Читать книгу "Die Stunde des Jaguars" - Jens Petersen - Страница 4

Der Obsidianspiegel
Als am frühen Nachmittag die Vernehmungen in Sonoyta endlich beendet waren, hatten alle es auffallend eilig, sich in Richtung USA abzusetzen. Niemand bemerkte, wie der alte Indianer verschwand in dem Bus für die Gegenrichtung. Wohl auch, weil niemand damit gerechnet hatte, waren sie doch alle dorther gekommen.

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(Wie fixiert sie alle sind auf ihre Weiterfahrt, froh den polizeilichen Untersuchungen endlich heil entkommen zu sein. Ein typischer Fall von einseitig orientierter Aufmerksamkeit, die sie für alles andere blind macht. Mir gab es die Gelegenheit unbemerkt im lokalen Bus zu verschwinden.

Sieh mal an, diesem Hoffnungsträger ist es als Einzigen nicht entgangen. Schon seit Guaymas folgt er mir und glaubt allen Ernstes ich merke es nicht. Jetzt gerade ist er ganz verstohlen bei der hinteren Tür eingestiegen. Was er will ist offensichtlich. Möglich, dass dieser kalifornische Student tatsächlich der Andere ist, den die Gelegenheit mir zuspielt. Aufmerksam und für einen Gringo ungewöhnlich ausdauernd ist er schon. Vorerst jedoch werde ich ihn weiter im Auge behalten, während er meint mich zu beobachten).

Bei den einfachen Bussen wie diesem, die den ländlichen Bereich bedienen, konnte man auch hinten einsteigen. Neben dem Fahrer war stets noch ein Zweiter im Wagen, der durchging und kassierte.

(Zum Glück sitzt er ganz vorne. Da wird er nicht gesehen haben, wie ich hinten einstieg. Es ist noch spannender, als ich es mir vorgestellt hatte. Keine Ahnung wie es weitergeht. Dranbleiben ist vorerst die Devise.)

„Wohin ich will?“

(Woher kann ich wissen, wo der aussteigen wird? Am besten ist….)

„Ja, lösen Sie mir bis Endstation.“

(Was soll´s? Da kann jedenfalls nichts schief gehen.)

Quälend langsam zog sich die Fahrt dahin. In jedem Ort wurde gehalten, oft auch noch langwierig verhandelt über den Preis für größeres Gepäck.

Die Nacht hatte sich bereits über das Land gesenkt, als in einem dieser nichtssagenden Kaffs das Objekt von Daves Observierung ausstieg. Zum Glück ging dieser gleich um die nächste Ecke, so dass er nicht sehen konnte, wie Dave ebenfalls ausstieg, um ihm vorsichtig zu folgen.

(Wie nicht anders zu erwarten, ist er auch ausgestiegen bei der rückwärtigen Tür. Ich höre es an seinen Schritten. Denn soll es wohl so sein, dass er der gesuchte Andere ist. Ich werde jetzt im Ort ein wenig mehr als nötig umhergehen, um dann hinter einer Ecke ihn auflaufen zu lassen. Wie auch immer, der Test mit dem Obsidianspiegel wird mir genaueres sagen.)

Der kleine Platz, an dem der Bus hielt, war gerade noch durch zwei Laternen spärlich beleuchtet. Die Gassen dahinter blieben dunkel und verlassen. Kein Mensch war zu sehen zwischen diesen schmucklosen Wänden ärmlicher Häuser. Die meisten lagen verborgen hinter hohen Mauern mit abfallendem Putz oder überhaupt nur aufeinander gesetzten Feldsteinen. Einige wirkten schon halb verfallen. Auch wenn dahinter in manchen Fenstern noch Licht brennen mochte, so gelangte es nicht bis auf die Wege. Nach all den Ecken und Abzweigungen war es nicht einfach, den Verfolgten im Auge zu behalten ohne selber aufzufallen.

(Verdammt! Ich fürchte, jetzt habe ich ihn doch verloren. Was macht überhaupt diese steinerne Statue hier hinter der Häuserecke? Um ein Haar wäre ich dagegen gerannt. In dieser Dunkelheit sieht man ja nicht mal….Oh nein, - nein! Das ist er! Warum steht er so regungslos wie erstarrt da, wie eine antike Plastik? Nur diese Augen! Sie starren mich unentwegt an. Mir ist, als tasten sie mein Gesicht ab. Überall, an allen Stellen. Wie lange geht das noch? Ich kann auch gar nichts sagen. Er muss die ganze Zeit gemerkt haben, dass ich ihm folgte. Unerträglich peinlich ist das. Wenn er wenigstens etwas sagen würde. Von mir aus soll er mich jetzt anschnauzen, herunterputzen, zur Minna machen. Wenn nur diese quälende Situation ein Ende nimmt.)

Die Stimme war nicht kalt, nur so emotionslos wie beiläufig:

„Nun gut, du sollst haben, was du suchst.“

Dann drehte der alte Indianer sich um und ging wortlos weiter. Dave nahm das als Aufforderung, ihm zu folgen.

