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Über lesbische Heldinnen im Spitzensport
ОглавлениеMarianne Meier
Tränen, Umarmungen und Küsse nach errungenen Siegen oder bitteren Niederlagen – Emotionen sind das Highlight einer jeden Sportberichterstattung. Solche öffentlichen Gefühlsbekundungen im Ziel oder auf der Tribüne sind häufig heterosexuellen Sportstars vorbehalten. Sport wird oftmals als Spiegel der Gesellschaft bezeichnet. Durch seine Popularität und die mediale Öffentlichkeit vermag er Trends zu setzen, aber auch Diskriminierungen wie Sexismus, Rassismus oder Homophobie zu thematisieren.
Diese Einführung ordnet frauenliebende Frauen und Spitzensport im wissenschaftlich-historischen Kontext ein. Nebst internationalen Richtlinien gegen Homophobie im Sport geht es auch um die Sichtbarkeit lesbischer Frauen im Spitzensport und deren Entwicklung in den letzten Jahren, mit speziellem Fokus auf die Schweiz. Zudem werden Voraussetzungen aufgezeigt, die sportliche Grössen zu Vorbildern werden lassen, und Funktionen dargelegt, die diese Personen einnehmen können.
Weshalb braucht es dieses Buch?
Die Sporthochschule Köln hat im Mai 2019 Resultate der Outsport-Studie veröffentlicht. Dabei wurden 5524 Menschen in 31 europäischen Ländern befragt. Es ging darum, herauszufinden, welche Massnahmen gegen Homophobie und Transphobie im Sport zu ergreifen sind. Die Studie kam zum Ergebnis, dass vor allem Sportstars, die offen zu ihrer Sexualität und/oder Geschlechtsidentität stehen, eine wichtige Rolle als Vorbild spielen können.1 Auch einige Autorinnen dieses Buches hätten sich in ihrer Jugend lesbische Sportvorbilder gewünscht, nur schon weibliche waren selten. Dabei ist es müssig zu spekulieren, ob es frauenliebende Athletinnen damals wirklich gab. Auf jeden Fall waren sie nicht sichtbar und sind es bis heute nur begrenzt. Entsprechend den gängigen Klischees sind die heute bekannten homosexuellen Topathletinnen in Sportarten wie etwa Fussball aktiv, die in unseren Breitengraden als «typisch männlich» bezeichnet werden. Dieses Buch zeigt auf, dass frauenliebende Protagonistinnen in allen Sportarten zu finden sind, und möchte diesen ein Gesicht und eine Stimme geben. Gerade im Sport dominieren immer noch starre Vorstellungen, wie man und frau zu sein hat. Insbesondere der Spitzensport wird von wirtschaftlichen Interessen sowie einem patriarchalen Weltbild beherrscht. Dagegen schreiben wir fünf Autorinnen an. Obwohl die Ablehnung von Lebensentwürfen, die nicht der althergebrachten Norm entsprechen, im Jahr 2020 in der Schweiz eigentlich kein Thema mehr sein sollte, ist dieses Anderssein nach wie vor mit Unbehagen, Befremden und Unwissen behaftet. Dieses Buch zeigt die Hintergründe und die Komplexität des Lesbischseins im Sportbusiness auf und stellt gleichzeitig die erfrischende Vielfalt einem breiteren Publikum vor. Die ehemalige stellvertretende Generaldirektorin der SRG, Ladina Heimgartner, bringt die Notwendigkeit dieser Publikation auf den Punkt: «Es braucht Bücher wie dieses, damit es Bücher wie dieses in Zukunft einmal nicht mehr braucht.»
Wer sind die Akteurinnen dieses Buches?
