Читать книгу Wilder Engel - Jeanette Sanders - Страница 5
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ОглавлениеDie Landung verlief relativ unsanft. Um nicht zu sagen, hart. Härter als erwartet.
Was Angies eigene Schuld war, wie sie zugeben musste. Sie hatte sich ein wenig zu früh zur Seite geneigt, um sich aus ihrer Wolke auf den Strand zu befördern.
In ihren Instruktionen hatte es nur lapidar geheißen:
1. Abwarten, bis Trägermaterial etwa 100 bis 120 Zentimeter über dem Erdboden schwebt.
2. Sich wie in einer Hängematte zur Seite neigen.
3. Beine über den Rand schwingen und abspringen.
Keine sonderlich anschauliche Beschreibung, wie Angie fand. Immerhin befand sie sich zum allerersten Mal in der gewöhnungsbedürftigen Lage, als Engel auf die Welt zu kommen. Ohne vorherige Wiedergeburt und vorschriftsmäßige schrittweise Aufpäppelei. Nach dem Motto: vom Küken zum Schwan. Oder zur Ente. Je nachdem. Und deshalb bereits von Anfang an mit dem vollen Equipment ausgestattet – mit einem weiblichen Körper, dessen Bauteile angeblich auf die Bedürfnisse jedes durchschnittlich normalen Mannes zugeschnitten waren.
Sie konnte sich auch nicht erinnern, jemals in einem ihrer vorangegangenen Erdenleben in einer Hängematte genächtigt zu haben.
Was daran liegen mochte, dass sie sich eigentlich auch an gar nichts erinnern sollte!
Man war in der oberen Etage nämlich einhellig der Meinung, es sei besser, die Abgesandten mit blanker Hintergrundleinwand – was so viel hieß wie: ohne eventuell störende Erinnerungen – zur Recherche antreten zu lassen.
Was in Angies Fall offenbar nicht ganz klappen wollte.
Jedenfalls überfiel sie jetzt, kurz nach der unsanften Landung – sie war letztendlich Hals über Kopf aus ihrem Trägermaterial gepurzelt – eine ziemlich heftige Erinnerung.
Nämlich daran, dass sie schmerzlich so etwas wie Gepäck vermisste. Allem voran ein Ding namens Beautycase. Immerhin haftete eine größere Portion feinkörnigen Sandes an Angies rechter Wange. Genau dort, wo sie zuerst mit dem Gesicht den Strand geknutscht hatte. Wobei sie es keineswegs irgendwelchen Kirchenfürsten hatte nachmachen wollen, die gerne mal bei Landungen in fremden Ländern deren Schollen küssten.
Sie erinnerte sich einfach nur überdeutlich daran, was eine Frau in ihrer Lage jetzt am dringendsten brauchte: ein zartes Kosmetiktüchlein, eine Feuchtigkeitscreme, eine Dose Puder-Make-up und eine Bürste für die Haare.
Angie guckte sich um und fluchte schließlich laut. Auch dies anscheinend ein Überbleibsel aus ihren vagen Erinnerungen an frühere Aufenthalte auf der Erde.
Im Osten begann bereits die Sonne aufzusteigen. Der Horizont verfärbte sich zusehends knallorange.
Ein Anblick, den Angie früher geliebt und dementsprechend genossen hatte.
Allerdings war sie da immer im Besitz einer Tasche oder eines Rucksacks gewesen. Inhalt siehe oben. Unter anderem. Und fast immer in Begleitung. Männlicher Begleitung.
Ihre Augen suchten den breiten Strand ab, der sich kilometerlang am Atlantik entlangschlängelte. Nichts. Keine Menschenseele war zu sehen. Nicht einmal ein streunender Hund.
Sie sprang auf und klopfte sich den Sand von der Jeans. Dabei stellte sie fest, dass selbst in ihrem Bauchnabel, der kess unter dem knappen Bustier hervorlugte, Sand klebte. Anschließend untersuchte Angie ihre Hosentaschen.
Hinten, an der rechten Pobacke, wurde sie schließlich fündig.
