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Die Stunde des Jaguars
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Jens Petersen
Die Stunde des Jaguars
Roman
Diese Geschichte ist ein Roman. Das bedeutet, die durchgehende Handlung und die Hauptakteure sind frei erfunden. Anders ist es mit der Beschreibung von Orten und deren Eigenheiten oder mit historischen Persönlichkeiten, heißen die nun Netzahualcojotl, Rios Montt, Francisco de Orellana oder Tupac Amaro, oder mit rätselhaften Phänomenen wie El Dorado oder Manoa, der Stadt der Amazonen. Das betrifft auch die weniger bekannten Drogen wie Xomil Xihuite, Piulero oder Ayahuasca. Alle diese Schilderungen kann der Leser getrost für verbürgt nehmen. Auch wenn inzwischen angefallene Veränderungen manches überholt haben mögen. Aufregend, buntschillernd und chaotisch, wie Lateinamerika nun einmal ist, so gebiert sich auch dieser Roman. Historisches ist gelegentlich eingefügt, weil manche Ereignisse erst dadurch besser verständlich werden. Wer nach umfassender
Erklärung sucht, für den kann das Vorliegende nur eine Anregung sein.
1. Birds don´t talk - Sonoyta
2. Der Obsidianspiegel - Teotihuacan
3. Der Auftrag - Mexico
4. Beginn der Regenzeit - San Miguel
5. Die Ehre des Revolutionshelden - San Blas
6. Aguardientowskis Komplizen - Oaxaca
7. Give them something to do - Rio Usomacinta
8. Der tausendjährige Schlaf - Tikal
9. Fiesta in Gringotenango - Panajachel
10. Vogel man sieht ihn nicht - Am Krater des San Pedro
11. El Dorado - Cartagena
12. Nuestra Señora y sus Milagros - Baños Tungurahua
13. Der große Zauberer - Macas
14. Das Ende der großen Traurigkeit - Altiplano
15. Der Schweiß der Sonne und die Tränen des Mondes - Cuzco
16. Verschwundene Inka - Huilcabamba
17. Ungewöhnliche Forschung - Tingo Maria
18. Alegria, Alegria - Tiahuanaco
19. Die Undankbarkeit des Volkes - San Bernhardino
20. Geschenke der Erde - Pantanal, Sete Quedas, Iguassu, Amazonien
21. Die Incamiables - Manoa
22. Die Stunde des Jaguars - Rio Napo
23. Die große Versammlung - Catemaco
24. Das Vermächtnis von Pachuchi ‘ut - Lago Atitlan
Einer dieser Orte war es, deren Trostlosigkeit frösteln lässt und die panische Vorstellung erzeugt, hier hängen zu bleiben. Hinzu kam die Müdigkeit nach einer durchfahrenen Nacht. Ausgerechnet hier saßen sie jetzt fest, waren gezwungen zu warten auf das Eintreffen der Polizei. Und wer weiß, wie lange es dann noch dauern wird. Einzig den Grenzern schien das ganz recht zu sein. Ihre Arbeit abgewickelt, hatten sie sich zur Kaffeepause in ihr Büro zurückgezogen.
Der Bus war längst in einer Staubwolke wieder verschwunden. Den wenigen ausgestiegenen Passagieren blieb nichts anderes übrig, als sich auf einem der schäbigen, auf Reihen von Eisenträgern montierten Plastiksessel niederzulassen. Die abgebrochenen scharfen Kanten versuchte man zu meiden, und mit den Füßen schob man die leeren Plastikbecher, zerknüllten Reste alter Zeitungen und anderen Müll beiseite.
Das fahle Licht eines noch nicht vollends angekommenen Tages ließ draußen ebenes, vegetationsloses Land erkennen. Wenn der Wind hin und wieder die Tür aufstieß, brachte er neben einem kalten Luftzug allerlei Sand herein. An den nackten Wänden hing nur eine Tafel mit den Zeiten der Anschlüsse nach Santa Ana, Hermosillo, Puerto Peñasco und über Mexicali nach Tijuana. Verheißungen einer hoffnungsvolleren Welt.
