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Dr. NIVEA CREMER

Diplom-Psychologin / Psychotherapeutin

Sprechstunden:

Dienstag – Freitag 11-20 Uhr

Samstagvormittag nach Vereinbarung

Dienstagvormittag kurz nach 10 – meine Arbeitswoche hatte begonnen. Voller Energie ließ ich mich in den bequemen Leder-Drehsessel hinter meinem ausladenden Schreibtisch plumpsen. Anna, Sekretärin und gute Seele der Praxis, hatte bereits die Akte des ersten Klienten für heute bereitgelegt. Ich warf einen kurzen Blick darauf – Willi Mayer, stand da in Annas steiler Schönschrift auf dem Umschlag. Meiner Brust entrang sich ein leiser Stoßseufzer. Ich schwang herum und schaltete den Monitor des Computers ein. Ein Mausklick und Mayer, Willi erschien auf dem Bildschirm. Darunter meine Kurznotizen zur letzten Therapiestunde, die ich der Akte Willi Mayer nicht anvertrauen mochte. Und die jedes Mal nach einer Gesprächsrunde gelöscht und aktualisiert wurden. Schließlich musste ich bei jedem Klienten an die letzte Stunde nahtlos anknüpfen können.

Anna streckte den Kopf durch die Tür. «Kaffee?»

«Heute lieber Tee. Ich habe noch Herzklopfen von gestern», wehrte ich ab.

Anna grinste. «Schönen Tag gehabt?»

«Mhm. Aber vor allem kommt in einer halben Stunde Willi Mayer. Bei dem kriege ich jedes Mal Herzrhythmusstörungen.»

Jetzt lachte Anna glucksend. «Hätte nicht gedacht, dass er dein Typ ist, Nivea.»

Ich guckte sie strafend an. «Ist er auch nicht, wo denkst du hin! Er treibt mich bloß irgendwann in den Wahnsinn, wenn ich nicht höllisch aufpasse. Willi Mayer hat die Fähigkeit, seine Spleens so überzeugend darzustellen, dass ich hinterher tatsächlich immer öfter glaube, ich hätte ein Problem und er sei völlig okay.»

«Ist das nicht eine Berufskrankheit aller Psychologen?», fragte Anna mit einem harmlosen Gesichtsausdruck.

«Jetzt aber raus hier!» Kichernd entfloh Anna. Fünf Minuten später hatte ich eine große Kanne heißen, duftenden

Früchtetees vor mir auf der Schreibtischplatte stehen.

Das Telefon klingelte.

«Nivea, hier ist Molly», hallte es mir aus dem Hörer entgegen, ehe ich mich überhaupt gemeldet hatte.

Der aufgeregten Stimmlage nach zu urteilen, musste sich meine Freundin Miriam Stecher, die sich selbst Molly nannte (und von allen Freunden und Gästen auch so genannt wurde, denn der Name passte zu ihr), in einer misslichen Lage befinden. Molly war normalerweise die Ruhe und Ausgeglichenheit in Person. Sie besaß viel Humor und durch ihren Job als Kneipenwirtin auch jede Menge Lebenserfahrung. Molly brachte unter normalen Umständen nichts so leicht aus der Fassung. Ich warf einen kurzen, prüfenden Blick auf die Uhr – noch fünfzehn Minuten, bis Willi Mayer hier auftauchen würde.

«Wo brennt’s denn, Moll?»

«Dieser Mistkerl», tobte Molly los, «zu Hamburgern sollte man ihn verarbeiten!» (Molly sagte «Hämbörgern», meinte also Hackfleischkuchen amerikanischer Geschmacksrichtung - und nicht etwa eine bestimmte Sorte Großstädter. Nur so viel zur Erklärung, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen! Molly war eben mit Leib und Seele Kneipenwirtin. Bei ihr und ihrem Bruder Bobby (Robert) gab es die besten Hämbörger auf der nördlichen Halbkugel ...)