Es war gar nicht so einfach, die beiden Chipkarten aus der Gesäßtasche zu ziehen, ohne sich dabei die Fingernägel zu brechen. Die verdammte Jeans saß eindeutig einen Tick zu eng! Das dumme Ding hatte Angie bereits auf der Anreise ordentlich zwischen den Beinen gekniffen.
Immerhin bot sich ihr jetzt ein beruhigender Anblick. Sie hielt nämlich eindeutig eine Kredit- und eine Ausweiskarte in der Hand.
Beide ausgestellt auf den Namen: ANGELA ENGEL.
Angie nickte zufrieden.
Sobald sie die nächste Ortschaft erreicht hatte, die laut den Instruktionen nur wenige Kilometer entfernt lag, würde sie sich an einen Bankautomaten begeben. Und anschließend, wenn die Geschäfte öffneten, in die nächste Boutique.
Der wirkliche Pluspunkt an dieser ansonsten lächerlichen Abgesandten-Reise war eindeutig der, dass sie einkaufen konnte, bis die Schwarte krachte. Die Kreditkarte, so stand es ebenfalls in den Instruktionen, war unbegrenzt gedeckt!
Jedenfalls so lange, wie Angie ihren Auftrag buchstabengemäß erfüllte.
Was nicht allzu schwer sein dürfte.
Warum laufen die Beziehungen zwischen den Geschlechtern auf dem Planeten Erde immer schlechter?
Woher kommen zunehmende Disharmonie und Chaos zwischen Mann und Frau?
Wieso tobt da ein nicht enden wollender Kampf?
Alles Fragen, an die Angie sich noch einigermaßen lebhaft erinnerte. Aus ihrem letzten Erdenleben, das noch gar nicht so lange zurücklag, wie man ihr gesagt hatte. Dunkel glaubte sie sogar, in ihren Erinnerungsfetzen gewisse Buchtitel aufblitzen zu sehen, die sie damals zu dem Themenbereich gelesen haben musste.
Romane meistens.
Aber auch in TV-Talkshows waren ihr dieselben Fragen wiederholt begegnet. Eine Lösung hatte es dabei natürlich nie gegeben. Weder am Ende eines Romans noch im Fernsehen oder Radio.
Also würde auch Angie den Teufel tun und sich überarbeiten bei diesem verrückten Auftrag!
Das Einzige, worauf sie wirklich achten musste, war:
SIE DURFTE SICH UNTER KEINEN UMSTÄNDEN VERLIEBEN.
Wenn sie sich verliebte, dann war alles Essig. Dann nämlich würde sie keine Wolke eines Tages wieder abholen.
Sie würde in dem Fall auf der Erde bleiben müssen, mit allen Konsequenzen: sofortiger Entzug der unbegrenzt gedeckten Kreditkarte sowie des Ausweises! Identität futsch, Kohle futsch, und damit alles futsch!
So einfach und ergreifend war das.
Von diesem Moment an würde Angie Ex-Engel zugucken müssen, wie sie alleine über die Runden kam. Und das ohne irgendeinen Stammbaum, ohne familiäre Bande nebst Geburtsurkunde, einem zugehörigen festen Wohnsitz, Schul- und Arbeitszeugnissen und dergleichen Dingen mehr, die ein legales Erdenleben überhaupt erst möglich machten.
Nicht einmal heiraten könnte sie in diesem Fall!
Die einzige Möglichkeit, die ihr dann noch bliebe, wäre eventuell, sich darum zu bemühen, ihre Sterbeurkunde aus dem letzten legalen Leben aufzutreiben. Allerdings war es höchst fraglich, ob sich darauf eine zweite Vita aufbauen ließe.
Noch während sie diesen Gedanken weiter ausspann, musste Angie kichern. Schließlich warf sie sich laut lachend zurück in den von der Nachtkühle immer noch feuchten Sand.
