Читать книгу Emmas Dreamcatcher - Jennifer Lösch - Страница 6
KAPITEL 2 - STACEY
ОглавлениеEs roch nach frisch gebrühtem Kaffee, Waffeln und frischem Brot. Die Morgensonne leuchtete bereits hell von draußen durch das Schlafzimmerfenster hinein. Wo kam der Geruch denn her, fragte sich Stacey, die eigentlich dachte, ihr Mann wäre bereits mit Emma aus dem Haus.
Zerknirscht und mit einem dicken Kopf stand Stacey auf und ging, wie jeden Morgen, erst einmal ins Bad. Haare kurz kämmen, Knoten rein, Zähne putzen und Katzenwäsche, mehr war morgens vor dem ersten Kaffee nicht drin. Für gewöhnlich musste Stacey ihren Kaffee selbst zubereiten, heute wohl nicht. Oder kam der Duft von draußen? Nein, je näher Stacey der Treppe, die nach unten führte, kam desto mehr roch sie das leckere Frühstück. „Hallo?“, räusperte sich Stacey vorsichtig. Ihre Stimme klang noch sehr trocken von der Nacht. Dennoch hatte sie bereits eine erste Vermutung, wer oder was sie unten erwarten würde.
„HAPPY BÖÖÖÖRSDAY!!“, schrie es plötzlich von vorne. Lynn, Staceys Schwester, stand in der Tür und hatte ein Partyhütchen auf. Sie hielt eine große Tasse Kaffee in ihren Händen und öffnete ihre Arme für eine Umarmung. Stacey schmunzelte, ihre Vermutung hatte sich bestätigt. Dann umarmte sie ihre Schwester. „Danke, das ist sehr lieb von dir, wäre aber nicht nötig gewesen.“
„Weiß ich doch, aber wenn dein Mann schon nicht dran denkt, dann muss ich das eben übernehmen.“
„Wo ist Emma?“
„Schläft noch, siehst du?!“
Lynn rollte den Kinderwagen heran und die kleine Emma schlummerte friedlich darin. Nicht mal das Geschrei von Tante Lynn konnte sie aufwecken.
„Und wo ist …?“ Weiter kam Stacey leider nicht, da unterbrach Lynn sie bereits.
„Los, setz dich. Es gibt Frühstück mit selbstgemachtem Brot.“
Nach sie gegessen hatten, gingen Lynn und Stacey in den Park um die Ecke. Emma schlief immer noch. Sie war ein so liebes Kind. Schrie nie und schlief viel. Darüber war Stacey sehr froh und dankbar.
Lynn sagte schon eine ganze Weile nichts mehr und schaute Stacey verträumt an.
„Ist was?“, schmunzelte Stacey zurück.
„Nein, na ja, doch. Aber ich wollte es dir erst nach deinem Geburtstag sagen. Denn heute ist dein Tag und den feiern wir gemeinsam, so gut es eben geht.“
Stacey schnaufte kaum merkbar und lief an ihrer Schwester vorbei. Dabei versuchte sie, so freundlich wie es nur ging zu grinsen, um ihr zu signalisieren, dass sie keine Lust auf Reden hatte und den Vorschlag, mit den Neuigkeiten bis nach ihrem Geburtstag zu warten, ebenfalls sehr begrüßte. Denn sie wusste bereits, um was es ging. Und das konnte warten. Zumindest bis morgen.
Ein kleines Stück weiter bekam Stacey plötzlich Kopfschmerzen und wollte sich kurz hinsetzen. Eine Bank stand unter einer großen Eiche und lud geradezu ein, eine Pause zu machen. „Können wir uns bitte einen Moment hinsetzen?“, fragte sie mit zitternder Stimme an Lynn gewandt.
„Dein Kopf wieder?“ Lynn schaute mitfühlend zu Stacey hinüber und machte eine einladende Geste in Richtung Bank. Erleichtert setzte sich Stacey hin und atmete auf. Nur kurz, dachte sie sich. Diese Kopfschmerzen würden sie noch umbringen. Sie traten immer im ungünstigsten Zeitpunkt auf. Und meistens, wenn ihre Schwester in der Nähe war. Nicht, dass sie sie damit in Verbindung brachte, sie fand den Zeitpunkt nur immer sehr schade.