Passiert sein musste es, als alle wie gebannt auf den kleinen Jungen und den Vogel schauten. Verzweifelt versuchte Billy den alten Papagei zum Reden zu animieren. Der Ruf als ein Wunder an Sprachgewandtheit und Attraktion dieser Grenzstation hatte sich weit hinein auf der anderen Seite der Grenze verbreitet. Aber heute saß der berühmte Papagei stumm auf seiner Stange, schaute indigniert wie ein betagter Butler hocherhobenen Schnabels über den Jungen hinweg.
Endlich ließ er sich herbei, um kurz und kategorisch zu krächzen: „Birds don´t talk!“ Nur um gleich darauf hinter die hereinragende Mauer zu flattern. Freudig hüpfte Billy hinterher. Dann ging alles ganz schnell. Billy quäkte in schrillsten Tönen und in vollster Lautstärke. Der Papagei stob davon in die Höhe, unentwegt vulgäre Schimpfworte von sich gebend. Mistress Blinton, Billies Mutter, schoss um die Ecke, ebenfalls in lautes Geschrei ausbrechend. Einer der mexikanischen Grenzbeamten eilte herbei und gab seine Flüche dazu. Kein Wunder, er wäre fast über Mistress Blinton gestolpert, die ihrerseits schon über die am Boden liegende Leiche gefallen war.
Comisario Cuevas passte so gar nicht in das Klischee des desinteressierten, korrupten Latino-Polizisten. Er war diszipliniert, ehrgeizig und stolz. Er liebte sein Land und hasste Korruption, weil er wusste, dass diese es krank machte. Erwischte er einen seiner Leute dabei, so ließ er ihn seine Verachtung spüren, was hieß, eine Versetzung auf den unerfreulichsten Job.
„Pass auf“,
stupste mit seinem Ellenbogen Mantega den Neuen in die Seite.
„Jetzt wo er sich in der Mitte aufgebaut hat, wird er gleich sagen: Mein Name ist Comisario Cuevas. Ich muss jeden von…“
„Mein Name ist Comisario Cuevas. Ich muss jeden von ihnen einzeln verhören.
Während dieser Zeit kann niemand das Gebäude verlassen.“
Dann machte er eine längere Pause.
„So fängt er immer an, der raffinierte Hund. Während wir hier neben dem Ausgang Wache stehen müssen, kann er in Seelenruhe alle beobachten. Das macht die meisten ziemlich nervös.“
Die Gesichter verrieten Cuevas schon einiges, auch die Haltung, aber mehr noch die Reaktionen. Manche wirkten eingeschüchtert, andere verlegen, wieder andere trotzig oder aufbegehrend. Er ließ sich Zeit. Offenen Widerspruch gab es diesmal keinen. Nun gut, dann zur Sache, erst einmal zu dem Opfer.
Die Papiere in seiner Jackentasche erlaubten es, den Toten schnell zu identifizieren. Ein gewisser Felipe Gonzalves aus Mexico-Stadt. Wie telefonische Nachfrage dort ergab, unbescholten und in keiner Weise bekannt. Er war Anthropologe an der Universität von Mexico, Forschungsgebiet: Die Lacandonen, ein Indianerstamm im Urwald von Chiapas, unweit der Grenze mit Guatemala. Einige Zeit hatte er als Gastdozent an der University of California in Santa Barbara verbracht. Wo man ihn mit dem Spitznamen „Speedy Gonzales“ neckte. Es half nichts, dass er nicht müde wurde zu korrigieren: „Gonzalves, nicht Gonzales!“ Sonst war er ein stiller, etwas schüchterner Typ, hatte keine Freunde, keine Schulden, keine Liebschaften. Ein blütenreines Leben als ein etwas introvertierter Wissenschaftler. Kein Motiv war zu erkennen, warum irgendwer ihn ermorden wollte. Als Todesursache war eigentlich nur eine winzige Stichwunde oberhalb der rechten Schulter in die Halsschlagader zu erkennen, vermutlich eine Injektion. Alles Weitere würde das Labor klären.
Das Gepäck des Toten war ein üblicher, kleiner Reisekoffer mit der nötigen Wäsche. Wie sich bald herausstellte, wollte Gonzalves in die Staaten, um sich mit einem Redakteur der Los Angeles Post zu treffen. Der sagte am Telefon aus, er hätte einen Anruf von Gonzalves erhalten, der sehr aufgeregt wirkte. Es handelte sich angeblich um eine ganz brisante Sache. Aus dem verwirrten Gestammel wäre einzig klar nur rübergekommen: „Die Stunde des Jaguars“, vermutlich sowas wie ein Kennwort.
