gab, die Unterricht in deutscher Sprache anboten, entschied sich Hermann Weil für ein Gymnasium im Herkunftsland und schickte seinen Sohn im Alter von 9 Jahren alleine nach Frankfurt, wo Rosa Weils verwitwete Mutter lebte, bei der Felix die Wochenenden verbringen konnte. Wochentags sollte er mit anderen Jungen aus Übersee-Familien in der Pension eines Lehrers wohnen. Doch überkam ihn dort so viel Heimweh, dass er bald ganz zu seiner Großmutter zog.

Hermann Weil hatte das Frankfurter Goethe-Gymnasium ausgewählt; das Vorbild für die Modernisierung des Schulwesens im damaligen Preußen. Dass die ehemals freie Stadt Frankfurt zu Preußen gehörte, war dem Deutschen Krieg von 1866 geschuldet, dem zweiten der deutschen Einigungskriege, die 1871 zur Entstehung des Deutschen Kaiserreiches unter preußischer Hegemonie führten. Am Goethe-Gymnasium fand das ›Frankfurter Modell‹ Anwendung – eine Kombination aus modernen Sprachen als erster und Latein als zweiter Fremdsprache, ähnlich dem heutigen Regelgymnasium.24 Felix war offensichtlich ein guter Schüler. Denn ein von ihm verfasster Aufsatz auf Latein wurde ausgewählt, um an seinem Beispiel den Erfolg des ›Frankfurter Modells‹ auf der Brüsseler Weltausstellung 1910 im deutschen Pavillon zu präsentieren.25 Äußerst modern mutete auch der Kerngedanke des reformorientierten Lehrplans an. Er lautete ›Selbstunterrichtung‹. Felix nahm den didaktischen Ansatz beim Wort. Er ließ sich von der Köchin seiner Großmutter Entschuldigungsbriefe für die Schule schreiben und verbrachte die gewonnenen Vormittage in der Stadtbibliothek, wo er sich durch das vorhandene Bücherangebot las. Er war bei Zolas J’accuse angekommen, als ein Brief seines Vaters eintraf, in dem die Rückwanderung der ganzen Familie angekündigt wurde. Rosa Weil war an Krebs erkrankt, bei ihrem Mann hatten die Ärzte eine Lues im fortgeschrittenen Stadium festgestellt. Das Ehepaar wollte sich in Frankfurt von Paul Ehrlich behandeln lassen, der für seine Forschungsbeiträge im Bereich der Immunologie soeben mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war.

Gleich nach ihrer Ankunft gab Hermann Weil bei dem Architekten Alfred Engelhard Pläne für eine Villa in Auftrag. Fürs Erste bezog die ganze Familie eine Suite im Hotel Imperial am Opernplatz. Auf einem langen Tisch lagen ausgebreitet Engelhards Baupläne. Eines Tages wurde für ein maßstabgerechtes Modell ihrer künftigen Villa Platz gemacht. Felix sah seine Eltern Seite an Seite an dem langen Tisch sitzen und das puppenstubengroße Modell mit winzigen Miniaturmöbeln einrichten. Selten hatte er seine Eltern so vertraulich und einträchtig erlebt. In Buenos Aires hatte die großbürgerliche Etikette Nähe verhindert. In Frankfurt war die Distanz den Krankheiten geschuldet, über die mit den Kindern nicht gesprochen wurde. Umso mehr wusste Felix die Ausflüge mit seinem Vater zu schätzen. Der nahm ihn mit auf die Internationale Luftfahrtausstellung, auf der in Frankfurt 1909 drei Monate lang die Wunder der Luftfahrttechnik präsentiert wurden. In der ›Fliegerwoche‹, dem ersten internationalen Flugwettbewerb, ging Louis Blériot an den Start, der nur wenige Wochen zuvor als erster Mensch den Ärmelkanal überflogen hatte. Da Blériot persönlicher Gast Hermann Weils war, der zu den Frankfurter Geschäftsleuten gehörte, die die Preisgelder des Wettbewerbs gestiftet hatten, durfte sich Felix als Knirps von 11 Jahren in Blériots Flieger setzen. »Er gab Gas, und der Wind, den sein Propeller machte, legte die Grashalme auf dem Flugfeld um«, schwelgte er noch als alter Mann in der Erinnerung an diesen besonderen Moment. »Seitdem war Fliegen immer meine stille Liebe.« Höhepunkt der Messe war jedoch die Landung des Zeppelins, dem zu den Klängen des Deutschlandliedes sein Erbauer, Graf Zeppelin, entstieg. Dem Grafen zu Ehren kündigte Oberbürgermeister Franz Adickes noch am selben Tag an, dass die Stadt einer Straße seinen Namen geben werde. Ob Zufall oder Hermann Weils Begeisterung für die Luftfahrt geschuldet: Die vom Frankfurter Bürgermeister auserkorene Zeppelin-Allee war die Straße, in der Hermann Weil seine Villa bauen ließ.

