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Die Gemeinschaft der Geflohenen

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Jule hielt es nicht mehr aus. Dieser unsympathische, schmuddelige, nagelkauende Mann, der ihren Vater entführt hatte, warf ihnen nun vor, sie hätten dem Falschen vertraut?

„Zuerst war Frau Buglett böse und Herr Fleischmann ebenfalls, einschließlich seines zähnefletschenden Riesenhundes. Und dann war der Hund das liebste Tier der Welt und Herr Fleischmann hat uns geholfen, unseren Vater wiederzufinden, und Frau Buglett war zuerst neugierig, aufdringlich und nervig, dann rettete sie uns. Sie waren in dieser Geschichte niemals der Gute. Sie waren der, der unseren Vater entführt hatte. Und das sind Sie heute noch, auch wenn Sie uns jetzt plötzlich eine Ausrede auftischen. Und jetzt soll alles noch einmal umgekehrt sein? Herr Fleischmann gehört doch zu den Bösen und Sie sind das unschuldige Lämmchen? Gehe zurück auf Los und starte von Neuem? Sagen Sie doch gleich, dass Hektor in Wirklichkeit ein Höllenhund ist“, brüllte sie und Tränen standen in ihren Augen.

„Wem sollen wir hier überhaupt noch irgendetwas glauben? Wahrscheinlich lügen Sie alle, allesamt, und benutzen uns nur für eigene Zwecke. Was haben Sie eigentlich mit Frau Buglett gemacht, wieso ist sie plötzlich nicht mehr da?“

Herr Adamek schien ein wenig erleichtert zu sein, als nun Luca laut wurde.

„Und selbst wenn das alles stimmt, was Sie sagen. Und wer hat das Buch in der Uhr versteckt? Wieso war es überhaupt versteckt?“, rief er aufgeregt.

„Das Buch war in der Obhut des Hüters der Träume.“

„Wieso? Ist das denn nicht Herr Fleischmann?“

„Der? Niemals gewesen und er wird es auch niemals sein“, entgegnete Herr Adamek bestimmt.

„Der Hüter der Träume hatte vor langer Zeit mehrere Traumwandler um sich gesammelt, von denen er annahm, dass einer von ihnen seine Aufgabe einmal übernehmen könnte. Aber im Laufe der Zeit enttäuschten sie ihn alle, ausnahmslos. Niemand von ihnen war würdig, ein jeder war auf seine Art gierig. Jeder von ihnen hätte das Buch genutzt, um sich zu bereichern. Kurz vor seinem Tod versteckte er das Buch in einem Traum und legte eine Art Fluch darauf, indem er bestimmte, dass nur derjenige es hervorholen könne, der frei von der Absicht sei, sich die Geheimnisse anderer anzueignen, um sie zu missbrauchen und sie zu eigenen Zwecken einzusetzen.

Die Traumwandler, die er um sich gesammelt hatte, waren damit ausgeschlossen. Und Fleischmann, der Gierigste von uns, kam schon gar nicht daran.“

„Er hat uns erzählt, im Traum sei seine Mutter gewesen und er habe nicht an ihr vorbeigehen können, ohne sie zu besuchen.“, sagte Jule, die sich wieder etwas gefangen hatte und ihre Tränen zurückhielt.

„Seine Mutter? Ha.“

Adamek lachte laut und kehlig auf.

„Dieser durchtriebene Halunke. Er stammt doch selbst aus einem Traum, wie soll er eine Mutter haben? Aber immerhin hat er Fantasie und erzählt hübsch traurige Geschichten.“

Herr Adamek schaute den Kindern abwechselnd in die Augen, als ob er abschätzen wollte, was sie dachten.

„Und damit hat er Euch ja offenbar überzeugt. Muss ich mir merken.“

Wieder lachte er.