Während seine beiden Männer weiterhin den Raum bewachten, auf dass sich keiner unerlaubt entferne oder sonst Verdächtiges tat, machte Cuevas sich daran im Büro der Grenzer einen nach dem anderen zu vernehmen.
„Mrs.Blinton, sie hatten ja auch als Erste den Toten gesehen. Was war der Grund Ihres Aufenthaltes in Mexiko?“
„Wir hatten meinen Bruder besucht, der an der Universität von Guadalajara tätig ist.“
(Jedes Mal muss ich diese gleichen, stereotypen Fragen stellen. Alle Jubeljahr mag da vielleicht Verwertbares bei heraus kommen, ansonsten nur das große Gähnen.)
„War Ihnen an dem Toten irgendetwas aufgefallen?“
„Und ob! Mich überkam das nackte Entsetzen, als ich dieses Gesicht sah, verzerrt und leichenblass, wie man so sagt, von Grauen gezeichnet. Schrecklich, dass der kleine Billy so etwas mit ansehen musste! Die Augen waren seltsam verdreht und die Lippen blauschwarz verfärbt.
(Wie der ausschaut, das sehe ich selber.)
Da ich Krankenschwester bin, fand ich es auch höchst merkwürdig, dass die Leichenstarre schon eingetreten war, wo er doch erst seit einigen Minuten tot sein konnte.“
(Na bitte, das ist doch schon mal erwähnenswert.)
„Sonst noch etwas?“
„Ja - Ach ja, noch was, - die Toilettentür stand offen, als wenn er da gerade noch herausgekommen wäre, bevor er zusammenbrach.“
„Danke, Mrs.Blinton, das sind schon zweckdienliche Hinweise. Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen, ich meine, hat sich irgendwer aus dem Raum entfernt, der Señor Gonzalves in Richtung Toiletten gefolgt sein könnte?“
„Nein, darauf habe ich nicht geachtet, wir haben ja auch alle nur auf den kleinen Billy und den Papagei geschaut.“
(Ja, ja der kleine Billy. Für mich wäre ja nun eine andere Blickrichtung erheblich interessanter.)
Mr.Blinton hatte überhaupt nichts bemerkt.
(Kann ich abhaken, genau wie seine Frau, harmlos und unverdächtig.)
Als Nächsten ließ Cuevas den älteren Indianer ins Büro kommen und Platz nehmen. Während er ihn musterte:
(Undurchsichtig kam der mir schon gleich vor. - Jetzt macht er hier auch noch auf einfachen Indio vom Lande. Ist ja interessant! Solch einen rückständigen Dörfler soll ich ihm also abnehmen. Sich dumm stellen, diese Masche kenne ich nun bis zum Abwinken. Gerade der hier ist alles andere als das. Aber was? Mehr noch, so ein unbekanntes Gefühl streift mich da, als wenn hier grundsätzlich etwas nicht stimmt. Zumindest nicht übereinstimmt mit bisherigen Erfahrungen.
Na ja, ich kann ja erst einmal so tun, als halte ich ihn für das, was er mir vormachen will. Solche schlichten Wesen wären es dann gewohnt forsch und ein wenig von oben herab angefasst zu werden. Bitte sehr, kann er haben. Also dann:
„Ausweis!“
„Hm, Juan Albanil heißt du? Da ist aber kein Geburtsdatum angegeben! Wie alt bist du?“
(Dieses Grinsen, welches er jetzt aufsetzt, soll wohl einfältig wirken. Aber ich behaupte, es ist hintergründig.)
„Kann sein Sechzig.“
(Das sagt er so, als wäre es ein großzügiges Angebot an mich. Klar, unbekanntes Geburtsdatum ist mir weder etwas neues, noch ungewöhnlich bei Indianern aus ländlichen Gegenden.)
„Ach, und in die Estados Unidos wolltest du?“
(Wer es glaubt, wird selig. Die lassen Typen wie ihn doch in die USA gar nicht erst rein.)
