Читать книгу Simon Knox und die Prophezeiung Asragurs - Jens Hoffmann - Страница 5

Kapitel 3

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Die beiden Freunde richteten ihr Lager. Es würde frisch werden heute Nacht, denn ein leichter Wind kam auf. Aber das konnte die Abenteurer nicht schrecken. Sie hatten sich beide einen dicken Pullover angezogen und ihre Jacken mit ins Zelt genommen.

Es wurde dunkel und Simon und Richie lagen, im Schein einer Laterne, auf ihren Schlafsäcken und klebten Fotos in ihr Album. Drüben im Haus hatte Tante Abygale schon vor einer guten Stunde die Lichter gelöscht und das kleine Anwesen lag in gespenstischem Dunkel. Etwas weiter hinten im Garten, in der Nähe der Stechginsterbüsche, raschelte es.

„Was war das?“ Richie schreckte hoch und blickte Simon ängstlich an.

„Keine Ahnung“, sagte dieser, knabberte weiter an einem Schokoladenkeks und beschäftigte sich mit seinen Schiffen.

„Das war bestimmt nur ein Kaninchen“, sagte Simon abwesend.

„Ja, vielleicht hast du recht“, beruhigte sich Richie wieder ein wenig.

Erneut raschelte es im Gebüsch. Diesmal so laut, das selbst Simon aus seinen Gedanken gerissen wurde und erschrocken von seinem Fotoalbum aufblickte. Äste zerbrachen. Dann war es wieder still.

„Ich glaube, ein Kaninchen macht nicht solch einen Krach, wenn es durch die Büsche hoppelt“, bemerkte Richard, dem das Herz vor Angst jetzt bis zum Hals schlug.

„Vielleicht sollten wir doch besser im Haus schlafen“, schlug er vor und zog sich etwas weiter ins Zelt zurück.

„Es könnte ja auch ein Fuchs gewesen sein“, fiel Simon ein, wusste aber im gleichen Augenblick, dass diese Möglichkeit Richie auch nicht wirklich beruhigen konnte. Zumal er sich auch nicht ganz sicher war und er ebenfalls etwas nervös wurde.

„Lass uns nachsehen!“, schlug er plötzlich vor und schnappte sich seine Taschenlampe. Richie sah ihn fragend an und anstatt sofort aufzuspringen, um dem Geraschel auf den Grund zu gehen, verschanzte er sich lieber hinter seinem Schlafsack.

„Komm schon, sei kein Hasenfuß, Richie!“ forderte Simon ihn erneut auf und leuchtete mit seiner Taschenlampe in den nächtlichen Garten. Ängstlich rückte Richie etwas näher an den Eingang des Zeltes heran, als es im Gebüsch wieder zu rascheln begann. Aber diesmal hörten sie ganz deutlich auch ein leises Schnaufen.


Von einem Moment auf den anderen fuhr den Jungen der Schrecken in die Glieder. Vorsichtig lugten sie aus dem Zelt und leuchteten in die Richtung, aus der die unheimlichen Geräusche offensichtlich kamen.

Die beiden Freunde erstarrten und Richie war kurz davor, sich vor Angst in die Hosen zu pinkeln. Aus dem Dickicht blitzten ihnen zwei grüne Augen entgegen und sie waren sich absolut sicher, dass es sich hier nicht um die Augen der Nachbarskatze handelte. Richie stupste Simon an.

„Hast du irgendeine Idee was wir jetzt machen sollen?“, flüsterte er ängstlich.

„Nicht die leiseste“, antwortete Simon. Und noch ehe er darüber nachdenken konnte, wer oder was ihnen aus dem Unterholz entgegen starrte, nahm der Schrecken seinen weiteren Verlauf. Keine zwanzig Meter von ihrem Zelt entfernt, stieg eine Feuerkugel in die Luft, die langsam anfing, sich immer schneller um die eigene Achse zu drehen und unaufhaltsam auf sie zukam. Simon und Richie waren starr vor Entsetzen und angst. Sie konnten sich nicht von der Stelle rühren, geschweige denn auch nur ein Wort über die Lippen bringen. Wie angewurzelt blieben sie vor dem Eingang ihres Zeltes stehen und starrten gebannt auf den sich bedrohlich nähernden Feuerball.

„Oh mein Gott, ein Kugelblitz!“, schrie Richie, der als Erster die Sprache wieder fand und warf sich, die Arme schützend um den Kopf gelegt, auf den Boden.