Dieses Buch befasst sich mit frauenliebenden Spitzensportlerinnen in der Deutschschweiz. Bewusst wurde darauf geachtet, dass möglichst verschiedene Sportarten und Altersgruppen vertreten sind. Als Methode haben sich die Autorinnen für die Oral History entschieden, um den eigenen Erzählungen und Sichtweisen der porträtierten Frauen in offen geführten Interviews möglichst viel Raum zu geben.2 Als Spitzensportlerin wurde eingestuft, wer jemals in der höchsten schweizerischen Liga einer Sportart aktiv oder Mitglied eines Nationalkaders war oder ist. Der Profistatus war dabei kein Kriterium. Insbesondere im helvetischen Frauensport gibt es sowieso nur wenige Athletinnen, die vom Sport leben können. Gerade in Randsportarten wie Orientierungslauf oder Kanu bedeuten sportliche Höchstleistungen für Frauen und Männer keine finanzielle Absicherung. Bei in der Schweiz beliebten Teamsportarten wie beispielsweise Fussball oder Eishockey haben nur die Männer in der obersten Liga finanziell quasi ausgesorgt. Als Paradebeispiel für diesen eklatanten Geschlechterunterschied im gleichen Sport sorgte im November 2018 der FC Basel. Während das Männerteam beim Galadinner sass, verkauften die FCB-Spielerinnen beim gleichen Jubiläumsanlass Tombolalose und erhielten danach in einem Nebenraum Sandwiches.3 Die Definition von Spitzensport muss also relativiert werden und unterscheidet sich, je nach Geschlecht, enorm bezüglich des gesellschaftlichen Stellenwerts und natürlich des Lohnes.
Nebst der sportlichen Höchstqualifikation wird die Gruppe der porträtierten Athletinnen auch durch ihre sexuelle Orientierung definiert. Dabei geht es um homosexuelle Menschen, die als Frauen gelesen werden möchten. In einer verkürzten Form wird im Buch von «lesbischen Frauen» geschrieben, aber dieses Kriterium ist sehr breit zu verstehen und beinhaltet zum Beispiel auch bisexuelle oder queere Frauen. Obwohl die porträtierten Sportlerinnen mit Frauen liiert sind oder waren, bezeichnen sich selbst nicht alle als lesbisch. Um eine Schubladisierung zu vermeiden, verwenden die Autorinnen daher auch den inklusiveren Begriff «frauenliebend».
Wie wurden die in diesem Buch porträtierten Frauen ausgewählt? Die genannten Kriterien der frauenliebenden Spitzensportlerin bildeten den Ausgangspunkt. Die Auswahl geschah nach dem Schneeballprinzip und stützte sich auf das breite Netzwerk der fünf Autorinnen. Es ging darum, mutige Frauen zu gewinnen, die bereit waren, ihre privaten Lebensgeschichten inklusive Fotoporträt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nebst Sportarten und Alter gab es grosse Bemühungen, zusätzliche intersektionale Aspekte zu berücksichtigen. Eine porträtierte Schweizer Athletin hat türkisch-italienische Wurzeln und stammt aus einem muslimisch-katholischen Elternhaus. Doch es ist wohl kein Zufall, dass beispielsweise lesbische Women of Colour im Schweizer Spitzensport kaum sichtbar sind respektive nicht sein möchten.
Bei der sogenannten Intersektionalität geht es um die Überschneidung verschiedener Formen der Diskriminierung und Privilegierung in einer Person. Die Realität einer lesbischen Spitzensportlerin könnte durch eine körperliche Beeinträchtigung oder das Tragen eines Kopftuches aufgrund der Religion anders aussehen. Die verschiedenen Formen der Diskriminierung oder der Bevorzugung sind miteinander verflochten und können sich gegenseitig auch abschwächen oder verstärken. Die Judo-Olympiasiegerin von Rio 2016, Rafaela Silva, sah sich zum Beispiel nach den verpatzten Sommerspielen in London 2012 in ihrem Heimatland Brasilien mit massiven Anfeindungen konfrontiert. Aufgrund ihrer Favela-Herkunft und Hautfarbe wurde sie in den Medien rassistisch verunglimpft.4 Zwei Tage nachdem sie 2016 in Rio die Goldmedaille gewonnen hatte, gab sie ihr Coming-out. Sie sagte, dass sie sich durch ihren Erfolg weniger angreifbar fühle.5 Trotz der klaren Notwendigkeit, über alle Facetten von Sport und LGBTIQ+ zu schreiben, haben sich die Autorinnen dieses Buches entschieden, den Fokus auf homo- und bisexuelle Spitzensportlerinnen zu legen, welche auf diese Weise sichtbarer werden und eine Vorbildfunktion einnehmen können.
Wer wollte sich in diesem Buch nicht porträtieren lassen?