„Und was wolltest du da?“
„So, so, einen compadre besuchen.“
(Was Besseres war ihm wohl nicht eingefallen. Oder sollte es nur nochmals mir die Naivität vorgaukeln? Moment, – wodurch war der mir doch gleich so merkwürdig vorgekommen? Ja, die Augen waren es. Die sehen alles andere als leutselig aus, passen so gar nicht zu dem, was er mir hier vormachen will. Sollte der vielleicht ein Brujo sein? – Dann wäre es umso interessanter, was er wirklich hier wollte. Aber mit solchen Dingen kenne ich mich nun überhaupt nicht aus, habe es auch immer peinlichst vermieden damit in Berührung zu kommen. Danke, das Wenige was ich davon weiß und was so darüber geredet wird, das reicht, um die Finger davon zu lassen. Soviel zumindest ist mir bekannt, über diese Stämme hier im Norden, die Yaki, Seri oder Raramuri. Die hatten gelernt, in so einer kargen Landschaft zu überleben. Das archaische und entbehrungsreiche hatte sie ungewöhnlich hart gemacht. Auch die Azteken waren einst in diesen lebensfeindlichen Landen aufgewachsen, bevor sie in den freundlicheren Süden abwanderten.
Von den Seri war bekannt, dass sie Wild jagten, indem sie es zu Tode hetzten. Sie konnten so ausdauernd hinterherlaufen, bis das Tier völlig erschöpft zusammenbrach. Dann biss der Jäger ihm die Halsschlagader auf. Von Spaniern, die als Erste diese Gegend erkundeten, ist berichtet, dass in Gegenwart eines Seri ihre Pferde zu zittern begannen.
Von den Tarahumara, die sich selber Raramuri nennen, weiß man, dass sie meilenweit über Berg und Tal fußballgroße Steine mit ihren nackten Füßen vor sich her stoßen in ihrem traditionellen Ritual. So ein Raramuri ist auch in der Lage ohne weiteres 200km. im Nonstop-Dauerlauf zurückzulegen.
Die Yaki sind so gefürchtet als beinharte Krieger, dass sich die Armee gern ihrer bedient.
Die Bezeichnung Brujo, Hexer, die den Schamanen dieser Stämme von der katholischen Geistlichkeit als Verunglimpfung angehängt wurde, war ungewollt so zutreffend, dass sie haften blieb. Erwiesen ist, diese Brujos kennen sich bestens aus in Giften und Drogen aller Art. Auch mit der menschlichen Psyche verstehen sie zu spielen wie auf einem vertrauten Instrument. Was sie sonst so treiben, darüber kursieren die finstersten und haarsträubendsten Gerüchte.
He, was mache ich denn hier?
Ich lasse mich von meinen Gedanken völlig davontragen. Oder könnte es angehen, dass da schon jemand versucht, mich zu manipulieren?
Also reiß dich zusammen, Alfonso, und bleib bei der Sache!
Wo war ich stehen geblieben?)
„Also einen Compadre besuchen, das war alles, was du dort wolltest?“
(Ach was soll das? Die Frage hätte ich mir sparen können. War ja doch nur aus Verlegenheit. Ich bin mir sicher, das werde ich nie erfahren. - Bleibt mir also nichts anderes übrig als weiterspielen wie gehabt.)
„So, gesehen hast du rein gar nichts? Auch nicht, ob dem nun toten Señor irgendwer nachgegangen war in Richtung Toilettenräume?“
(Als ob ich mir das nicht hätte denken können. Überflüssige Fragerei.)
Juan Albanil konnte auf langjährige Übung zurückblicken, was das nichtssagend, leutselig in die Gegend gucken betraf. Er durfte sich damit unentdeckt aufgehoben wissen in dem uferlosen Tümpel allgemeiner Vorurteile. Indios vom Lande haben nun einmal simpel und einfältig zu sein. Alles andere würde unnötig Aufmerksamkeit erregen, käme eventuell dem zu nahe, was er tatsächlich dachte.