„Kinder, ich erkläre es Euch noch einmal. Der Apotheker hat den ursprünglichen Traum, der vor Hunderten von Jahren geträumt worden war, verändert. Er hat die Uhr, die dort schon immer drin gewesen ist, mit einem genialen Mechanismus versehen, der wie ein Tresor wirkt, der den Inhalt nur vor dem schützt, der ihn wegnehmen will. Die Zeiger drehen sich eigentlich überhaupt nicht, sondern stehen still. Nähert sich jemand, der das Buch benutzen würde, um die Geheimnisse anderer aus selbstsüchtigen Motiven zu erforschen, fangen sie an, sich zu drehen. Je schlimmer die Absicht, desto schneller drehen sich die Zeiger.“

Wieder lachte er.

„Ihr hättet sehen sollen, wie schnell er sich gedreht hat, als ich davorstand. Wie ein Ventilator! Ich dachte, jeden Moment fängt die Uhr zu fliegen an.“

Herr Adamek schaute von Jule zu Luca und wieder zurück, als ob er Applaus für seinen gelungenen Witz erwartete.

„Aber eines von Euch harmlosen Schäfchen war offenbar geeignet für diese Aufgabe“, sagte er dann langsam.

„Mein Bruder“, sagte Jule und schaute zu Luca, der schon nicht mehr zugehört hatte, sondern gerade daran dachte, dass der arme Hektor bestimmt wieder vor der kalten Eisentür ausharren musste. Als er merkte, dass ihn beide anschauten, wurde er verlegen und fragte

„Was ist?“

Jule dachte einen Moment lang nach. Bei ihr und bei ihrem Bruder hatte sich der Zeiger ja auch gedreht, wenn auch wesentlich langsamer. Sie waren offenbar auch nicht so harmlos und uneigennützig, wie sie dachte. Aber stimmte es überhaupt, was Adamek sagte?

„Das heißt, Herr Fleischmann war einer der Schüler des Hüters der Träume? Und sie auch?“, fragte sie.

„So ist es. Und Frau Buglett war die dritte. Wir sind nach seinem Tod bis heute zusammengeblieben. Teils, weil wir uns gut kennen, teils, weil wir uns gegenseitig nicht trauen und uns, nun, ich vielleicht ist überwachen das richtige Wort, teils, weil es gemeinsam leichter ist, sich zu verstecken.“

„Verstecken? Heißt das, dass Sie alle drei aus Träumen geflohen sind?“

„Genau das heißt es“, antwortete Herr Adamek.

Und warum erzählen Sie uns das alles?“, fragte Luca.

„Weil Ihr die Einzigen seid, die Fleischmann das Buch wieder abnehmen können. Jetzt, wo das Buch bei ihm ist, hat er Angst, dass ich es ihm wegnehmen könnte. Er würde mich wahrscheinlich nicht mehr über die Türschwelle des Hauses treten lassen. Aber bei Euch ist es anders. Euch vertraut er, und wahrscheinlich braucht er Euch auch noch. Ihr, Ihr könnt das Buch holen, nein, Ihr MÜSST es holen. Denn Ihr alleine seid schuld, dass es in seinem Besitz ist. Es ist Eure Aufgabe, es zurückzuholen. Es darf keinesfalls bei Fleischmann bleiben.“

„Und wer soll es dann bekommen? Der neue Hüter der Träume?“

„Es gibt keinen neuen Hüter. Nachdem der Apotheker gestorben ist und wir drei es nicht werden sollten, wurde kein Nachfolger gefunden, der würdig wäre. Was mit dem Buch geschehen soll, werden Frau Buglett und ich entscheiden. Bringt es zu uns, dann ist es wieder sicher.“

Nach einer kurzen Weile fügte er hinzu:

„Und möchte noch jemand von Euch ein Stück Kuchen oder eine Tasse heißen Tee?“

Er lächelte und wischte mit einer Hand den Fingernageldreck von der Tischdecke.


Jule und Luca - Der Schwarze Fürst

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