«Pfui», witzelte ich, «dann esse ich vorsichtshalber in der nächsten Zeit nur noch Pfannkuchen bei euch. Oder die Gemüse-Quiche.»

Molly ignorierte meine Lästerzunge. Normalerweise war sie wirklich für jeden Spaß zu haben, mit ihr konnte man über alles kalauern. Es musste sich tatsächlich ein Drama abgespielt haben.

«Schieß endlich los!», forderte ich sie auf.

«Weißt du, was er hinterher zu mir gesagt hat?»

«Keine Ahnung», sagte ich wahrheitsgemäß.

«Er hat gesagt ...» Hier brach Molly die Stimme. Ich hörte geduldig zu, wie sie sich räusperte, ehe sie fortfahren konnte: «Er hat gesagt, er wollte nur mal wissen, wie es mit einer Dicken ist!»

«Arschloch in Kingsize-Version, würde ich sagen», entfuhr es mir, «und über so was regst du dich auf? Moll, was ist los mit dir? Ich meine, bist du verknallt in den Kerl, oder was? Und wer ist er überhaupt?»

Molly schniefte. «Er kam vor einer Woche oder so zum ersten Mal. Stellte sich an die Theke, trank zwei Bier, redete mit niemandem, guckte sich nur die Leute an. Er heißt Henry, aber das ist eigentlich nicht so wichtig.»

«Also gut, er heißt Henry, und er ist ein Arschloch. Und was weiter?», beharrte ich.

«Ich weiß seinen Nachnamen nicht, und heute Morgen ist er außerdem für ein Jahr nach Miami abgeflogen. Ohne wenigstens noch mal anzurufen. Er ist angeblich in der Sportartikel-Branche. Spezialgebiet Surfbretter.»

«Aha, wie aufregend! Ich schlage vor, du vergisst den Kerl einfach und legst ihn unter Lebenserfahrungen allgemeiner Art ab.»

«Ach, Nivea», seufzte Molly hörbar grämlich, «irgendwie ist plötzlich alle Luft aus mir raus. Ich fühle mich so richtig kläglich. Dick, dumm und hässlich!»

Meine innere Alarmglocke schrillte. Wozu war ich schließlich Psychologin? Hier war ich nicht nur als Freundin, sondern auch fachlich gefordert! Molly schien diesmal ein echtes Problem zu haben.

«Hältst du bis heute Abend durch, Moll?», erkundigte ich mich vorsichtig. «In fünf Minuten kommt nämlich schon mein erster Klient.»

«Sicher.» Mollys Stimme klang plötzlich wieder klar und hell. «Eigentlich hatte ich auch deswegen gar nicht angerufen. Ich wollte nämlich fragen, ob du heute Abend an der Bar aushelfen könntest. Bobby muss zu einer Versammlung des Tierschutzvereins, scheint wirklich wichtig für ihn zu sein.»

«Klar. Ich bin dann so gegen halb neun da. Und wegen Henry unterhalten wir uns nach der Sperrstunde weiter. Okay?»

«Okay! Obwohl, ich glaube, an den Mistkerl verschwende ich wirklich am besten keinen Gedanken mehr. Und erst recht keine kostbare Gesprächszeit mit meiner besten Freundin.»

Ich schmunzelte geschmeichelt in mich hinein und legte beruhigt den Hörer auf. Molly hatte das rettende Ufer erreicht. Das sagte mir meine Berufserfahrung. Und was diesen Henry anging – kastrieren sollte man den Kerl. So einem sollte ich mal auf der Autobahn begegnen ... Einen Moment lang dachte ich zurück an mein gestriges Abenteuer mit dem Lockenkopf. Ich schloss die Augen und ließ noch einmal einzelne Bilder wie in einem Kinofilm an mir vorüberziehen. Der Kleine würde auf alle Fälle einen Eintrag kriegen in Nivea Cremers Geheimem Erotischem Tagebuch, so viel stand jetzt schon fest. Ein besonderes Zuckerstückchen war er gewesen, dieser Motorrad-Beau mit seinem Knackpo!