(Meine Aufgabe hat sich mit diesem Mord überraschend erübrigt. Wenn hier alles gelaufen ist, und die Anderen dabei sind, sich zu entfernen, werde ich unauffällig zurückfahren. Seit ich mir angewöhnt habe, weniger an vorgefassten Plänen festzuhalten, sondern abzuwarten, was sich so ergibt, wird es immer interessanter, was das Schicksal, oder wie man es nennen mag, einem so zuspielt. Zum Beispiel dieser Polizist da vor mir, der mich gerade so misstrauisch abklopft und mir am liebsten unter die Schädeldecke sehen würde. Er glaubt mir den schlichten Landbewohner nicht, lässt sich das aber nicht anmerken. Auch wirkt er anders als die meisten seiner Art, geradliniger und auch tatkräftiger. Könnte sein, dass er der Gesuchte ist. Einstweilen ist er noch gebunden an seine Dienststelle. Sollte mich nicht wundern, wenn sich daran in nächster Zeit etwas ändert. Das wäre der endgültige Beweis, dass er der Vorgesehene ist. Es werden sich dann immer noch Gelegenheiten bieten, ihn zu beobachten. Wenn der wüsste, was da auf ihn zukommt.)
„Der Nächste bitte.“
(Aha, US-Bürger. Woran erkenne ich das nur immer so leicht? Tippe mal auf Student.)
„David Mitchel ist ihr Name, wie ich dem Pass entnehme.“
(Sieht nach gut situierter Familie aus.)
„Danke, sehr freundlich ihr Angebot, das Gespräch auf Spanisch fortzusetzen. Aber ich spreche Englisch.“
(Wofür wohl habe ich schon vor Jahren mich der Mühe unterzogen, diese Sprache zu lernen? Wenn ich mir vorstelle, für diese Verhöre erst einen Dolmetscher anfordern zu müssen. Fraglich, ob wir da heute überhaupt noch zu Ende kommen würden.) „Sie sind von Beruf?“
(Aha, Student, habe ich mir also gedacht.)
„An der University of California, Los Angeles, Department of Music.”
(Da hätte ich jetzt auf was anderes getippt.)
„Was war der Anlass ihres Aufenthaltes in Mexiko?”
(Ein wenig Urlaub. So, so, vermutlich weil hier die Joints günstiger zu haben sind als in Kalifornien.)
Dave hatte eigentlich mehr so einen muffigen, korrupten Polypen erwartet, wie ihm aus einschlägiger Literatur vertraut.
(Oh, bitte, war ja nur ein Angebot, die Unterhaltung auf Spanisch zu führen. Immerhin, ein hiesiger Cop, der fließend Englisch spricht. Hätte schlimmer kommen können. Trotzdem kein Anlass, dem auch nur ein Wort mehr zu erzählen, als nötig. Dass ich zuvor auf Anraten meiner Alten einige Semester Literatur studiert habe, oder einige Artikel geschrieben für das Feuilleton von Dad´s Zeitung. Was geht den das hier an? Schon gar nicht, dass ich die heißen Bücher von Castaneda mehrmals und aufmerksam studiert habe. Bis ich es kapiert hatte, mehr als die anderen. Für die sind das Kultbücher, augenblicklich gerade mal in, aber morgen schon wer weiß welche anderen. Ich dagegen, bin jetzt selber auf dem richtigen Trip.)
„Wo ich den Urlaub gemacht habe?“
(Die paar LSD-Trips hatten nicht das Wahre gebracht. Und auch die selbstgebaute Pyramide im Vorgarten hatte nicht viel mehr, als nur die Nachbarn verärgert.)
„An der Pazifikküste in Mazatlan sowie in Guadalajara und in Guanajuato.“
(Aber jetzt ist es mir gelungen ihn aufzugabeln, den richtigen Meister. Auf der Busstation in Guaymas habe ich ihn gleich erkannt. Nun heißt es nur noch, ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Ein Kontakt wird sich schon irgendwann ergeben. Aber das geht natürlich alles weit hinaus über das Verständnis eines Polizisten.)
„Nein, gesehen habe ich nichts Auffälliges.“
(Als ob mich das noch überrascht. Ein Freak ist er offensichtlich, aber kein Mörder. Da bin ich mir sicher.)