Nicht lange, und sie hatten das Ende des Dorfes erreicht. Der ungepflasterte Weg führte weiter gerade hinaus, um sich leicht ansteigend zu verlieren in den kahlen Bergen. Nach wenigen Minuten hielt Juan vor einem einsamen, unbeleuchteten Haus an der linken Seite des Weges, so ärmlich und unscheinbar wie alle anderen, an denen sie vorbeigegangen waren. Immer noch wortlos öffnete er die Tür und schob Dave hinein.

Ein anderer älterer Indianer saß in dem kahlen Raum an einem Tisch.

„Das ist Benigno“,

sagte Juan und zu diesem gewandt:

„Das hier ist Dave.“

Benigno nickte nur ohne aufzusehen und widmete sich weiter seinem Teller mit Frijoles.

Erst wesentlich später kam es Dave in den Sinn:

(Woher konnte der eigentlich meinen Namen wissen?)

Juan deutete nur zu einem leeren Stuhl am gleichen Tisch und ging nach nebenan. Zurück kam er mit zwei Tellern Frijoles. Einen schob er Dave hin sowie einen Löffel. Jeder aß wortlos. Als sie damit fertig waren, unterbrach Juan das Schweigen.

„Es wird eine längere Fahrt.“

Und:

„Wir müssen dir die Augen verbinden.“

Nachdem sie ein Tuch um seinen Kopf so fest verknotet hatten, dass er auch bei bestem Bemühen weder irgendwo durchschauen noch etwas verschieben konnte, ohne jedoch das Atmen zu beeinträchtigen, führten sie ihn hinter das Haus und auf den Rücksitz eines Autos.

Die Fahrt währte die ganze Nacht und den längsten Teil des folgenden Tages. Nur einmal unterbrachen sie für ein paar Minuten, vermutlich um den Fahrenden abzulösen. Zu Dave sagten sie, wenn er austreten müsse, wäre das jetzt die Gelegenheit. Dave hatte keine blasse Ahnung, wohin es ging, noch nicht einmal in welche Richtung. Aber er war in seinem Glück. Wie so manch anderer seiner Generation, hatte er jahrelang die Kultbücher von Castaneda verschlungen. Wie man so sagt, sie waren seine Bibel geworden. Jetzt endlich glaubte er erreicht zu haben, wovon die Anderen nur träumten.

Unvermutet flackerte ihm dazwischen auch der Gedanke auf:

(Was ist, habe ich mich vielleicht am Ende in die Hände des Mörders von Gonzalves begeben? Weiß ich, was diese beiden Typen mit mir vorhaben? Ich wäre denen, wenn es drauf ankommt, doch hoffnungslos ausgeliefert. Quatsch! Solche Ängste sind nur dazu angetan mir den ganzen Trip zu versauen.

Ich bin dran! Ich bin dran!

Das große Abenteuer, von dem die Anderen alle nur träumen, dem rolle ich jetztentgegen. Ist doch wohl klar, dass ich diese einmalige Chance auch genießen will.)

Die Wunschvorstellung von dem so lang ersehnten großen Abenteuer erwies sich als übermächtig. Er war jetzt dran, in den Fußstapfen Carlitos. Keine noch so lange Fahrt vermochte diese aufregende Erwartung zu dämpfen. Vor lauter Erregung hatte er kaum Schlaf gefunden, verbrachte die lange Fahrt in den schillerndsten Tagträumen, von keinerlei Wahrnehmung getrübt.

Die Beiden auf den Vordersitzen wechselten kein einziges Wort. Auch das Radio, so es denn überhaupt eines gab, blieb stumm. Das Tuch um seinen Kopf war so dicht, dass er nicht einmal in der Lage war, den Stand der Sonne als Orientierungspunkt auszumachen. Das Einzige was er wahrnehmen konnte, am Nachmittag des folgenden Tages hatten sie scheinbar die Asphaltstraße verlassen. Jedenfalls rumpelte der Wagen die letzten Stunden stark.

Am Ziel angekommen, halfen sie ihm aus dem Auto und nahmen das Tuch um die Augen ab. Jedoch zu sehen gab es da wenig, eine öde Berglandschaft von trockenen Büschen bewachsen. Einsam darin eine Hütte, die nur aus einem Raum bestand.

Aus dem Kofferraum holten die Beiden einen Behälter mit den Zutaten einer einfachen Mahlzeit. Gebratene Hühnerteile, etwas Chilisoße, gemischten Salat und Tortillas legten sie auf den Tisch. Ein 5-Liter-Gefäß mit Wasser kam noch dazu. Nachdem sie, wiederum wortlos das Mitgebrachte verzehrt und alles abgeräumt hatten, brachte Juan ein Bündel herbei. Bedächtig schlug er das Tuch auf und platzierte den Inhalt auf den Tisch: Den Obsidianspiegel.

Eindringlich klärte er Dave auf über Bedeutung und Funktion, prägte ihm ein, was er zu tun hätte. Vor allem aber, was er nicht zu tun hätte, nämlich sich umdrehen. Abschließend stellte er noch die Petroleumlampe auf den Tisch und eine Schachtel Streichhölzer. Die könne er anzünden, wenn das Tageslicht bald nachlassen würde und seine Beobachtung einschränkte. Auch das wäre einfach zu bewerkstelligen ohne sich umzudrehen. Dann ließen sie ihn allein. Er hörte den Wagen starten und davonfahren.

