Читать книгу Jule und Luca - Der Schwarze Fürst - Jens O. Löcher - Страница 8
Wo ist Frau Buglett?
ОглавлениеAber die Kinder wollten lieber nach Hause gehen. Sie verabschiedeten sich mit der Bemerkung, ihre Eltern würden mit dem Mittagessen auf sie warten und verließen das Haus.
„Was machen wir denn jetzt?“
„Keine Ahnung“, antwortete Jule. „Ich bin völlig verwirrt und weiß nicht mehr, wer gut und wer böse ist. Ich weiß alleine, dass wir offenbar leichtgläubige Idioten sind. Und was ich noch weiß, ist, dass Du kein harmloses Schäfchen bist, denn die Zeiger haben sich bei Dir gedreht.“
„Aber nur langsam“, entgegnete Luca und grinste.
Als die Kinder nach Hause kamen, saßen ihre Eltern tatsächlich bereits am gedeckten Mittagstisch und waren gerade dabei, über das zu sprechen, was Dr. Maiwald bei seinem ersten Ausflug in seine neue Wirklichkeit gesehen und noch nicht verstanden hatte. Als sie sich auf den Weg gemacht hatten, hatte er darum gebeten, dass man ihn nicht erst in Stufen an die Gegenwart führen solle. Lucas Held hätte gesagt, Dr. Maiwald wollte die Wahrheit auf die harte Tour, die Agententour, kennenlernen.
Also hatten sie zunächst ein Lebensmittelgeschäft aufgesucht. Die Vielzahl von Lebensmitteln, die unterschiedlichen Früchte und Gemüse, die gleichzeitig während einer einzigen Jahreszeit verfügbar waren, die vielen Angebote an Butter, Mehl, Zucker, Eiern, Nudeln und anderen Lebensmitteln und die ungeheure Auswahl von Brot, die hinter einer Brottheke angeboten wurde, erstaunte Dr. Maiwald. Er konnte sich weder vorstellen, wie die riesigen Mengen von Lebensmitteln in den Einkaufsmarkt gebracht worden waren, noch wie sie produziert wurden oder dass sie gekauft, gegessen und getrunken werden konnten. Als er hörte, dass er leider Recht hatte und eine enorme Menge von Lebensmitteln abends alleine deshalb in riesigen Mülleimern entsorgt wurde, weil sie nicht mehr frisch aussahen, schüttelte er verständnislos den Kopf.
„Aber sie schmecken doch genauso wie am Vortag?! Sie sind genießbar und nicht schlecht, oder? Ich habe früher die Äpfel des Herbstes bis in den Frühling gegessen und war mehr als überglücklich, dass ich sie hatte, auch wenn sie kleiner und schrumpelig geworden waren. Es gibt keine größere Köstlichkeit als ein erhitzter Apfel im kalten Winter. Ich verstehe diese Verschwendung nicht, ich verstehe sie nicht“, sagte er immer wieder.
„Es muss eine wundervolle Welt sein, in der kein Hunger herrscht, wenn man so mit Gottes Geschenken umgeht.“
Anschließend waren sie zu einem Elektronikgeschäft gefahren. Es war so, als ob man einen Zweijährigen in einem riesigen Spielzeugladen von der Hand gelassen hätte. Dr. Maiwald lief von einem Ausstelltisch zum nächsten, fasste jedes Gerät an, drehte, drückte und inspizierte, jede Funktion musste ihm bis in alle Einzelheiten beschrieben werden. Unter dem Vorwand, nun das Essen zubereiten zu müssen, hatte Frau Simson zum frühzeitigen Aufbruch gedrängt, da sich bereits ein Ring aus neugierigen Kunden und Verkäufern um Dr. Maiwald gebildet hatte, die ihn amüsiert beobachteten. Als die Kinder nach Hause kamen, war Herr Simson gerade dabei zu erklären, wozu die 2.133 unterschiedlichen Fernsehprogramme, die er über Satelliten empfing, nützlich seien, konnte aber weder Dr. Maiwald noch sich selbst eine befriedigende Antwort darauf geben. Er war erleichtert, als die Kinder die Küchentür öffneten und in den Raum traten.
Die Kinder schilderten, was heute alles geschehen war. Sie begannen mit ihrem Abenteuer mit Herrn Fleischmanns angeblicher Mutter und endeten bei Herrn Adameks Ausführungen über den Wächter der Träume und den Inhalt des von ihnen aus der Traumblase hervorgeholten Buches.
„Das ist eine schwierige Situation“, sagte Dr. Maiwald. „Viele Geschichten, alle ähneln sich, doch jede ist ein wenig anders. Wem ist zu trauen, wer sagt die Wahrheit?“
„Wie ein Puzzle“, ergänzte Herr Simson.