„Simon, wir werden sterben. Das Ding wird uns bei lebendigem Leib grillen!“, jammerte er zu Simons Füßen liegend.

„Richie, das ist kein Kugelblitz! Das muss etwas ganz anderes sein!“, sagte Simon, der den Blick nicht von der strahlend hellen Kugel abwenden konnte. Je schneller diese sich drehte und sich den Jungen näherte, desto deutlicher vernahmen die beiden Freunde ein lautes Schnaufen und Stöhnen aus ihrem Inneren, das sich zu einem markerschütternden Geschrei steigerte und abrupt endete, als die Kugel den Eingang ihres Zeltes erreichte.

Ohne sich weiter um seine eigene Achse zu drehen, schwebte der gleißend helle Lichtball nun etwa einen Meter über Simons Kopf. Simon versuchte näher hinzuschauen und hielt sich, aufgrund des hellen Lichtscheins, schützend die Hand vor die Augen. Es stieg ihnen ein beißender Schwefelgeruch in die Nase. Richie fand den Mut, sich neben Simon zu stellen, als er merkte, dass die Kugel scheinbar nicht die Absicht hatte, ihnen mit lautem Getöse den Garaus zu machen.

„Was zur Hölle ist das?“, fragte Richie, den Feuerball anstarrend und seine Angst vergessend.

„Ich habe keinen blassen Schimmer“, sagte Simon und in diesem Moment tat es einen gewaltigen Knall, der die beiden aufschreien ließ und sie zurück auf ihre Schlafsäcke, im Inneren des Zeltes schleuderte.

Für einen Moment lang lagen sie einfach nur da, ganz benommen und nicht wissend wie ihnen geschah. Sie hatten ein unglaublich lautes Rauschen und Pfeifen in den Ohren und das Gefühl, nie wieder auch nur den leisesten Ton hören zu können. Langsam rappelten sie sich wieder auf und warfen mutig einen Blick vor das Zelt, wo vor ein paar Augenblicken noch die Lichtkugel über ihren Köpfen schwebte.

Der Geruch von Schwefel stieg ihnen jetzt noch stärker als zuvor in die Nase und trieb ihnen die Tränen in die Augen. Die Freunde dachten sie träumten als sie sahen, wie sich zu ihren Füßen ein dicker, grauer Drache zu regen begann, der auf dem Bauch, vor ihrem Zelt, im Gras lag. Leise stöhnend und vor sich hin fluchend, streckte die Kreatur ihre Flügel. Vorsichtig ließ sie ihren schuppigen Schwanz kreisen und erhob, immer noch schimpfend, den Kopf. Das Maul voller Gras und Dreck, blickte der Drache den Jungen, mit seinen grünen Augen, das erste Mal grimmig direkt ins Gesicht.

„Igitt, pfui Teufel“, knurrte der aufgebrachte Drache und spukte Gräser und die Reste von schwarzer Erde in hohem Bogen aus. Fasziniert betrachteten Simon und Richie, wie sich ihr merkwürdiger Gast langsam auf seine kräftigen Hinterbeine stellte. Er war mindestens drei Köpfe größer als Richie, hatte einen schuppigen, schiefergrauen Körper, der auf der gut genährten Bauchseite heller gefärbt war, einen kräftigen Schwanz, mit dem er wütend hin und her schlug und starke, mit scharfen Krallen bewehrte Klauen. Seine Flügel, die ähnlich der einer Fledermaus waren, lagen ihm am Rücken an und vom Kopf bis zur Schwanzspitze richteten sich verhornte Schuppen auf. Er hatte einen echsengleichen Kopf mit kleinen Ohren, aus denen hellgraue Fellbüschel wuchsen. Listige grüne Augen in einem faltigen Gesicht und ein breites Maul mit scharfen Zähnen vervollständigten den nicht gerade Vertrauen erweckenden Anblick, des nächtlichen Besuchers.

Aufgebracht stieß er Rauch aus seinen großen Nüstern hervor, sah an sich herunter, schüttelte sich und begann, sich mürrisch den Dreck vom Schuppenkleid zu klopfen, wobei er wütend mit dem Fuß aufstampfte und fluchte.

„So eine Sauerei, wie sehe ich nur aus!“

Simon dachte, er träume und hatte, ebenso wie Richie, Schwierigkeiten damit, zu glauben, was für eine Szene sich hier gerade vor ihren Augen abspielte.

