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IV. Der Plot

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Ein Krimi sollte einen Plot haben. Was ist ein Plot? Das abstrakt zu sagen fällt schwer. Das englische Wort »Plot« hat ähnlich wie der in Bayern verbreitete Ausdruck »Ja mei« mindestens hundert verschiedene Bedeutungen. Wikipedia nennt beim Stichwort »Plot« neben vielem anderen das in der »Dramaturgie für den ursächlichen Zusammenhang eines vorgestellten Ereignisverlaufs zu einem bestimmten Ende« gebildete Dingsda, also, in der Sprache eines früheren Bundeskanzlers, so ein Gedöns (»Der Minister X ist Minister für so ein Gedöns d.h. Landwirtschaft, Verkehr, Jugend, Familie – eben so ein »Gedöns«.) Das macht den Leser bei Wikipedia nicht schlauer. So klickt er die Stichwörter »Handlung« und »Erzählkunst« an, auf die der Artikel verweist. Bei »Handlung« wird er zu Aristoteles geführt, der in seiner Poetik die komplizierte Handlung im Unterschied zur einfachen Handlung beschreibe. Sie habe ein andere Ende als das zunächst in Aussicht gestellten. Sie verlaufe in einer ersten Zusammenhangskette, die jählings notwendig in eine andere, meist ein entgegengesetztes Ende implizierende, überspringe. Was eigentlich gemeint gewesen sei, schlage auf einmal ins Gegenteil dessen um, wozu es ins Werk gesetzt worden sei. Statt Rettung trete der Untergang ein. So werde der ursprünglichen Auffassung der vorgestellten Verhältnisse und ihrer Weiterungen der Boden entzogen. Alle gemachten Voraussetzungen müssten entsprechend der neuen Handlungsrichtung umgewertet werden. Der Feind werde zum Freund, Abneigung, die man zu verspüren glaubte, werde zu Liebe, Kleinmut entpuppe sich als Kühnheit, und dergleichen mehr. Die stärkste Wirkung habe dieser Umschwung, wenn statt eines erwarteten Glücks ein Unglück eintrete. Auch die umgekehrte Richtung sei möglich, sogar gängiger, wennglich weniger wirkungsvoll. Die Anteilnahme des Zuschauers wachse, je unähnlicher ihm die betroffene Person sei, da man Leuten, die man für schlechter als sich selber halte, das Unheil gönne. Der Sturz der einem selbst ähnlichen Person mache dagegen betroffen, da dieses Schicksal auch für einen selbst nicht ausgeschlossen scheine. Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang von »Peripetie« (altgriech. = plötzlicher Umschlag). In Bayern täte man sagen: »Der war scho a fotzater Hund, der Ari!«

Im Hollywood-Film spielt der von dem Drehbuchlehrer Syd Field so genannte Plot Point eine wichtige Rolle. Dieser Begriff steht für eine Überraschung im Lauf einer Handlung, welche hierdurch verkompliziert wird. Der Zuschauer muß ein bestimmtes Ereignis erwarten, und dann geschieht etwas, was seine Erwartung verändert.

Ich will das Gesagte an Beispielen verdeutlichen. Ein Meister des Plot war der englische Schriftsteller Roald Dahl (1916–1990), und eine seiner schönsten Kurzgeschichten, die mit einem perfekten Plot endet, entstammt einer Strafrechtsübung, die mein akademischer Lehrer, der Strafrechtsprofessor und Rechtsphilosoph Arthur Kaufmann anno 1949 an der Universität Heidelberg ausgegeben hatte. Wir Strafrechtler verbringen einen Gutteil unserer Zeit damit, uns solche Fälle auszudenken, von denen schon Lichtenberg gesagt hat, es gebe in unserer Schulweisheit Fälle, von denen Himmel und Erde sich nichts träumen liessen. Die Geschichte trägt den Titel »Mrs. Bixby und der Mantel des Oberst.« Sie, liebe Leser, sollten diese Story (und andere von Dahl) im englischen Originaltext lesen. Sie ist veröffentlicht in einem Buch mit dem Titel »Kiss Kiss« und beginnt wie folgt:

»America is the land of opportunitiesfor women. Already they own about eighty-five per cent of the wealth of the nation. Soon they will have it all. Divorce has become a lucrative process, simple to arrange and easy to forget; and ambitious femals can repeat it as often as they please andparlay their winnings to astronomical figues. The husband's dead also brings satisfactory rewards and some ladies prefer to rely upon this method. They know that the waiting period will not be unduly protracted, for overwork and hypertension are bound to get the poor devil before long, and he will die at his desk with a bottle of benzedrines in one hand and a packet of tranquillizers in the other.«

