Читать книгу Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz - Jens M. Schmittmann - Страница 35
ОглавлениеIV. Insolvenz
1. Einordnung
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Unter Insolvenz kann zum einen das Vorliegen eines nach der Rechtsform des Schuldners maßgeblichen Insolvenzgrundes, zum anderen aber auch das formal eröffnete Insolvenzverfahren verstanden werden. Die „Insolvenz“ umfasst daher sowohl den wirtschaftlichen Zustand, der sich als Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung darstellt und ein gerichtliches Insolvenzverfahren auslösen kann, als auch das eröffnete Insolvenzverfahren.71
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Das Insolvenzrecht ist dem Wirtschaftsprivatrecht zuzuordnen.72
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Das Insolvenzrecht ist weiterhin auch dem Zwangsvollstreckungsrecht zuzuordnen, da es sich nicht um ein Verfahren nach der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, sondern um ein Gesamtvollstreckungsverfahren, in dem der Staat das Präventionsprinzip durch das Prinzip der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger („par condicio creditorum“) ersetzt. Der im Einzelzwangsvollstreckungsrecht („Singularexekution“) geltende Grundsatz des „bellum omnium contra omnes“ steht hinter dem Ziel der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zurück, zumal das Insolvenzverfahren gemäß § 1 Satz 1 InsO dazu dient, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen.
2. Insolvenzgründe
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Materiell bedeutet Insolvenz, dass einer der nach der Rechtsform des Schuldners maßgebenden Eröffnungsgründe vorliegt, also Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO).
a) Zahlungsunfähigkeit
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Der Schuldner ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Eine bloße Zahlungsstockung ist nach der Rechtsprechung des BGH anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.73
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Nach Eintritt der Insolvenzreife ist eine Fortführung des Betriebs grundsätzlich als Reflex des § 64 GmbHG a.F. ausgeschlossen. Ein sog. „Sanierungsprivileg“ greift daher nur in ganz engen Fällen zur Vermeidung noch größerer Nachteile bei Bestehen einer konkreten Chance auf Sanierung und Fortführung im Insolvenzverfahren.74
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Einen vom Insolvenzverwalter zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgestellten Liquiditätsstatus, der auf den Angaben aus der Buchhaltung des Schuldners beruht, kann der Geschäftsführer nicht mit der pauschalen Behauptung bestreiten, die Buchhaltung sei nicht ordnungsgemäß geführt worden. Er hat vielmehr im Einzelnen vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, welche der in den Liquiditätsstatus eingestellten Verbindlichkeiten trotz entsprechender Verbuchung zu den angegebenen Zeitpunkten nicht fällig und eingefordert gewesen sein sollen.75
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Bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO anhand einer Liquiditätsbilanz sind auch die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) einzubeziehen.76
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Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer daraufhin deutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden.77
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Als Beweisanzeichen für Zahlungsunfähigkeit bzw. Zahlungseinstellung kommen nach der sog. „wirtschaftskriminalistischen Methode“
– Schließung des Geschäftslokals,
– Verlegung des Geschäftssitzes zur Begründung einer anderen Gerichtszuständigkeit,
– Kreditkündigungen durch Banken,
– Wechsel des Hauptlieferanten zur Inanspruchnahme anderweitigen Lieferantenkredits,
– Zahlungen mit vordatierten Schecks,
– Abgabe der eidesstattlichen Versicherung,
– Häufung von Pfändungen,
– Nichtbezahlung von existenzbedingten Betriebskosten, fruchtlose Vollstreckung,
– Nichtzahlung oder schleppende Zahlung von Löhnen und Gehältern,
– Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen,
– Nichtzahlung von Umsatzsteuerrückständen,
– Flucht des Schuldners,
– Wechselproteste sowie
– Einräumung der Zahlungsunfähigkeit durch den Schuldner
in Betracht.78
b) Drohende Zahlungsunfähigkeit
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Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt gemäß § 18 Abs. 2 InsO vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Durch das SanInsFoG wurde der Prognosezeitraum gesetzlich auf 24 Monate festgelegt (§ 18 Abs. 2 Satz 2 InsO).
