Читать книгу Die Jaguar-Lady - Jeanette Sanders - Страница 7
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ОглавлениеMolly segelte gerade aus der Küche, als ich gegen 20 Uhr 30 ein wenig atemlos in der Kneipe einlief. Auf einem riesigen Tablett schleppte sie mehrere Portionen riesiger Hämbörger auf Salat zu einem vollbesetzten Tisch in der Ecke neben der Tür. Sie zwinkerte mir kurz zu: «Hinten in der Küche steht auch einer für dich, Mäuschen. Iss erst mal, damit du nicht aus den Latschen kippst. Bobby muss erst so in zwanzig Minuten los.»
Ich nickte und sah ihr nach. Mit welcher Grazie diese Frau ihre immerhin Kleidergröße 54 durch Raum und Zeit bewegte! Selbstbewusst und verdammt weiblich wirkte sie, die gute Molly. Rundungen genau an den richtigen Stellen, eine Taille, wenn auch keine in Wespenformat. Aber was machte das schon! Mollys Dekolleté war außerdem eine Pracht. Zum Glück trug sie keine figurverhüllenden Kartoffelsäcke, sondern eng anliegende Bodys oder Blusen mit tiefem V-Ausschnitt. Ihre Haut war glatt und rosig. Ohne jeden Makel. Die Natur hatte es eigentlich gar nicht so schlecht gemeint mit Miriam Stecher, dachte ich unwillkürlich. Über einen Laufsteg würde sie vermutlich niemals geschickt werden, aber sie sah gut aus und hatte eine sinnliche Ausstrahlung. Zumindest für jemanden, der dafür eine Antenne besaß.
Ich erspähte erst jetzt Bobby, Mollys um ein einziges Jährchen jüngeren Bruder, der hinter der Theke stand und eifrig am Mixen war. Bobby winkte mir zu. Ich schlenderte rüber zu ihm an den Tresen.
«Hi, Nivea, schön, dass du heute einspringst», begrüßte er mich. Er besaß die gleichen grünblauen Augen wie seine Schwester. Auch sonst sah Bobby Molly verflixt ähnlich. Auch er hatte blondes, kräftiges Haar, das er in einer Art Bürstenschnitt streichholzkurz trug. Mollys Wallemähne hingegen reichte bis über die Schultern. Auch figürlich stand Bobby der Schwester in nichts nach. Dafür war er beinahe noch gut – und vor allem sanftmütiger als Molly, die schon mal überschäumen konnte. Bobby hätte es niemals fertig gebracht, auch nur einer Küchenschabe etwas anzutun. Nicht umsonst engagierte er sich im Tierschutzverein. Neben dem Kneipendienst am Abend half Bobby untertags einem Freund in dessen Tierschule mit angeschlossener Zoohandlung aus. Der Freund richtete neben dem Verkauf vor allem Papageien und Zwergäffchen, aber auch mal eine Boa oder eine Ziege und natürlich Hunde, Katzen und Meerschweinchen für Filmdrehs ab. Selbst bekannte Regisseure guckten zuerst bei Bruno rein, wenn sie einen tierischen Darsteller brauchten.
«Hi, Bobby», lachte ich, «mixt du vielleicht schon wieder eine deiner grässlichen Bloody Marys?» Angeekelt verzog ich das Gesicht. Ich hasste Tomatensaft aus tiefstem Herzen!
Bobby grinste. «Meine Bloody Mary ist bekannt im ganzen Viertel. Weckt nach einer besoffenen Nacht garantiert Tote auf. Du hast einfach keine Ahnung, was gut ist.»
«Champagner ist gut. Französische und spanische Rotweine sind gut. Meistens jedenfalls ...» zählte ich auf, «aber dieses Zeug da, diese Blutige Maria, ist ein Anschlag auf sämtliche Geschmacksnerven. Wenigstens in meinem Fall. Mir wird schon schlecht, wenn ich bloß meine Nase in ein Glas davon halte.»
Bobbys Grinsen vertiefte sich. «Irgendwann werde ich dich mal mit Champagner abfüllen bis zum Kragenknöpfchen, Frau Doktor. Wenn dir dann am nächsten Morgen so richtig schön schlecht ist und dein Schädel brummt bis zum Zerspringen, werde ich dir löffelchenweise die schärfste Bloody Mary einflößen, die ich jemals gemixt habe. Und hinterher wirst du mir noch dankbar um den Hals fallen und mich um die Rezeptur anbetteln, darauf wette ich.»