Nun die Story: Mr. und Mrs. Bixby bewohnten ein kleines Apartment in New York City. Mr. Bixby war Zahnarzt mit einem durchschnittlichen Einkommen. Mrs. Bixby war “a big vigorous woman with a wet mouth.« Einmal im Monat fuhr sie mit dem Zug nach Baltimore, um ihre alte Tante zu besuchen. Sie verbrachte dort die Nacht und kehrte am nächsten Morgen zurück. So weit so gut. Die Tante war aber nur ein Vorwand. “The dirty dog, in the shape of a gentleman known as the Colonel, was lurking slyly in the background and our heroine spent the greate rpart of her Baltimore time in this scoundrel’s Company.« So vergingen acht Jahre. Eines Tages, als sie am Bahnhof Baltimore auf den Zug nach New York wartete, stand dort der Bursche des Oberst und überreichte ihr ein großes Paket. Im Zug öffnete sie es und fand zweierlei. Einen Abschiedsbrief des Colonel und einen Traum von einem Nerzmantel. Das erstere betrübte sie, das letztere half ihr über die Betrübnis hinweg. Die Frage war nur: Wie sollte sie das Mrs. Bixby erklären? Der Colonel schlug in seinem Brief vor, sie solle ihn als Geschenk ihrer Tante bezeichnen. Die war aber viel zu arm, um ihr ein solches Geschenk zu machen, und ihr Mann wusste das. Sie hatte viel und oft von ihrer Tante erzählt. Wir alle reden zuviel und bereuen es oftmals.

Doch eine Frau weiß immer Rat. Mrs. Bixby brachte den Nerz nach ihrer Ankunft in New York in ein Pfandhaus, erzählte dem Pfandleiher, sie bräuchte vorübergehend Bargeld und erhielt fünfzig Dollar dafür, obwohl der Mantel mehr als das Hundertfache wert war. Dann brachte sie den Pfandschein, auf dem nur eine Nummer vermerkt war, Mr. Bixby. Sie erzählte von ihrem Besuch bei der Tante, und er erzählte ihr die spannende Geschichte, wie er die Zeit ihrer Abwesenheit genutzt hatte, um einige Inlays herzustellen. Dann gab sie ihm den Pfandschein, den sie angeblich gefunden hatte, und er bestand darauf, ihn selbst für sie einzulösen. Am nächsten Morgen fuhr er in seine Praxis. Eine Stunde später rief er sie an und sagte ihr, er habe das Pfand eingelöst. »Darling, Du wirst Augen machen!« Bebend vor freudiger Erwartung fuhr sie in die Praxis. »Schließ die Augen« sagte er. »Es ist etwas Wundervolles – ein Nerz.« Sie tat, wie geheißen, und als er sie dann aufforderte, ihre Augen zu öffneten – was sah sie? “There was no coat. There was only a ridiculous little fur neckpiece dangling from her husband’s hand.« Es gab einen Wortwechsel, den sie aber in Anbetracht ihrer Lage nicht gewinnen konnte. Also verließ sie die Praxis, »slamming the door behind her. At this precise Moment, Miss Pulteney, the secretary-assistent, came sailing the corridor on her way to lunch. ›Is’nt it a gorgeous day?‹ Miss Pulteney said, as she went by flashing a smile. There was a lilt in her walk, a little whiff of perfume attending her, and she looked like a queen, just exactly like a queen in the beautiful black mink that the Colonel had given to Mrs. Bixby.«