Und wie beruhigend es doch war, überlegte ich weiter, dass ich ihn wohl kaum jemals im Leben wieder sehen würde. Kummer und Frust einer festen Beziehung würden mir erspart bleiben. Ebenso das unausweichliche allmähliche Abbröckeln der schönen äußeren Fassade; der Hickhack der täglichen Kleinkrämerei.

Ich musste unwillkürlich an meine Mutter denken. Mein Vater war auch so ein gut aussehender charismatischer Typ gewesen, und wie hatte sie unter ihm leiden müssen. Er hatte sich schlicht und ergreifend als nicht alltagstauglich erwiesen. Nicht zum Zusammenleben geeignet. Den Kopf ständig in den Wolken, jagte er grundsätzlich unerfüllbaren Wunschträumen nach. Seinen Frust darüber, stets immer wieder zurück auf den harten Boden der Realität geschleudert zu werden, ließ er dann an der Familie aus.

Ihm hatte ich es auch zu verdanken, dass ich in der Schule ständigen Hänseleien ausgesetzt war. NIVEA CREME riefen sie mich. Wer sonst, wenn nicht mein Vater, konnte auf die hirnrissige Idee kommen, als Träger des Familiennamens Cremer bloß darauf zu lauern, bis ihm eine Tochter geboren wurde, die er dann prompt auf NIVEA taufen ließ. Er amüsierte sich jedenfalls köstlich über meinen Spitznamen, der ihn ständig daran erinnerte, welch kreatives Potential doch in ihm steckte. Ich. hingegen brauchte viele Jahre, ehe ich in der Lage war, mich mit meinem Namen auszusöhnen und ihn schließlich sogar hübsch zu finden. Selbst meine Berufswahl war eigentlich eine direkte Folge der seelischen Pein meiner Jugendjahre.

Es klopfte an der Tür, dann streckte Anna auch schon den Kopf herein.

«Herr Mayer ist jetzt hier», verkündete sie förmlich.

Da wusste ich, dass er direkt hinter ihr stehen musste. Bereit, sich auf meine Couch zu stürzen. Er würde sich wundern. Heute war ich fest entschlossen, ihn vor meinem Schreibtisch auf dem Ledersessel zu platzieren – schau mir in die Augen, Kleiner!

«Gut. Er soll gleich hereinkommen ... Ah, Herr Mayer, ich grüße Sie! Nehmen Sie doch heute bitte hier auf dem Stuhl mir gegenüber Platz. Vielen Dank.»

Mein verbindliches Lächeln zwang ihn in die Knie. Gehorsam plumpste Willi Mayer, 52-jähriger, gut betuchter Inhaber einer Autoverleih-Kette mit Filialen auf Mallorca und Ibiza, in den Sessel vor meinem Schreibtisch. Ich konnte von meiner erhöhten Warte aus ein wenig auf ihn heruntersehen. Queen-Mum während der Privataudienz! Mal sehen, wie er auf diese für ihn ungewohnte Situation reagieren würde ...

«Wie geht es Ihnen, Herr Mayer?» – meine übliche Anfangsfloskel. Ich war selbst immer wieder überrascht davon, wie diese einfache Frage bei den meisten meiner Klienten sofort alle Schleusen öffnete. Diejenigen, bei denen sie diese Wirkung nicht hervorrief, gehörten zur verstockten Sorte.

«Bescheiden», sagte Willi Mayer. Seine Mundwinkel fielen nach unten. Ich beäugte ihn schweigend, hob nur fragend die linke Augenbraue. Notierte dann mittels eines weichen Bleistifts ein Kurzzeichen auf dem Blatt Papier, das vor mir auf dem Schreibtisch lag. Willi Mayers Augen folgten wie gebannt meiner Handbewegung.

«Ist etwas vorgefallen?», hakte ich in sanftem Tonfall nach.