Nebst spontanen oder gut überdachten Zusagen haben die Autorinnen auch zahlreiche Absagen erhalten. Die Motive dafür sind sehr individuell und zu respektieren. Die Gründe jener Frauen, die lieber nicht im Buch erscheinen wollten, lassen sich grob in vier Kategorien einteilen: Erstens gab es Absagen aufgrund der Tatsache, dass die eigene Familie, die Nachbarschaft oder das Berufsumfeld (noch) nicht offiziell über das Lesbischsein der Sportlerin informiert ist. Der Sportsoziologe Eric Anderson nennt diese Art des Umgangs «Don’t ask, don’t tell».6 Dies in Anlehnung an eine Richtlinie, die von der US-amerikanischen Armee jahrelang praktiziert wurde, um mit offen lebenden Homosexuellen in den eigenen Truppen umzugehen. Solche Absagen erhielten wir insbesondere von älteren Frauen, die zwar mit ihren langjährigen Partnerinnen mehr oder weniger offen liiert sind und teilweise auch zusammenleben, aber darüber trotzdem nicht explizit kommunizieren möchten. Eigentlich wissen alle Bescheid, aber es wird nicht benannt. Denn «was nicht sein darf, gibt es auch nicht», wie sich eine Sportlerin ausdrückte, die nicht im Buch erscheinen wollte.
Zur zweiten Kategorie gehören Absagen von Frauen, die überzeugt sind, dass eine solche Auflistung lesbischer Athletinnen dem Frauensport insgesamt eher schadet. Diese Personen haben sich zum Teil jahrzehntelang dafür eingesetzt, dass zum Beispiel Frauenfussball das «lesbische Label» verliert. Sie berichten über unzählige Gespräche als Trainerin mit Eltern, die Angst davor hatten, dass sich ihre Töchter beim Fussball «anstecken» und lesbisch werden würden. Insbesondere in der Gender-Fachliteratur zu «typisch männlichen» Sportarten ist diese Form der Homophobie gut dokumentiert. Die angefragten Personen, welche dem Frauensport mit einem Buchbeitrag «keinen Bärendienst erweisen» wollten, hatten ihre eigene sexuelle Orientierung als Trainerin, Funktionärin oder Athletin nie publik gemacht. Die Mädchen und insbesondere deren Familien sollten nicht noch mehr abgeschreckt werden. Sie wollten sich lediglich als sportliches Vorbild präsentieren. Ein Teil ihrer Identität sollte jedoch – mit bester Absicht, sozusagen zum «Schutz» der Kinder und Jugendlichen – verborgen bleiben. Dieses Verheimlichen kann signalisieren, dass Homosexualität schlecht und nicht nachahmungswert ist. Die Handhabung des Out-Seins, also offen zum eigenen Lesbischsein zu stehen, ist sehr kontextabhängig und persönlich.
Einige noch aktive Spitzensportlerinnen lehnten ein Porträt in diesem Buch ab, weil sie ihre aktuellen und künftigen Sponsoring-Verträge nicht gefährden wollten. Aus Respekt vor diesen jüngeren Frauen werden die spezifischen Sportarten an dieser Stelle nicht genannt. Der wohl bekannteste Sponsoring-Rückzug nach einem Coming-out im Frauensport ereignete sich vor knapp vierzig Jahren in den USA. Billie Jean King, die damals beste Tennisspielerin der Welt, beschloss nach Jahren der Vertuschung offen über ihre Homosexualität zu sprechen. Sie stand unter Druck und befürchtete, von jemandem geoutet zu werden. Entgegen allen Empfehlungen beschloss sie 1981 die Wahrheit zu sagen – mit fatalen Folgen: «Ich habe all mein Geld über Nacht verloren. Jeder einzelne meiner Sponsoring-Verträge wurde innert 24 Stunden aufgelöst. […] Ich musste wieder ganz von vorne beginnen.»7 Kaum zu glauben, dass frauenliebende Sportlerinnen im heutigen Europa solche Konsequenzen noch immer fürchten müssen.