Ich streckte ihm die Zunge raus. Was ihn nicht davon abhielt, gleich noch eine seiner Weisheiten zur Verteidigung dieses schrecklichen Gesöffs draufzupacken: «Und sicher weißt du auch nicht, liebste Nivea, wie du den penetranten Gestank einer Stinktier-Attacke am schnellsten loswirst, stimmt’s?»
Ich schüttelte stumm mein Haupt.
«Du legst dich einfach in eine Badewanne mit Bloody Mary. Wirkt garantiert! Altes Insider-Rezept aus dem Wilden Westen!»
«Diese Radikalkur wird mir vermutlich zeit meines Lebens erspart bleiben. Für gewöhnlich laufen in unseren Breitengraden keine Stinktiere frei herum. Höchstens zweibeinige. Und gegen die hilft bereits im Vorfeld eine Dose Tränengasspray.»
Bobby lachte. «Wie auch immer. Ich habe dir vorsichtshalber einen ganzen Eimer Bloody Mary angesetzt. Brauchst du bloß noch in Cocktailgläser abzufüllen und den Rand zu dekorieren. So viel Kontakt mit dem Zeug wird dir wohl noch zuzumuten sein, ohne dass du uns hier umkippst?»
Eine Antwort blieb mir diesmal erspart, weil in diesem Moment zwei Männer neben mir am Tresen aufkreuzten.
«Barkeeper», rief der kleinere und dunklere von beiden, «eine Bloody Mary für mich und für meinen Freund hier» – er zeigte auf seinen gut aussehenden großen und blonden Begleiter – «einen stinknormalen Whisky on the Rocks.»
«Schottischen, irischen oder amerikanischen?», fragte Bobby, ohne eine Miene zu verziehen.
«Bourbon natürlich!», tönte es arrogant zurück.
Ich verkniff mir ein Grinsen, als ich Bobbys Gesichtsausdruck sah. Am liebsten hätte er bei den beiden gleich weiterdoziert, das merkte ich deutlich. Außerdem wusste ich ja, dass Bobby schottischen Malt-Whisky jedem anderen vorzog. Wofür er natürlich auch wieder triftige Argumente wusste.
Der Typ wandte sich jetzt seinem eindeutig hübscheren Freund zu: «So eine Bloody Mary vor dem Essen ist einfach genial. Die Würze belebt dermaßen den Gaumen, hinterher nimmt der dadurch auch schwächere Aromen besser wahr. Solltest du wirklich mal probieren, Hannes.»
Ich guckte vorsichtig zu Bobby, ob er die Bemerkung etwa auch aufgeschnappt hatte. Hatte er natürlich! Prompt zwinkerte er mir zu und hob den Daumen. Damit hatte der dunkle Kerl wieder Punkte gemacht, so viel war mir auch klar.
In dem Moment sagte der Blonde namens Hannes mit angenehm tiefer Stimme: «Lass gut sein, Karl. Ich hasse diese Tomatensuppe aus tiefstem Herzen. Es wird dir nicht gelingen, mich zu bekehren.»
Diesmal war es an mir zu zwinkern und den Daumen hochzuhalten. Dieser Hannes gefiel mir immer besser! Bobby ignorierte meine offensichtliche Freude darüber ganz einfach.
Molly rauschte hinter mir vorbei Richtung Küche. «Dein Hämbörger, Nivea!», zischte sie vorwurfsvoll dabei in meinen Nacken. Prompt knurrte jetzt auch noch mein Magen hörbar beleidigt los. Ich trollte mich hinter Molly her in die Küche, wo Mike, der drahtige kleine Koch, am Brutzeln war. Er hatte meine Portion warm gestellt und klatschte mir gleich noch eine riesige Portion Krautsalat mit auf den Teller. Mike wusste mittlerweile genau, womit man Nivea Cremers Gunst gewinnen konnte. Wenn mir jetzt jemand noch ein Fläschchen Champagner dazu kredenzen würde, dachte ich insgeheim, wäre mein Glück vollkommen. Natürlich ahnte aber keiner etwas von diesen meinen etwas abwegigen Gelüsten. Genauso, wie nicht einmal Molly, meine allerbeste Freundin, über meine montäglichen Autobahntouren Bescheid wusste ...