«Wie man’s nimmt» – er zupfte ein Fusselchen von seinem dunkelblauen Sakko, sein volles Gesicht mit den Hängebacken rötete sich -, «dieses kleine Hotel im Schwarzwald, ich hatte Ihnen schon davon erzählt. Wo alle Zimmer im selben kackbraunen Stil eingerichtet sind und kein einziges Bild an irgendeiner Wand hängt –» Er brach ab, starrte mir eine Sekunde in die Augen. Ich nickte zustimmend, er nahm den Faden wieder auf: «Vor ein paar Tagen musste ich wieder einmal eine Nacht dort verbringen. Ich habe es nicht mehr ausgehalten und bin losgezogen, habe einen billigen Druck in einer kleinen Galerie erstanden und das Bild in meinem Hotelzimmer aufgehängt. Bei meiner Abreise habe ich es hängen lassen. Es machte den Raum nicht viel schöner, brachte aber dennoch eine gewisse wohnliche Atmosphäre hinein ...» – er räusperte sich – «... wenn Sie verstehen, was ich meine.»

Kurzes zustimmendes Nicken meinerseits. «Eine nette Geste von Ihnen», lobte ich, «vielleicht bringt das die Hotelbesitzer auf die Idee, demnächst alle Zimmer etwas aufzupeppen.»

Er zuckte mit den Schultern. «Kann sein, kann aber auch nicht seiṅ. Ich werde jedenfalls keine Gelegenheit mehr haben, das zu überprüfen. In dem Haus möchte ich mich nämlich nicht mehr blicken lassen.»

«Aber warum denn nicht? Es liegt doch so günstig zu Ihrer Filiale in dem Ort, wie Sie mir einmal erzählten. Keine zehn Minuten zu laufen.»

Er nickte kläglich und blies seine Hamsterbacken auf. Dann sagte Willi Mayer leise: «Ich schäme mich, ganz einfach!»

«Aber wofür schämen Sie sich denn dabei?»

«Die Geschichte ist noch nicht zu Ende!», nervös knetete er an seinen Fingern herum, ließ dabei die Gelenke knacken. Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Am liebsten hätte ich ihn angefahren, das sein zu lassen, aber das ging natürlich nicht.

«Letztes Wochenende», nahm er den Faden wieder auf – knack, knack machte erst der Zeige-, dann der Mittelfinger seiner linken Hand -, «war ich in Frankfurt am Main. Im Maritim. Bei der Abreise packte ich ein großes Badelaken, einen Bademantel und einen Aschenbecher des Hotels mit in meinen Koffer. Außerdem habe ich die halb leere Whisky-Flasche aus der Minibar mit schwarzem Tee aufgefüllt» – knack, knack, machten Ring- und kleiner Finger -, «was den Tatbestand des Betrugs erfüllt.»

Willi Mayer starrte betreten zu Boden, wich meinem Blick aus. Ich sagte nichts, wartete einfach ab, bis er sich wieder einigermaßen gefangen hatte. Nach guten fünf Minuten war es dann endlich so weit: «Man stelle sich das einmal vor! Ich, der erfolgreiche Geschäftsmann, klaue und betrüge in Hotels. Es ist wie ein innerer Zwang, ich kann einfach nichts gegen den Drang unternehmen. Hinterher ist es mir peinlich, außerdem stehe ich jedes Mal beim Auschecken Höllenängste aus, jemand vom Personal könnte mich auffordern, mein Gepäck zu öffnen. Erst nach zwei, drei Wochen lässt dann dieses innerliche beklommene Gefühl nach, man könnte mir noch auf die Schliche kommen. Und erst nach mehreren Monaten ist es mir dann wieder möglich, im selben Hotel abzusteigen» – er brach ab. Knack, knack, machten jetzt Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Er starrte dabei auf seine Füße hinunter, die in sündhaft teuren italienischen Lederschuhen steckten.