Offensichtlich war ihr wenigstens der unverwüstliche Humor aus dem letzten Leben verblieben! Und eine durch nichts zu erschütternde Zuversicht in ihre eigenen Fähigkeiten: Wenn es solch unangenehme Folgen hatte (nebst einem weiteren unvermeidlichen Alterungs- und einem daran anschließenden Ablebeprozess) – dann würde Angie sich eben einfach nicht verlieben.
Punkt. Und Amen.
SEX war übrigens nicht verboten.
SEX war sogar ausdrücklich eingeplant.
SEX gehörte zum Spiel. Zwischen Männlein und Weiblein. Und damit wohl automatisch auch zum Problemfeld. Eindeutig.
Das war selbst den obersten Rängen klar.
Also war Angie SEX eindeutig und logischerweise erlaubt – ja regelrecht aufgetragen – worden. Alles zum heiligen Zweck der besseren Recherche, versteht sich.
Unter Punkt Nummer 5 der Allgemeinen Instruktionen.
Unter Punkt Nummer 6 wurde dann die Einschränkung nachgeliefert, die da zusammengefasst in etwa lautete:
Sex in allen Varianten: JA!
Sich dabei verlieben: NEIN! (Bei Strafe nicht!)
Angie wälzte sich immer noch hemmungslos kichernd im Sand, als plötzlich ein zweites Wölkchen lautlos herangesegelt kam.
Ein dumpfer Knall, direkt neben ihr, ließ sie zusammenfahren. Vor Schreck setzte sie sich aufrecht hin. Jetzt erst bemerkte sie das edle Reiseutensil neben sich im feuchten Sand.
»Hermes«, dachte sie, wie der Götterbote. Da hat sich wohl jemand ganz oben für besonders witzig gehalten.
Die Reisetasche enthielt – in dieser Reihenfolge von oben nach unten geschichtet:
Einen superknappen Bikini in Leucht-Orange.
Ein Nachthemd, das die Bezeichnung »Hemd« eigentlich nicht verdiente, so kurz war es.
Ein schwarzes Abendkleid mit hohen Schlitzen links und rechts. Und einem tiefen, spitzen Ausschnitt vorne bis etwa zur Höhe des Bauchnabels.
Ein Paar hochhackige Sandaletten in Rot mit Silber.
Ein Beutel mit hochwertigen Kosmetikartikeln und Pflegeprodukten, deren Markennamen alleine schon genügten, um Angie ein faltenfreies Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.
Make-up in diversen pudrigen Naturtönen, dazu passende Lippenstifte, Wimperntuschen, Lidschatten et cetera.
Parfüm der absoluten französischen Spitzenklasse.
Zum Schluss zog Angie schließlich noch eine Ledertasche heraus, die ein Notebook – selbstredend auch der Edelklasse angehörend – enthielt.
In den Instruktionen war der Laptop ebenfalls aufgeführt gewesen. Sie erinnerte sich jetzt wieder.
Zweimal die Woche sollte sie damit einen kurzen Lagebericht verfassen und nach oben senden. Mittels eines speziellen Modems und einer Technik, die beide auf Erden völlig unbekannt waren.
Hiesige Computerfreaks würden vor Freude einen tödlichen Herzanfall erleiden, hatte es in den Instruktionen wortwörtlich und warnend geheißen. Weshalb es Angie strengstens untersagt war, den Laptop in der Öffentlichkeit zu benutzen oder gar zu verleihen. Die Menschheit trieb nach Meinung der obersten Etage schon so genug Unfug mit moderner Technik. Man musste sie wahrlich nicht noch auf mehr abwegige Ideen bringen.
Sie hatte außerdem ein Passwort erhalten.
Mit dessen Hilfe würde Angie eine ganz bestimmte Datei öffnen können, deren Inhalt nichts anderes als eine detaillierte Beschreibung ihrer neuen bürgerlichen Existenz war. Das Nötigste wusste sie allerdings bereits.
Die junge Frau, in deren Fußstapfen sie vorhin bei ihrer Landung automatisch getreten war, weilte angeblich seit wenigen Wochen nicht mehr unter den Lebenden. Ein Umstand, der sowohl ihrer Familie als auch ihren Freunden derzeit unbekannt war. Und es, zumindest vorerst, auch bleiben sollte. Jedenfalls wenn es nach der obersten Etage ging! Und nach der ging es ja immer.