Das war nun schon geraume Zeit her. Doch immer noch tat sich auf der Oberfläche des Obsidiansteins so gar nichts. Bewegungslos blieb sie, von unergründlicher Schwärze, einst in unzähligen Stunden und Tagen spiegelglatt poliert.

Mittlerweile war es schon dunkel geworden. Dave hatte die Petroleumlampe entzündet und starrte immer noch auf diesen makellos glatten, schwarzen Stein vor sich. Den Blick konzentriert darauf halten sollte er und auf keinen Fall sich umdrehen. So war ihm eingeschärft worden. Nicht nur die gewünschte Wirkung würde dann ausbleiben. Unmöglich vorauszusagen, was dann geschehen könnte. Auf jeden Fall Bedrohliches würde man damit heraufbeschwören, Dinge, auf die man sich besser nicht einlassen sollte. Aus noch voraztekischen Zeiten stammte dieser magische Stein. Von den Tolteken, die für ihre Fähigkeiten so berühmt waren, dass bis zum heutigen Tage herausragende Handwerker oder Künstler Toltecatli genannt wurden. Mehr noch aber, als auf diese Fähigkeiten der Fertigung, verstanden sie sich auf die Anwendung magischer Praktiken. Dieses vulkanische Glasgestein war dabei eines ihrer bevorzugten Materialien. Generationen solcher der Magie kundigen Tolteken hatten an diesem Spiegel gearbeitet.

Was immer es auch damit auf sich haben sollte, besser er hielt sich daran, dachte Dave. Zu sehen gab es ohnehin nichts in dieser einfachen Hütte. Leere Adobewände und den Tisch vor ihm, auf dem dieser Obsidianspiegel lag. Auf dessen Oberfläche sollten die Erscheinungen auftreten. Sie würden Dave in jene magische Welt führen, nach der er so fieberte. Irgendwann würde es passieren, wenn er nur konsequent seinen Blick darauf hielte. Bislang tat sich immer noch nichts. Aber wie Dave gesagt wurde, war es für ihn das Tor in jene andere Welt.

(Wenn sich diese Schemen vielleicht noch zu blass, zu zart abzeichneten, um bei dem dürftigen Licht der Petroleumlampe erkannt zu werden?)

Dave bewegte die Lampe und verschärfte den Blick, ohne erkennbare Resultate. (Diese Generationen von Brujos werden genau gewusst haben, was sie da anfertigten. Möglich auch, dass es bei einem Newcomer wie mir länger dauert. Auf jeden Fall geduldig dran bleiben, nicht nachlassen mit der Konzentration. Dann wird sich dieses Tor auch für mich öffnen.)

Ach ja, dann war da noch auf dem gleichen Tisch, etwas weiter entfernt zu seiner Rechten, dieses kleine Keramikgefäß mit der glühenden Holzkohle darin. Der herbe Geruch, den das langsam verbrennende Kraut darauf ausströmte, sollte ihm Moskitos vom Leibe halten. Wenn es völlig ausgebrannt wäre, könnte er das Kraut ersetzen aus dem Schälchen daneben. Auf keinen Fall aber, so wurde ihm eingeschärft, sollte er Blätter aus dem Korb dahinter auf die Glut legen. Deren beim Verbrennen entstehender Rauch verursachte ganz spezielle Wirkungen. Magische Wirkungen für die Dave noch nicht reif wäre.

Gar zu gern hätte er gewusst, was das denn für Wirkungen sein sollten. Je länger er darüber nachdachte, desto bohrender wurde diese Frage.

(Und überhaupt, wie will wer denn so schnell über den Daumen gepeilt beurteilen können, wofür ich reif wäre und wofür nicht?)

Der Duft, den die kokelnden Blätter aus dem verbotenen Korb verbreiteten, war noch herber, um nicht zu sagen ziemlich beißend. Obendrein entwickelten sie einen Rauch, der das ganze Umfeld leicht einnebelte. Nicht nur das sichtbare Umfeld, auch Daves Kopf fühlte sich etwas eingenebelt. Ihm war als blickte er auf verwackelte Fotos. Das dämpfte aber keineswegs seine Neugierde. Die wurde zunehmend aufdringlicher, geradezu penetrant. Was denn passieren würde, wenn er zur Seite den Blick abwand oder sich umdrehte?

(Was sollte denn schon passieren? Es sieht doch niemand. Ich bin hier auf weiter Flur allein.)

Die Beiden hatte er längst davonfahren gehört. Sonst war da, wer weiß wie weit, kein Mensch, auch keinerlei Geräusch zu hören.

(Als wenn das irgendwas beweisen könnte. Wie denn? Bin ich denn bekloppt? Wollen die vielleicht nur testen, wie einfältig ich bin? Wie lang es dauert, bis bei mir der Groschen fällt? Und jetzt kommt es mir erst: Was hatten die denn noch geredet, nach dem sie hinausgegangen waren? Wo sie sich doch sonst immer so wortkarg gaben. Natürlich in irgendeiner Indianersprache, die ich nicht verstehe. Aber gelacht hatten sie daraufhin. Na, worüber wohl? Ich sitze hier Stunde um Stunde, gaffe dieses angeblich magische Objekt an und trau mich nicht ´mal, einfach aufzustehen und mich umzusehen.)