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Zahlungsunfähigkeit droht nach Auffassung des Instituts Deutscher Wirtschaftsprüfer (IDW), wenn zum Beurteilungsstichtag keine Liquiditätslücke vorhanden ist, nach dem Finanzplan aber absehbar ist, dass die Zahlungsmittel zur Erfüllung der fällig werdenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr ausreichen und dies durch finanzielle Dispositionen und Kapitalbeschaffungsmaßnahmen nicht mehr ausgeglichen werden kann.79
c) Überschuldung
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Überschuldung liegt gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 InsO zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 InsO bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO bei den Verbindlichkeiten nicht zu berücksichtigen. Durch das SanInsFoG wurde der Prognosezeitraum gesetzlich definiert, in dem § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO folgende Fassung erhalten hat: Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten 12 Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.
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Die Überschuldungsprüfung erfordert nach Auffassung des IDW in aller Regel ein zweistufiges Verfahren, wobei zunächst auf der ersten Stufe die Überlebenschancen des Unternehmens und auf der zweiten Stufe – im Falle einer negativen Fortbestehensprognose – Vermögen und Schulden des Unternehmens in einem stichtagsbezogenen Status zu Liquidationswerten gegenüberzustellen sind.80
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Bei einer positiven Fortbestehensprognose liegt keine Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO vor. Im Falle einer negativen Fortführungsprognose sind Vermögen und Schulden des Unternehmens gegenüberzustellen. Ist das sich aus dem Überschuldungsstatus ergebende Reinvermögen negativ, liegt eine Überschuldung vor.81
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Zur Feststellung der Fortführungsfähigkeit eines Unternehmens ist für den Prognosezeitraum eine Fortbestehensprognose darzustellen. Das IDW versteht unter der Fortbestehensprognose das wertende Gesamturteil über die Lebensfähigkeit des Unternehmens in der vorhersehbaren Zukunft. Die Fortbestehensprognose wird auf Grundlage des Unternehmenskonzepts und des auf der integrierten Planung abgeleiteten Finanzplans getroffen.82
71 So Uhlenbruck/Pape, InsO, § 1 Rn. 2. 72 So Uhlenbruck/Pape, InsO, § 1 Rn. 2. 73 So BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228ff. = ZVI 2013, 65ff. = NZI 2013, 140ff., dazu EWiR 2013, 175f. (Bremen); BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222ff. = ZVI 2006, 577ff., dazu EWiR 2007, 113f. (Wagner); BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134ff. = ZIP 2005, 1426 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2006, 101) = ZVI 2005, 408 = WM 2005, 1468ff., dazu EWiR 2005, 767f. (Bruns). 74 So BGH, Beschl. v. 21.5.2019 – II ZR 337/17, ZIP 2019, 1719ff.; dazu EWiR 2019, 551f. (Baumert). 75 So BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, ZIP 2018, 283ff. = EWiR 2018, 179f. (Karsten Schmidt) = NZI 2018, 204ff. mit Anm. Haneke; vgl. Mylich, ZIP 2018, 514ff. 76 BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, ZIP 2018, 283ff. = EWiR 2018, 179f. (Karsten Schmidt) = NZI 2018, 204ff. mit Anm. Haneke; vgl. Mylich, ZIP 2018, 514ff. 77 So BGH, Urt. v. 12.12.2006 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228ff. = ZVI 2013, 65ff. = NZI 2013, 140ff. Rn. 20, dazu EWiR 2013, 175f. (Bremen); BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998f. = NZI 2012, 663f. Rn. 11; BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416ff. = ZVI 2011, 452ff. Rn. 13, dazu EWiR 2011, 571f. (Henkel). Hilfreich in diesem Zusammenhang ist auch der IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) v. 22.8.2016, IDW Life 3/2017, 332ff.; vgl. zu der Vorgängerversion Frystatzki, NZI 2014, 840ff.; Schmittmann, StuB 2014, 607ff. 78 Vgl. BGH, Beschl. v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12, NZI 2013, 970ff. = ZIP 2013, 2469, dazu EWiR 2014, 121f. (Floeth); BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998f. = NZI 2012, 663f.; BGH, Urt. v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, ZIP 2008, 706ff. = NZI 2008, 299ff., dazu EWiR 2008, 533f. (Dörnscheidt); BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457ff. = NZI 2006, 591f. = NJW-RR 2006, 1422f.; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 2 Rn. 48. 79 So IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) vom 28.8.2016, IDW Life 2017, 332ff. Rn. 93. 80 So IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) vom 28.8.2016, IDW Life 2017, 332ff. Rn. 54. 81 So IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) vom 28.8.2016, IDW Life 2017, 332ff. Rn. 543. 82 So IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) vom 28.8.2016, IDW Life 2017, 332ff. Rn. 59.