Ich habe diesen Fall mit meinem Lieblingsplot an der Universität einmal in einer Strafrechtsübung für Anfänger zur Bearbeitung ausgegeben, wobei natürlich deutsches Recht anzuwenden war. Also, Zahnarzt Dr. Schäufele in Stuttgart, Tante und Oberst in Plüderhausen, wobei aus dem Oberst ein Schraubenproduktionsweltmarktführer wurde, ansonsten alles gleich. In der Vorstellung des Dr. Schäufele war der Pfandschein eine fremde Sache, so daß seine liebe Frau in seiner Vorstellung insoweit eine Fundunterschlagung gemäß § 246 Abs. 1, 3 StGB begangen hatte, wobei nach der sog. Sachwerttheorie, die im Unterschied zur Substanztheorie anzuerkennen ist (so treffend Haft, Strafrecht Besonderer Teil, passim und ihm folgend die herrschende Rechtsprechung und das Schrifttum; abweichend nur Müller-Seibermann in Der Niedersächsische Rechtspfleger 1947, Seitenzahl vergessen), nicht der Pfandschein, sondern die darin verkörperte Sache, also der Nerzmantel, Tatobjekt war. Dieser Irrtum könnte eine versuchte Hehlerei, §259 Abs. 1, 3 StGB des Dr. Schäufele zur Folge gehabt haben, wobei ein untauglicher Versuch in Frage kam und erneut das Problem entstand, ob bereits der Erwerb des Pfandscheins ein »Sichverschaffen« im Sinne des Gesetzes dargestellt hat oder ob eine Hehlerei am Pfandschein vorlag. Wie schon gesagt, es muß im Krimi nicht immer und Mord und Totschlag gehen. Ich will das nicht weiter ausführen; die Fachleute wissen was ich meine, und die übrigen verstehen es ohnehin nicht. Die Studenten haben sehr gejammert und gefragt, warum denn Frau Schäufele nicht behauptet hat, sie habe den Nerzmantel auf der Straße gefunden, wo ja in Plüderhausen bekanntlich alles mögliche herumliegt. Ich habe diese Attacken abgewehrt, das Leben passe sich nun einmal nicht den Nöten der Studenten an. Ich will das hier aber, wie gesagt, nicht weiter ausführen, da wir hier ja nicht Strafrecht betreiben.

Roald Dahl hat viele weitere schöne Plots erfunden. Ein weiteres Beispiel aus seinen Onkel Oswald Geschichten möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Onkel Oswald war ein reicher Müßiggänger, der für jede Schnapsidee zu haben war. Solche Leute gab es früher in England. Eines Tages begegnete ihm ein Olfaktor, also, wie Sie natürlich wissen, ein Mensch, der den Geruchssinn erforschte. Wie Sie ebenfalls wissen, nennt man diese wissenschaftliche Disziplin Osmologie oder auch Osphresiologie. Unser Forscher – nennen wir ihn F – behauptete, er könne ein Parfum erfinden, das jeden Mann, der auch nur einige Partikel davon in seine Nase bekäme, in ein rasendes Sexungeheuer verwandeln würde. Unweigerlich würde er über die nächstbeste Frau herfallen. Onkel Oswald war skeptisch, aber nach einem kleinen Selbstversuch, der damit endete, daß er sich die Kleider vom Leib riss und nach einer Frau Ausschau haltend umherraste, war er von der Erfindung überzeugt und finanzierte sie. Für ihren praktischen Einsatz sah er die Jahresversammlung der US-amerikanischen Frauenbewegung im Waldorf-Astoria Hotel in New York vor, auf welcher der US-Präsident eine Rede halten sollte. Ein Tropfen des Parfums wurde in einer dünnen Glaskapsel eingeschmolzen, welche an einer Orchidee befestigt war, die Onkel Oswald vor der Veranstaltung bei der Präsidentin des Frauenkomitees angeblich im Namen des Präsidenten übergeben wollte. Die Kapsel sollte sich in dem Augenblick öffnen, in dem der Präsident die Leiterin der Frauenbewegung nach amerikanischer Sitte auf der Bühne umarmen würde, worauf sich der Präsident die Kleider vom Leib reißen und über die füllige Matronen herfallen sollte, was alle Fernsehsender des Landes live übertragen würden. So weit, so gut der Plan. Aber wie schon Moltke richtig bemerkt hat, überlebt selbst der beste Plan nicht die erste Feindberührung. Bei der Übergabe der Orchidee im Hotelzimmer kam es zu einer kleinen Panne und Onkel Oswald war es, der im Sexualrausch über die Präsidentin der Töchter der amerikanischen Revolution in ihrer Hotelsuite herfiel – eine stattliche Fregatte mit wogendem Busen, die gut hundert Stein wog, und die derlei gewiss noch niemals erlebt hatte. Nach fünf Minuten war der Rausch vorbei und die erfreute Lady sprach würdevoll: »Junger Mann, ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie wollten. Aber jedenfalls war es ein erstaunliches Erlebnis.«

Den Ausdruck »erstaunlich« hat übrigens der Schriftsteller Max Gold in einem seiner Bücher feinsinnig verwendet. Treffen sich Doktor Gütenkron und Direktor Goldfinger (die Namen müssen nicht stimmen – ich zitiere aus dem Gedächtnis) auf einer Party, auf der auch das kürzlich flügge gewordene Töchterchen Gütenkron herumschwirrt, und da spricht Doktor Gütenkron zu Direktor Goldfinger: »Eben saß sie noch auf ihrem Pony und jetzt leitet sie einen internationalen Konzern – ist das nicht erstaunlich?« Wenn jemand zu Ihnen »erstaunlich« sagt, empfehle ich Ihnen, mit »entzückend« zu antworten.