Absagen der vierten und letzten Kategorie können mit der Befürchtung umschrieben werden, allein auf das Lesbischsein reduziert zu werden. In den Medien und der Öffentlichkeit würde nicht mehr die Athletin im Vordergrund stehen, sondern vor allem die «Lesben-Schublade», aus der kein Weg mehr herausführe. Dies beinhaltet auch die Angst vor einer Schmälerung der sportlichen Höchstleistung. Zudem kommt generell die Furcht dazu, als Lesbe als abnormal zu gelten und nicht mehr gemocht zu werden. Auch mit Goldmedaille würde da immer noch dieser «Homo-Makel» bleiben, wie sich eine Athletin ausdrückte, der auch eine mögliche Vorbildfunktion sowie den «Stolz der Nation» beeinträchtigen würde. Dies wirkt sich wiederum auf die Attraktivität und Vermarktbarkeit sowie auf eine damit verbundene finanzielle Unabhängigkeit aus. Nur sehr weiblich wirkende Athletinnen wie zum Beispiel die mit einem Mann verheiratete Skifahrerin Lara Gut-Behrami kommen als Werbeträgerinnen gewisser Produkte überhaupt infrage. Eher burschikos anmutende Sportlerinnen, ob lesbisch oder nicht, haben dabei das Nachsehen.8
Grosse Kluft zwischen Richtlinien und Wirklichkeit
Der olympische Gedanke steht für Fair Play, Frieden, Respekt und Solidarität. Dabei gilt die «Olympische Charta» als Schlüsseldokument für unzählige Sportverbände weltweit. Trotz Reformbestrebungen gilt das Internationale Olympische Komitee (IOC) nach wie vor als konservative, überalterte, elitäre, eurozentrische und von Männern dominierte Organisation. Die Charta sprach sich zwar gegen «jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen» aus, doch Homophobie wurde dabei nicht erwähnt. Auf diese Kritik antwortete das IOC stets beschwichtigend, dass die sexuelle Orientierung unter «sonstigen Gründen» natürlich mitgemeint sei. Der internationale Druck auf das IOC stieg weiter an. Die «Agenda 2020» sah in der Folge vor, «sexuelle Orientierung» explizit in den Anti-Diskriminierungsparagrafen aufzunehmen. Ende 2014 wurde die Charta entsprechend ergänzt. Ein wichtiger formaler Schritt war damit erreicht. Nach wie vor besteht aber der Widerspruch, dass sich unter den 204 IOC-Mitgliedländern immer noch Staaten befinden, welche Homosexualität mit der Todesstrafe sanktionieren.9 Gemäss Angaben von Amnesty International stellten 2015 insgesamt 76 Länder gleichgeschlechtliche Beziehungen und nicht geschlechtskonformes Verhalten unter Strafe.10 Mit denselben Herausforderungen muss sich auch der Weltfussballverband FIFA auseinandersetzen. Auch unter den 211 FIFA-Mitgliedern befinden sich Staaten mit homophober Rechtsprechung. Trotz des festgeschriebenen Diskriminierungsverbots aufgrund sexueller Orientierung in den FIFA-Statuten wirft dessen Umsetzung grosse Fragen auf. Wie kann es sein, dass die FIFA-WM 2022 in Katar stattfindet, wo Homosexualität mit dem Tod bestraft werden kann?11
In der Schweiz ereignete sich der wohl bekannteste Fall von Diskriminierung durch einen Fussballklub aufgrund sexueller Orientierung 1994 im Kanton Zürich. Der Vorstand des FC Wettswil-Bonstetten suspendierte seine Frauenabteilung mit der Begründung: «Der Verein wird ausgenützt für das Ausleben von abnormalen Veranlagungen.»12 Dem Team wurde vorgeworfen, dass zwei Drittel der Spielerinnen homosexuell seien und «jugendgefährdende lesbische Aktivitäten auf dem Spielfeld und in den Garderoben» stattfinden würden. Die Fussballerinnen legten beim kantonalen Verband Rekurs ein, worauf die Auflösung widerrufen wurde.13 Noch im April 1994 lautete der Titel der Fernsehsendung «Zischtigsclub»: «Lesben im Damenfussball: Angst vor homosexueller Ansteckung?». Und der Moderator formulierte die zu diskutierende Fragestellung: «Ist diese Angst berechtigt oder handelt es sich dabei um einen weiteren Akt der Diskriminierung?»14 Danach dauerte es mehr als zwanzig Jahre, bis Swiss Olympic in der Schweiz 2015 die Kampagne «Rote Karte gegen Homophobie im Sport» mit klaren Statements ins Leben rief: «Schwul oder lesbisch zu sein lässt einen nicht langsamer laufen, weniger weit werfen oder springen – die sexuelle Orientierung hindert niemanden an seiner sportlichen Leistungsfähigkeit – die Homophobie schon!»15 Durch internationale und nationale Richtlinien wird Homophobie von den wichtigsten Sportverbänden theoretisch nicht mehr geduldet. Doch zwischen diesen hehren Prinzipien und der realen Umsetzung besteht nach wie vor eine grosse Kluft.