«Aber im Falle des Bildes in jenem Hotel im Schwarzwald haben Sie doch eine gute Tat vollbracht», gab ich vorsichtig zu bedenken, «warum dann auch hier dieses Schamgefühl? Das verstehe ich nicht. Können Sie mir das bitte erklären?»

«Das Schlimme dabei ist, dass ich sicher davon ausgehen muss, dass der Hotelbesitzer ganz genau weiß, wer den Druck dort aufgehängt hat», sagte Willi Mayer, «hier kann ich nicht einmal auf die Anonymität der großen Hotelketten hoffen, hinter der ich mich sonst verstecke.»

«Hm, verstehe», ich lächelte ihm aufmunternd zu, denn er hockte wirklich wie ein Häufchen Elend in seinem Sessel, «dann lassen Sie es eben in Zukunft einfach sein, dieses Klauen und Betrügen und Bilderaufhängen in Hotelzimmern! Wenn Sie der Drang danach heimsucht, denken Sie intensiv an Ihre hinterher sicher auftretenden Scham- und Schuldgefühle. Und sagen Sie laut zu sich selbst: ‹Ich habe es nicht nötig, zu klauen und zu betrügen. Es geht mir gut! Ich fühle mich wohl in meiner Haut! › Anschließend packen Sie ruhig und ohne übertriebene Hast ihre eigenen Sachen fertig – und zwar nur diese! – und verlassen Zimmer und Hotel. Vorher bezahlen Sie an der Rezeption die Getränke, die Sie der Minibar entnommen haben. Und die Sie sich auf einem Zettel notiert hatten. Sie sind ein erwachsener intelligenter Mensch, Herr Mayer, Sie schaffen das!»

Er straffte sich, sah mir in die Augen. «Klingt umwerfend einfach, aber ...»

«Kein Aber», unterbrach ich ihn streng, «es ist tatsächlich so einfach! Es ist immer so einfach. Sie werden sehen. Sie müssen es nur wollen, wirklich wollen, aus tiefster, innerster Seele wollen. Tun Sie das denn, Herr Mayer?» Ich sah ihm tief und fragend in die hellgrauen Pupillen.

«Ja, das tue ich!» Er warf sich richtiggehend in die Brust.

«Na, dann ist ja alles in Ordnung», erklärte ich freundlich,

«wir sehen uns dann heute in einer Woche wieder, zur selben Uhrzeit.»

«Nächste Woche bin ich auf Mallorca.»

«Gut, dann in zwei Wochen.»

Ich erhob mich und reichte ihm über den Schreibtisch hinweg die Hand. Sein Händedruck war kurz und kräftig. Willi Mayer hatte sich wieder in der Gewalt.

Ich ging um den Schreibtisch herum, um ihn zur Tür zu begleiten. Jovial-väterlich legte er eine Hand auf meine Schulter: «Na, wieder mal mit dem Jaguar eine Spritztour gemacht?» Er grinste wie ein Schuljunge von einem Ohr zum anderen: «Ist schon ein feines Autochen, was?»

Ich nickte. «Deswegen gönne ich mir das Vergnügen von Zeit zu Zeit. Beim Fahren kann ich besonders gut nachdenken und mich gleichzeitig entspannen. Der Motor schnurrt nur leise wie ein Kätzchen dazu. Sehr beruhigend, das Ganze. Ich bin Ihnen wirklich sehr verbunden für die günstige Tagesprämie. Immerhin handelt es sich ja auch um Ihren Privatwagen.»

«Ach was», er lachte dröhnend, «ich bin schließlich Autoverleiher von Beruf. Außerdem weiß ich den Jaguar bei Ihnen in den allerbesten Händen, Frau Doktor. Und wenn ich auf Mallorca oder Ibiza bin, steht der Wagen hier sowieso bloß herum. Greifen Sie also ruhig zu und nutzen Sie diese Gelegenheiten.»

«Danke, das werde ich von Zeit zu Zeit gerne tun.»