Als der Bau schon weit fortgeschritten war, fuhr eines Tages die ganze Familie zu ihrem künftigen Wohnsitz. Wieder ein zu großes Haus, dachte sich Felix, als er die Zimmerfluchten sah. In der Eingangshalle der Villa war ein Lift eingebaut. Denn seit seine Beine immer stärker schlackerten, konnte Hermann Weil kaum noch gehen. Auch Rosa Weils Gesundheitszustand hatte sich sichtbar verschlechtert. Sie musste sich von ihrer Zofe stützen lassen, während sie langsam durch den parkartigen Garten gingen. An einer windgeschützten Stelle blieb sie stehen. Felix begriff erst später, dass seine Mutter an diesem Tag einen Platz im Garten für die Urne mit ihrer Asche ausgewählt hatte.26 Das von Paul Ehrlich entwickelte Arsenpräparat Salvarsan, das 1910 auf den Markt gekommen war, brachte in der medikamentösen Behandlung der Krankheiten nicht den erhofften Durchbruch. Rosa Weil starb 1912, noch bevor die Villa bezugsfertig war. Nach ihrem Tod wurde Felix für seinen Vater zum engsten Vertrauten.

Als sich Hermann Weil 1908 aus dem aktiven Geschäft zurückzog und nach Frankfurt zurückkehrte, wurde Gebrüder Weil und Partner eine Aktiengesellschaft. Der namentlich nicht bekannte Mannheimer Jugendfreund, der zusammen mit ihm und seinen Brüdern Ferdinand und Samuel die Firma 1898 gegründet hatte, schied damals aus. Seine zehn Prozent wurden zu gleichen Teilen an Julius Flegenheimer und Sigismundo Edelstein verkauft, zwei langjährige Prokuristen der Firma und nun die neuen Partner der Gebrüder Weil. Während Edelstein seitdem für die Kontakte zu den europäischen Importeuren zuständig war, leitete Flegenheimer die wichtigste Filialdirektion in Rotterdam, wohin sich der erkrankte Hermann Weil regelmäßig von Frankfurt aus im Mercedes chauffieren ließ, solange das sein Gesundheitszustand erlaubte. In der Firma ging jeder davon aus, dass anschließend Felix in die Fußstapfen seines Vaters treten würde.


Großbritannien hatte schon vor dem Krieg misstrauisch beäugt, dass deutsches Kapital im argentinischen Außenhandel eine immer größere Rolle spielte. Bei Kriegsausbruch 1914 verlangte es, das neutrale Argentinien müsse alle Handelsbeziehungen mit Deutschland abbrechen, und tatsächlich verzeichnete die argentinische Außenhandelsstatistik danach keine Handelsbeziehungen mit Deutschland mehr. Stattdessen kam es nun zu einem verstärkten Frachtschiffverkehr zwischen Argentinien und Inseln wie St. Vincent in der Karibik oder dem Hafen Las Palmas auf den Kanarischen Inseln. Auch wenn sich anhand der Dokumentationen an Bord nicht mit Bestimmtheit sagen ließ, dass die endgültige Destination der Getreidefracht weiterhin Deutschland war, lag diese Vermutung nah. 1916 verschärfte Großbritannien den wirtschaftlichen Druck und gab eine Liste mit den Namen feindlicher deutscher Unternehmen heraus, die in Lateinamerika präsent waren. Auf dieser Liste tauchte auch Hermanos Weil y Cía auf.27