Molly wischte sich mit einem Kleenex über die Stirn. «Puh, heute geht’s aber wieder richtig rund da draußen.» Sie grinste zufrieden. Man merkte deutlich, dass sie ganz in ihrem Element war.
Sie wandte sich an Mike und ratterte fünf neue Bestellungen herunter. Der kleine Koch verzog das Gesicht, wie er es immer tat, und trollte sich widerwillig an den Grill.
Halblaut raunte Molly mir zu: «In Berlin soll in diesem Jahr die erste Molly-Misswahl stattfinden. Hab ich heute Mittag erst in der Zeitung gelesen. Stell dir das mal vor, Nivea! Am Ende werden mollige Frauen durch so was auch wieder salonfähig. Dann gibt’s sicher auch bald mehr Auswahl an erschwinglichen und trotzdem modischen Klamotten für unsereinen.»
«Ist doch toll», sagte ich kauend, «du bewirbst dich natürlich um die Teilnahme, Moll. Du hast sicher eine Bombenchance, bei deiner Ausstrahlung.»
Sie starrte mich an. «Das meinst du doch nicht im Ernst, Nivea, oder?»
Ich schluckte erstmal runter, ehe ich antwortete: «Aber hundertprozentig meine ich das ernst. Du, das wird einen völlig neuen Schwung in dein Leben bringen», allmählich begann die Begeisterung richtig mit mir durchzugehen.
«Ich kann so was nicht! Mich da auf einem Laufsteg powackelnd zu produzieren», wandte Molly ein.
«Natürlich kannst du das. Außerdem, wozu hast du eine Freundin, die Seelenklempnerin ist, hm? Ich mache dir den Coach, Baby! Ich baue dich so auf, dass du über den Laufsteg stolzieren wirst wie eine Göttin. Ausstrahlung und Selbstbewusstsein hast du doch von Natur aus, Moll. Und einen wunderbaren Humor dazu. Ich sehe dich schon auf dem Siegertreppchen.»
Molly lachte und tippte sich an die Stirn. Sie packte das volle Tablett, das Mike ihr entgegenstreckte, dann sagte sie: «Vielleicht versuch ich’s ja tatsächlich, Nivea.»
«Nicht vielleicht, sicher versuchst du es! Und nächstes Jahr heißt die Kneipe dann nur noch ‹Miss-Molly-Bar›! Die Leute werden euch die Bude stürmen, ihr werdet anbauen müssen, Bobby und du ...» Ich geriet jetzt regelrecht ins Schwärmen. Molly lachte und verdrehte die Augen: «Du bist und bleibst ein verrücktes Huhn, Nivea.»
«Kikeriki», krähte Mike dazu aus dem Hintergrund.
«Hat wieder gelauscht, der Suppenkasper», empörte sich seine Chefin, «Mann, ich habe verrücktes Huhn gesagt! Huhn, nicht Hahn! Seit wann krähen denn Hühner?»
«Seit der Osterhase Eier legt», sang Mike.
Bobby streckte seinen runden Kopf durch die Küchen-Flügeltür: «Nivea, ich muss allmählich los. Bist du bereit?»
«Aber klar doch!» Und schon stürzte ich mich hinein ins volle Kneipenleben.
Wenn ich geahnt hätte, was aus dieser Nacht und ihren Folgen noch werden würde, ich wäre wohl etwas vorsichtiger rangegangen!
Die beiden Kerle – Bloody Mary und Bourbon, auch Karl und Hannes genannt – hingen immer noch an der Theke herum. Ich schwebte hinter den Tresen.
«Meine Herren», sagte ich, «ab jetzt übernehme ich die Bar. Wenden Sie sich, falls Sie einen Wunsch haben, nur vertrauensvoll an mich.»
Sie starrten mich beide neugierig an.
«Danke, schöne Frau», sagte schließlich der Blonde, also Hannes, und lächelte mich an. Karl glotzte bloß.
Ich drehte mich um und fing an, die Gläser zu polieren, die Bobby kurz vorher noch aus der Spülmaschine geholt hatte. Hinter meinem Rücken begann es zu wispern. Aha, die beiden Herren hatten offenbar frischen Gesprächsstoff bekommen! Ich spitzte meine Ohren. Männliche Thekengespräche hatten mich immer schon brennend interessiert. Meiner Meinung nach ließen die Herren der Schöpfung dabei ihre Gefühlsregungen wesentlich ungenierter raus als in jeder Therapeutenpraxis.