Sichtbare Homosexualität im Sport
Im August 2016 stellte das deutsche Lesben-Magazin L.Mag die Frage: «Was haben sportliche Erfolge mit der sexuellen Orientierung zu tun?», und gab im Text gleich selbst die Antwort: «Gar nichts! Deshalb ist es umso schöner, dass immer mehr Lesben und Schwule bei Olympia nicht mehr das Gefühl haben, das verstecken zu müssen.»16 Die Tatsache, dass Lesben im Spitzensport immer selbstverständlicher werden, beweist auch die Präsenz des ersten verheirateten Frauenpaares in der olympischen Geschichte in Rio 2016. Helen und Kate Richardson-Walsh spielten gemeinsam im britischen Hockey-Nationalteam. Kate meinte in einem Interview: «Es freut uns, wenn sich Menschen bei uns melden und sagen, dass unsere offene Art ihnen geholfen hat, sich mit ihrer eigenen Homosexualität zu befassen oder sich gegenüber ihren Eltern zu öffnen.»17 Eine andere Geschichte wurde ebenfalls an den Olympischen Spielen in Rio 2016 geschrieben: Eine brasilianische Rugbyspielerin, Isadora Cerullo, erhielt vor laufender Kamera und über das Stadionmikrofon von ihrer Freundin einen Heiratsantrag mit rotem Herzluftballon, den sie mit einem Kuss annahm.18 Auch die Küsse der Fussballweltmeisterinnen aus den USA, welche ihren Partnerinnen auf der Tribüne galten, gingen im Juli 2019 von Frankreich aus um die Welt. Und mit dem US-Star Megan Rapinoe, einer Aktivistin für LGBTIQ-Rechte, wurde die beste WM-Spielerin auch zur Weltfussballerin 2019 ausgezeichnet. Sie nahm bei ihrer Dankesrede vor der versammelten Weltfussballprominenz kein Blatt vor den Mund und prangerte Sexismus, Homophobie und Rassismus im Sport an. Im Gegensatz dazu: Noch bei der FIFA-Nomination 2012 der Schwedin Pia Sundhage zur weltbesten Trainerin wurde die Kameraeinstellung bei der Liveübertragung sofort umgestellt, als sie ihre Partnerin küssen wollte. Die öffentliche Sichtbarkeit lesbischer Spitzensportlerinnen ist insgesamt zunehmend, aber noch lange keine Selbstverständlichkeit.
Gemäss L.Mag nahmen an den Olympischen Spielen 2016 «mindestens 64 offen lesbische und schwule Sportler» teil. Davon waren nur elf Männer, die fast ausschliesslich im Reit- und Wassersport starteten.19 Offen schwule Topathleten sind vor allem in Einzeldisziplinen und Randsportarten anzutreffen. Obwohl die Anzahl sichtbarer lesbischer Sportstars nicht sehr hoch ist, sieht es bei den schwulen Sportlern noch prekärer aus. Die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling berät unter anderen schwule Profisportler, die ihre Homosexualität nicht öffentlich machen wollen. Eggeling meint, dass schwule Athleten noch ein grösseres Tabu brechen als lesbische Sportlerinnen.20 Bei Letzteren scheint Homosexualität weniger Verwunderung hervorzurufen als bei den Männern, da Sportlichkeit historisch gesehen eng mit Männlichkeit verknüpft ist. Das Schwulsein wird oftmals mit weiblichen Attributen beschrieben.21 Dieser Widerspruch führt zum Desinteresse der Massenmedien und des potenziellen Sponsorings.