Dubioser war da schon dieser Jeff Henson, ein etwas in die Jahre gekommenes Blumenkind. Die langen Haare waren längst spärlicher geworden und wirkten nur noch lächerlich. Jeff Henson brachte sich schlecht und recht über die Runden mit allerlei Drogenkleinhandel. Gern und ausführlich fabulierte er darüber, was man alles verändern und verbessern sollte, in der Natur, bei den Lebensmitteln, bei Luft und Wasser, bei Pharmazeutika, im Sozialen und noch bei so manchem mehr. Lauter illustre Ideen zur Weltverbesserung. Sich selbst hatte er in dieser Aufzählung des Verbesserungswürdigem glatt übersehen. Angeblich war auch er auf Urlaub in Mexiko. Der naheliegende Verdacht auf Drogennachschub erübrigte sich. Schon die Grenzer hatten sein Gepäck unter diesem Gedanken gefilzt. Cuevas war nicht verwundert zu hören:
„Nein, bemerkt habe ich gar nichts.“
So richtig zwielichtig erschien ihm jedoch dieser Burt Winslow, seiner Aussage nach Handelsreisender. Er führte auch ein Köfferchen voller Muster von eleganten Herrenhemden mit sich. Was er wirklich machte, wusste niemand. Sein Gesicht zeigte jedenfalls nicht gerade die freundlich verbindliche Grimasse eines Vertreters. Angeblich arbeitete Burt Winslow als Freier und auf eigene Rechnung für die verschiedensten Hersteller. Cuevas Abneigung flüsterte ihm etwas in Richtung Berufskiller. Nüchterne Überlegung schob solches natürlich beiseite.
(Ein gar zu abenteuerlicher Verdacht, der ohne die geringste Bestätigung frei in meiner Phantasie herum baumelt. Aber vielleicht wäre eine Leibesvisitation ganz aufschlussreich, hätte interessantes zutage gebracht, wie abweichende Papiere oder Kreditkarten mit Zugang zu unerklärlich großen Konten.
Genug des Wunschdenkens. Leider liegt so etwas, zumindest zu diesem Zeitpunkt, außerhalb meiner gesetzlichen Befugnisse.
Was bleibt sind die immer gleichen, langweiligen Verhöre, Lügen die man durchschaut aber nicht widerlegen kann.)
Der Diplomat, Ralf Stilton, erschien ihm ebenfalls dubios. Nur an diesen ehrenwerten Mr.Stilton kam er überhaupt nicht heran. Der Pass wies ihn als mit entsprechender Immunität versehen aus.
(Was macht solch ein hohes Tier an dieser gottverlassenen Grenzstation, und wenn schon, warum kommt er dann mit dem schäbigen Bus und nicht in bequemer Dienstkarosse-vorgefahren?)
Selbst die Frage nach dem Grund des Besuchs in Mexiko prallte ab von einem:
„Bedaure, das unterliegt einer geheimen Verschlusssache.“
Zu guter Letzt war da noch Señor Random, ein mexikanischer Geschäftsmann. Er hatte einen kleinen Laden in Herrmosillo. Das ließ sich jedenfalls schnell und leicht bestätigen. Unerklärlich war nur, warum er bald darauf so spurlos verschwand.
Cuevas schaute angeödet aus dem Fenster. Zwar hatte die Sonne inzwischen die morgendliche Kälte vertrieben und ihr gleißendes Licht über dem flachen, ereignislosen Land ausgebreitet. Doch was er sah, war nach wie vor nur Leere, nichts was ein Gefühl von heimatlicher Verbundenheit erregte. Auch wenn er in dieser Umgebung aufgewachsen und den Anblick gewohnt war, begann er immer mehr sein Leben als ein Spiegelbild davon zu sehen. Zunehmend deutlicher zeigte es für ihn etwas Lähmendes, gegen das er innerlich aufbegehrte.
(So monoton wie die ständig repetierenden Abläufe meiner Arbeit. Werde ich eines fernen Tages, wenn ich meinen Schreibtisch in Richtung Pensionierung verlasse, rückblickend auf mein Leben sagen: War´s das? War das alles?)
Die Vernehmungen hatten allesamt nichts gebracht.
(Gewiss, dieser Mord gehört aufgeklärt wie jeder andere. Aber so viel dämmert mir jetzt schon, darum allein geht es hier gar nicht.)