Gesagt, getan. Er erhob sich und wendete den Blick auf die Eingangstür.

Was er nicht wusste: Die Gefahr kam aus einer anderen Realität und besaß die Fähigkeit in verschiedenen Versionen zu erscheinen.

Durchdringendes Rasseln abertausender Grillen ließ den ganzen Urwald vibrieren wie eine schrille Alarmsirene. Unberührt davon verharrte ahnungslos das ausgespähte Opfer immer noch wohlig grasend auf der Lichtung. In seiner Arglosigkeit näherte es sich sogar langsam, Schritt für Schritt immer mehr dem drohenden Unheil, dem es schon längst im Blick war. Eine leichte Brise trug dessen Geruch jedoch hinfort in die andere Richtung.

Ein unschuldiges Tier war es, was er da lauernd im Visier hatte, von jugendlichem Wuchs und unerfahrenen Bewegungen. Es war nicht so, dass er kein Auge für so etwas und kein Wohlgefallen daran hatte. Nur war das Gesetz des Waldes unumstößlich. Und das besagte, die letzte Stunde dieses Geschöpfes war gekommen. So gesehen war er nicht mehr als ein zwangsläufiger Vollstrecker dieses Gesetzes, der sich jetzt lautlos noch ein wenig näher heran schlich bis auf Sprungnähe. Als er sich gerade tiefer duckte und seine Muskeln anspannte, zum Unausweichlichen, geschah etwas Außergewöhnliches, bisher noch nie Gekanntes. Das bedrohliche Rasseln der Grillen erstarb schlagartig. Kein Vogel war mehr zu hören. Betäubende, leblose Stille war nur mehr. Alle Wesen des Waldes spürten, da war etwas Neues, völlig fremdes. Ob es gut oder unheilbringend war, wusste keines von ihnen, nur so viel, dass es jenseits der Gesetze des Waldes lag. Das soeben noch todgeweihte Opfer entwich in dichtes Unterholz.

Seit seinem dritten Lebensjahr, als er voll erwachsen wurde, gab es für ihn nie mehr einen Anlass zur Furcht. Dennoch packte ihn jetzt ein unbehaglich irritierendes Gefühl. Umsichtig in alle Richtungen witternd schlich er sich in das tiefste Dickicht, wo verborgen die alte Stadt lag. Unbekannt war sie immer noch außerhalb des Waldes geblieben. Nahe den Überresten eines größeren Bauwerks bot ein Spalt zwischen den riesigen Steinen den Eingang zu einer dunklen Höhle. Eine Stätte, an die er sich gut erinnerte, wurde er doch hier zusammen mit seinen beiden Brüdern geboren. In diesem Versteck wurde er aufgezogen, und es blieb für ihn zeitlebens der sicherste Rückzugsort. Diese Stadt war so lange schon verlassen, dass nichts mehr an ihre einstigen Bewohner erinnerte. Selbst der sonst so beharrlich anhaftende Geruch war längst verflogen.

Für seine Mutter war es daher nichts anderes gewesen als irgendein Felsengebilde welches den erwünschten Schutz bot. Für ihn blieb es zeitlebens der Ort von Sicherheit und Geborgenheit. An der Wand gegenüber schaute ihn sein Abbild an, viele Generationen vor seiner Zeit als Relief in den Stein gemeißelt, den Gott der Unterwelt darstellend.

Dave schüttelte sich, als wollte er sich erstaunt von etwas befreien.

(Ein wenig benebelt fühl ich mich zwar. Aber wer weiß, sollte das vielleicht schon eine Offenbarung des Obsidiansteins sein?)

Während er noch verstört darüber grübelte, den Blick auf die Eingangstür gewandt, erfasste ihn ein kalter Lufthauch. Krachend flog die Tür auf, und aus dem geöffneten Rechteck pechschwarzer Nacht heraus stürmte ein halbes Dutzend Männer herein. (Wo kommen die denn auf einmal her?)

Wunderte er sich nur. Bevor er noch irgendetwas sagen konnte, hatten sie ihn schon mit geübten Griffen so fest eingeschnürt, dass er weder Arme noch Beine bewegen konnte. Jaguarfelle hatten die über die muskulösen, braunen Oberkörper gezogen. Soviel hatte er gerade noch sehen können, und dass ihre Köpfe ganz in Nachbildungen dieser Raubtierschädel verschwanden, bevor man ihm schon wieder die Augen verband. Wie er in der kurzen Zeit zu erkennen glaubte, waren weder Juan noch Benigno unter ihnen. Dann wurde er hochgehoben und nahm einzig diesen strengen Geruch wahr, der ihn an irgendetwas erinnerte. Wenn er nur wüsste an was?

(Aber klar ist das die Öffnung des Obsidiansteins. Was denn wohl sonst? So unwirklich wie dies ist, kann es nur der erste Schritt in eine jenseitige Welt sein. Mann, denn hab ich es ja doch geschafft! Jetzt geht es echt los.)

Jaguarmänner, dämmerte es ihm nun auch, das war doch eine geläufige Kriegerkaste bei den Azteken. Bisher kannte er sie nur von Abbildungen. Aber diese Kostümierung erschien ihm ziemlich perfekt.