Bei der Sichtbarkeit von Persönlichkeiten im Sport spielen Medien eine Schlüsselrolle. Dabei bietet die «Machtallianz zwischen Sport, Medien und Wirtschaft» – offenkundig oder subtil – einen idealen Nährboden für die patriarchale Vorherrschaft und Heteronormativität. Von der Norm abweichende Menschen, wie zum Beispiel lesbische Sportlerinnen, entsprechen den Mainstream-Medien und den damit verbundenen Prinzipien der Vermarktbarkeit nicht.22 Frauenliebende Athletinnen sollen entweder über ihre Sexualität offen kommunizieren, oder sie gelten automatisch als heterosexuell. Dazwischen gibt es kaum Optionen. Eher burschikos wirkende Athletinnen, die von einem weiblichen Idealbild abweichen, sind im glamourösen Sport- und Medienbusiness kaum sichtbar. Da ein heterosexuelles Publikum angesprochen werden soll, wird eine erfolgreiche Vermarktung dieser Athletinnen nicht erwartet. In einer Gesellschaftsordnung der quasi obligatorischen Heterosexualität geraten aber auch Athletinnen, die auf Männer stehen, unter Druck. Sie müssen sich einerseits vom Männlichsein und andererseits vom möglichen Lesbischsein distanzieren. Der sogenannte Kournikova-Effekt23 ist durch Studien in verschiedenen Ländern bestätigt. Dies bedeutet kurz gesagt: Je hübscher und sexyer sich eine Athletin präsentiert, desto mehr Zeitungsspalten, Werbefläche und Übertragungsminuten werden ihr gewidmet.24 Demnach wäre es vermessen, alle Sportlerinnen als Opfer der Werbebranche darzustellen, weil sie oftmals selbst zur Aufrechterhaltung der althergebrachten Stereotypen beitragen und davon profitieren.
In den letzten Jahren scheint sich diese heteronormative Sportphalanx auch in der Schweiz punktuell aufgeweicht zu haben. So war etwa der schwule Fussballschiedsrichter Pascal Erlachner 2018 für den Prix Courage nominiert.25 Dies kann einerseits als Durchbruch in der öffentlichen Wahrnehmung bewertet werden, aber verdeutlicht andererseits auch die Einordnung seines Coming-outs als äusserst mutiger Akt. Auch andere Homo- oder Bisexuelle der Schweizer Sportwelt rückten ins Rampenlicht der Medienaufmerksamkeit. Ramona Bachmann und Alisha Lehmann wurden zum Beispiel vom Boulevardblatt Blick wiederholt als «Schweizer Traumpaar des Frauenfussballs» bezeichnet. Weiter schrieb der Blick: «Was in der Welt des Männerfussballs noch undenkbar wäre, ist bei Ramona und Alisha inzwischen Realität: Frauen stehen offen zu ihrer homosexuellen Beziehung. Und die Fans liegen ihnen dafür zu Füssen.»26
Die Sportredaktion des Schweizer Fernsehens hielt sich in all den Jahren über das Privatleben von Athletinnen – insofern diese nicht gerade Mutter wurden und mit einem Mann liiert waren – bedeckt. Lesbische Sportlerinnen und sogar Frauenpaare wurden im beliebten «Sportpanorama» zwar auch privat gezeigt, aber als Kolleginnen oder WG-Bewohnerinnen.27 Natürlich müssen bei einer Reportage auch die Sportlerinnen einwilligen. Diese Voraussetzung schien beim «Sportpanorama» im September 2019 erstmals gegeben: Die beiden Downhillcracks Emilie Siegenthaler und Camille Balanche wurden sowohl als Liebespaar als auch als Spitzensportlerinnen gezeigt. Dies war ein Novum. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit porträtierte kurz darauf auch die Luzerner Zeitung die Fussballerin Géraldine Reuteler. Dabei war auch ihr Heimweh ein Thema, an dem sie als in Deutschland spielende Profisportlerin manchmal leidet: «Spätestens seit in diesem Sommer ihre Freundin Laila Koch zu ihr nach Frankfurt gezügelt ist, fühlt sich Reuteler sichtlich wohl.»28 Die Frauenbeziehung als solche fand keine Erwähnung im Artikel. So unaufgeregt und simpel könnte es sein.
Fehlende Vorbilder und hartnäckige Vorurteile
Vorbilder, Helden und Heldinnen existieren nicht einfach so, sondern werden gesellschaftlich konstruiert. Sie werden von Menschen dazu gemacht.29 Im Sport bevorzugen viele Frauen und Mädchen männliche Vorbilder, weil diese Kraft und Macht geradezu verkörpern. Zudem werden absolute Höchstleistungen normalerweise in der Männerkategorie erreicht und nicht bei den Frauen. Zu weiblichen Sportvorbildern werden generell jene Athletinnen erkoren, die einem hetero-sexy Image entsprechen.30 Sportheldinnen, die von dieser Norm abweichen, gibt es, aber sie werden kaum sichtbar gemacht.31 Und genau diese Vorbilder fehlen. Das über die Jahre einzige und wohl bekannteste lesbische Sportvorbild war die Tennisspielerin Martina Navratilova, die noch heute international hohes Ansehen geniesst.
