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Hüter der Träume

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„Warum hatte der Apotheker eigentlich gerade die beiden anderen Traumflüchtlinge und Sie ausgewählt, um Hüter der Träume zu werden?“ fragte Dr. Maiwald, wobei er Frau Buglett anlächelte.

„Ich glaube, das war sehr weise“, antwortete Frau Buglett. „Er wusste, dass wir nur dann in die Traumorte gehen und uns Traumhüllen anschauen würden, wenn es unbedingt erforderlich sein würde. Je länger und öfter einer von uns in einen Traumort gehen würde, desto größer war die Gefahr, dass er einem Wächter begegnen und seine Freiheit verlieren würde. Dass wir fremde Träume für unsere eigenen Zwecke nutzen und uns durch sie bereichern würden, war daher kaum zu befürchten. Also konnte er es riskieren, uns weiterhin anzulernen und uns viele Geheimnisse zu offenbaren, ohne uns wirklich zu kennen.“

„Wenn Sie während des Aufenthaltes am Traumort und in der Traumblase durch den Wächter gefangen genommen werden konnten, bedeutet das, dass Sie Ihre Freiheit riskiert haben, um uns aus dem Traum zu holen“, stellte Dr. Maiwald fest. „Sie wissen nicht, wie hoch ich sie hierfür achte. Es wird mir eine Ehre sein, diese Schuld eines Tages abzutragen.“

Frau Buglett schaute verlegen zur Seite, ihre Wangen färbten sich rot.

„Ich habe gelernt, dass es nicht nur um meine eigene Freiheit geht. Herrn Simson und die Kinder im Traum zu wissen, war für mich unerträglich. Ich spüre die Fesseln der Begrenzung durch den Traum noch so deutlich, dass ich es kaum aushalte, andere in Unfreiheit zu sehen. Allerdings dauerte es bei Ihnen, Herr Simson, einige Zeit, bis ich Ihnen helfen konnte, wofür ich mich entschuldige. Aber glücklicherweise sind die Kinder ja dahintergekommen, in welchem Traum Sie steckten und mit Hektors Hilfe war es dann ein Leichtes, Sie herauszuholen.“

Herr Simson winkte mit der Hand ab. „Reden wir nicht mehr darüber, ich bin froh, dass ich endlich wieder hier sein darf. Und außerdem: Wer kann schon von sich behaupten, einmal wie Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel gelebt zu haben?“

Er lächelte und man konnte erkennen, dass seine Augen gerade etwas schauten, was sie alle nicht sehen konnten: Strand, Sonne, Delfine, vielleicht auch einen Piratenkapitän, der mit zwei Säbeln um sich schlägt.

Nun kehrten seine Augen zurück zu Frau Buglett und er fragte:

„Warum ist denn das Buch für Herrn Fleischmann so wichtig?“

„Das Buch gibt Macht. Es ist der Schlüssel, um sämtliche Träume zu deuten. Man kann mit ihm auch Einfluss auf Träume nehmen und so die Träumenden beeinflussen. Es gibt allerdings einen kleinen Haken. Nur der Hüter der Träume versteht, was in dem Buch geschrieben steht. Es kann zwar jeder lesen, aber nicht jeder versteht, was sich hinter dem Geschriebenen versteckt. Aber es ist der erste und wichtigste Schritt dorthin, denn das ganze Wissen nutzt nichts ohne das Buch.“

„Und das Buch nutzt nichts ohne das Wissen“… ergänzte Jule.

Frau Buglett atmete tief ein und nickte.

„Warum hat der frühere Hüter der Träume das Buch dann versteckt? Wenn es ohnehin nur von dem verstanden werden kann, der Hüter der Träume ist, ist es doch harmlos, wenn es in anderen Händen ist“, warf Dr. Maiwald ein.