Emma fing an zu quicken und machte auf sich aufmerksam. Langsam wurde sie wach und blinzelte mit ihren großen Kulleraugen auf. Sie weinte aber nicht. Lynn bemerkte das und nahm sie gleich aus dem Kinderwagen, um Weiteres zu verhindern. „Bleib du sitzen, ich nehme Emma und laufe eine Runde da vorne um den Baum. Alles gut!“
Stacey bekam in diesem Moment nichts über ihre Lippen, schenkte Lynn aber ein ernst gemeintes Danke-Lächeln. Stacey litt seit einigen Monaten an den sogenannten Cluster-Kopfschmerzen. Das sind plötzliche Schmerzen, die einen fast lähmen können. Patienten spüren meistens zu spät, wenn der Schmerz kommt, und können ihn daher relativ schlecht abwehren. In der Behandlung, in der Stacey bereits war, sagte man ihr immer wieder, dass es Zeit brauchte, um daran zu arbeiten. Dass Stress, zu viel Trubel und wenn möglich Koffein gemieden werden sollten. Die ersten beiden Punkte waren in Ordnung für Stacey, aber ihren Kaffee konnte sie nicht aufgeben. Solange sie keinen besseren Ersatz gefunden hatte.
Stacey fragte sich immer wieder, womit sie so eine tolle Schwester wie Lynn verdient hatte. Sie war immer da. Passte auf Emma auf und half, wo sie konnte. Und dass, obwohl sie gerade selbst Einiges um die Ohren hatte und Lehrerin werden wollte. Sie hatte viel zu lernen, Prüfungen zu schreiben und Vorträge zu besuchen. Stacey schaute nun kurz auf, um Lynn und Emma zu suchen. Die beiden spazierten den steinigen Weg im Park entlang. Ein Stückchen geradeaus von Stacey weg. Nun bogen sie um die große Eiche herum. Stacey bemerkte die Flasche Wasser, die neben ihr stand, und wunderte sich, dass sie ihr vorher nicht aufgefallen war. Ihrem Kopf ging es in dem Moment besser, als sie einen Schluck Wasser nahm. Es war seltsam, aber Stacey machte sich keine weiteren Gedanken. Sie war nur froh, dass es so war. Wo war eigentlich Ava? Die Kleine von Lynn. Das hatte Stacey sich noch gar nicht gefragt weshalb sie sich plötzlich schlecht fühlte.
Erneut schaute sie auf, um nach Emma zu schauen, sah Lynn aber nicht mehr. Auch in weiter Ferne war niemand zu sehen. Panisch stand Stacey auf und rief nach ihrer Schwester. Nichts! Keine Antwort.
Gerade, als Stacey loslaufen wollte, zu der Stelle, an der sie die beiden zuletzt gesehen hatte, erinnerte sie sich, dass der Kinderwagen noch an der Bank stand und sie ihn mitnehmen sollte, bevor er ihr gestohlen werden würde. Der Park war nämlich nicht nur für sie sehr einladend. Auch viele Jugendliche und Obdachlose rannten hier herum, um nach gewinnbringenden Dingen Ausschau zu halten. Das wusste Stacey, weil ihr hier bereits zweimal ein Fahrrad, einmal eine Uhr und eine Wickeltasche gestohlen worden war. Und beide Male hatte sie davon nichts mitbekommen. Auch Lynns Handtasche und ihre eigene hingen am Wagen. Also weit konnte sie nicht gekommen sein. Warum hatte sie auch solch eine Panik in diesem Moment? Vor wenigen Minuten waren beide noch zu sehen und alles war gut gewesen. Sie würden schon zurückkommen. Stacey bemühte sich, ruhig zu bleiben und durchzuatmen.