Angela Engel war knapp 35 Jahre alt geworden. Sie war Künstlerin gewesen, Bildhauerin und Malerin. Vorzugsweise Aktmodelle. Nebenbei stand – oder besser lag – sie selbst ohne eine Faser am Leib in der Akademie Modell, damit Geld in die oft leere Kasse kam.
Geburts- und letzter offizieller Wohnort: München, Stadtteil Sendling.
Außerdem war Angela eine überzeugte Globetrotterin gewesen. In den vergangenen zehn Jahren hatte sie sich mehr oder weniger ständig in der Weltgeschichte umhergetrieben. Bis ihr kürzlich ein Trip ins Amazonasgebiet zum Verhängnis geworden war.
Angie seufzte leise, als sie an diese dürftigen Informationen dachte, die sie momentan besaß.
Sie würde sich in Kürze näher mit dem Laptop und der gespeicherten Datei auseinandersetzen müssen. So viel stand fest.
Die Rede war weiter gewesen von sorgfältig ausgewählten Ausschnitten eines oder mehrerer Tagebücher, die Angela in den erwachsenen Jahren ihres Lebens regelmäßig geführt hatte.
Es war Angie dringend ans Herz gelegt worden, sich auch hiermit ausreichend vertraut zu machen. Nähere Angaben hatte sie allerdings nicht erhalten.
Nun, es wird sich schon alles finden!, dachte sie zu ihrer eigenen Beruhigung. Notfalls stehen mir ja im Engelstatus so einige Tricks zur Verfügung, sollte es irgendwann mal wo brenzlig werden.
Sie warf die Sachen zurück in die Hermes-Reisetasche. Nur der Schminkbeutel durfte draußen an der frischen Meeresluft bleiben.
Während Angie am Strand anfing, ihr Gesicht zu säubern und neu zu schminken, bekam einige hundert Meter weiter ein Mann allmählich einen Wadenkrampf vom Wassertreten.
Allister Fraser hatte eine durchzechte, lange Nacht hinter sich. Er und seine Freunde, eine Gruppe junger Iren und Schotten, waren die Letzten gewesen, die heute Morgen gegen fünf aus dem Dubliner geflogen waren. Lange, nachdem die Band die Instrumente weggepackt und sich zu den meist betrunkenen Gästen an die lange Bar gesellt hatte.
Während Allisters Kumpel beschlossen, gemeinsam ein Taxi zurück zum Hotel zu nehmen, war er einfach in die warme Nacht hinausgelaufen. Es war Zeit, den Kopf wieder klar zu kriegen. Immerhin weilte er nicht zu einem Urlaub auf der Insel, wie die meisten seiner Freunde.
Allister Fraser hatte beschlossen, ein neues Leben anzufangen. Weit weg vom schönen, aber kalten und nassen Schottland. Und vor allem weit weg von seiner letzten, enttäuschenden Beziehung.
Allein die Erinnerung an Amy brachte vor Wut bereits wieder das Blut in ihm zum Kochen.
Diese unbändige Wut in ihm hatte Allister heute Nacht Flügel verliehen. Und so kam es, dass er sich plötzlich weit außerhalb von Las Americas wiederfand. An einem zweifellos schönen, breiten Sandstrand, den er bislang untertags noch kein einziges Mal besucht hatte.
Kurzerhand war er aus seinen verschwitzten Sachen gehüpft und splitternackt der sanften Brandung entgegengelaufen. Der Atlantik war jetzt im Frühsommer noch ein wenig kühl, aber was ein waschechter Schotte ist, der kann das ab.
Allister hatte sich in die Arme des Meeres geworfen und war mit kräftigen Zügen weit hinausgeschwommen.