„Nein, es ist keineswegs harmlos. Wendet man das Geschriebene an, ohne es richtig zu verstehen, kann man gewaltigen Schaden anrichten. Es ist dann nicht mehr die Waffe in der Hand eines Polizisten, sondern die Waffe in der Hand eines kleinen Kindes, das nicht weiß, was es tut.“

„Liebe Frau Buglett“, fragte nun Dr. Maiwald, „aus welchem Grund hat sie Herr Adamek eigentlich in der Traumblase ausgesetzt?“

„Als die Kinder mir erzählt haben, dass Herr Fleischmann das Buch hat, wollte ich reinen Tisch machen und die Kinder einweihen. Ich habe seit einigen Jahren eine Art Tagebuch geführt, in dem nicht nur steht, was ich erlebt habe, sondern auch, was ich über das Traumwandern weiß. Das war übrigens ein Ratschlag Eurer Mutter. Sie meinte, ein Tagebuch sei ein guter Weg, um mein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden.“

„Emotionale Entlastung, Selbstintegration und Selbstkritik, einige der wichtigen Funktionen eines Tagesbuches“, hörte man nun Frau Simson sagen, die gerade die Türe zur Küche geöffnet und nur die letzten Worte gehört hatte. Das Wort Tagebuch hatte reflexartig ihre berufsmäßigen Ratschläge ausgelöst.

„Schön, dass sie das gemacht haben. Wir müssen uns einmal darüber unterhalten.“

„Adamek muss uns belauscht und vermutet haben, dass ich Euch in alle Geheimnisse einweihen will. Da hat er die Reißleine gezogen. Und die hieß, ich musste verschwinden.“

„Wie konnte er sie denn in eine Traumblase bringen? Ist Ihr Haus denn auch ein Traumort?“, wollte Herr Simson wissen.

„Nein, aber er hielt eine Traumblase in der Hand. Ich hatte mir bislang noch keine Gedanken darüber gemacht, dass man Traumhüllen vom Traumort wegnehmen könnte. Aber offenbar ist es möglich.“

„Also hatten wir recht, das hatten wir gleich vermutet“, warf Luca ein. „Was wäre denn so schlimm daran, dass Sie uns in die Geheimnisse einweihen?“, fragte Luca.

„Adamek und auch Fleischmann haben niemals ihren Traum aufgegeben, Hüter der Träume zu werden. Mit Euch tritt plötzlich Konkurrenz auf, die für sie gefährlich werden kann. Fleischmann hat anfangs noch einen Nutzen in Euch gesehen, weil er hoffte, über Euch an das Traumbuch zu kommen. Bei Adamek war es von Beginn an anders. Für ihn wart ihr von Beginn an eine Gefahr. Nur jetzt zuletzt hättet Ihr ihm von Nutzen sein können, wenn Ihr ihm das Buch gebracht hättet.“

„War er es auch, der uns in die Spalte geschubst hat?“

Frau Buglett räusperte sich. „Es ist mir sehr unangenehm, das zu beantworten. Um ehrlich zu sein, das war ich.“

„Was?“, rief Luca. „Warum denn das? Wir hätten ums Leben kommen können.“

„Kinder, ich wollte es nicht. Es war ein Versehen, das müsst Ihr mir glauben. Ich war Euch gefolgt und sah, wie Ihr in die Spalte schautet. Ihr wart so nah am Traumort, ich hatte Angst, Ihr würdet wieder umdrehen. Also wollte ich Euch warnen, dass es dort unten eine gefährliche Höhle gäbe, denn ich kannte Euch ja schon gut genug, um zu wissen, dass Ihr dann erst recht in die Höhle gehen würdet, wenn ich Euch Angst machte. Kurz bevor ich Euch erreichte, bin ich gestolpert und nach vorne gefallen, dabei habe ich Euch einen Stoß versetzt. Eigentlich wollte ich mich an Euch festhalten. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie viel Angst ich um Eure Leben hatte. Als ich Euch unten sprechen gehört habe und wusste, dass Ihr am Leben seid, bin sofort zu Herrn Fleischmann. Er hat sofort zugesagt zu helfen, allerdings wusste ich damals noch nicht, welcher wahre Grund dahinterstand. Er wollte Euch schon lange kennen lernen und hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt, damit er Euch als Werkzeug benutzen konnte, um an das Buch zu gelangen.“

Frau Buglett schaute aus dem Fenster. Einige Wolken waren aufgezogen und hatten sich vor die Sonne geschoben.

„Und nun muss dafür gesorgt werden, das Buch nicht länger seinen Händen bleibt.“

„Natürlich helfen wir Ihnen dabei“, antwortete Jule und ihr Bruder nickte.

„Nimmt das denn nie ein Ende?“, fragte Frau Simson besorgt.


Jule und Luca - Der Schwarze Fürst

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