Dennoch nahm sie den Kinderwagen und ging langsam Richtung Weg, auf dem die beiden eben noch herumgeschlendert waren. Da hörte sie Stimmen. Nicht vor ihr und nicht neben ihr, sondern hinter ihr. Das musste aus dem Gebüsch kommen. Lynn? Sie erkannte ihre Stimme nach nur wenigen Sekunden. Langsam und geräuschlos stellte Stacey den Wagen wieder ab und schlich langsam hinter die Bank, Richtung Gebüsch.
„Wir haben einen Plan, und den wirst du uns nicht zunichtemachen, hörst du!“
Stacey erkannte die Stimme nicht, die mit Lynn sprach. Dafür flüsterte diese zu sehr. Aber sie klang dunkler als Lynns. Daraus schloss Stacey, dass es eine Männerstimme sein musste. Emma wimmerte leise, kaum hörbar. Da fasste Stacey ihren ganzen Mut zusammen und bewegte ihre Hand Richtung Gebüsch. Gerade, als sie einige der Blätter davon wegschieben wollte, kam Lynn um die Ecke gelaufen.
Voller Entsetzen schaute Lynn Stacey an. „Was machst du denn da?“, fragte sie aufgebracht, fast wütend. Einen kurzen Moment sah es so aus, als hätte sie ihre Hand über Emmas Mund gehalten. Stacey war sich in diesem Moment nicht sicher. Sie fühlte sich ertappt und misstrauisch der ganzen Situation gegenüber. Ein wenig schämte sie sich sogar. Dieses Gefühl verflog schnell, als sie dachte, die Hand ihrer eigenen Schwester auf dem Mund ihrer Tochter gesehen zu haben.
„Was machst du denn da? Ihr wart vor ein paar Minuten noch dahinten und … Gib mir Emma, bitte!“ Emma begann zu weinen und streckte die kleinen Hände ihrer Mutter hin. Als Stacey Emma auf den Arm nahm, wurde sie wieder still. Was war hier gerade passiert? Und warum fühlte sich das alles so seltsam an? Sollte sie Lynn darauf ansprechen, was sie eben gehört hatte? Sie konfrontieren? Aber was hatte sie eigentlich gehört? Nichts! Nichts Aussagekräftiges!
Lynn schaute Stacey verwundert an. „Wir sind eine Runde spazieren gegangen, wie ich es gesagt habe. Es scheint dir ja auch wieder besser zu gehen. Wollen wir dann weiter?“
„Ich glaube, ich lege mich zuhause ein wenig mit Emma hin. Können wir uns später wieder treffen?“
Merklich geknickt und mit einem starren und tiefen Blick an Stacey gerichtet, nickte Lynn, ohne eine weitere Mimik auf ihrem Gesicht zuzulassen. Abrupt versuchte sie nun, ihr freundlichstes Grinsen aufzusetzen, das nicht gekünstelt wirken sollte. Dies gelang ihr aber nicht. Nicht gegenüber Stacey. Dafür kannte sie ihre Schwester schon viel zu lange und zu gut.
„Gut, dann in zwei Stunden bei dir?“
„Ja, gut. Ich werde wach sein. Danke.“ Stacey legte Emma wieder in ihren Kinderwagen und drehte sich weg. Sie lief den steinigen Weg wieder zurück in Richtung Zuhause. Sie wusste, dass Lynn noch immer an der Stelle am Gebüsch stand und ihr hinterher starrte. Das tat sie immer, wenn sie überlegte oder sich unrecht behandelt fühlte.
Stacey dachte darüber nach, was sie gehört haben könnte und was nicht. Warum diese Situation gerade so schlimm für sie war. Und ob sie bereits intuitiv wusste, dass etwas nicht stimmte? Ihre Gedanken kreisten umher, aber kamen immer wieder zu dem einen Entschluss.
Niemand, aber auch wirklich niemand, hat das Recht, meiner Tochter Emma den Mund zuzuhalten. Das wird ein Nachspiel haben. Wenn sie nur an diesen Moment dachte, kamen ihr die Tränen. So schnell würde Lynn nicht mehr auf die kleine Emma aufpassen.