(Auch merkt man ihnen die Schauspieler gar nicht an. Allein diese zügellose Wildheit geben sie ziemlich gelungen wieder. Nur, wer hat die hierher geschickt? Und was wollen die? Oder ist das alles nur Fiktion? Durch den magischen Stein verursachte Imagination? Ich kann das gar nicht mehr auseinander halten. Wozu soll das auch wichtig sein? Wirklichkeit oder Imagination, ist da irgendwer, der das mit Gewissheit unterscheiden kann? Jedenfalls spannend ist es schon – und endlich Action!)

Etwa eine halbe Stunde mochten sie ihn getragen haben, unentwegt im Laufschritt. Es war schwer, die Zeit abzuschätzen. Dann gewahrte Dave, wie es für eine kurze Weile steil bergauf ging. Als sie ihn schließlich ablegten, spürte er kalten, harten Stein unter seinem Rücken. Der musste stark abgerundet sein, denn er merkte, wie er sich darauf mit der Brust nach oben bog.

Das erste, was er sah, als sie ihm die Augenbinde abnahmen, war ein nächtlicher Himmel über ihm, von wandernden Wolkenfetzen durchzogen. Nur hin und wieder schaute ein fahler Mond hervor, der die ganze Szenerie spärlich beleuchtete. Arme und Beine waren noch immer nicht zu bewegen. Nur waren es jetzt menschliche Hände, die sie umklammerten. Mehrere Gesichter sah er da um sich herum, alle seltsam bleich. Aber das mochte an dem Mondlicht liegen. Ihn fröstelte.

Wenigstens den Kopf konnte er heben. Wenn er ihn etwas nach vorn neigte, erblickte er zu seiner Rechten, schräg gegenüber eine mächtige, dunkle Silhouette.

(Sieht aus wie eine Pyramide.)

Als der Mond aus einem Spalt der Wolken wieder hervortrat, konnte er deutlicher die vier Abstufungen bis zur abgeflachten Spitze erkennen. Kalkig weiß, wie Knochen wirkte in diesem Licht der Stein. Die Treppen und die Figuren daneben waren nur undeutlich zu erahnen. Die sanften Schrägungen ließen das ganze Bauwerk noch entrückter erscheinen.

(Moment, das ist doch die Sonnenpyramide von Teotihuacan. Aber natürlich, kein Zweifel! Es gibt kein Bauwerk, welches ihr ähnelt. Also, muss ich folglich hier auf der Mondpyramide liegen.)

Dave hatte genügend Bücher gewälzt und Fotos betrachtet, was die Überreste vorkolumbianischer Kulturen betraf, um sich da ganz sicher zu sein.

(Teotihuacan, was heißt: Der Ort, wo man zum Gott wird, der Begräbnisplatz der Könige, die nach ihrem Tod zu Göttern mutierten. Die rituelle Hauptstraße, der sogenannte Totenweg, führte schnurgerade auf die Mondpyramide zu und endete auf deren Spitze. Das wäre genau da, wo ich jetzt liege. In Verbindung gebracht wurde diese Spitze mit der Milchstraße. Bin immer mehr gespannt, wie die Show weitergeht. Zum Glück bin ich ja im 20.Jahrhundert. Das alles kann also nur eine symbolische Zeremonie, eine historische Nachahmung sein.)

Inzwischen waren noch einige Adlerkrieger hinzugetreten, die andere kostümierte Kriegerkaste der Azteken.

(Wer sind alle diese Leute? Wer inszeniert diese Show? Und wieso gerade ich?) Soweit er es überblicken konnte, standen inzwischen hier auf der Plattform der Mondpyramide mindestens ein Dutzend Männer herum.

(Teotihuacan muss so etwas wie die Heilige Stadt der Tolteken gewesen sein, die Stätte ihrer höchsten Rituale. Die Ansichten der Altertumswissenschaftler, wie ich gelesen habe, gehen allerdings auseinander. Manche meinten Teotihuacan wäre der Ort einer noch früheren Kultur. Die Indianer jedenfalls identifizieren es mit den Tolteken, für sie die große, alte Leitkultur. Der Name deren Herkunftslandes ist nur in Aufzeichnungen überliefert. Wie bei so manchen alten Sprachen, bestehen alle Worte im Prinzip aus drei Radikalen, in diesem Fall A, T und L. Das hätte irgendwas mit Wasser zu tun, habe ich gelesen. Es hieß auch, dass ihre Hauptstadt auf Wasser gebaut war. Wie das ausgesprochen wurde, wusste kein Mensch mehr, nicht mal die Leute von Tollan, die heute noch Tolteken genannt wurden. Sie glaubten, ihre Vorfahren waren von jenseits des Meeres gekommen, von einem Land welches sie, wie man vermutet, At-Tollan nannten. Klingt verdächtig nach Atlantis, zumal das „is“ vermutlich von den Griechen angehängt wurde.)

Während Dave noch in solchen Vorstellungen schwelgte, waren weitere dazu gekommen, deren harte, bleiche Gesichter nicht gerade freundlich aussahen. Sie fielen auf durch ihr wirres, zerzaustes Haar. Lange Umhänge trugen sie, die ungepflegt aussahen. Beim Näherkommen sah man deutlich die großen, rotbraunen Flecken darauf, die wie getrocknetes Blut wirkten. Obendrein umgab sie auch noch ein abstoßender Geruch.