Konstruierte Helden und Heldinnen
Das Heldenhafte im Sport verbindet sich mit Mythen, Traditionen und Werten einer Nation oder Gemeinschaft. Wenn eine sportliche Ausnahmeerscheinung zum Held oder zur Heldin aufsteigen möchte, dann muss er oder sie Werte verkörpern, die gesellschaftlich hohe Anerkennung geniessen. Allerdings werden Frauen und Männer unterschiedlich beurteilt. Deshalb wird auch von einem «gendered heroism» gesprochen.32 Traditionellerweise werden bei Heldinnen Fürsorglichkeit, Güte und Mütterlichkeit betont, Helden hingegen werden an ihrem Mut, ihrem Selbstbewusstsein, an ihrer Stärke und an ihrem Durchsetzungsvermögen gemessen. Wenn nun aber eine Frau im Sport erfolgreich sein möchte, muss sie männliche Attribute an den Tag legen. Eine passive, sanfte und zurückhaltende Sportlerin wird nie einen Exploit schaffen. Dies führt zum vermeintlichen Widerspruch zwischen dem «Frausein» und dem «Sportlerinsein».33 Diese Unvereinbarkeit von Sport und Weiblichkeit bewirkt, dass erfolgreiche Athletinnen besonders weiblich wirken müssen, um trotzdem noch als Heldinnen der Nation gelten zu können. Sportliche Spitzenleistungen alleine reichen nicht aus, um die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit als gefeierte Heldin zu erhalten. Der Faktor «Frau im Sport» muss sogar wettgemacht werden durch markantes Make-up, lange Haare und kurze Röcke. Dies gilt vor allem für Athletinnen, welche in «typisch männlichen» Sportarten aktiv sind wie zum Beispiel Eishockey oder Rugby. Zwischen dem Privat- und Berufsleben von Männern im Spitzensport besteht hingegen kein Widerspruch zum gesellschaftlich erwarteten Männlichkeitsbild. Im Gegensatz zu den Athletinnen müssen Spitzensportler ihre Härte, ihre Leistungsfähigkeit und Muskeln nicht kaschieren.34 Erfolgreiche Sportlerinnen, die von gängigen Weiblichkeitsnormen abweichen, geraten in den Verdacht, keine richtigen Frauen oder eben lesbisch zu sein. Der Konstruktionsprozess von sportlichen Helden oder Heldinnen hängt von der Medienberichterstattung sowie dem Publikumszuspruch ab. Dieses Umfeld entscheidet, ob Sportstars zu Helden oder Heldinnen emporstilisiert werden oder nicht.35
Auswahl weiblicher Sportvorbilder
Was für einen Einfluss können Vorbilder haben? Und wie werden Vorbilder ausgewählt? Erreichbarkeit und Relevanz wurden von renommierten Psychologinnen bei der Auswahl von Vorbildern als entscheidende Aspekte identifiziert.36 So ist zum Beispiel für ein Kind in Sambia, wo nie Schnee fällt, eine Schweizer Skifahrerin als Vorbild weder erreichbar noch relevant. Dabei spielt, gestützt auf Albert Bandura, auch die Ähnlichkeit zwischen einem Vorbild und der beobachtenden Person eine Rolle.37 Das heisst, dass in diesem Kontext eine sambische Regionalsportlerin wohl mehr Einfluss auf das Verhalten der Kinder haben könnte als eine helvetische Topathletin. Sportstars und Vorbilder sind also dann besonders einflussreich, wenn ihr Leben Parallelen zur Realität der Beobachtenden aufweist und ihr Erfolg als grundsätzlich erreichbar und relevant eingestuft wird.38 Nebst Alter und Geschlecht wird die Auswahl von Vorbildern auch durch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Status einer Person bestimmt. Wenn die Unterschiede als zu gross empfunden werden, kann dies sogar kontraproduktiv sein und zu Frustration führen.39 Wenn eben Sichtbarkeit in den Sportmedien heisst, dass eine Person «hetero, weiss und männlich»40 sein muss, kann dies demotivierend sein für eine dunkelhäutige Sportlerin, die auf Frauen steht. Die Philosophin Iris Marion Young hat in ihrem Werk «Throwing like a Girl» hervorgehoben, dass weibliche Teenager soziokulturell angepasste Bewegungsmuster vor allem durch Imitation erwerben.41 Dies steigert die Bedeutung von verfügbaren weiblichen Vorbildern, die den gängigen Normvorstellungen aufgrund ihres Haarschnitts, ihres Körperbaus, ihrer Kleidung und/ oder der sexuellen Orientierung nicht entsprechen, umso mehr. Dadurch wird der Fächer des als normal Empfundenen erweitert und die Akzeptanz gegenüber dem Anderssein erhöht.