Er wusste, dass er nicht nüchtern war, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Er wusste auch, dass der Atlantik an vielen Stellen rund um die Insel herum gefährliche Unterströmungen aufwies. Aber das war ihm egal, außerdem war er ein guter Schwimmer, das musste genügen. Ein echter Mann hatte schließlich im Leben keine andere Wahl, als nur auf sich selbst und seine Fähigkeiten zu setzen.
Irgendwann war Allister dann doch umgekehrt.
Da sah er sie.
Die Wolke.
Sie schwebte lautlos heran wie ein Mini-Raumschiff, bis sie vielleicht noch gerade mal einen knappen Meter über dem Strand hing wie eine riesige Seifenblase. Plötzlich plumpste eine Gestalt aus dem Wolkengebilde.
Allister keuchte vor Überraschung und verpasste dabei glatt die Welle, die jetzt prompt von hinten über seinen Kopf hinwegrollte.
Als er endlich wieder über Wasser war und etwas sehen konnte, war die Wolke weg.
Aber die weibliche Gestalt am Strand, die war noch da! Jetzt fluchte das Mädchen auch noch lautstark.
Um ein Haar hätte Allister gleich noch einmal Wasser geschluckt. Dieses Mal vor Lachen.
Mann!, dachte er, musst du betrunken sein! Das ist dir doch zum letzten Mal vor 20 Jahren passiert. Und du wolltest es nie wieder erleben. Die Kleine da drüben am Strand hat offensichtlich auch zu viel intus. Wenn du der jetzt im Adamskostüm gegenübertrittst, kriegt sie wahrscheinlich einen Schrei- oder Heulkrampf. Oder sogar beides, und das zur gleichen Zeit! Das tust du dir doch nicht an, Allister Fraser, oder? Du hast genug durchgemacht in letzter Zeit. Denk an Amy.
Vor allem der allerletzte Gedankenfetzen ließ Allister – nun allmählich doch fröstelnd – in den Meereswogen verharren.
Vorsichtshalber trat er einfach Wasser. Er wollte so wenig wie möglich Unruhe verursachen. Ausgerechnet heute Nacht nämlich benahm sich der oftmals wilde Atlantik lammfromm. Die Wasseroberfläche glich beinahe einem Spiegel. Nur hin und wieder kam eine größere Welle angerollt, gefolgt von einigen kleineren, die gemeinsam zum Strand hin in eine sanfte Brandung ausliefen.
Die junge Frau starrte mittlerweile interessiert aufs Meer hinaus. Wie es schien, haargenau in Allisters Richtung!
Verdammt! Sie durfte ihn nicht entdecken.
Ausgerechnet jetzt musste sich natürlich auch noch dringend der Sonnenaufgang penetrant bemerkbar machen. Damit das Mädel nur ja genug zu sehen kriegte.
Rasch tauchte Allister mit dem Kopf unter Wasser ab.
Als er wieder hochkam, hatte er Angies Lachanfall und die Ankunft der Hermes-Reisetasche in einer weiteren Wolke glatt verpasst.
Was er dagegen zu sehen bekam, waren Angies Bemühungen, ihr Aussehen auf stadtfein zu trimmen. Sie war so beschäftigt mit sich selbst, dass Allister es wagen konnte, vorsichtig näher zu schwimmen.
Er musste schnellstens Boden unter den Füßen gewinnen, ehe ein schmerzhafter Krampf in seinem linken Unterschenkel ihn schwimmunfähig machte.
Hastig suchte er mit den Augen den Strand ab. Sein Blick blieb linker Hand an einer Art Holzhütte hängen, die sich dunkel gegen den hellen Sand abhob.
Es musste sich um einen dieser Kioske handeln, an denen man untertags Eis und kalte Getränke kaufen konnte.
Leider war das Ding zu weit weg, um es mit einem heftigen Wadenkrampf auf dem Wasserweg anzupeilen.
Allister wusste, dass er keine andere Wahl hatte: Er musste zum Stehen kommen, kräftig auftreten und dabei die Beinmuskeln strecken, damit der extrem schmerzhafte Krampf sich lösen konnte.