Karls Stimme wurde allmählich wieder lauter, wahrscheinlich verstand sein Freund das Gewispere nicht im Kneipenlärm. «Gar nicht übel, die Kleine, was Hannes?», sagte er gerade. Ich hatte es deutlich verstehen können. Eifrig polierte ich weiter Pils-Gläser und stellte mich taub. Dabei arbeitete es fieberhaft in meinem Kopf. Der Kerl meinte doch wohl nicht etwa mich?
Hannes gab keine Antwort.
Ungerührt fuhr Karl fort: «Hübscher Arsch, schmale Taille. Und von vorne ein nettes Gesicht, hast du gesehen? Die Möpse prall, rund und fest ...» Jetzt schnalzte er auch noch mit der Zunge dazu!
Dieser Arsch schien tatsächlich mich zu meinen?
«Karl, du bist unmöglich!», sagte jetzt Hannes so leise, dass ich es kaum noch verstehen konnte.
Karl lachte dreckig. «Ich wette mit dir um eine ganze deutsche Mark, dass ich die Schnecke heute Nacht noch näher kennen lernen werde?»
Mein Adrenalinpegel schnellte nach oben. Na warte, mein Freundchen!
«Du spinnst, Klar!», sagte Hannes ruhig. Wie Recht er doch hatte, der Gute!
Der andere lachte wieder. «Du wirst schon sehen! Wenn ich sie heute Nacht rumkriege, bekomme ich eine Mark von dir, Hannes. Fang schon mal an zu sparen ...»
Langsam drehte ich mich um und bückte mich unter die Theke. Tat so, als suchte ich etwas da unten. Mit einem Stapel Papierservietten tauchte ich wieder hoch.
Karl glotzte mir aufdringlich ins Gesicht, während Hannes betreten in sein leeres Glas starrte.
«Bezaubernde Lady! Könnten wir vielleicht noch eine Runde haben?», krähte Karl los.
«Sicher. Bloody Mary und Bourbon auf Eis?»
«Gut beobachtet, bravo!» Er schnipste mit den Fingern und grinste mich breit und einladend an.
«Ist mein Job!», sagte ich kühl.
Ich nahm zwei frische Gläser hinter mir aus dem Regal. Bobbys vorbereiteter und gut gekühlter Tomatensaft-Mix rann dickflüssig wie Blut an der Wand des Cocktailglases runter. Mit ruhiger Hand säbelte ich einen Zitronenschnitz ab und klemmte ihn an den Glasrand. Strohhalm rein und fertig.
«Hier bitte. Der Bourbon kommt auch gleich.»
Ich stellte das Glas absichtlich so nahe wie möglich an den Rand. Dann angelte ich nach der Bourbonflasche und holte die Eisbox aus dem Kühlschrank unter dem Tresen.
Leise klingelnd landeten einige der Eiswürfel im Glas.
Großzügig kippte ich den Bourbon aus der Flasche darüber. Gut, dass Bobby mir jetzt nicht zusehen konnte! Das war mindestens ein Dreifacher geworden ...
Ich nahm den fertigen Drink und beugte mich vor, um ihn direkt vor dem hübschen Blonden abzustellen. Dabei streifte mein Ellbogen den Cocktail. Weil die Blutige Maria so gefährlich nah am Rand gestanden hatte, kippte sie auch sofort um. Mit einem reaktionsschnellen Handgriff bewahrte ich wenigstens das Glas vor dem Herunterfallen. Die rote Brühe ergoss sich trotzdem noch zielgenau zum größten Teil in den Schoß von Karlchen, dem Maulhelden. Es ging kaum was daneben auf den Kneipenboden. Ich gratulierte mir insgeheim – super gezielt, Nivea Cremer, alle Achtung! Die paar Spritzer, die danebengegangen waren, konnte ich später aufwischen.
«Oh, Verzeihung! Das tut mir Leid. Ich mache Ihnen gleich eine neue Bloody Mary ...»
Karlchen aber war bereits fluchend aufgesprungen. Genau vorne auf dem Hosenlatz breitete sich ein großer feuchter rötlicher Fleck aus. Mit Mühe unterdrückte ich ein Kichern.
«Nicht nötig», zischte er in meine Richtung, «ich bin bedient für heute!»