Heterosexualität als Mass aller Dinge im Sport
Heteronormativität geht davon aus, dass Heterosexualität normal und natürlich ist. Die meisten Sportarten werden mit heteronormativen Werten und patriarchalen Männlichkeitsidealen assoziiert.42 Dies stuft alle anderen sexuellen Neigungen automatisch als abnormal und unnatürlich und somit minderwertig herab. Dabei werden nicht nur sexuelle Lebensweisen abgewertet, sondern direkt jene Personen, die von der Norm abweichen. Dadurch wird die Wahrung der unantastbaren Würde des Menschen verletzt. Das ist auch der Nährboden für Homophobie, was als irrationale Angst und Aversion gegenüber Homosexualität und Homosexuellen definiert wird. Insbesondere in «typisch männlichen» Sportarten bestehen Vorurteile, dass homosexuelles Verhalten bei Frauen durch Körperkontakt gefördert würde. Zudem werden pathologisierende Mythen über das Lesbischsein als «ansteckendes Übel» benutzt, um homophobe Sanktionen gegen frauenliebende Sportlerinnen zu ergreifen und die Jugend vor schlechten Vorbildern zu schützen.43 Im Fall Wettswil-Bonstetten wurde auch befürchtet, dass homosexuelle Spielerinnen eine Magnetwirkung auf weitere «Andersgepolte» haben könnten und der Klub von Lesben überrannt würde.44 Viele Vorurteile basieren auf dem im Namen der Sittlichkeit konstruierten Schreckbild lesbischer Frauen, die sich triebgesteuert auf Mädchen stürzen, um diese hemmungslos zu verführen.45 Vor allem in Bezug auf Vorbildfunktionen ist dieses hartnäckige Klischee des Jägerinnen-Beute-Schemas äusserst schädlich für homosexuelle Topathletinnen und Trainerinnen.46
Zusammenfassend kann Homophobie gegenüber Sportlerinnen, gemäss der Sportwissenschaftlerin Pat Griffin, in sechs Kategorien eingeteilt werden: Stillschweigen, Abstreiten, Entschuldigen, Fördern eines hetero-sexy Images, Angriffe auf Lesben sowie die Bevorzugung von Männern in Schlüsselpositionen.47 Zum Abstreiten zählt beispielsweise auch das proaktive Tarnen homosexueller Lebensweisen durch Klubs oder Verbände. In Deutschland ist bei schwulen Sportlern sogar das Führen von heterosexuellen Scheinehen belegt, um Zweifel auszuräumen.48 Solche Doppelleben zugunsten einer erfolgreichen Sportkarriere sind mit psychischem Stress und Leid verbunden. Je nach soziokulturellem Kontext wird auch physische Gewalt gegen lesbische Athletinnen eingesetzt. Der Mord an der südafrikanischen Fussballerin Eudy Simelane sorgte 2008 für internationale Entrüstung. Die lesbische Nationalspielerin wurde Opfer eines sogenannten «corrective rape». Simelane wurde vergewaltigt, um an ihre «wahren Pflichten als Frau» erinnert zu werden, und danach erstochen.49 Auch in anderen Ländern wie beispielsweise Russland bedeutet ein Coming-out nicht nur das Karriereende, sondern auch eine Bedrohung für Leib und Leben.
Jede Form der Diskriminierung und Gewalt ist inakzeptabel und tangiert die unantastbare Menschenwürde. Der Sport könnte dabei als Exempel für Respekt und Fair Play voranschreiten und durch seine Popularität und die Emotionen, die er auslöst, die vorhandene Vielfalt präsentieren und salonfähig machen. Dazu braucht es ein Um- und Durchsetzen der vorhandenen Sportverbandsrichtlinien auf allen Ebenen und eine Entpathologisierung von Menschen, die nicht exakt der Norm entsprechen. Vielfältige Sportvorbilder haben das Potenzial, die Gesellschaft zu beeinflussen und neue Impulse zu setzen. Auf dass die Porträts der mutigen Sportlerinnen in diesem Buch unzählige Menschen erreichen mögen.