„Jetzt wo wir wissen, dass es Drachen gibt, sollten wir vielleicht auch die Theorie von auf Dächer kletternden Fischen noch einmal überdenken“, flüsterte Richie, noch immer fasziniert auf den sich abstaubenden und schimpfenden Drachen starrend.

„Dazu ist jetzt wohl nicht der richtige Zeitpunkt, Richie“, sagte Simon leise an seinen Freund gewandt und sah aus dem Augenwinkel, wie ihr schuppiger Besucher in einem etwas speckig aussehenden, alten Lederbeutel kramte, den er über der Schulter trug.

„Auch das noch, die Hälfte ist Matsch, zerdrückt, ungenießbar!“, jammerte der Drache und schüttete den Inhalt seines Beutels auf den Boden. Simon und Richie trauten ihren Augen kaum, als sie sahen, wie kleine, flauschige und piepsende Fellknäuel auf den Boden kullerten. Ungelenk setzte sich der Drache vor das Zelt und fing an seine Reisebegleiter auszusortieren, wobei er die Fellbällchen, die sich nicht mehr bewegten und bei denen es sich zweifellos um putzige, kleine Tierchen handelte, achtlos ins Gestrüpp warf. Den sich noch regenden Teil der sonderbaren Reisegruppe steckte er zurück in seinen Beutel. Ein besonders dickes Exemplar behielt er jedoch in seinen Klauen, begutachtete es eingehend und warf es in die Luft. Simon und Richie gefror das Blut in den Adern. Aus dem Maul ihres Gastes schoss plötzlich eine große Stichflamme hervor, die das bedauernswerte, laut quiekende Geschöpf in der Luft flambierte, bevor es zwischen den Zähnen des ausgehungerten Reisenden verschwand. Simon wurde kreidebleich und ihm lief es eiskalt den Rücken herunter. Auch Richie war mucksmäuschenstill geworden und kurz davor, sich zu übergeben, als er hörte, wie der Drache seine Mahlzeit genüsslich schmatzend und vor allem gründlich kauend genoss. Dieser Imbiss schien überfällig gewesen zu sein, denn kaum hatte das schuppige Biest seine Mahlzeit beendet, entspannten sich seine Gesichtszüge. Mit einer scharfen Kralle die Reste seiner Mahlzeit zwischen den Zähnen entfernend, schaute es sich nun interessiert in der Gegend um. Nach einem ausgewachsenen Bäuerchen, bei dem der Drache sich zufrieden seinen Bauch rieb, blieb sein Blick auf Simon und Richie ruhen. Die Situation schien sich leicht zu entspannen. Dennoch blieben sie vorsichtig. Denn einem Flauschbällchen grillenden Ungeheuer sollte man nicht auf Anhieb über den Weg trauen, befanden beide einhellig. Nach einem weiteren Augenblick aber, in dem sich die drei nur stumm gegenüber gesessen hatten, rückten Simon und Richie neugierig etwas näher an den Drachen heran.

„Wer bist du?“, fragte Simon.

„Und woher kommst du und was machst du hier?“, hakte Richie gleich im Anschluss nach.

„Mein Name ist Grewels, Excubidor der heiligen Quelle der Hoffnung von Morana, Simon. Und ich bin schon lange Zeit auf der Suche nach dir“, antwortete der Drache mit seiner rauchigen, tiefen Stimme und stolz geschwellter Brust.

„In der Prophezeiung war allerdings nicht die Rede von deinem glupschäugigen Freund“, bemerkte Grewels mit hochgezogener Augenbraue und musterte Richard von oben bis unten.

„Das ist eine Brille“, entrüstete sich Richie und funkelte den unverschämten Drachen wütend an, den der plötzliche Anflug von Mut aber eher amüsierte, als das er ihn aus der Ruhe brachte. Simon verstand kein Wort von dem, was Grewels eigentlich wollte.

„Excubidor? Quelle der Hoffnung? Morana? Und was ist das für eine Geschichte von der Prophezeiung?“, fragte er das Ungeheuer stammelnd. Der Drache musterte Simon mit zusammengekniffenen Augen und schüttelte seufzend den Kopf.

„Ach herrje, du weißt wirklich nichts, oder? Oh je, da fangen wir dann wohl ganz am Anfang an“, stöhnte Grewels etwas genervt und sagte mehr zu sich selbst:

„Super, genauso habe ich mir das vorgestellt. Ein ahnungsloses, unaufgeklärtes Menschenkind mit so einem vorlauten, vieräugigen Freund. Immer dasselbe, es bleibt alles an mir hängen und das, wo sich das Tor heute Nacht noch schließen wird. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich keine Lust habe, in den Außendienst zu gehen. Aber auf mich hört ja keiner. Grewels macht das schon, der wird das Kind schon schaukeln“, maulte er verärgert vor sich hin.