(Teotihuacan war doch bekannt als friedfertig,)

beschwichtigte Dave sich selbst.

(Keine Mauern wurden bei Ausgrabungen hier gefunden, keine Waffen. Der höchste Gott war kein finsterer, bedrohlicher wie bei den späteren Azteken. Es war der Regengott Tlaloc, auch Herr über Tlaloccin, das Paradies. König war der ebenso friedfertige wie fortschrittliche Quetzalcoatl, der später auch zum Gott wurde.)

Dave grübelte so vor sich hin.

(Es muss eine großartige Kultur gewesen sein, eine Zeit der Reifung, des Lernens und der Forschung.)

Sagte er sich noch, als er bereits vier von den stinkenden Männern, offenbar Priester, heran treten sah. Sie lösten die Anderen ab und drückten mit Macht jeder einen Arm oder einen Fuß von ihm nach unten. Gänzlich durchgebogen und bewegungsunfähig lag er jetzt stramm über den kalten Stein gespannt.

Wieso fiel es ihm gerade jetzt erst ein?

(In der Spätzeit, hatte doch der finstere Texcatlipoca den lichten Quetzalcoatl verdrängt. Dieser, ebenfalls später zum Gott gewordene, aber zu einem grausamen, religiösen Fanatiker, der die Menschenopfer einführte. Diese Opfer wurden stets auf die oberste Plattform einer Pyramide gebracht und auf einen abgerundeten Stein gelegt, der ihre Rippen etwas weiten sollte. Arme und Beine wurden von vier Priestern festgehalten. Ein Oberpriester schnitt sodann mit einem Obsidianmesser die Brust auf und riss das Herz heraus. Das wurde den Göttern oder der Sonne geopfert und der noch zuckende Leichnam vom Tempel herunter geworfen.

Quetzalcoatl musste fliehen. Wie es hieß, nach Tlapallan, dem Land der Morgenröte, jenseits des Meeres. Das Volk tröstete sich mit der Weissagung, er würde eines Tages wiederkommen, über das Meer und mit ihm wieder glücklichere Zeiten. Was für ein katastrophaler Irrtum, dass man ausgerechnet Cortez für ihn hielt! Nun ja, das alles ist Geschichte oder auch Mythologie. - Die Gegenwart ist da beruhigender, jedenfalls was diese Performance hier betrifft.)

Er wollte, seine Freunde und Kommilitonen aus LA könnten ihn hier sehen, lenkte er sich selber ab. Oder besser noch, einer von ihnen würde das alles mit seiner Videokamera aufnehmen. Das würde ihm doch sonst niemand glauben.

Ungeachtet aller Faszination beschlich ihn dennoch der Gedanke:

(Wer könnte solch eine Show veranlasst haben und zu welchem Zweck? Auch hätte ich gern gewusst, wie lange das noch dauert.)

Allmählich drang ihm nämlich die Kälte in die Knochen von dem harten Stein unter seinem Rücken. Selbst seine Hochstimmung, endlich auf den Spuren Castanedas zu wandeln, hatte erste Bedenkenrisse bekommen. Diese eisernen Griffe an seinen Gelenken von den Händen der im bleichen Mondlicht noch farbloser Wirkenden mit ihren ausgemergelten Gesichtern ließen bei ihm doch ein Gefühl der Hilflosigkeit aufkommen. Die Gewissheit des Ausgeliefertseins begann die noch so aufregenden Phantasien zu unterwandern. Nur den Kopf konnte er noch bewegen. Durch die rasch dahin ziehenden Wolken brach immer wieder Mondlicht hervor, beleuchtete die Seiten der großen Sonnenpyramide rechts gegenüber und ließ jetzt deren Schlangenköpfe erkennen.

Doch dieser Blick wurde abrupt versperrt durch eine neu hinzutretende, dunkle Gestalt, ähnlich den vier Ungepflegten, so penetrant riechenden. Nur die Augen waren noch starrer. Reicher Kopfschmuck aus Federn umgab das unbewegte Gesicht. Alle anderen sah David ehrfurchtsvoll zur Seite treten, außer denen, die seine Glieder weiterhin fest umklammert niederdrückten. Der Neue musste wohl so etwas wie der Oberpriester sein. Ganz nahe herangetreten, erhob er sich wie eine Statue direkt über Dave, die herrischen Gesichtszüge im bleichen Mondlicht erstarrt. Pathetisch begann er einen Text zu rezitieren, in einer Sprache die Dave noch nie gehört hatte. Ihm fiel nur die mehrfache Wiederholung ganzer Passagen auf.

(Ist es die magische Wirkung dieser Worte, die mich lähmt oder ist es die immer mehr in meinen Körper herein kriechende Kälte?)

Als die Rezitation geendet hatte, und Dave sich gerade fragte, was nun wohl noch kommen könnte, oder ob damit das mittlerweile doch recht willkommene Ende der Performance erreicht sei, riss der mit einer raschen Bewegung Daves Hemd auf. Sodann drückte er mit der linken Hand schwer auf seine Brust und erhob mit der Rechten ein Obsidianmesser.