Ein unerklärlicher Windstoß erreichte ihn, wie aus einer fremdartigen Welt von anderer Frequenz. Instinktiv schaute er auf seine Uhr, als sollte sie eine andere Zeit anzeigen. Nur ein kurzer Augenblick, dann hatte die Gewohnheit ihn wieder.
Irgendetwas war ihm gleich seltsam vorgekommen, nicht zuletzt auch an den Anwesenden, nur so ein Gefühl. Als wenn die alle nicht zufällig zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort wären. Die Blintons vielleicht ausgenommen. Die gängigen Mordmotive passten einfach nicht. Da war mehr hinter der Sache, etwas Unbekanntes, Größeres, von dem keine Konturen zu erkennen waren. Nur wusste er noch nicht, dass es sich den herkömmlichen Mitteln der Erkenntnis ohnehin entzog, weil es so nicht greifbar war.
(Alle behaupteten, fixiert gewesen zu sein auf das, was sich da abspielte zwischen dem kleinen Billy und dem Vogel. Niemand wollte angeblich etwas bemerkt haben. Niemand hatte gesehen, ob sich wer kurz entfernte. Für mich ist die Frage nicht mehr, ob hier gelogen wurde und von wem, sondern nur noch - und viel aufschlussreicher: warum?)
Er inspizierte noch einmal die Toilettenräume, den Ort, wo es passiert sein musste. Keinerlei Zeugen irgendeines Kampfes, keine Spuren an den Wänden oder auf dem Fußboden, kein ausgerissenes Haar oder verlorener Knopf. Es muss alles sehr glatt gegangen sein, blitzschnell und mit überraschender Sicherheit, um nicht zu sagen professionell. Cuevas Augen ruhten auf den blassen, graugelben Kacheln. Für einen Moment schüttelte ihn etwas, als läge hier ein unsagbares Grauen in der Luft. Eine vage Ahnung beschlich ihn, etwas völlig anderes würde dahinter stecken, etwas ihm noch unbekanntes, bislang in keinem seiner Fälle aufgetauchtes. Wenn diese Kacheln reden könnten, wie es aussah die einzigen Zeugen. Aber die blieben wie immer kalt, glatt und stumm.
Zurück im Büro blickte Cuevas nachdenklich durch die abgetönten inneren Scheiben auf die Fahrgäste im Warteraum. Unbemerkt konnte er von hier aus die Runde beobachten. Normalerweise würden die doch jetzt palavern, lamentieren, dass sie so lange hier festgehalten würden, sich aufregen über die Zumutungen seitens der Polizei. Aber die saßen nur alle stumm und reglos da, glotzten geradezu verbissen die Wände an. Kein Zweifel, etwas stimmte da nicht, war anders als sonst. Nicht dass es ihn verwirrte, aber er kam einfach nicht darauf, was es sein könnte. Den Deckenbalken sah er langsam einen Leguan überqueren. Wachsam aber desinteressiert schaute der auf die Menschengruppe unter sich.
Dann brütete er über seinen Notizen.
(Einer von den Dreien muss es gewesen sein, das sagt mir ein untrügliches Gefühl. Aber welcher? Der schwer durchschaubare, alte Indianer? Sollte der tatsächlich ein Brujo sein, dann wären die Motive dieses Hexers ebenso undurchsichtig wie nicht nachvollziehbar. Der zwielichtige Handelsvertreter, der angeblich geschäftlich in Mexiko unterwegs war? Wie das denn, wo der kein Wort Spanisch verstand? Ja, und da wäre als Dritter noch der saubere Mr.Stilton, der in Sachen unnahbarer Geheimnisse unterwegs war. Einer von den Dreien, aber welcher? Keinem kann ich auch nur das Geringste nachweisen. Noch nicht einmal ein vages Verdachtsmoment ist in Sicht, und ein Tatmotiv ebenso wenig, von Beweisen ganz zu schweigen.
Die Anderen kommen, da bin ich mir sicher, als Täter nicht in Frage. Aber welche Rolle spielten die? Warum waren sie tatsächlich hier? Weil angeblich auf Billy und den Papagei fixiert, konnte mir auch niemand mit Bestimmtheit sagen, ob einer der Betreffenden sich kurz entfernt hätte, um dem Opfer zu folgen. Höchst unwahrscheinlich, da wird zumindest einer gelogen haben.)