Als Dr. Maiwald fragend schaute, fügte er rasch hinzu „Ein Bild wird in Einzelteile zerschnitten, anschließend fügt man es wieder zusammen.“
Nun schaute Dr. Maiwald noch irritierter.
„Ein Spiel. Für Kinder, aber auch für Erwachsene. Es macht Spaß. Wirklich.“
„Beim Spielen fehlt es meist an der Ernsthaftigkeit. Bei diesem Spiel suche ich nach Sinnhaftigkeit“, sagte Dr. Maiwald leise. Nach allem Neuen, was er gesehen hatte, erschien ihm ein Puzzle offensichtlich am rätselhaftesten.
„Wissen Sie was? Wir haben noch ein paar alte Puzzle im Keller, wie spielen heute Abend einfach einmal.“, mischte sich Frau Simson ein, die bemerkt hatte, dass man in der Theorie nur schwer erläutern konnte, was der Reiz des Puzzelns ist.
„Ich weiß nicht, wem ich trauen kann, im Grunde beiden und keinem. Ich glaube, ich traue inzwischen alleine Frau Buglett“, sagte Jule nach kurzem Nachdenken.
Luca schloss sich an. „Mir geht es genauso. Nein, auch Hektor.“
Frau Simson wollte wissen, was Frau Buglett zu allem gesagt hatte. Da erst fiel den Kindern auf, dass Frau Buglett überhaupt nicht mehr zurückgekehrt war. Die Kinder erinnerten sich daran, dass sie ihnen gesagt hatte, Herr Adamek sei nicht da, gleichwohl war er plötzlich aufgetaucht. Von ihr fehlte seit diesem Zeitpunkt jede Spur. Frau Buglett war die Treppe hinauf- und kurze Zeit später wieder herabgestiegen, dann gab es ein Geräusch und Herr Adamek war zur Tür hereingekommen.
„Herr Adamek hat sie verschwinden lassen“, mutmaßte Herr Simon.
„Aber warum? Er lebt doch seit Jahren im selben Haus mit ihr, es gibt doch gar keinen Grund dafür“, widersprach seine Frau.
„Es hat auf der Treppe gerumpelt. Es könnte schon ein kleiner Kampf gewesen sein“, erinnerte sich Luca.
„Was, wenn Herr Adamek zurückgekommen war und unser Gespräch belauscht hat? Dann wusste er, dass Frau Buglett etwas von oben holen und uns zeigen wollte. Angenommen, er hätte das verhindern wollen und hätte nur ganz wenig Zeit gehabt? Was hätte er gemacht?“
„Er hätte sie in einen Traum gesteckt“, rief Dr. Maiwald aufgeregt, dem man ansah, dass er sich um Frau Buglett Sorgen machte.
„Aber das geht doch nicht, das Haus ist kein Traumort. Wäre es anders, hätten wir doch Licht sehen müssen“, warf Luca ein.
„Und wenn er eine Traumblase dabeigehabt hätte?“, mutmaßte Jule.
Luca war davon nicht überzeugt.
„Davon habe ich ja noch nie gehört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert. Die Traumhüllen fliegen doch immer gleich in ihre Umlaufbahn zurück, wenn man sie loslässt.“
„Genau, wenn man sie loslässt“, unterbrach ihn Jule. „Und was ist, wenn man sie nicht loslässt? Wir haben doch Traumhüllen in die Hand genommen. Sie haben sich festhalten lassen, also hätten wir sie eigentlich auch mitnehmen können.“
„Bevor wir weiterspinnen, sollten wir prüfen, ob Frau Buglett inzwischen wieder zu Hause ist“, schlug ihr Vater vor. „Vielleicht löst sich alles von ganz alleine auf.“
Frau Simson griff zu ihrem Handy und wählte die Nummer ihrer Freundin. Alle warteten gespannt und hörten den tutenden Klang im Gerät, bis die Mailbox ansprang.
„Hallo Frau Buglett, hier ist Frau Simson. Bitte rufen Sie mich doch bitte einmal kurz zu Hause an. Und bringen Sie bitte morgen Nachmittag keinen Kuchen mit, ich backe. Tschüss, bis später.“
Während des Mittagessens diskutierten alle darüber, welchen Grund Herr Adamek gehabt haben konnte, Frau Buglett aus dem Weg zu räumen. Jeder von ihnen hatte eine andere Idee und eine war fantastischer als die andere. Dass er eine Traumblase dabeigehabt haben konnte, hielten alle für plausibel.
Während sie überlegten, wie sie diese Traumblase finden und Frau Buglett retten konnten, klingelte es an der Haustür.
„Ich habe um 14.00 Uhr einen Termin. Es wird mein Kunde sein“, sagte Frau Simson und ging zur Haustür, wo Frau Zehnender gerade die Tür öffnete. Dort stand Frau Buglett. Ihr Gesicht war errötet, sie atmete schnell, Schweißtropfen liefen ihr über Wangen und Stirn.