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KAPITEL 3 – MEIN ALLTAG
ОглавлениеIn der Klinik war es nicht aufregend. Neben den Tests, die Dr. Miller mir aufbrummte, den öden Spaziergängen, immer getrennt von meiner Ma oder jedem anderen, den ich kannte, und den stumpfen, grauen Gemälden, die noch immer die Klinik vereinnahmten, passierte nicht viel. Die Hoffnung, einen Besuch durch Tante Lynn oder jemand anderen zu erhalten, war bereits vor Monaten gestorben. Meine Klasse würde sich bestimmt das Maul zerreißen und jeder Einzelne hatte ohnehin schon gewusst, dass ich einmal in der Klinik landen würde. So, wie sie es alle schon vorhergesagt hatten.
Ohne meine Wahnvorstellungen und seltsamen Begegnungen in der Klinik wurde es ruhig. Ich ergraute immer mehr, wie die besagten Gemälde. Nicht einmal Ava zeigte sich mir. Dad war wohl auch schon lange gegangen und hatte seine Aufgabe erfüllt. Denn es war doch alles nur Einbildung. Nach der langen Zeit in der Klinik glaubte ich das nun ebenfalls. Es war einfach trist und eintönig. Von Tag zu Tag.
Bis zu diesem Donnerstag. Die Tage, die vergingen, kreiste ich mir immer an meinem Wandkalender ein. Rot bedeutete schlechter Tag, grün bedeutete guter Tag. Leider waren die meisten Tage rot umrandet, da ich mich zu oft müde, vollgepumpt mit Medikamenten, nutzlos oder einfach nur gelangweilt fühlte.
Doch diesen Donnerstag war etwas los. Es kam Leben in die Klinik und ich musste das alles unfreiwillig mit ansehen. Als es draußen im Park kalt war, die bunten Blätter bereits von den Bäumen fielen und es so stürmte, dass man nicht mehr ohne Strickjacke und Schal rauskonnte, war ich am liebsten draußen. Das war einfach meine Jahreszeit. Mit traurigen Augen schaute ich den mittlerweile herunter gekrachten Ast an, an dem die Reifenschaukel von damals hing. Hier würde kein Kind mehr von seiner Mutter angeschubst werden und sich frei wie ein Vogel fühlen. In Gedanken versunken schweiften meine Blicke umher. Ich hatte das Zeitgefühl schon längst verloren.
„Emma!“, flüsterte es plötzlich. Voller Panik, es könnte Einbildung sein oder wieder von einer Stimme aus meinem Kopf kommen, riss ich die Augen auf und erstarrte. Ich versuchte, mich nicht zu bewegen. „Emma“, flüsterte es erneut. Ich kniff meine Augen so fest zu, dass es schon schmerzte. Ich wehrte mich mit aller Kraft dagegen, wieder etwas von meinen Wahnvorstellungen zurückzubekommen. Ich wollte das nicht. Denn ich wollte die Klinik in diesem Leben noch einmal von außen sehen. Und Dr. Miller versprach mir dies immer wieder, wenn ich gut mitarbeitete. Und das tat ich. Von Anfang an. Sogar Rückschläge, die zeitweise auftraten, versuchte ich so gut es ging zu verstecken. Denn ich war gesund und es war nicht real.
Die Taktik, es weg zu blinzeln, half in der letzten Zeit am besten. Einfach nicht bewegen und totstellen, war meine Devise.
„Emma, schau her!“, rief es nun lauter. So laut, dass ich erneut erschrak und aufstand. Die Bank, auf der ich gesessen hatte, hinter mir und die Fäuste geballt, nahm ich all meinen Mut zusammen. „Nein! Nein, ich will nicht!“, schrie ich in die Stille hinein und ließ meine Augen weiterhin geschlossen. Als eine ganze Weile nichts mehr zu hören war, entspannten sich meine zu Fäusten geballten Hände und ich fing wieder an zu atmen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich meinen Atem angehalten hatte. So schwer purzelte die Luft nun aus mir heraus. Ich öffnete langsam meine Augen und blinzelte in den Tag.
Da schaute mich voller Freude ein Gesicht an. Er stand so nah vor mir, dass ich ihn hätte riechen müssen. Ich war so mit dem Unterdrücken beschäftigt gewesen, dass ich nicht realisiert hatte, dass er real war. Ich blinzelte ein paarmal und versuchte zu realisieren, wen ich dort stehen sah. Seine dunklen Augen sahen mich durchdringend an. Seine dunklen Haare wehten im Wind und die Anker-Tätowierung auf seinem Oberarm war gut sichtbar, denn er stand in einem weißen T-Shirt vor mir. Liam.
„Hi“, sagte er und grinste mich an. Es war eine Ewigkeit her, dass ich Liam zu Gesicht bekommen hatte. Und das Einzige, an das ich in diesem Moment dachte, war die Hütte, in der ich ihn das letzte Mal vor ein paar Monaten gesehen hatte. Neben Becky. Mit diesem mitleidigen Gesichtsausdruck, der mir und Ava mitzuteilen versuchte, dass wir nicht ganz dicht seien und alles nur falsch interpretierten. Na ja, eigentlich hatte er nur mir das mitteilen wollen. Denn Ava war doch gar nicht da gewesen. Automatisch fasste ich mir an den Hinterkopf, an dem noch immer ein Knubbel von dem Schlag darauf zu spüren war.
„Freust du dich, mich …“
Bevor er seinen Satz beenden konnte, holte ich aus und schlug ihm mit meiner Faust mitten in sein Gesicht. Direkt auf seiner Nase. Der Schlag verfehlte seine Wirkung nicht. Rücklings fiel Liam um und nach hinten in einen Laubhaufen. Voller Entsetzen hielt er sich seine Nase zu und starrte mich an. Erst wütend, schnell jedoch wieder besänftigt.
„Habe ich wohl verdient, Emma. Kein Problem. Willst du nochmal zuschlagen oder können wir reden?“
Ich ließ Liam liegen. Einfach so. Drehte mich weg und lief in Richtung Klinik. Ich wollte nicht reden. Nicht mit jemandem, der mich so hintergangen hatte. Der all das, was geschehen war, tolerierte und mich hier in der Klinik zurückließ. Ich wollte nicht reden. Ich wollte ihn leiden sehen. So leiden sehen, wie ich gelitten hatte. Wie Ava gelitten hatte und wie es Becky tun würde.
Doch ich wusste bis da noch nicht, dass ich Liam ganz schnell wiedersehen würde. Und das schneller, als mir lieb war.