Ich kehrte an meinen Schreibtisch zurück. Aktualisierte im Computer die Notizen unter Mayer, Willi und warf dann noch einen Blick in seine Kartei. Ich blätterte ein wenig darin herum und fand schließlich das Blatt, nach dem ich gesucht hatte.

Willi Mayer am 19. Februar (erste Therapiestunde): «Eigentlich bin ich nur wegen eines Missverständnisses auf der Welt. Meinen Vater habe ich nie kennen gelernt, er war amerikanischer Besatzungssoldat. Meine Mutter war Deutsche, aus Düsseldorf. Sie hat mir die Geschichte erzählt. Demnach war es wohl so, dass sie dem attraktiven GI beim Tanzen erlaubte, sie zu küssen. Was sie damals nicht wusste, war, dass die Mentalität in den USA eine andere ist als in Europa. Für einen Amerikaner bedeutet die Tatsache, dass ein Mädchen sich von ihm küssen lässt, automatisch, dass sie auch bereit ist, mit ihm ins Bett zu steigen. Mein späterer Vater ging also nach dem Tanzabend prompt in die Vollen. Er überrumpelte meine noch unerfahrene Mutter völlig. Entjungferte die erst Neunzehnjährige und zeugte mich dabei. Drei Wochen später wurde er in die Staaten zurückbeordert. Zu dem Zeitpunkt dämmerte meiner armen Mutter erst allmählich, was er ihr tatsächlich angetan hatte. Bis sie sich ihrer Sache ganz sicher war, war er längst zurück in Kansas. Er ließ nie wieder von sich hören. Meine Mutter wollte mich wenigstens nach ihm benennen – William. Aber meine Großmutter setzte ihr so lange zu, bis sie sich mit Willi zufrieden gab. Das klang typisch deutsch und damit unverdächtig. Brauchte schließlich niemand zu wissen, woher mein Erzeuger stammte. Mayer blieb mir auch, weil meine Mutter so hieß und ich ja schließlich keinen offiziellen Vater hatte. Willi Mayer! Ich habe diesen Namen zeitlebens gehasst. Aber als Zufallsprodukt eines fast schon klassischen Missverständnisses konnte ich wohl nichts anderes erwarten. Manchmal fühle ich mich wie ein absolutes Nichts. Dann packt mich der unwiderstehliche Drang, irgendetwas Ausgefallenes, Verrücktes, vielleicht sogar Gefährliches oder Verbotenes zu tun. Bloß um Aufmerksamkeit zu erregen. Irgendeine Art von Spur zu hinterlassen. Es ist mir zwar gelungen, im Geschäftsleben sicher Fuß zu fassen und eine Menge Geld zu machen, aber glücklicher bin ich dadurch auch nicht geworden. Höchstens selbstsicherer. Und Willi Mayer heiße ich schließlich auch immer noch.»

So weit Willi Mayer im Originalton! Ich hatte ihn damals gebeten, einige Worte über sich selbst, seinen Charakter, seine Einstellungen, zu Papier zu bringen. Dies war es, was dabei herausgekommen war. Schlagartig wurde mir klar, dass im Fall Willi Mayer noch ein hartes Stück Arbeit vor mir lag. Allerdings saß ich, solange er mein Klient war, damit auch an der Quelle, was den silbergrauen Jaguar anging. Was Willi Mayer wohl sagen würde, wenn er wüsste, was ich mit und in seinem silberfarbenen Luxusschlitten ab und an so trieb ...?

Hastig schloss ich seine Kartei für heute und warf einen Blick auf meinen weiteren Stundenplan.

Erleichtert stellte ich fest, dass die anderen Klienten heute allesamt zu den eher leichten Fällen zählten. Mir würde also genügend Energie übrig bleiben, um meinen Aushilfsjob hinter der Bar in «Mollys und Bobbys Kneipe» zu meistern. Ich begann, mich auf die Abwechslung zu meinem Praxisalltag zu freuen. Als Bardame stand man nämlich automatisch mitten im prallen Leben, ob man wollte oder nicht ...

Die Jaguar-Lady

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