Er ließ den Kopf sinken in die offenen Hände über den aufgestützten Ellenbogen.
Die sich überkreuzenden, lanzenförmigen Blätter ergaben ein eigenartiges Muster. Wie ein Raster um rhythmisch versetzte, konzentrierte Lichtpunkte herum. Nur an einer Stelle rechts oben brach das Sonnenlicht klar durch. Aber der Lichtstrahl ging an ihm vorbei. Im tiefen Schatten zwischen den Baumwurzeln lauerte er auf seinem Lager. Wie immer gedachte er den Rest seiner nächtlichen Tätigkeit hier in Ruhe auszukosten. Und wie alle seiner Art liebte er es, den größten Teil des Tages mit seligem Nichtstun zu verbringen. Ein verhängnisvoller Fehler deswegen zu glauben, er schliefe. Völlig entspannt dämmerte er so vor sich hin, unentdeckt auf der Hut Einzig seine Ohren bewegten sich leise, lautlos wie mobile Empfangsschirme, die jedes noch so kleine Geräusch aufnahmen. Zeigten sie Verdächtiges an, so wäre er auf der Stelle hellwach und sprungbereit. Bis dahin blieb er eine schweigende Unergründlichkeit, aus der Tiefe des Schattens dräuend. Eine belanglos erscheinende Umgebung ließ davon nichts ahnen.
Er hob den Kopf und schüttelte ihn, als hieße es etwas abzuwerfen.
(Was immer das bedeuten soll, ich darf hier nicht vor lauter Frust in müßige Tagträumerei verfallen. Es hilft alles nichts, keinerlei Ergebnis ist in Sicht.)
Er seufzte, ließ die Faust auf den Tisch fallen, stand auf und verkündete seinen Leuten draußen im Warteraum, sie könnten alle gehen lassen. Den Toten und dessen Gepäck sollten sie auf den Wagen laden und ins Labor nach Hermosillo bringen.
Frustrierend war auch der Befund, der wenige Tage später aus dem Labor eintraf. Die Untersuchung hatte ergeben, Gonzalves war ermordet worden durch eine Injektion mit einem schnellwirkenden Gift, wie es eigentlich nur bei den Brujos mancher Indianerstämme bekannt war. Xomil-Xihuite war ein besonders bösartiges Gift, von den Indianern auch „Gläserner Sarg“ genannt. Schon in allerkleinsten Mengen verursacht es Höllenqualen und lässt das Opfer bei völliger Bewegungslosigkeit die fürchterlichsten Ängste durchmachen. Bereits die winzige Dosis von 0,007 Gramm tötet einen Hund von 5 kg. in wenigen Minuten. Größere Mengen lassen den damit Injizierten auf der Stelle zusammenbrechen, sich nur noch einmal schütteln, um dann sofort starr zu werden.
(Natürlich, sofort wirken sollte es, damit das Opfer sich nicht mehr bemerkbar machen konnte. Hab ich es doch geahnt! Ein Grund hätte sich schon gefunden, um diesen diabolischen Kerl zumindest vorläufig festzuhalten.)
Cuevas sah wieder das Gesicht des Toten vor sich, die Augen hervorgetreten, der Mund schwarz angelaufen und weit aufgerissen. Leichenblasse Haut widersprach dem noch Sekunden zuvor Lebenden, der jetzt plötzlich das Aussehen eines Dämons oder Zombies angenommen hatte.
Cuevas besaß teilweise selber Indianerblut in seinen Adern, war in dieser Umgebung aufgewachsen und ahnte mit welchen Kräften er es hier zu tun haben würde.
Trotzdem machte er sich Vorwürfe, den Alten nicht weiter festgehalten zu haben. Sinnlos wäre jetzt eine Suche per Steckbrief. Das konnte er von vornherein vergessen, auch wenn er ein Foto bekäme und es in allen Polizeistationen aushänge. Die Beschreibung würde wenigstens auf einige Hunderttausend ältere Indianer passen.
Bei Nachfrage in dem angegebenen Heimatdorf erfuhr er, dass es dort einen Juan Albanil gab, seines Zeichens Medizinmann. Der Haken war nur, dieser verdammte Brujo war schon vor 200 Jahren gestorben