Also paddelte er mit zusammengebissenen Zähnen schnurstracks weiter aufs rettende Ufer zu.
In diesem Augenblick schien das Glück beschlossen zu haben, ihm hold zu sein!
Angie war nämlich aufgesprungen und hatte schwungvoll die langen blonden Locken kopfüber nach vorne geworfen. Dann begann sie, mit kräftigen Bürstenstrichen die Mähne zu bearbeiten.
Diesen Moment konnte sich Allister nicht entgehen lassen.
Durch den Haarvorhang hindurch kann sie garantiert nichts sehen!, dachte er zuversichtlich und schwamm schneller. Er fühlte Grund unter den Füßen und begann instinktiv zu laufen. Er wollte erst in seichteres Wasser gelangen und dann nach links abdrehen. Dorthin, wo der Kiosk als Sichtschutz lockte.
Angie sah ihn nicht, aber sie spürte deutlich, dass etwas – oder besser jemand – auf sie zukam! Immerhin war sie ein Engel und damit vielseitig »seherisch« begabt.
Weil sie mit ihren Haaren ohnehin fertig war, warf Angie die Lockenmähne flott zurück, um den Blick freizubekommen.
Was sie dann sah, schockte sie im ersten Moment doch ganz gewaltig. Der nackte Hüne kam direkt aus den Atlantikfluten auf sie zugeschossen! Mit seinen verzerrten Gesichtszügen sah er aus wie ein Wilder auf der Jagd nach Skalps und wehrlosen Blondinen.
Angie vergaß vor Schreck sekundenlang, dass ihr als Engel gewisse übernatürliche Kräfte zustanden (zumindest in riskanten Momenten!) – und verhielt sich genauso, wie sie sich auch in ihrem letzten Leben als normale Frau verhalten hätte.
Sie schrie gellend auf. Aber schon verwandelte sich der Schreck zunehmend in Ärger. Ihr war nämlich eben aufgefallen, dass es im Jahr 2005 nach Christus auf einer Ferieninsel wie Teneriffa gar keine frei umherjagenden Wilden mehr geben konnte!
Was fiel dem Kerl demnach eigentlich ein? Sie hier einfach zu überfallen und zu Tode zu erschrecken! Splitternackt noch dazu.
»Sind Sie komplett verrückt geworden?«, schleuderte sie Allister entgegen, der gerade das rettende Ufer erreicht hatte und nach links abdrehen wollte. Irgendwo dort drüben mussten auch seine Kleider liegen.
»Verzeihung! Ich wollte nicht …«, begann er keuchend.
»Sie haben aber!«, unterbrach sie ihn scharf.
Abrupt blieb Allister stehen. Nicht, weil er es wollte. Oder wegen ihres rüden Tonfalls. Sondern weil sein verkrampfter Beinmuskel ihn nicht mehr trug. Aber das brauchte diese fauchende Wildkatze nicht zu wissen.
Langsam drehte Allister sich vollends zu Angie um und starrte sie an.
Und dann fiel ihm wahrhaftig kein blöderer Satz ein als dieser: »Mein Gott! Sie sind ja schön wie ein Engel!«
Und dabei hatte er sich nach der Sache mit Amy doch fest vorgenommen gehabt, einer Frau nie wieder im Leben Komplimente zu machen! Snakes, Schlangen waren sie, allesamt!
»Sehr witzig, Mann. Verarschen kann ich mich wahrlich selber.« Angie war verblüfft, welches Vokabular ihr nach der langen Zeit in einer anderen Dimension und auf einer völlig anderen Kommunikationsebene noch immer zur Verfügung stand.
»Warum sind Sie eigentlich so kratzbürstig zu mir? Was habe ich Ihnen denn getan?«
Noch während Allister diese Worte aussprach, spürte er, wie sein Beinmuskel sich schlagartig entkrampfte. Dafür wurde aber ein anderer Körperteil plötzlich hart wie ein verdammtes Brett.
»FUCK!«, entfuhr es Allister Fraser aus Aberdeen in Schottland in diesem Augenblick des ersten Schocks.