«Wegen der Reinigung machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich bin versichert», erklärte ich, «bringen Sie die Rechnung einfach bei Gelegenheit hier in der Kneipe vorbei.»
Ich merkte, dass Hannes grinste und Mühe hatte, nicht loszulachen. Schließlich bot er Karlchen an: «Wenn du mit der nassen Hose gleich heim willst, dann mach dich ruhig vom Acker. Ich bleibe noch und trinke meinen Whisky. Die Zeche übernehme ich heute mal.»
Ich jubilierte innerlich, als Karlchen sich tatsächlich trollte. Mir gönnte er keinen einzigen Blick mehr.
Hannes hob sein Glas und prostete mir zu: «Trinken Sie etwas mit mir, auf meine Rechnung?»
«Gerne», sagte ich.
Ich holte eine angebrochene Flasche Prosecco aus dem Kühlschrank und schenkte mir ein Gläschen davon ein. Hannes und ich stießen an, guckten uns dabei tief in die Augen. Er sah wirklich verdammt gut aus, und nett schien er obendrein zu sein, dämmerte es mir.
Ein verwegener Gedanke schlich sich in mein Oberstübchen und flüsterte mir etwas zu, ließ sich einfach nicht zum Schweigen bringen. Sosehr ich auch versuchte, über die drängender werdende Einflüsterung hinwegzuhören ... Es muss ja nicht immer die Autobahn sein, Nivea! Probier’s doch mal mit einem Kneipenabenteuer. Einem echten One-Night-Stand ...
Lass das sein, Nivea!, versuchte ich mich sofort selbst zur Räson zu rufen. Das hier ist was anderes als die Autobahn-Geschichten. Viel zu gefährlich! Er könnte dich aufstöbern hinterher, dir zu nahe kommen! Du willst doch keine Beziehung, wenigstens zurzeit nicht. Viel zu anstrengend, einen Kerl an dein Herz heranzulassen, dir seine Seelenergüsse anzuhören. Davon kriegst du doch schon in der Praxis tagtäglich mehr als genug ab. Ist so verdammt anstrengend, dieses ganze Beziehungs-Blabla ... Molly fegte jetzt an der Bar vorbei zur Küche und blinzelte mir zu: «Na, alles paletti?»
«Aber klar doch!»
Dann tauchte plötzlich eine ganze Clique am Tresen auf und enterte sämtliche freien Barhocker. Die Frauen wollten Cocktails, die Kerle Bier. So war ich erst mal voll beschäftigt.
Hannes machte keine Anstalten zu gehen. Er orderte einen Kaffee und lud mich zu einer weiteren Runde Prosecco ein. Zwischen Cocktailshaken und Bierzapfen segelte ich immer wieder mal kurz bei ihm vorbei. Um mit ihm anzustoßen und ein paar Takte zu plaudern. Er war witzig und geistreich, stellte ich dabei fest. Außerdem machte er keinerlei Versuche, private Dinge aus mir herauszuquetschen. Oder mir seinerseits den eigenen Lebenslauf aufzudrängen. Sehr angenehm, der junge Mann!
Eine Stunde später tauchte Bobby dann wieder auf.
«Ablösung naht», lachte er, «du darfst heim ins Bettchen, freust du dich?»
«Vor allem meine Füße», lachte ich zurück.
Ich spurtete noch rasch in die Küche, wo Molly gerade mal wieder verschwunden war.
«Hör mal, Moll, ich gehe dann mal. Heute ist es noch so voll, da hat es keinen Sinn, auf dich zu warten. Ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Ich rufe dich morgen an. Ach ja, und vergiss nicht, die Teilnahmebedingungen für den Miss-Molly-Wettbewerb anzufordern, versprich es mir!»
«Ja, schon gut», seufzte Molly, «du gibst ja doch keine Ruhe!
Was will denn übrigens der schnucklige Typ an der Bar von dir?»
«Nichts!»
«Ach komm, das sieht doch ein Blinder ...»
«Molly, du weißt, mir steht zurzeit nicht der Sinn nach solchen Sachen. Sollte er irgendwann hier wieder auftauchen, und dich oder Bobby nach meinem Namen oder gar der Telefonnummer fragen, dann leidet ihr beide unter plötzlichem Gedächtnisschwund, klar?»
«Manchmal versteh ich dich einfach nicht, Nivea!»
«Macht nichts, das geht mir selber auch öfter mal so.»