Schlagartig brach für Dave die ganze Konstruktion abenteuerlicher Fantasien zusammen. Betäubende Erkenntnis überfiel ihn, die ganze Zeit einer Illusion aufgesessen zu sein. Unfassbar, was im Sekundenbruchteil das Bewusstsein überfliegen kann. Alle diese Bilder tauchten vor Dave auf, von den Tausenden Geschlachteter auf den Opfersteinen der Tempel. Wie ihnen die Brust mit dem Obsidianmesser aufgeschnitten wurde, das Herz herausgerissen, um es den Göttern zu darzubieten und die noch zuckenden Leichname die steile Pyramide hinunter gestoßen wurden.

Nur kurz sträubte er sich noch die Realität wahrzunehmen, bevor lähmendes Grauen ihn überwältigte.

„Neiiin!!!“

Konnte er gerade noch schreien, bevor ihm eine Hand den Mund zudrückte und alles schwarz wurde.

Wie flackernd schob sich eine vage Einblendung kurz in sein Bewusstsein. Er war wieder, oder noch immer in der Hütte. Aber nicht vor dem Tisch und dem Obsidianstein sitzend sondern auf der Matte am Boden liegend. Beißender Rauch umgab ihn dort. Viel zu groß und zu nah über ihm war dieses Gesicht, das einer steinernen Statue, einer sehr alten, gemeißelt in vorkolumbianischer Zeit. Es war auch das Gesicht Juans, und doch war es etwas ganz anderes.

Entschieden zu kurz und bruchstückhaft war diese Vision, um sich deutlich zu manifestieren, bevor ihn wieder die völlige Schwärze verschlang.

Das Erste was er sah, als er wieder zu sich kam und versuchte sich zu orientieren, war immer noch das bleiche Gesicht des Oberpriesters. Über ihn gebeugt starrten diese stechenden Augen ihn nach wie vor an. Nur schien der sich inzwischen umgezogen zu haben. Denn er trug jetzt ein langes schwarzes Gewand, ähnlich einem Talar. Das auffallende Federgebilde auf seinem Kopf musste er abgelegt haben. Auch die Anderen, soviel konnte Dave in dem wechselhaft beleuchteten, düsteren Ambiente feststellen, hatten ihre Jaguar- und Adlerkostüme abgelegt. Einige trugen dunkelbraune Kutten, die mit einem einfachen Strick um die Taille gerafft wurden. Die Restlichen hatten nur eine grobe Hose an übersäht mit dunklen Flecken. Darüber war der schwitzende, freie Oberkörper.

Ebenfalls die Umgebung, fiel ihm jetzt auf, hatte sich verändert. Weder die Sonnenpyramide rechts gegenüber war auszumachen, noch eine Mondpyramide, auf deren Spitze mit dem gewölbten Stein er gelegen hatte. Jetzt fühlte er eine gerade, hölzerne Platte unter seinem Rücken, wahrscheinlich eine Art Tisch oder Kasten. Auch die Kälte des harten Steins war gewichen. Dennoch war ihm übel und er zitterte am ganzen Körper. Als wüsste dieser mehr über das, was bevorstand.

(Ich muss lange bewusstlos gewesen sein, denn ich hab‘ gar nicht gemerkt, dass man mich irgendwohin getragen hat.)

Er lag hier nicht mehr unter freiem Himmel, keine Wolken waren mehr über ihm, zwischen denen gelegentlich ein fahler Mond hervorragte. Soweit das flackernde Licht der Fackeln es erlaubte, vermochte er die Wände eher erahnen als genau sehen. Bizarre Gegenstände konnte er darauf ausmachen, vermutlich eine Art ihm unbekannter Werkzeuge. Über sich gewahrte er eine gewölbte Decke. Die Schwärzungen darauf stammten wahrscheinlich vom Ruß der Fackeln. Alles was von denen beleuchtet wurde erschien grellrot und flackernd, der Rest verschwand im Dunkel. Nur dieser unangenehme, penetrante Geruch war noch immer da und bedrängte die Nase.

Auch wenn der Schock des ersten Augenblicks sich etwas gelöst hatte, das Grauen war unvermindert geblieben. Völlige Ungewissheit, wo er hier war, und was das alles zu bedeuten hätte, ließen ihn allein in hilflosem Entsetzen. Sein ziellos umherirrendes Bewusstsein suchte verzweifelt nach irgendeinem Haltepunkt.

„Du gibst also zu, diesem Teufelskult gedient zu haben?“

Fuhr ihn die schneidende Stimme des Oberpriesters an. Er trat erneut heran, und sein ausgemergeltes Gesicht beugte sich mit seinen unangenehmen Ausdünstungen aufdringlich über Dave. Auch die Anderen näherten sich in gespannter Erwartung des Kommenden.

„Ist es nicht so?“

Dave verstand überhaupt nichts mehr.

„Gestehe!“

Insistierte wieder der Oberpriester, so als könnten seine Worte sich in Dave hineinbohren.

„Wir werden ohnehin die Wahrheit aus dir herausholen.“

Erneut hatte Dave diese kurze Einblendung, in der er auf dem Boden der Hütte lag.

Über sich das steinerne, antike Gesicht mit den Zügen Juans. Viel zu kurz, wie ein Aufflackern der Fackeln erschien es.

Umgehend wurde diese Vision wieder verdrängt durch das vorherige, eindringlich fordernde Gesicht über ihm und die abschätzigen Mienen der Gaffer ringsherum.