„Ähm“, räusperte sich Simon und unterbrach Grewels, der kurz davor war, entnervt in Selbstmitleid zu zerfließen.

„Irgendwie scheinst du unter Zeitdruck zu stehen. Vielleicht kannst du uns einfach die Kurzfassung erzählen“, schlug er dem Drachen vor. Grewels hielt inne, blickte Simon vorwurfsvoll an und besann sich einen kurzen Moment.

„Hm, also gut“, knurrte er.

„Wir haben nicht viel Zeit, aber ich versuche mein Bestes“, lenkte er mürrisch ein.

„Einst, vor vielen tausend Jahren“, begann Grewels seine Geschichte und Simon und Richie lauschten mit klopfendem Herzen.

“…herrschte der mächtige Drache Asragur über Morana, ein Land jenseits der Vorstellung, entstanden aus den Träumen und Hoffnungen der Drachen. Eine heilige Quelle, in den Tiefen des Tularon-Gebirges, seit Jahrtausenden genährt durch die Hingabe der Drachen, sollte in alle Ewigkeit der Mittelpunkt des Universums, des Guten, der Fülle und des Friedens sein. So steht es in der Prophezeiung.

Asragur war der größte und prächtigste Drache. Er war der Erste unserer Art, von Anbeginn der Zeit dazu auserkoren, die Quelle der Hoffnung durch seine Hingabe zu nähren. Auf das alle Wesen in seinem Reich ewig in Frieden und Wohlstand leben konnten.

Eines Tages begab es sich, dass in der Moorebene Xuria, ein Elfenknabe das Licht der Welt erblickte. Ein kräftiges Kind, das seinen Eltern Glück und Freude bereitete und auf den Namen Rodan hörte. Ein Junge, ganz anders als die anderen. Er war größer und kräftiger als alle Kinder in seinem Alter, mit schwarzen Haaren und kalten, grauen Augen. Mit den Jahren wuchs dieser Knabe zu einem stattlichen, aber auch grausamen Elfenmann heran und sein Volk begann sich vor ihm zu fürchten, weil nichts Gutes von ihm ausging und er mit den finsteren Mächten im Bunde stand. So kam es, dass der Ältestenrat der Moorelfen Rodan Zeit seines Lebens aus Xuria verbannte, in der Hoffnung, sich nie wieder vor ihm fürchten zu müssen und weiterhin in Frieden leben zu können.

Viele Ernten gingen ins Land und das Schicksal ließ es zu, das der alte Asragur seines Amtes überdrüssig wurde und dem Leichtsinn verfiel. Immer öfter flog er über sein Reich, in der Hoffnung, seiner einsamen Bestimmung entfliehen zu können.

So geschah es, dass sich eines Tages die Wege Rodans, der im Laufe der Jahre zu einem mächtigen, aber verbitterten Zauberer wurde und die Asragurs kreuzten. Asragur wusste sehr wohl, wen er vor sich hatte und ließ sich dennoch auf ein gefährliches Kräftemessen ein, das dem Sieger die Macht über die Quelle der Hoffnung sowie über ganz Morana bescheren sollte. Asragur wurde der Sieg versagt! Seine Kräfte konnten der bösen Macht Rodans nicht standhalten. Erst jetzt realisierte der Drachenkönig, dass er die Zukunft seines Reiches leichtsinnig verwirkt hatte und dass dieses, sollte Rodan die Macht über die Quelle der Hoffnung erlangen, in Dunkelheit und Angst versinken würde.

Mit letzter Kraft gelang es ihm sich in die tiefen Höhlen des Tularon-Gebirges zurückzuziehen. Aber er wusste auch, dass, solange noch Blut durch seine Adern floss, Rodan nicht aufgeben würde, die Quelle zu finden und seinen Preis einzufordern. Es blieb ihm nicht mehr viel Zeit, um für den Schutz seines Reiches zu sorgen.

Ein mit letzter Kraft heraufbeschworener Zauber des Drachenkönigs, verbannte Rodan auf die Felsenburg im See Eldor, wo er noch heute hasserfüllt ausharrt und darauf hofft, dass die Quelle zu versiegen beginnt. Denn sollte die Quelle der Hoffnung zu einem dünnen Rinnsal verkümmern, wird er den Bann Asragurs brechen und sich über Morana erheben können.