Während sich in Argentinien die Lage zuspitzte, beschäftigte Felix Weil in Frankfurt gedanklich mehr als alles andere, dass nach dem Abitur seine ganze Klasse für Deutschland in den Krieg ziehen würde und er als gebürtiger Argentinier als Einziger zuhause bleiben sollte. Auch er wollte einen Beitrag für die in der offiziellen Kriegspropaganda als gerecht dargestellte deutsche Sache leisten. Sein Vater hatte die sechs Schlafzimmer im Obergeschoss ihrer Villa der Militär-Sanitätsverwaltung als Offizierslazarett zur Verfügung gestellt. Jede Woche erhielt er seitdem Besuch von einem Major der Frankfurter Kriegsamtsstelle und später sogar von einem Vertreter der Admiralität. Nach dem Abitur erfuhr Felix Weil zu seiner Überraschung, dass die Besuche nicht mit dem Lazarett in Verbindung standen, sondern mit einem ganz anderen Engagement seines Vaters. Dieser nämlich erstattete den militärischen Stellen wöchentlich Bericht über Argentiniens Fleisch- und Getreidehandel mit England. Seit er sich auf Anfrage hin in seinen Berichten auch zu persönlichen Einschätzungen über Wirkung und Dauer einer U-Boot-Blockade hinreißen ließ, hatte sich die Admiralität für sie zu interessieren begonnen. Und über die Admiralität gelangten die Berichte schließlich zum Kaiser. Wilhelm II. las sie aufmerksam durch, versah sie mit persönlichen Randbemerkungen und ließ sie anschließend über seinen Hofmarschall wieder an den Getreidehändler zurückgehen.

Felix Weil erinnerte sich, dass ihm sein Vater ein Dutzend solcher Berichte zeigte und ihn gleichzeitig bat, ihm künftig bei ihrer Ausarbeitung zu helfen.28 So durfte er als frischgebackener Assistent seinen Vater am 24. Juli 1917 ins Große Hauptquartier nach Bad Kreuznach begleiten. Dort empfing sie der Kaiser zu einem Mittagessen, dem sich ein frühes Abendessen mit Hindenburg und Ludendorff anschloss, die sich – wie schon der Kaiser – auch für ein persönliches Gespräch Zeit nahmen.29 Was der Grund für die viele Aufmerksamkeit war, die ihm in Bad Kreuznach zuteilwurde, schwante Hermann Weil allerdings erst hinterher, als er erfuhr, dass in der Deutschen Politik, dem Organ des Deutschen Flottenverbands, zwischen Februar und Juli 1917 vier Beiträge erschienen waren, als deren Verfasser er genannt wurde.30 Der letzte Aufsatz vom 27. Juli trug die Überschrift Die Wirkung von fünf Monaten U-Boot-Krieg und entpuppte sich als Kriegs- und Durchhaltepropaganda, mit der genau eine Woche nach Annahme der Friedensresolution im Reichstag immer noch von einem baldigen Siegfrieden durch einen unbeschränkten U-Boot-Krieg schwadroniert wird, während die Mehrheit im Reichstag ein Ende des Krieges und einen Verständigungsfrieden gefordert hatte. Noch fünfzig Jahre später versuchte Felix Weil in seinen Memoiren den Eindruck zu korrigieren, sein Vater hätte zum Lager der ultrarechten Nationalisten um Ludendorff und den im Reichsmarineamt beschäftigten Kolonialpropagandisten Paul Rohrbach gehört.31 Vielmehr sei es so gewesen, dass sein Vater von Rohrbach um die üblichen Berichte ersucht worden sei. Dieser habe sie dann ohne sein Wissen mit alldeutschem Gedankengut durchsetzt und an entscheidenden Stellen so überarbeitet, dass sie im Inhalt der eigenen Expansionsideologie glichen. Sein Vater sei ein deutscher Patriot gewesen, aber kein Alldeutscher.32 »Nach dem Krieg litt er sehr unter dem Gedanken, dass er von einem Haufen größenwahnsinniger Marineoffiziere benutzt worden war, ohne es zu merken, und schämte sich. (…) Er war im Grunde trotz seiner Millionen ein sehr einfacher Mensch geblieben: Getreide, das tägliche Brot für so viele Menschen, war seine Welt, und er vergab sich bis zu seinem Ende nicht, dass er in bester Absicht an so viel Unheil indirekt mitschuldig war.«33

Der argentinische Krösus

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