Zurück zu den Plots. Die verbreiteten »Whodunits«, die von Montagmorgen bis Sonntagabend auf den Fernsehkanälen gesendet werden, enthalten so gut wie nie einen Plot, und auch viele Krimiautoren verzichten darauf, ich vermute, mangels Phantasie der Autoren. Einen guten Plot zu erfinden ist nämlich eine extrem schwierige Aufg abe. Am ehesten wird man noch bei den Short Stories fündig. Dazu ein Beispiel: In einer von Dolly Dolittle herausgegebenen Sammlung »schrecklicher Geschichten« erzählt Robert Bloch unter dem Titel »... ganz wie Zuhause« die Geschichte der jungen Australierin Natalie, deren Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, und die nach England zu ihrem Onkel Dr. Bracegirdle reist, einem Landarzt, den sie nur aus Erzählungen kennt, und bei dem sie künftig leben soll. Nachts kommt sie auf der kleinen Bahnstation Hightower an. Sie hat dem Onkel, der einige Meilen entfernt seine Praxis betreibt, ihre Ankunft telegrafisch mitgeteilt, aber niemand erwartet sie. Statt dessen Nebel, Kälte und aus der Ferne das heisere Bellen des Hundes von Baskerville. Immerhin ist da eine Telefonzelle, von der aus sie in der Praxis anruft. Die Verbindung ist schlecht. Sie hört Stimmengewirr, dem sie entnimmt, daß in der Villa des Doktors gerade eine Party im Gang ist. Endlich meldet sich eine weibliche Stimme, die auf ihre Bitte hin den Onkel ruft. Er meldet sich, begrüßt sie herzlich, gluckst aber merkwürdig. Er bedauert, sie wegen eines dringenden Patientenbesuches nicht abholen zu können, er werde ihr aber Miss Plummer schicken, die sie mit dem Krankenwagen abholen werde. Miss Plummer kommt, eine lange, hagere Frauensperson in einer Art weißer Schwesterntracht, welche zerdrückt ist und schlecht sitzt, und bringt sie in rasender Fahrt zur Praxis. Unterwegs erfährt Natalie, daß der Doktor Psychiater ist und viele wohlhabende Patienten betreut. Die Praxis befindet sich in einem riesigen Gebäude in einem großen Park. Im Haus stößt sie auf ein Dutzend Personen in fröhlicher Geselligkeit. Ein reichlich angetrunkener Major belästigt sie, aber ein schlanker, grauhaariger, überaus distinguierte Herr weist ihn zurecht und entschuldigt ihn. Dies sei eine Abschiedsfeier. Dabei lacht er das Glucksen, das sie vorhin am Telefon gehört hat. »Du – Sie sind in Wirklichkeit Dr. Bracegirdle«, ruft sie. Er verneint das. »Und wo ist mein Onkel?« fragt sie. »Dort drüben.« Er verweist auf etwas im Ordinationszimmer, was dort zwischen der Couch und der Wand liegt. Ihr bietet sich ein schrecklicher Anblick, den sie nur eine Sekunde aushält. Jetzt kommt Miss Plummer. »Mein Gott, Sie haben ihn also gefunden. Dabei haben Sie die anderen noch nicht gesehen. Die oben. Das ganze Personal des Doktors. Grausig, wenn Sie mich fragen.« Die ganze Gesellschaft hat sich hinter ihr in den Raum gezwängt und starrt stumm herum. »Warum?« schreit Natalie. »Das kann nur das Werk eines Irren gewesen sein, der in eine Irrenanstalt gehört.«»Mein armes Kind«, sagt Miss. Plummer und schließt die Tür ab. »Dieses hier ist doch eine.« Sie werden zugeben – das ist ein Plot.

Jede Krimi-Kurzgeschichte braucht einen Plot. Deshalb sollten sie zu Übungszwecken Kurzgeschichten lesen.

Der Krimi an sich

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