Dem Tode nah, schrieb Asragur seine letzten Worte, auf die heiligen Steine, am Rande der Quelle, auf das sich seine Prophezeiung demjenigen offenbaren würde, der reinen Herzens käme, um seinen Durst zu stillen. Mit schwindender Kraft und unter Hingabe seines größten Traumes, nährte Asragur die Quelle ein letztes Mal und versank in ihren Tiefen. Einzig eine seiner Schuppen, die er direkt über dem Herzen trug, ließ er demjenigen zurück, der eines Tages kommen würde, um Morana zu erlösen.


Viele Jahrhunderte gingen ins Land und Rodan schien für die Ewigkeit auf seiner Burg gefangen. Aber der Zauber Asragurs war nicht mächtig genug, um sein Reich, für immer, vor Rodans dunkler Macht zu schützen. Die Quelle begann zu versiegen und somit verblasste auch die Hoffnung in dem einst blühenden Land. Angst und Misstrauen hielten Einzug in Morana. Und um den Drachenthron des einst gütigen Herrschers entbrannten die ersten blutigen Kämpfe“, erzählte Grewels weiter und die beiden Jungen lauschten gebannt den Worten des Drachen.


„Wie jedes Geschöpf in Morana weiß auch Rodan um die Prophezeiung des Drachenkönigs. Doch noch ist der Zauber Asragurs zu mächtig, als das er sich aus seinem Gefängnis befreien könnte. Daher bleibt ihm nichts anderes übrig als mehr oder weniger untätig abzuwarten.

Allerdings gelang es ihm erst kürzlich, das Volk der Raben zu unterwerfen. Die klugen schwarzen Vögel ziehen seitdem verräterisch krächzend durch die Lüfte. In Heerscharen schickt er sie über das ganze Land, so dass sich der Himmel über Morana verdunkelt. Furcht und Schrecken bestimmen seitdem unser Leben. Wie eine Spinne, die in ihrem Netz auf die nächste Fliege lauert, so wartet Rodan darauf, dass die Quelle allmählich austrocknet und er sich dem Auserwählten in den Weg stellen kann.


Die Zeit ist gekommen!


Das große Weltentor hat sich geöffnet, um dem Auserwählten den Weg nach Morana freizugeben. Demjenigen, der die Quelle vor dem Versiegen bewahren und Morana Frieden und Hoffnung zurückbringen wird.

Aber der schwarze Elf wird alles daran setzen, die Prophezeiung mit dem Blut des Auserwählten zu besudeln, damit er sich endgültig über Morana erheben kann“, erklärte der Drache und sah Simon auf einmal flehend an.

„Du bist der Auserwählte, Simon! Du hast als einziger die Macht, dich Rodan in den Weg zu stellen und unser Land von diesem Fluch zu erlösen. Es werden viele Gefahren auf dich lauern, aber vertrau mir. Du wirst nicht allein sein.

Bitte, du musst mit mir durch das Tor gehen. Ohne dich sind wir verloren!“, schloss Grewels seine Geschichte, schnäuzte sich laut, blickte wieder auf und sah in zwei ungläubig dreinschauende Gesichter. Simon, der die Schuppe Asragurs in den Händen hielt, fand als Erster die Sprache wieder.

„Oh Mann, was für eine abgefahrene Geschichte! Ich glaub, ich spinne! Aber bist du dir auch wirklich sicher, dass ich der Auserwählte bin und du dich nicht einfach nur verflogen hast?“, fragte er den Drachen zweifelnd, der schon wieder eines dieser Tierchen im Maul hatte. Angewidert sah Simon zu, wie der gefräßige Besucher erneut in seinen Lederbeutel griff, eines der ängstlich quiekenden Fellbällchen hervorkramte, es hoch in die Luft warf und zufrieden grunzend verschlang.

„Und was zum Teufel sind das für Dinger, die du ständig verputzt?“

„Och, das sind Erdwühler“, antwortete der Drache abwesend, der seine Tasche schon wieder nach einem Imbiss durchsuchte, und kurz darauf ein besonders fettes Exemplar zwischen seinen scharfen Zähnen verschwinden ließ.