Nur langsam dämmerte es Dave, was der überhaupt meinte.

„Nein, aber nein, ich sollte vielmehr geopfert werden!“

„Du gibst also zu, an diesem vermaledeiten, heidnischen Treiben beteiligt gewesen zu sein?“

„Nein! Ich war das Opfer. Ich sagte doch, man wollte mich opfern! Man hat mich gezwungen dazu!“

Wenigstens erhob sich jetzt das aus dem schwarzen Talar herausgestülpte Gesicht, und mit ihm entfernten sich die unangenehmen Ausdünstungen. Aber dann verkündete es salbungsvoll:

„Mit diesem Geständnis ist unserer heiligen Pflicht Genüge getan.“

(Von was für einem Geständnis redet der da?)

Zu Dave gewandt:

„Du hast noch die Gelegenheit während der Stunden der Nacht in dich zu gehen und deine Sünden zu bereuen. Reinigen jedoch, kann dich nur das Feuer des Scheiterhaufens am folgenden Morgen. Nutze also diese Zeit mit Gebeten und Übungen der Buße.

Er nickte den Männern zu, deren Schweiß im Lichte der Fackeln auf den nackten Oberkörpern speckig glänzte. Mit resoluten Griffen packten sie Dave, zerrten ihn von dannen und warfen ihn angewidert wie von einem Stück Unrat in die vergitterte Zelle. Das Letzte, was er noch hörte, bevor ihm wieder die Sinne schwanden, waren die Worte des Inquisitors:

„Wir werden für deine Seele beten.“

Als er wieder zu sich kam, lag er erneut auf dem gleichen Tisch, scheinbar in der gleichen Umgebung. Aber nein, die Decke war jetzt nicht mehr gewölbt und zeigte keinerlei Rußspuren. Sie war glatt, hell und weiß. Überhaupt war jetzt alles heller beleuchtet, und Fackeln waren nirgends auszumachen. Vor sich bemerkte er das schon allzu bekannte, ausgezehrte Gesicht des Oberpriesters. Statt des schwarzen Talars trug der nun eine Uniform.

„Jetzt kommt er endlich wieder zu sich“,

verkündete der den Umstehenden, die auch alle Uniformen anhatten, nur mit weniger Goldquasten und Orden versehen als die des Oberpriesters.

„Es sah schon so aus, als hättet ihr ihn ein wenig zu hart rangenommen. Fehlte nicht

viel und er wäre uns entglitten.“

Wieder trat er näher heran, beugte sich über Dave, der keine Möglichkeit hatte diesem unangenehmen Mundgeruch zu entkommen.

(Hat dieser Alptraum überhaupt noch ein Erwachen? Mir geht die Kraft aus, mich zu wehren. Wenn doch irgendwo ein Ausweg zu erkennen wäre.)

„Hast du mich nicht gehört?“

Dann mit verstärkter Stimme:

„Also, jetzt raus mit der Sprache. Wer war noch dabei, bei eurem Komplott?“

Als könnte sein System es nicht mehr ertragen, war in Dave das Grauen einer matten Resignation gewichen.

(Nur noch in Ruhe gelassen werden will ich. Alles andere ist mir egal.)

Endlich brachte er doch kaum vernehmbar eine müde gehauchte Antwort hervor.

„Welches Komplott?“

„Stell dich nicht dumm! Du hast ja gesehen, wie wir deinem Gedächtnis nachhelfen können. Also was ist? Dass ihr eine Versammlung klerikal konservativer Ultras wart, wissen wir bereits. Und auch, dass ihr in diesem Kellergewölbe ein vaterlandsverräterisches Komplott geschmiedet habt mit dem Ziel, unseren geliebten Präsidenten und Generalissimo zu stürzen.“

Nach einer Weile, in der er offenbar vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte, setzte er noch hinzu:

„Deine Chance ist es jetzt, uns zu informieren, wer daran alles beteiligt war.“

Vollends verwirrt musterte Dave seine Umgebung. Heller beleuchtet wurde zwar die ganze Szenerie, anstatt mit Fackeln jetzt durch elektrische Lampen mit einem Gitterüberzug an der Decke. Irgendwer hatte Kolonnen von parallelen Strichen in die Farbe der Wand gekratzt, wie eine Zahlenreihe. Etwas in ihm hatte es aufgegeben, auf diesen Wahnsinn noch zu reagieren. Er hatte sich innerlich einfach ausgeklinkt. Was sollte er auch sagen? Es war ohnehin alles sinnlos.

„Na, wird´s bald“,

unterbrach ihn wieder die schnarrende Stimme.

„Von mir aus. Was wollt ihr denn hören?“

„Wie oft soll ich es noch sagen? Wir wollen von dir hören, welche alle daran beteiligt waren, und zwar ausnahmslos. Uns kannst du nichts vormachen. Wir kriegen es sowieso aus dir heraus, lückenlos bis auf den letzten. Also wird’s jetzt endlich? Du hast jetzt die Chance. Wenn du kooperierst, wird dir ein ehrenhafter Tod durch Erschießen gewährt. Bleibst du jedoch weiter uneinsichtig, so droht dir der unehrenhafte Tod durch Erhängen!“



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