„Hmm, sie sind wirklich köstlich. Aber nicht leicht zu finden, da sie sich für gewöhnlich zwischen den Wurzeln der Grasapfelbäume verstecken. Wir Felsendrachen lieben diese kleinen, haarigen Biester. Sie kitzeln so schön im Hals, wenn man sie im Stück herunterschluckt“, lachte Grewels und besann sich dann aber auf Simons eigentliche Frage.

„Und ja, Simon“, schmatzte er zufrieden. „Wir sind uns ganz sicher. Die Schuppe Asragurs ist für dich bestimmt, sonst hätte ich doch nicht den weiten Weg auf mich genommen. Von dem Umweg hierher einmal ganz abgesehen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du vorhattest zu verreisen“, grummelte Grewels, der auf Simon und Richie einen eher faulen und gefräßigen Eindruck machte.

„Schon zum Zeitpunkt deiner Geburt offenbarte die Prophezeiung einem aus unserer Mitte, dass nur du Morana retten kannst. Wir wussten von dir und brauchten nur abzuwarten, bis du alt genug warst“, fügte Grewels kauend hinzu.

„Wer ist wir?“, mischte sich Richie, der die ganze Zeit still zugehört hatte, jetzt ein.

Grewels bedachte Richie mit einem kurzen unfreundlichen Blick, verdrehte daraufhin genervt die Augen und fuhr fort.

„Wir sind Felsendrachen, die letzten unserer Art. Es gibt schätzungsweise noch einhundert von uns, und sollte die Quelle gänzlich versiegen, wird es uns in ein paar Jahren gar nicht mehr geben“, erklärte Grewels traurig.

„Wir waren seit jeher die Wächter der Quelle, und sind es noch heute. Asragur war unser König, bis zu dem Tag, an dem er sich zum Wohle aller, selbst aufgegeben hat. Irgendwie ist er bis heute unser König geblieben. Und wir werden sein Erbe bis in alle Zeit schützen. Sollte die Quelle aber eines Tages versiegen und das, du kleines Menschlein, wird schon in Kürze der Fall sein, dann wird sich bald niemand mehr an den gütigen Asragur erinnern; an uns wohl auch nicht“, orakelte der Drache geknickt.

„Daher sollten wir uns schnell auf den Weg machen. Das Tor nach Morana ist nur in dieser Nacht geöffnet. Wenn wir den Zeitpunkt verpassen, dann ist alles verloren und wir sind dem Untergang geweiht.

Rodan wird sich erheben, die Quelle entweihen oder sogar zerstören und es wird nie wieder Hoffnung in unser Land einkehren“, jammerte Grewels. Mit einem Seitenblick auf Richie fügte er hinzu: „Wenn es denn unbedingt sein muss, darf dein Freund uns auch begleiten“, gestand er mürrisch zu.

„Das ist aber wirklich großzügig von dir“, maulte Richie den Drachen an.

„Vielen Dank. Aber ich glaube da muss ich passen“, sträubte er sich, dem unfreundlichen Biest zu helfen.

„Dann gehe ich eben allein“, entschied sich Simon und sah wie seinem Freund die Kinnlade herunterfiel.

„Mensch, Richie, sei doch kein Dummkopf! Wir müssen helfen! Jedenfalls ich! Dieses Abenteuer ist doch genau das Richtige für uns. So etwas werden wir nie wieder erleben“, versuchte Simon ihn zu überzeugen.

„Ja, wenn wir es denn überleben“, hielt Richie zweifelnd dagegen. Aber natürlich konnte er Simon nicht allein gehen lassen. Er war sein bester Freund und würde auf dieser Reise sicher seine Unterstützung gebrauchen können. Ihn im Stich zu lassen, kam überhaupt nicht in Frage. Wenn da nur nicht dieser komische Drache mit seiner undurchsichtigen Geschichte und den unappetitlichen Essgewohnheiten wäre. Richie traute dem schuppigen Biest nicht über den Weg und nahm sich vor, ihn genau im Auge zu behalten.

„Es kann euch fast gar nichts passieren“, verkündete der Drache breit grinsend. Er war sich seiner Sache wirklich sicher.

„Also gut“, lenkte Richie ein. „Lass uns ein paar Sachen zusammenpacken“.

Schnell hatten sie das Nötigste in ihren Rucksäcken verstaut. Ein paar Sandwiches, die Tante Aby Simon mittags gemacht hatte, die Tüte Kekse aus Mr. Twiggles Eissalon, ein paar Lammkoteletts, und etwas Brot vom Abendessen. Simons Taschenmesser, das Fernglas und der Kompass vom Dachboden, sowie eine Decke, wurden ebenfalls eiligst in die Rucksäcke gestopft.

Grewels mahnte zur Eile. Der Drache hüpfte nervös herum und schlug aufgeregt mit den Flügeln.

Simon betrachtete die Schuppe des Drachenkönigs.

„Sie verändert ihre Farbe“, sagte er zu Grewels und hielt sie dem Drachen hin. „Was hat das zu bedeuten?“, wollte er wissen.

„Nun“, begann Grewels etwas gehetzt wirkend.

„Ganz einfach: Wenn die Schuppe schwarz ist, dann waren wir zu langsam! Reicht das vorläufig als Erklärung?“, fragte er unwirsch nach. Ohne eine Antwort abzuwarten, erhob er sich mit schwerfälligen Flügelschlägen in die Luft und rief den beiden Jungen zu.

„Folgt mir! Wir haben keine Zeit zu verlieren und noch ein gutes Stück Weg vor uns“. Die beiden Freunde ständig zur Eile antreibend, flog Grewels voraus.

Es war eine kühle Vollmondnacht und Simon war froh, einen dicken Pullover und seine Jacke zu tragen. Was würde sie nur erwarten? Konnte er dem Drachen trauen? Richie, der auf jedes Geräusch achtend leise fluchend neben ihm herlief, schien Grewels jedenfalls nicht über den Weg zu trauen.

Sie erreichten die Ausläufer des Exmoors und drangen, entlang der Klippen, immer tiefer, in die Heidelandschaft vor. Tief unter sich hörten sie, wie sich die aufgewühlte See tosend an den Felsen brach.

Ruhig und gespenstisch erstreckte sich vor ihnen das Moor.

„Simon, ich habe Angst!“, sagte Richie. „Was ist, wenn er uns nur hierher lockt, damit er uns die Klippen hinunterstoßen kann, um uns dann stückchenweise, mit seinen schuppigen Artgenossen, zu verspeisen?“, flüsterte er besorgt.

„Mir ist auch nicht ganz wohl bei der Sache. Wir sind jetzt schon über eine Stunde unterwegs, ohne zu wissen, wo es eigentlich hingeht, geschweige denn, wie weit wir noch laufen müssen“, entgegnete Simon ebenfalls flüsternd und darauf bedacht, dass Grewels sie nicht hören konnte.


„Grewels“, rief Simon zum Drachen hinauf. „Wo führst du uns eigentlich hin?“.

Der Drache wendete, blieb flatternd in der Luft stehen und sah die Jungen verärgert an.

„Nun, meine Freunde. Es ist nicht mehr weit. Seht ihr? Dort auf den hohen Klippen befindet sich das Tor nach Morana“, deutete Grewels nach vorn und flog weiter in Richtung auf sein Ziel. Simon und Richie grübelten darüber nach, wie dieses Tor wohl beschaffen sein mochte. Konnten sie einfach hindurchgehen, benötigten sie einen Schlüssel oder handelte es sich gar nicht um ein Tor im herkömmlichen Sinne? Aus der Ferne sahen sie jedenfalls nur bedrohliche, schwarze Klippen vor sich aufragen, an deren rauen Felsen sich die Wellen donnernd brachen und die Gischt, im Mondlicht, weiß schäumend emporstieg.

„Wahrscheinlich müssen wir noch ein Stück die Klippen hinabklettern und der Eingang befindet sich irgendwo in einer Höhle zwischen den Felsen“, mutmaßte Richie.

Grewels begann schneller vor ihnen herzufliegen und die Jungen mussten größere und eiligere Schritte machen, um dem Drachen noch folgen zu können. Es roch nach Heidekraut und Salzwasser. Der Mond, der hinter einer dicken Wolke wieder hervorkam, schien auf eine kleine Herde wilder Ponys, die jetzt im Dunkeln, dicht aneinander gedrängt, an einem Stechginsterbusch stand. Bis auf die Brandung, die gegen die Klippen schlug, den Flügelschlägen ihres mysteriösen Gefährten und die voraneilenden Schritte der beiden Freunde, war es beunruhigend still. Sie kamen dem Punkt, auf den Grewels vor einer halben Ewigkeit gedeutet hatte, immer näher. Simon ahnte schon wohin sie der Drache zu führen gedachte. Der Weg begann jetzt immer steiler anzusteigen und die Jungen mussten sich anstrengen, um mit Grewels mithalten zu können. Zielstrebig steuerte dieser auf den höchsten Punkt zu, der vor ihnen auszumachen war.

„Richie, ich habe das Gefühl, wir sind gleich da“, schnaufte Simon.

„Wieso glaubst du das?“, wollte Richie wissen, dem es überhaupt nicht wohl in seiner Haut war.

„Weil das dort vorn der höchste Punkt des Exmoors ist, der Great Hangman!“, erklärte Simon keuchend. „Ich war einmal mit meinem Dad hier oben. Und glaub mir, es wäre wirklich kein Spaß, jetzt auch noch in die Klippen klettern zu müssen. Denn von dort oben geht es über zweihundert Meter tief, fast senkrecht, ins Meer hinab. Ein Fehltritt und unser Abenteuer würde enden, noch bevor es richtig angefangen hätte“, fügte Simon trocken hinzu.

Richie wurde bei derlei Aussichten schlagartig kreidebleich im Gesicht und er konnte vor lauter Angst nur noch leise aufstöhnen.

„Worauf habe ich mich da nur eingelassen?“, seufzte er still in sich hinein.

„Augen zu und durch“, sagte er zu sich selbst. Jetzt waren sie schon einmal hier, also wollte er auch wissen, was diese Nacht noch alles für sie bereithielt.

Grewels, der den Gipfel der Klippe schon erreicht hatte, stand flatternd in der Luft und feuerte die Jungen auf den letzten Metern an. „Nur noch ein kleines Stück, dann habt ihr es geschafft. Strengt euch ein bisschen mehr an!“, kommandierte er Simon und Richie, die nun beide ziemlich erschöpft auf dem Gipfel des Great Hangman angekrochen kamen. Erschöpft ließen sie sich ins weiche Heidekraut fallen, wo sie einen Augenblick liegen blieben und nach Luft rangen. Gleichzeitig rappelten sie sich wieder auf und erblickten Grewels, der hoch über ihnen in der Luft stand, fast schwebend mit leichten Flügelschlägen.

„Ich kann kein Tor sehen“, sagte Richie an Simon gewandt. Es beschlich ihn das ungute Gefühl, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging. Simon, der sich ebenfalls suchend umsah, wandte sich an den Drachen.

„Grewels, hier ist kein Tor!“, rief er hinauf.

„Habt einen kleinen Augenblick Geduld. Das Tor wird sich schon sehr bald öffnen und euch Einlass gewähren“, versicherte er ihnen aufmunternd.

Simon und Richie sahen sich ratlos an und die Angst kroch in ihnen hoch. Wind kam auf und das Tosen der Brandung, am Fuße der Klippen, wurde von Minute zu Minute, kraftvoller und lauter.

„Es ist soweit!“, erhob Grewels seine Stimme gegen die Brandung.


Um sie herum fing die Luft an zu flirren. Die nächtliche Szenerie des mondbeschienenen Exmoors löste sich vor ihren Augen auf. Sie fassten einander fest an den Händen. Der Great Hangman, auf dem sie mit dem Rücken zum Abgrund hin standen, fing an zu beben. Das Tosen der Wellen wurde immer kraftvoller und dröhnte in ihren Ohren. Der Mond war noch zu sehen, ansonsten begann alles in wabernder Dunkelheit zu versinken.


„Jetzt!“, rief Grewels donnernd in das Getöse hinein und aus seinen Nüstern schoss heißer Dampf. Mit einem Mal blähte sich der Drache bis zu einem Vielfachen seiner Größe auf und blies mit aller Kraft heißen Wind in Richtung der zwei Freunde. Der Strahl heißer Luft, der den Lungen des Drachen entwich, war so stark, dass er Simon und Richie von ihren Füßen riss und sie viele Meter weit, über den Abgrund des Great Hangman hinaus, aufs offene Meer trug, wo sie nach einer Weile trudelnd in die Tiefe stürzten.


Sie schrien so laut wie sie in ihrem ganzen Leben noch nie vor Angst geschrien hatten. Die Orientierung komplett verloren, rasten die armen Kerle mit mörderischer Geschwindigkeit dem aufgewühlten Meer und damit ihrem sicheren Ende entgegen. Alles was Simon noch wahrnehmen konnte, war ein schriller, gellender Schrei, der aus dem Nichts in sein Ohr drang.


Hatte der Drache sie reingelegt? Das war sein letzter Gedanke, bevor es still wurde und ihn nur noch Dunkelheit umfing.

Simon Knox und die Prophezeiung Asragurs

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